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Bote aus der Buckligen Welt November 2018 - Nr 200

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SERIE<br />

Auf den Spuren <strong>der</strong> jüdischen Geschichte in <strong>der</strong> <strong>Buckligen</strong> <strong>Welt</strong> und im Wechselland<br />

Katzelsdorf und Eichbüchl –<br />

eine beson<strong>der</strong>e jüdische Geschichte<br />

Die Erforschung <strong>der</strong> jüdischen<br />

Geschichte von Katzelsdorf<br />

und Eichbüchl wurde 2016 vom<br />

wissenschaftlichen Leiter des<br />

Forschungsprojektes „Die jüdische<br />

Bevölkerung <strong>der</strong> Region<br />

Bucklige <strong>Welt</strong> – Wechselland“<br />

Werner Sulzgruber selbst übernommen.<br />

Im Vergleich zu den<br />

an<strong>der</strong>en von ihm untersuchten<br />

Gemeinden (Bad Erlach, Lanzenkirchen,<br />

Schwarzenbach<br />

und Walpersbach) und auch<br />

jenen <strong>der</strong> gesamten Region<br />

traten in den beiden Orten einige<br />

Beson<strong>der</strong>heiten zu Tage.<br />

Hier waren Juden beispielsweise<br />

Schlosseigentümer und<br />

Besitzer bzw. Pächter großer<br />

land- und viehwirtschaftlicher<br />

Betriebe.<br />

Schloss Eichbüchl<br />

„Wenngleich man sich <strong>der</strong><br />

Bedeutung von Schloss Eichbüchl<br />

im Zusammenhang mit<br />

<strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Zweiten Republik<br />

bewusst ist und die unwahre<br />

Geschichte erzählt wird,<br />

dass Erwin Rommel – <strong>der</strong> später<br />

im Zweiten <strong>Welt</strong>krieg als „Wüstenfuchs“<br />

(im Afrikafeldzug)<br />

berühmt gewordene Kommandant<br />

<strong>der</strong> Kriegsschule Wiener<br />

Neustadt (Militärakademie) und<br />

hoch dekorierter Generalfeldmarschall<br />

– dort gewohnt habe,<br />

so geriet die Tatsache nahezu<br />

in Vergessenheit, dass das<br />

Schloss vor 1938 in jüdischem<br />

Besitz gewesen war“, erzählt<br />

Sulzgruber. Denn kurz nach <strong>der</strong><br />

Jahrhun<strong>der</strong>twende hatte die<br />

47-jährige Witwe Ida Kary das<br />

Schloss erworben. Sie machte<br />

durch eine Reihe von sozialen<br />

Aktivitäten auf sich aufmerksam,<br />

zum Beispiel trat sie als<br />

„edle För<strong>der</strong>in“ <strong>der</strong> Eichbüchler<br />

Feuerwehr in Erscheinung.<br />

Mit dem „Anschluss“ 1938<br />

war es auch gleichgültig, dass<br />

Sohn Stefan Kary römisch-katholisch<br />

verehelicht war, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> „Judenbesitz“ sollte<br />

rasch „arisiert“ werden, was<br />

schließlich durch den Kauf seitens<br />

einer sehr wohlhabenden<br />

reichsdeutschen Fabrikantin<br />

erfolgte.<br />

Schloss Katzelsdorf<br />

Aber auch das Schloss Katzelsdorf<br />

selbst steht mit jüdischen<br />

Schloss Eichbüchl, um 1930 / Foto: Sammlung Werner Sulzgruber<br />

Schloss Katzelsdorf, o. J. / Foto: Gemeindearchiv Katzelsdorf<br />

Wirtschaftstreibenden und Gutsherren<br />

in Verbindung, nämlich<br />

seit den späten 1920er-Jahren<br />

als Pferde-, Milch- und Landwirtschaft.<br />

Im Gutshof befand sich<br />

ein Trabergestüt <strong>der</strong> jüdischen<br />

Industriellenfamilie Trebitsch mit<br />

einem Pfer<strong>der</strong>ennstall. Die kostbaren<br />

Pferde wurden auf einer<br />

Trabrennbahn eigens trainiert<br />

und herangezogen. Zur Trebitsch-<br />

Dynastie zählten unter an<strong>der</strong>em<br />

<strong>der</strong> Textilindustrielle Leopold<br />

Trebitsch, Schriftsteller Siegfried<br />

Trebitsch, <strong>der</strong> Volkskundler<br />

Rudolf Trebitsch und <strong>der</strong> Literat<br />

und Philosoph Arthur Trebitsch.<br />

Letzterer erreichte wegen seiner<br />

Rassentheorien einen umstrittenen<br />

Ruf.<br />

Der Wirtschaftshof des<br />

Schlosses Katzelsdorf befand<br />

sich in Pacht. Hans Donath<br />

hatte in seinem Meierhof rund<br />

100 Milchkühe und produzierte<br />

vor allem „Olmützer Quargel“,<br />

<strong>der</strong> heute noch einigen Zeitzeugen<br />

in Erinnerung ist.<br />

„Der Akademiker Ingenieur<br />

Doktor Andreas Kondor wie<strong>der</strong>um<br />

betrieb auf dem ‚Gut<br />

Katzelsdorf‘ eine <strong>aus</strong>gedehnte<br />

Land- und Viehwirtschaft. In<br />

kluger Weise führte er das Unternehmen<br />

in den 1930er-Jahren“,<br />

so Sulzgruber zu diesem<br />

Punkt seiner Forschungsarbeit.<br />

1939 wurde das Areal schließlich<br />

zu einem Pferdelazarett <strong>der</strong><br />

deutschen Wehrmacht. Das<br />

Schloss und fast alle dazugehörenden<br />

Liegenschaften waren<br />

Eigentum des deutschen<br />

Staates geworden, das hieß in<br />

<strong>der</strong> Nomenklatur <strong>der</strong> NS-Zeit, es<br />

„verfiel dem Deutschen Reich“.<br />

Am weiteren Schicksal <strong>der</strong><br />

Familie Kondor spiegelt sich die<br />

unglaubliche Odyssee mancher<br />

jüdischer Bewohner wi<strong>der</strong>. Das<br />

Ehepaar konnte nach England<br />

<strong>aus</strong>reisen, aber dort nicht Fuß<br />

fassen. In <strong>der</strong> Folge nahm es<br />

den Weg nach Afrika auf sich,<br />

um im krisengeschüttelten Kenia<br />

in <strong>der</strong> Landwirtschaft tätig zu<br />

sein – was bis in die 1960er-Jahre<br />

<strong>der</strong> Fall war. Doch wegen <strong>der</strong><br />

Unabhängigkeitskriege und <strong>der</strong><br />

Vertreibung <strong>der</strong> „Weißen“ verloren<br />

beide neuerlich „den Boden<br />

unter ihren Füßen“. Schließlich<br />

wurden die britischen Inseln ihr<br />

letztes Zuh<strong>aus</strong>e.<br />

12 <strong>Bote</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Buckligen</strong> <strong>Welt</strong> | April <strong>November</strong> <strong>2018</strong> <strong>2018</strong>

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