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kiddies 2019

Das Magazin für junge Mütter und Väter

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Erziehung<br />

DAS WUNDER DES<br />

WIR-GEFÜHLS<br />

TEXT: NIKE HEINEN<br />

Wie aus Neugeborenen allmählich soziale Wesen werden – oder warum<br />

es ohne Beißen manchmal einfach nicht geht<br />

A<br />

Als Mia zum allerersten Mal in einem Sandkasten steht,<br />

nimmt es ein – für ihre Mutter – peinliches Ende. Das 15 Monate<br />

alte Mädchen erspäht am anderen Ende der Sandfläche<br />

ein kleineres Kind mit Schaufel und Förmchen, rennt los und<br />

beißt ohne Vorwarnung in die Wange des Babys. Dann versucht<br />

es mit dem erbeuteten Buddelgut durchzubrennen.<br />

„Natürlich wollte sie sich weder bei dem anderen Kind entschul<br />

digen noch die Förmchen zurückgeben“, erinnert sich<br />

Mias Mutter. „Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Alle<br />

ande ren Mütter haben mich mit diesem Blick angesehen …“<br />

„Das ist wie Laufenlernen“, sagt Markus Paulus, Professor für<br />

Entwicklungspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München. Der Experte ordnet das Geschehen ein: „Das<br />

dauert eben. Bei dem einen Kind geht es schneller, beim anderen<br />

ist mehr Zeit nötig. Aber am Ende sind die meisten<br />

Kinder echte Experten für das Zwischenmenschliche.“<br />

Er rät Eltern deswegen, einfach ruhig zu bleiben und den Kindern<br />

richtiges Verhalten zu erklären. Sich in andere hineinzuversetzen,<br />

auf sie Rücksicht zu nehmen, mit ihnen zu<br />

tei len – all das müssen Kinder erst lernen. Sie brauchen eine<br />

Weile, bis sie die inneren Voraussetzungen dafür haben. Unter<br />

ande rem müssen erst die Bereiche ihres Gehirns reifen, die<br />

das Verhalten steuern und die Empfindungen anderer abbilden.<br />

Denn wenn sie auf die Welt kommen, haben Säuglinge<br />

genug mit sich selbst zu tun. Ihr kleines Ich muss noch Form<br />

gewinnen. Erst in einem zweiten Schritt bemerken die kleinen<br />

Menschen, dass noch mehr solcher Ichs in der Welt da draußen<br />

sind. Und dass es immer großes Geschrei gibt, wenn<br />

man auf sie keine Rücksicht nimmt. Nur durch Grenzüberschreitungen<br />

wie Beißen oder Hauen können Kinder lernen,<br />

dass sie ihre eigenen Wünsche manchmal besser den Bedürfnissen<br />

anderer unterordnen sollten.<br />

Die Evolution lehrt: Der Mensch ist so erfolgreich unter den<br />

Säugetieren, weil er verstanden hat, dass man zusammen weiter<br />

kommt als allein. Paulus erforscht diese Entstehung des<br />

Wir-Gefühls bei Kindern von der Geburt bis ins Schul alter. Er<br />

ermuntert Eltern ausdrücklich, ihren Kindern immer wieder<br />

das soziale Miteinander zu erklären – auch wenn es wiederholt<br />

diese Phasen am Sandkasten gibt, in denen es nicht wirklich<br />

so wirkt, als ob diese Erklärungen das egoistische<br />

Minimonster irgendwie zähmen könnten.<br />

„Es sind kleine Schritte, die unseren moralischen Kompass<br />

formen“, sagt Paulus. Er erzählt vom Anziehen am Wickeltisch:<br />

Das Kind streckt dort vielleicht mal ein Ärmchen aus,<br />

FOTO: Getty Images/FatCamera<br />

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