CAMPULS Wintersemester 18/19 Ausgabe 2
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von Lea Luttenberger<br />
Den Kaffee mit<br />
Milchschaum, bitte<br />
30<br />
Die ersten Tage Praktikum beim Verlag war ich<br />
durchaus verlegen. Wenn ich nicht gerade in meinem aerodynamisch<br />
wertvoll ausgetüftelten Bürostuhl saß und<br />
auf zwei Bildschirme starrte, lief ich durch die Gegend<br />
und stellte viele Fragen. Wie man mit einer Apple-Tastatur<br />
französische Anführungszeichen macht, zum Beispiel.<br />
Wenn ich gerade keine Fragen hatte und trotzdem<br />
das Gefühl, keine Sekunde länger mehr arbeiten zu können,<br />
war und ist Kaffee holen immer ein guter Grund,<br />
aufzustehen. Ich bin nicht die Praktikantin, die Kaffee<br />
kocht, sondern die, die welchen trinkt. Dabei profitiere<br />
ich sehr von unserem Kaffeevollautomaten, der sogar<br />
Milchschaum und solche Späße beherrscht. Kopieren<br />
kann ich leider nicht so gut, muss ich aber zum Glück<br />
auch in der Regel nicht. Alle kopieren sich die Sachen,<br />
die sie brauchen, selbst. Als ich dann doch mal in diese<br />
Situation kam, verursachte ich einen immensen Papierstau.<br />
Manchmal frage ich mich, was der Verlag eigentlich<br />
davon hat, mich Anfang 20-Jährige ohne abgeschlossene<br />
Ausbildung oder Studium bei sich rumhopsen zu<br />
lassen. Auf jeden Fall eine unbezahlte Arbeitskraft. „Lass<br />
dich nicht ausbeuten!“, sagt mein Vater dann. Es gibt sicherlich<br />
Praktikumsstellen, die sich über ein kostenloses<br />
Mädchen für Alles freuen und am ersten Praktikumstag<br />
grinsend eine meterlange To-Do-Liste mit Arbeiten,<br />
die sonst niemand erledigen möchte, aus der Schublade<br />
holen – allem voran dann Kaffee kochen und kopieren.<br />
Es sind genau solche Vorstellungen, die dazu führen, dass<br />
mir vor Staunen die Augen aus dem Kopf fallen, wenn<br />
unser Chef den Müll rausbringt, obwohl ich<br />
auch gerade im Raum wäre, bereit, ausgenutzt<br />
zu werden.<br />
In meinem Fall gab es<br />
eine solche Liste nicht, ich<br />
mache genau die gleichen<br />
Aufgaben wie alle anderen<br />
im Lektorat, mit dem Unterschied,<br />
dass ich dafür<br />
kein Geld bekomme. Hätte<br />
ich mein Praktikum in<br />
der Wirtschaft gemacht,<br />
hätte ich so viel verdient,<br />
dass ich zum ersten Mal<br />
in meinem Leben Steuern<br />
gezahlt und für das<br />
ganze restliche Jahr vorgesorgt<br />
hätte, inklusive Urlaubsreise<br />
in irgendein Weitweit-weg-Land.<br />
„Auf dem Arbeitsmarkt<br />
ist der Lohn, also Geld, der Weg, Wertschätzung<br />
auszudrücken“, sagte mir eine Kollegin auf der Arbeit.<br />
Manchmal wünsche sie sich, einen wertschätzenderen<br />
Berufswunsch gehabt zu haben. Wenn Arbeitgeber_innen<br />
kaum die Mittel haben, ihre Festangestellten<br />
angemessen zu bezahlen, wo soll dann der Lohn für unausgebildete<br />
Praktikant_innen herkommen?<br />
Dieses Thema der Lohnungleichheit ist nicht neu,<br />
im Bereich von Praktika spielen aber noch ganz andere<br />
Absurditäten eine Rolle. Voraussetzung für den Einstieg<br />
ins Verlagswesen ist ein Volontariat und dieses wiederum<br />
setzt ein Praktikum voraus. Und was ist, wenn ich es<br />
mir nicht leisten kann, monatelang unbezahlt in Vollzeit<br />
zu arbeiten? Dann kann ich kein Praktikum machen und<br />
also auch nicht ins Verlagswesen gehen?<br />
Nicht bezahlt heißt nicht gleich ausgebeutet, und<br />
Bezahlung allein macht für mich auch keine Anerkennung<br />
aus. Auch unter dem Siegel eines guten Lohns kann<br />
man Praktikant_innen ausnutzen und sie z.B. nur Kaffee<br />
kochen lassen, das nennt sich dann auch Barista. Wenn<br />
nicht vergütet werden kann, muss Wertschätzung auf<br />
eine andere Art ausgedrückt werden. Langfristig muss<br />
hierfür eine branchenunabhängige Lösung gefunden werden.<br />
Es ist absurd, wenn Branchen wie das Verlagswesen<br />
exklusiv für kleine Gruppen werden und zwar die, die<br />
sich ein unbezahltes Vollzeitpraktikum leisten können.<br />
Ein erster Schritt wurde schon getan, indem Praktika, die<br />
länger als drei Monate gehen, grundsätzlich bezahlt werden<br />
müssen. Wenn daraus aber resultiert, dass Betriebe<br />
wie auch mein Verlag keine Praktika mehr vergeben, die<br />
länger als drei Monate gehen, dann denke ich: „Yeah, geil.<br />
Ein riesengroßes ‚Wow‘, das hat jetzt richtig was gebracht.<br />
Ziel erreicht.“ Innerlich bin ich froh zu wissen, dass mich<br />
die Leute sowieso mit Kusshand nehmen, weil man Leute<br />
im Pflichtpraktikum generell nicht bezahlen muss. Ich<br />
habe den Jackpot im nicht-bezahlt-arbeiten-dürfen. Es<br />
ist paradox, wenn sich Menschen ausnutzen lassen müssen,<br />
um ihre Berufsaussichten zu verbessern und das auch<br />
noch gerne tun. Und das tue ich tatsächlich. Dadurch,<br />
dass ich nicht bezahlt werde, fühle ich mich auch freier<br />
darin, Fehler zu machen. Immerhin musste mein Verlag<br />
mir kein Geld dafür bezahlen, dass ich eine Stunde lang<br />
versucht habe, meinen selbstverursachten Papierstau zu<br />
beseitigen. Aber eben auch nicht für die Bücher, die ich<br />
korrigiert habe. Kurzfristig für die drei Monate reichen<br />
mir erstmal ein Liter Kaffee am Tag, den ich in angenehmer<br />
Atmosphäre mit meinen Kolleg_innen gemeinsam<br />
trinken kann, als Wertschätzung.<br />
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