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LGBB_022019_web

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Titelseite eines Schweizer Infoheftes über Antike Medizin:<br />

Medizin in römischer Zeit. Begleitbroschüre zur Station 'Lazarett'<br />

im Legionärspfad Vindonissa, Museum Aargau 2013,<br />

www.legionaerspfad.ch - https://vindonissa.philhist.unibas.<br />

ch/de/professur/vermittlung/station-lazarett-legionaerspfadvindonissa/<br />

ken Medizin, und dies auf fachlich und sprachlich<br />

hohem Niveau, und erschließt die griechischen<br />

medizinischen Autoren den römischen Lesern. So<br />

konnte Celsus wohl eine Bedarfslücke schließen,<br />

hatte sich doch zum Zeitpunkt der Entstehung des<br />

Werkes die Zusammensetzung des Ärztestandes<br />

verändert. Denn mit einem zunehmenden Anteil<br />

freigeborener Römer unter den Ärzten (Cato<br />

hatte nicht nur für die griechischen Philosophen<br />

Verachtung gezeigt, sondern auch die in Rom<br />

praktizierenden Ärzte argwöhnisch betrachtet,<br />

vgl. Plutarch Cato maior 23; S. 51) drang das Lateinische<br />

immer mehr in die bis dahin griechischsprachig<br />

dominierte wissenschaftliche Medizin<br />

vor. Wenngleich in den gebildeten Schichten des<br />

Römischen Reiches Zweisprachigkeit (griechisch/<br />

lateinisch) vorherrschte, so mag es doch für viele<br />

Mediziner angenehmer gewesen sein, in der Muttersprache<br />

zu lesen und zu kommunizieren.<br />

Die vorliegende Auswahl enthält die Proömien,<br />

die wichtigsten Passagen aus der Darstellung<br />

der theoretischen und klinischen Fächer, die originellsten<br />

Fallbeschreibungen und außerdem die<br />

wesentlichen Beiträge des Werkes zur Terminologie<br />

und Ethik in der Medizin. Für die Diskussion<br />

der Quellen und der Rezeption in Antike<br />

und Mittelalter werden zahlreiche Originaltexte<br />

präsentiert. Der Schlussteil enthält die Fragmente<br />

der verlorenen nicht-medizinischen Teile (Landwirtschaft,<br />

Militärwesen, Rhetorik, Philosophie)<br />

des Opus Celsi. »An den nicht wenigen Stellen,<br />

wo es der Verständlichkeit und Klarheit zu dienen<br />

schien, wurden Begriffe der modernen medizinischen<br />

Fachsprache verwendet«, vermerkt<br />

der Übersetzer. Der tabellarische Anhang (S.<br />

853–911) enthält das Verzeichnis der für den<br />

Band ausgewählten Stellen, das Gesamtverzeichnis<br />

der Parallelstellen zwischen dem Corpus Celsi<br />

und dem Corpus Hippocraticum, eine in drei Abschnitte<br />

(Anatomie, Pathologie, Therapie) gegliederte<br />

Liste griechisch-lateinischer Begriffspaare<br />

sowie ein Namens- und Sachregister.<br />

Beeindruckende Textpassagen gibt es in diesem<br />

Buch viele, etwa die folgende (S. 749), überschrieben<br />

»Große Geister, kleine Geister und der<br />

ärztliche Kunstfehler«, Celsus De medicina VIII<br />

4.3–4.<br />

Der Verfasser verwendet das Eingeständnis des<br />

Hippokrates, einen folgenschweren Fehler gemacht<br />

zu haben, zu einem eindrucksvollen Plädoyer<br />

für wissenschaftliche Integrität.<br />

»Dringt man mit einer Sonde bis auf den Knochen<br />

vor und wirkt dort alles glatt, so darf man davon<br />

ausgehen, dass er intakt ist. Findet man aber eine<br />

raue Stelle, und zwar vor allem da, wo es keine<br />

Nähte gibt, so weist dies auf einen Bruch des<br />

Knochens hin. Hippokrates hat berichtet, dass er<br />

sich von den Schädelnähten habe täuschen lassen,<br />

ganz nach der Art der großen Männer, die<br />

sich auf ihre großen Leistungen berufen können.<br />

Kleingeister können sich ja nichts von ihrem Ansehen<br />

entziehen, da sie ohnehin keines haben.<br />

Großen und bedeutenden Menschen geziemt<br />

auch das offene Eingeständnis eines tatsächlichen<br />

Irrtums, weil sie trotzdem einen hohen Grad<br />

an Berühmtheit behalten, und zwar besonders in<br />

Ailianos, Vermischte Forschung. Griechisch<br />

und Deutsch. Übersetzt und herausgegeben<br />

von Kai Brodersen, Sammlung Tusculum,<br />

Berlin: De Gruyter 2017. 448 Seiten,<br />

gebunden, Schutzumschlag, Lesebändchen<br />

ISBN 978-3-11-057638-2, € 59.95<br />

Lesen Sie die Tageszeitung von vorne, beginnend<br />

mit der Großen Politik, oder von<br />

der letzten Seite her, die Panorama, Weltspiegel<br />

oder Vermischten Nachrichten<br />

überschrieben ist? Ein Sammler solcher<br />

Texte für die letzte Zeitungsseite, »Bunter Geschichte«<br />

(griechisch Ποικίλη ἱστορία, lateinisch<br />

Varia historia, deutsch Vermischte Forschung) in<br />

14 Büchern, mit Anekdotischem über Merkwürdigkeiten<br />

aus dem Reich der Natur und aus der<br />

Geschichte berühmter Völker und Männer war<br />

der römische Sophist und Redelehrer Ailianos, um<br />

170 in Praeneste, dem heutigen Palestrina in Latium<br />

geboren. Er schrieb allerdings in griechischer<br />

Sprache und wurde wegen seiner glänzenden<br />

Beherrschung des attischen Griechisch schon von<br />

Zeitgenossen im 3. Jahrhundert n. Chr. als »Honigzunge«<br />

gepriesen wurde. Kai Brodersen hat<br />

neben den Tiergeschichten (vgl. <strong>LGBB</strong> 2018, Heft<br />

4, S. 248–250) auch die Vermischte Forschung<br />

neu übersetzt und in der Sammlung Tusculum<br />

herausgegeben. Von Wilamowitz-Moellendorff<br />

hat 1905 in seiner Gesamtdarstellung der griechischen<br />

Literatur des Altertums die »Journalisten«<br />

unter den antiken Autoren, auch Ailian, heftig<br />

kritisiert: Sie »verschneiden den alten schweren<br />

Stoff, den die Gelehrten mit saurer Arbeit einst<br />

der Wissenschaft, welche wegen ihrer Nützlichkeit<br />

an die Nachkommen weitergegeben wird,<br />

damit niemand der gleichen Täuschung erliegt,<br />

von der vorher schon ein anderer betroffen war.<br />

Übrigens hat mich zu dieser Bemerkung gerade<br />

die Erinnerung an den großen Lehrer veranlasst.«<br />

gewoben hatten,<br />

zu den Läppchen<br />

ihrer Essays und Artikelchen<br />

...« (S. 7).<br />

Kai Brodersen betont,<br />

man habe inzwischen<br />

gesehen,<br />

dass dieser Autorengruppe<br />

einige<br />

Bedeutung bei der<br />

Vermittlung antiker<br />

Texte zukomme;<br />

ihre Sammlungen<br />

seien immer wieder abgeschrieben worden und<br />

so verdankten wir ihnen die Überlieferung sonst<br />

nicht erhaltener literarischer Zitate und historischer<br />

Nachrichten.<br />

1545 erschien in Rom die erste Druckausgabe des<br />

Originaltexts, es folgten bald Übersetzungen ins<br />

Italienische und Englische, später auch ins Deutsche.<br />

»Das gute Griechisch des Werkes führte<br />

dann auch dazu, dass Ailianos’ Vermischte Forschung<br />

zur Schullektüre avancierte. So brachte<br />

der seinerzeit als Lehrer am Luther-Gymnasium in<br />

Halle wirkende Wilhelm Lange (1767–1831) 1797<br />

eine Schulausgabe unter dem Titel Griechisches<br />

Lesebuch heraus, enthaltend die interessantesten<br />

Erzählungen aus Aelians vierzehn Büchern der<br />

Vermischten Geschichte mit grammatischen und<br />

anderen Anmerkungen und einem vollständigen<br />

Wortregister« (S. 25).<br />

Welcher König war in einen Baum verliebt (2.14)?<br />

Wer hat die Königsherrschaft als »ehrenvolle<br />

Sklaverei« bezeichnet (2.20)? Wo dürften Frauen<br />

keinen Wein trinken (2.38)? Gab es eine antike<br />

148 JAHRGANG LXIII · <strong>LGBB</strong> 02 / 2019<br />

<strong>LGBB</strong> 02 / 2019 · JAHRGANG LXIII<br />

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