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LGBB_022019_web

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Liebe Mitglieder des Dachvereins „Alte Sprachen<br />

für Berliner Schulen“, liebe Gäste!<br />

Ich freue mich sehr, bei dieser feierlichen Vorstellung<br />

des neugegründeten Dachvereins den Festvortrag<br />

halten zu dürfen und danke Ihnen für die<br />

Einladung. So eine Gründung ist ja ein hoffnungsvoller,<br />

ja magischer Moment. Hier haben sich<br />

ganz verschiedene Menschen zusammengetan –<br />

Eltern, Lehrer, Akademiker –, die gemeinsam ein<br />

Ziel haben: Die Begeisterung für Altgriechisch und<br />

Latein im Berliner Schulkosmos neu zu wecken,<br />

das Umfeld um diese Fächer lebendiger werden<br />

zu lassen, im besten Sinne „aufzumischen“. Oder<br />

wie es bei Ihnen in der Satzung heißt: „die gesellschaftliche<br />

Akzeptanz des an Berliner Schulen<br />

erteilten Latein- und Altgriechischunterrichts zu<br />

erhöhen“.<br />

Es ist die Hoffnung auf ein enges Netzwerk zwischen<br />

den hierbei engagierten Schulen, auch<br />

zwischen den interessierten Eltern dieser Schulen,<br />

mit einer starken Universitätsfakultät im Hintergrund.<br />

Diese Renaissance der alten Sprachen hat<br />

also viele Partner.<br />

Nun ist die Frage, wie ich Ihnen dabei Geburtshilfe<br />

leisten kann. Ich glaube, es ist wichtig, sich ganz<br />

zu Beginn darüber klar zu werden, wie man sich<br />

als Dachverein positioniert. Kaum ein Fach, das<br />

betont ja auch Professor Kipf immer wieder, verspürt<br />

heute so einen starken Rechtfertigungsdruck<br />

wie ein altsprachliches – und der Druck erhöht sich<br />

natürlich noch, wenn man wie am klassischen altsprachlichen<br />

Gymnasium von den Schülern nicht<br />

nur die Teilnahme an Latein, sondern auch an Altgriechisch<br />

fordert. Der Vorwurf, ein Orchideenfach<br />

zu lehren, das kein Mensch im „richtigen Leben“<br />

brauche, das in dieser kosmopolitischen Welt nicht<br />

weiterhelfe, ist allgegenwärtig.<br />

Susanne Leinemann:<br />

»In medias res –<br />

warum Alte<br />

Sprachen wieder<br />

in die Mitte der<br />

Schule gehören«.<br />

Festvortrag an der HUB<br />

am 13. Mai 2019<br />

Das sehen Sie, das sehe auch ich anders, weshalb<br />

mein Vortrag den Titel trägt: „In medias res – warum<br />

Alte Sprachen wieder in die Mitte der Schulen<br />

gehören“. Bevor ich aber dazu komme, möchte<br />

ich mich kurz vorstellen. Ich bin als Journalistin<br />

seit anderthalb Jahren für die Bildungsthemen bei<br />

der „Berliner Morgenpost“ zuständig. Diese Karrierewende<br />

kam für mich eher überraschend und<br />

ohne Vorlauf, aber inzwischen komme ich in der<br />

Welt der Bildungsverwaltung ganz gut zurecht,<br />

was man auch daran merkt, dass mich die permanenten<br />

Abkürzungen nicht mehr aus der Bahn<br />

werfen: RLP, LMB, Ndh, Em-Soz. Und zumindest<br />

mit dem Fach Latein – leider nicht Altgriechisch<br />

– habe ich selbst zu tun und manchmal auch zu<br />

schaffen: nicht nur berufl ich, sondern auch Woche<br />

für Woche im privaten Familienalltag. Sie ahnen,<br />

ich habe Kinder, die Latein lernen.<br />

Dass ich heute hier stehe, hat eigentlich mit dem<br />

Berliner Kinder- und Jugendfussball zu tun. Mein<br />

Sohn spielt seit vielen Jahren in einer Mannschaft<br />

im Berliner Süden, und wer die hiesigen Nachwuchsligen<br />

kennt, weiß, dass man als Eltern viel<br />

Zeit am Rand des Platzes verbringt. Hinfahren<br />

zu den Spielen, jubeln oder leiden, dazwischen<br />

eine Menge schlechten 1-Euro-Kaffee in den jeweiligen<br />

Vereinsheimen trinken. Mit den anderen<br />

Eltern kommt man dabei ins Gespräch, und so<br />

stellte ich nach einer Weile fest, dass der Vater<br />

eines Mannschaftskameraden meines Sohnes Lateinlehrer<br />

am Ernst-Abbe-Gymnasium ist.<br />

Er erzählte mir von der Schule in Neukölln, von<br />

seinen 93,5 Prozent Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache<br />

und wie dort Latein als sprachbildendes<br />

Fach eingesetzt wird, als „pons latinus“<br />

– also als Brücke zu einem sensibleren, besseren<br />

Beherrschen der deutschen Bildungssprache. Ein<br />

Deutsch also, das am Ende nicht nur für die Straße<br />

reicht, sondern wirklich Bildung und damit<br />

sozialen Aufstieg möglich macht. Für mich war<br />

das damals neu und auch fremd, Latein an punktschulen? Eine zunächst etwas seltsame<br />

Vorstellung. Also fragte ich, ob ich eine Repor-<br />

Brenntage<br />

über seinen Leistungskurs schreiben dürfte,<br />

über Huseyin, Ibo und Ayse-Nur. Das klappte, im<br />

Sommer 2015 erschien sie.<br />

Damals bei der Recherche traf ich auf Professor<br />

Kipf, es war Projektwoche bei Ernst-Abbe<br />

und sozusagen der lateinische Schulhöhepunkt<br />

des Jahres. Einen Lateinprofessor,<br />

der ohne Umschweife einräumte, als<br />

Schüler zwischenzeitlich eine „fünf“<br />

im Zeugnis gehabt zu haben, den<br />

vergisst man nicht so schnell.<br />

Der Kontakt brach nach diesem<br />

einen Bericht nicht ab. Und so<br />

kam es, dass ich im Sommer<br />

2016, ein Jahr später, den Abschlussvortrag<br />

beim Altphilologenkongress<br />

hier in dieser<br />

Universität halten durfte.<br />

Damals sprach ich über den Lateinunterricht<br />

in den bürgerlichen<br />

Gymnasien, weniger den in Schulen<br />

mit Kindern aus bildungsfernen ternhäusern. Ich warb darum, den<br />

Bürgerkindern den Spaß am Latein<br />

nicht zu schnell zu verderben und<br />

El-<br />

doch bitte etwas von der spielerischen Leichtigkeit<br />

in den Unterricht hineinzubringen, die ich in<br />

Neukölln erlebt hatte. Und ließ auch nicht unerwähnt,<br />

wie sehr unsere Tochter damals im Lateinunterricht<br />

zu kämpfen hatte. Ihre Lehrerin war<br />

noch ganz und gar alte Schule, voller Liebe zur<br />

antiken Welt und von vielen, auch von Schülern,<br />

sehr anerkannt, aber eben sehr fordernd. Kompromisse<br />

mit der Gegenwart, eine spielerische<br />

Leichtigkeit hier und da, das war ihre Sache nicht.<br />

64 JAHRGANG LXIII · <strong>LGBB</strong> 02 / 2019<br />

<strong>LGBB</strong> 02 / 2019 · JAHRGANG LXIII<br />

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