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Leseprobe Magazin Frank&Frei 10/2019

Magazin für Politik, Wirtschaft und Lebensstil

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Politik<br />

NACH DER IBIZA-AFFÄRE HAT SICH DIE<br />

POLITISCHE LANDSCHAFT ÖSTERREICHS<br />

VERÄNDERT. DIE KARTEN WURDEN<br />

NEU GEMISCHT, NEUE ACHSEN SIND<br />

ENTSTANDEN. WAS BEDEUTET DAS FÜR DIE<br />

NATIONALRASTWAHL IM SEPTEMBER, WER<br />

WIRD ÖSTERREICH KÜNFTIG REGIEREN?<br />

VON ANDREAS UNTERBERGER<br />

Österreich steuert auf etwas zu,<br />

was vor wenigen Wochen noch<br />

völlig undenkbar gewesen ist:<br />

nicht nur auf vorzeitige Wahlen, sondern<br />

auch auf einen Lagerwahlkampf – aber<br />

keineswegs einem zwischen den beiden<br />

Rechtsparteien und den drei Linksparteien,<br />

was ja bis Mai die einzige denkbare<br />

Möglichkeit für den undenkbaren Fall<br />

von Neuwahlen gewesen ist. Vielmehr<br />

sind über Nacht neue Achsen quer zur<br />

bisherigen Rechts-links-Trennlinie entstanden.<br />

Das ist eine völlig unerwartete<br />

Folge des mit kriminellen Methoden<br />

zustande gekommenen Videos, in dem<br />

der damalige FPÖ-Chef HC Strache über<br />

ebenfalls kriminelle Machenschaften<br />

schwadroniert hat.<br />

In diesem Wahlkampf werden die drei<br />

zentralen Fragen zu Ibiza wohl viel weniger<br />

Rolle spielen, als man vielerorts<br />

noch glaubt. Diese Fragen lauten:<br />

• Wer steckt hinter der mafiosen Videofalle?<br />

Wer hat einem kriminellen<br />

Anwalt, der sich als „zivilgesellschaftlich“,<br />

also links outet und<br />

deswegen sein Handeln für gerechtfertigt<br />

hält, und einem Detektiv das<br />

Geld für diese Aktion gegeben oder<br />

sie gar dazu angestiftet?<br />

• Was ist an dem ungeheuerlichen<br />

Gerede von Strache in Hinblick auf<br />

seine Bestechlichkeit und illegale<br />

Parteienfinanzierung wahr und was<br />

bloße Prahlerei im Alkohol-, Sexund<br />

Drogenrausch?<br />

• Warum hat sich die Staatsanwaltschaft<br />

so spät auch für das erstgenannte<br />

Delikt zu interessieren begonnen?<br />

Zu all dem werden wir zweifellos wohl<br />

noch Etliches erfahren, wenn auch vielleicht<br />

nie die ganze Wahrheit.<br />

Aber irgendwann werden die Videosequenzen<br />

beim dreihundertsten Abspielen<br />

niemanden mehr interessieren.<br />

Hingegen sind politisch und langfristig<br />

die durch Ibiza ausgelösten Folgen und<br />

kopernikanischen Veränderungen der<br />

Parteienwelt viel bedeutsamer.<br />

Schien es zuerst so, dass der sofortige<br />

Rücktritt des bisweilen offensichtlich<br />

zu geistiger Umnachtung neigenden<br />

Straches und seines eitel-dummen<br />

Verführers Gudenus nach Ibiza der<br />

Regierungskoalition aus ÖVP und<br />

FPÖ ein – wenn auch stark beschädigtes<br />

– Überleben ermöglichen würde,<br />

folgte dann eine fatale Eskalation<br />

mit möglicherweise dramatischen<br />

Langfristfolgen. Sebastian Kurz verlangte<br />

einen Tag danach plötzlich<br />

und überraschend auch den Rücktritt<br />

von Innenminister Herbert Kickl und<br />

entließ diesen auch wirklich, als Kickl<br />

nicht freiwillig gehen wollte. Das ist<br />

ein in der gesamten Nachkriegsgeschichte<br />

noch nie dagewesener Akt.<br />

Darauf traten in Solidarität mit Kickl<br />

alle übrigen freiheitlichen Minister<br />

zurück.<br />

Diese Reaktion war aber absehbar gewesen.<br />

Die <strong>Frei</strong>heitlichen lassen sich<br />

nicht ohne nachvollziehbaren Grund<br />

ihren besten Mann herausschießen.<br />

Sie spürten: Ab diesem Zeitpunkt war<br />

keine Koalition auf Augenhöhe mehr<br />

möglich, obwohl gerade dieser gegenseitige<br />

Respekt Schwarz-Blau in den<br />

ersten eineinhalb Jahren so positiv geprägt<br />

und etliche, wenn auch unzureichende<br />

Reformen ermöglicht hat. Das<br />

war jedenfalls ein gewaltiger Unterschied<br />

zum rot-schwarzen Jahrzehnt<br />

davor, das von gegenseitigen Blockaden,<br />

Aversion und Stillstand geprägt<br />

gewesen ist. Und nach dem sich fast<br />

niemand in ganz Österreich zurücksehnt.<br />

12 Frank & <strong>Frei</strong> <strong>10</strong> / 19

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