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Giovanni Paolo Pannini: Santa Maria Maggiore und die Mariensäule, Gemälde um 1745<br />
https://de.wikipedia.org/wiki/Santa_Maria_Maggiore#/media/Datei:Giovanni_Paolo_Pannini_-<br />
_The_Piazza_and_Church_of_Santa_Maria_Maggiore.jpg<br />
hat’« (S. 408). Diese Episode erinnert an eine bei<br />
R. Raffalt nachzulesenden Anekdote Papst Leos<br />
XIII., in der er einem Rombesucher gegenüber<br />
einräumt, auch nach 30 Jahren in Rom die Stadt<br />
noch nicht vollends zu kennen.<br />
Einen anderen Kniff verwendet Andreas Englisch<br />
bei der Erschließung eines Kunstwerkes, Gebäudes<br />
oder archäologische Objektes, z.B. beim<br />
Fresko der Schule von Athen: »,Das ist es also’,<br />
stellte Leo lakonisch fest. ,Es gibt keinen Souvenirshop<br />
mit Postkarten, Handtaschen, Schals und<br />
Feuerzeugen, wo dieses Bild nicht zu sehen ist.<br />
Wieso eigentlich? Wieso ist dieses Bild so berühmt?’<br />
– ,Um es zu verstehen, musst du dich<br />
wieder verwandeln.’ – ,Meinetwegen’, sagte er,<br />
SS. Cosma e Damiano, noch mit dem 1600 zerstörten Campanile, der sogen. Romulus-Tempel im Vordergrund,<br />
Stich von Giovanni Battista Falda (1665)<br />
https://de.wikipedia.org/wiki/Santi_Cosma_e_Damiano_(Rom)#/media/Datei:FALDA_Cosma_e_Damiano.jpg<br />
,und wer bin ich jetzt?’ – ,Du bist ein Kardinal aus<br />
der Provinz, du stammst aus einer weit entfernten<br />
Stadt, sagen wir, aus dem Norden Englands.<br />
Noch gibt es die anglikanische Kirche nicht, der<br />
Streit mit Heinrich VIII., der in der Abspaltung der<br />
Kirche von England endet, wird erst in ein paar<br />
Jahren geführt werden. Du bist also von weither<br />
gekommen und wartest jetzt im Arbeitszimmer<br />
des Papstes auf Julius II. und schaust dir das Fresko<br />
an. Was denkst du dann?’ – ,Keine Ahnung.<br />
Vielleicht denke ich: Ist ja ganz hübsch.’ – ,Aber<br />
nein, das denkst du nicht, du denkst etwas ganz<br />
anderes: Du bist außer dir vor Entsetzen. Der<br />
Papst, das Zentrum der Christenheit, hat sich einen<br />
Raum malen lassen, auf dem Heiden zu sehen<br />
sind, jede Menge Heiden. Du wirst dich fragen:<br />
Ist der Papst verrückt geworden? Statt sich<br />
mit den Bildern von Heiligen, Kirchenlehrern, mit<br />
Darstellungen von Christus, Petrus und Paulus<br />
zu umgeben, lässt der Papst auf eine prächtige<br />
Wand Heiden malen, die nicht getauft sind, sich<br />
nicht zu Christus bekennen, die weder wussten,<br />
was die Kommunion noch was ein Bischof ist.<br />
Dann kommt der Papst, Julius II. Er wird dich als<br />
Kardinal brüderlich empfangen, und dann wir er<br />
mit Heiterkeit dein Entsetzen über das Fresko bemerken.<br />
Was er dann tun wird, lässt dich sprachlos<br />
zurück. Das Bild gibt ihm die Gelegenheit, es<br />
dir zu erklären. Der Papst wird zunächst auf die<br />
beiden Männer in der Antike deuten: Aristoteles,<br />
der sein wichtigstes Werk, die Nikomachische<br />
Ethik, unter dem Arm hält, und auf Platon, der<br />
sein Dialogwerk Timaios trägt. Dich als Kardinal<br />
wird erschüttern, dass der Papst allein den Namen<br />
Aristoteles in den Mund nimmt. Du bist ein<br />
Hinterwäldler und dir ist suspekt, dass die Kirche<br />
auf die Lehren eines Heiden hören soll. Im Mittelalter<br />
wehrte sich die Kirche lange, die Bedeutung<br />
der antiken Philosophie zu erkennen’«. (S. 298f.)<br />
– Hier nun beschreibt und erklärt Andreas Englisch<br />
in Gestalt Julius II. das Wandfresko, ein Dutzend<br />
oder mehr Namen fallen, die Erläuterungen<br />
münden in die Erkenntnis, dass das Werk »das<br />
Antlitz einer neuen Zeit« ist: »,Hier fängt eine<br />
neue Epoche an. Hier kommen wir alle her. Wir<br />
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<strong>LGBB</strong> 02 / 2019 · JAHRGANG LXIII<br />
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