Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Liebe Mitglieder des Dachvereins „Alte Sprachen<br />
für Berliner Schulen“, liebe Gäste!<br />
Ich freue mich sehr, bei dieser feierlichen Vorstellung<br />
des neugegründeten Dachvereins den Festvortrag<br />
halten zu dürfen und danke Ihnen für die<br />
Einladung. So eine Gründung ist ja ein hoffnungsvoller,<br />
ja magischer Moment. Hier haben sich<br />
ganz verschiedene Menschen zusammengetan –<br />
Eltern, Lehrer, Akademiker –, die gemeinsam ein<br />
Ziel haben: Die Begeisterung für Altgriechisch und<br />
Latein im Berliner Schulkosmos neu zu wecken,<br />
das Umfeld um diese Fächer lebendiger werden<br />
zu lassen, im besten Sinne „aufzumischen“. Oder<br />
wie es bei Ihnen in der Satzung heißt: „die gesellschaftliche<br />
Akzeptanz des an Berliner Schulen<br />
erteilten Latein- und Altgriechischunterrichts zu<br />
erhöhen“.<br />
Es ist die Hoffnung auf ein enges Netzwerk zwischen<br />
den hierbei engagierten Schulen, auch<br />
zwischen den interessierten Eltern dieser Schulen,<br />
mit einer starken Universitätsfakultät im Hintergrund.<br />
Diese Renaissance der alten Sprachen hat<br />
also viele Partner.<br />
Nun ist die Frage, wie ich Ihnen dabei Geburtshilfe<br />
leisten kann. Ich glaube, es ist wichtig, sich ganz<br />
zu Beginn darüber klar zu werden, wie man sich<br />
als Dachverein positioniert. Kaum ein Fach, das<br />
betont ja auch Professor Kipf immer wieder, verspürt<br />
heute so einen starken Rechtfertigungsdruck<br />
wie ein altsprachliches – und der Druck erhöht sich<br />
natürlich noch, wenn man wie am klassischen altsprachlichen<br />
Gymnasium von den Schülern nicht<br />
nur die Teilnahme an Latein, sondern auch an Altgriechisch<br />
fordert. Der Vorwurf, ein Orchideenfach<br />
zu lehren, das kein Mensch im „richtigen Leben“<br />
brauche, das in dieser kosmopolitischen Welt nicht<br />
weiterhelfe, ist allgegenwärtig.<br />
Susanne Leinemann:<br />
»In medias res –<br />
warum Alte<br />
Sprachen wieder<br />
in die Mitte der<br />
Schule gehören«.<br />
Festvortrag an der HUB<br />
am 13. Mai 2019<br />
Das sehen Sie, das sehe auch ich anders, weshalb<br />
mein Vortrag den Titel trägt: „In medias res – warum<br />
Alte Sprachen wieder in die Mitte der Schulen<br />
gehören“. Bevor ich aber dazu komme, möchte<br />
ich mich kurz vorstellen. Ich bin als Journalistin<br />
seit anderthalb Jahren für die Bildungsthemen bei<br />
der „Berliner Morgenpost“ zuständig. Diese Karrierewende<br />
kam für mich eher überraschend und<br />
ohne Vorlauf, aber inzwischen komme ich in der<br />
Welt der Bildungsverwaltung ganz gut zurecht,<br />
was man auch daran merkt, dass mich die permanenten<br />
Abkürzungen nicht mehr aus der Bahn<br />
werfen: RLP, LMB, Ndh, Em-Soz. Und zumindest<br />
mit dem Fach Latein – leider nicht Altgriechisch<br />
– habe ich selbst zu tun und manchmal auch zu<br />
schaffen: nicht nur berufl ich, sondern auch Woche<br />
für Woche im privaten Familienalltag. Sie ahnen,<br />
ich habe Kinder, die Latein lernen.<br />
Dass ich heute hier stehe, hat eigentlich mit dem<br />
Berliner Kinder- und Jugendfussball zu tun. Mein<br />
Sohn spielt seit vielen Jahren in einer Mannschaft<br />
im Berliner Süden, und wer die hiesigen Nachwuchsligen<br />
kennt, weiß, dass man als Eltern viel<br />
Zeit am Rand des Platzes verbringt. Hinfahren<br />
zu den Spielen, jubeln oder leiden, dazwischen<br />
eine Menge schlechten 1-Euro-Kaffee in den jeweiligen<br />
Vereinsheimen trinken. Mit den anderen<br />
Eltern kommt man dabei ins Gespräch, und so<br />
stellte ich nach einer Weile fest, dass der Vater<br />
eines Mannschaftskameraden meines Sohnes Lateinlehrer<br />
am Ernst-Abbe-Gymnasium ist.<br />
Er erzählte mir von der Schule in Neukölln, von<br />
seinen 93,5 Prozent Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache<br />
und wie dort Latein als sprachbildendes<br />
Fach eingesetzt wird, als „pons latinus“<br />
– also als Brücke zu einem sensibleren, besseren<br />
Beherrschen der deutschen Bildungssprache. Ein<br />
Deutsch also, das am Ende nicht nur für die Straße<br />
reicht, sondern wirklich Bildung und damit<br />
sozialen Aufstieg möglich macht. Für mich war<br />
das damals neu und auch fremd, Latein an punktschulen? Eine zunächst etwas seltsame<br />
Vorstellung. Also fragte ich, ob ich eine Repor-<br />
Brenntage<br />
über seinen Leistungskurs schreiben dürfte,<br />
über Huseyin, Ibo und Ayse-Nur. Das klappte, im<br />
Sommer 2015 erschien sie.<br />
Damals bei der Recherche traf ich auf Professor<br />
Kipf, es war Projektwoche bei Ernst-Abbe<br />
und sozusagen der lateinische Schulhöhepunkt<br />
des Jahres. Einen Lateinprofessor,<br />
der ohne Umschweife einräumte, als<br />
Schüler zwischenzeitlich eine „fünf“<br />
im Zeugnis gehabt zu haben, den<br />
vergisst man nicht so schnell.<br />
Der Kontakt brach nach diesem<br />
einen Bericht nicht ab. Und so<br />
kam es, dass ich im Sommer<br />
2016, ein Jahr später, den Abschlussvortrag<br />
beim Altphilologenkongress<br />
hier in dieser<br />
Universität halten durfte.<br />
Damals sprach ich über den Lateinunterricht<br />
in den bürgerlichen<br />
Gymnasien, weniger den in Schulen<br />
mit Kindern aus bildungsfernen ternhäusern. Ich warb darum, den<br />
Bürgerkindern den Spaß am Latein<br />
nicht zu schnell zu verderben und<br />
El-<br />
doch bitte etwas von der spielerischen Leichtigkeit<br />
in den Unterricht hineinzubringen, die ich in<br />
Neukölln erlebt hatte. Und ließ auch nicht unerwähnt,<br />
wie sehr unsere Tochter damals im Lateinunterricht<br />
zu kämpfen hatte. Ihre Lehrerin war<br />
noch ganz und gar alte Schule, voller Liebe zur<br />
antiken Welt und von vielen, auch von Schülern,<br />
sehr anerkannt, aber eben sehr fordernd. Kompromisse<br />
mit der Gegenwart, eine spielerische<br />
Leichtigkeit hier und da, das war ihre Sache nicht.<br />
64 JAHRGANG LXIII · <strong>LGBB</strong> 02 / 2019<br />
<strong>LGBB</strong> 02 / 2019 · JAHRGANG LXIII<br />
65