Siegburger & Sankt Augustiner Stadt-Magazin - August 2019
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<strong>Stadt</strong>magazin 7 / <strong>2019</strong><br />
Olga Weirich,<br />
Leiterin der Neurologie<br />
in der Sieg Reha ist Fachärztin<br />
für Neurologie,<br />
Fachärztin für Physikalische<br />
und Rehabilitative Medizin<br />
Unsichtbare<br />
Multiple Sklerose<br />
MS ist eine chronische Krankheit von Gehirn und Rückenmark (dem zentralen<br />
Nervensystem, ZNS), die meist im frühen Erwachsenenalter beginnt.<br />
In Deutschland leben nach aktueller Schätzung etwa 220.000-<br />
240.000 MS-Kranke, davon doppelt so viele Frauen als Männer. Bei der<br />
Krankheit greift das Immunsystem die Umhüllung der Nervenzellen an<br />
und zerstört schließlich auch die Zellen selbst. Klinisch präsentiert sich die<br />
Krankheit durch verschiedene Symptome wie Sehstörungen, Lähmungen,<br />
Gangstörungen, Verkrampfungen der Muskulatur, Schmerzen, Müdigkeit,<br />
Taubheitsempfindungen, Blasen-oder Darmentleerungsstörungen.<br />
Manifestiert die Erkrankung meistens im frühen Erwachsenenalter.<br />
Man unterscheidet folgende Verläufe:<br />
Bei meisten verläuft die MS in Schüben (RRMS), die Phasen mit neu aufgetretenen<br />
Symptomen, die sich dann wieder zurück bilden. Nach einigen<br />
Jahren bleibt bei einem Teil der Betroffenen nach dem Schub die Erholung<br />
aus (SPMS) und die Funktionen bleiben beeinträchtigt. Bei ca.<br />
15% der Patienten schreitet die Erkrankung von Beginn an unaufhaltsam<br />
fort (PPMS). Dies ist der schwerste Krankheitsverlauf. Die Schwere der Erkrankung<br />
unterliegt einer großen individuellen Ausprägung.<br />
Wenn man an MS leidet und gerade schubfrei ist, bedeuten es dennoch<br />
oft nicht die Beschwerdefreiheit. Es gibt viele Symptome, die für andere<br />
nicht erkennbar sind, jedoch werden dadurch sowohl die Lebensqualität<br />
als auch die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit so stark beeinträchtigt, dass eine<br />
vorzeitige Berentung nötig wird. Dazu gehören auch kognitive und sexuelle<br />
Störungen, Blasenstörungen, Schmerzen, Schlafstörungen, Sehund<br />
Empfindungsstörungen, Missempfindungen, Fatigue.<br />
Die Fatigue gehört häufig zu den ersten Begleiterscheinungen der Erkrankung<br />
und tritt bereits im frühen Krankheitsverlauf auf. Laut verschiedenen<br />
Quellen leiden bis zu 90 % der Betroffenen unter Fatigue. Das Wort<br />
Fatigue stammt aus Französischem und bedeutet Müdigkeit. Der begriff<br />
wurde von dem italienischen Physiologe Angelo Mosso 1891 zur Beschreibung<br />
der muskulären Ermüdung eingeführt. Die Ursachen sind<br />
noch nicht eindeutig geklärt und wahrscheinlich multifaktoriell. Man vermutet<br />
Veränderungen der Aktivität in den höheren Kontrollnetzwerken<br />
des Vorderhirns und eine Abnahme der Aktivität in den visuellen Aufmerksamkeitsnetzwerken<br />
des Hinterhaupthirns. Es bezeichnet eine über<br />
das übliche Funktionsniveau im Alltag hinausgehende, anhaltende und<br />
subjektive Empfindung von physischer und mentaler Erschöpfung und<br />
Mangel an Energie, das schwierig zu behandeln ist. Diese hat enorme<br />
Auswirkungen auf alle Lebensbereiche wie Arbeit, Familie, Freundeskreis<br />
und führt nicht selten zu deutlichen Einschränkungen an Teilhabe und<br />
Verlust der Lebensqualität. Da man dem Menschen die Fatigue nicht ansieht,<br />
glauben viele fälschlicherweise, der Betroffene ließe sich hängen<br />
oder sei faul. Dies führt oft zu Missverständnissen, Problemen und Konflikten<br />
in der Familie oder mit dem Arbeitgeber/ Vorgesetzten. Im Vergleich<br />
zu „normalen“ Müdigkeit bei gesunden Menschen lässt sich die Erschöpfung<br />
durch Ausruhen und Schlaf nicht beheben. Sie tritt plötzlich<br />
und ohne vorangegangene Anstrengung auf und unabhängig vom Alter<br />
und Krankheitsdauer. Wärme verschlechtert die Beschwerden oft. Fatigue<br />
birgt die Gefahr, dass sich die Betroffenen zunehmend aus dem sozialen<br />
Umfeld zurückziehen und damit eine Kraftquelle verlieren.<br />
Um die Fatigue zu diagnostizieren, sollten vorher alle Andere, zu erhöhter<br />
Müdigkeit führenden Ursachen ausgeschlossen werden. Dazu zählen<br />
zum Beispiel eine Anämie (Blutarmut), Infekte, Schlafstörungen, niedriger<br />
Blutdruck, Depressionen und Nebenwirkungen von Medikamenten (Antispastika,<br />
Benzodiazepine, ß-Blocker, Antidepressiva( z. B. Amitriptylin),<br />
Tumoren, Hypothyreose usw. Die Fatigue kann mit Hilfe mehrerer Skalen<br />
(standardisierten Fragebogen) subjektiv quantifiziert werden (FSS (Fatigue<br />
Severity Scale), FIS (Fatigue Impact Scale), FSMC (Fatigue Scale for Motor<br />
und Cognitive Functions), WEIMUS). Eine objektive Erfassung der Symptomatik<br />
ist ebenfalls mittels einer Aufmerksamkeitsprüfung oder auf dem<br />
Laufband möglich.<br />
Zur Behandlung dieser Störung werden sowohl medikamentöse als auch<br />
nichtmedikamentöse Maßnahmen eingesetzt. Die medikamentöse Therapie<br />
erfolgt mit Amantadin oder in einzelnen Fällen mit Modafinil, wenn<br />
vor allem die Aufmerksamkeitsstörung im Vordergrund steht. Modafinil<br />
(200mg morgens) ist eine nicht amphetaminhaltige Substanz, die zur Behandlung<br />
der Tagesschläfrigkeit bei der Narkolepsie zugelassen ist und<br />
hat eine aktivierende Wirkung. Am häufigsten wird Amantadin (2 x 100<br />
mg/Tag, kann auf 3 100 mg bzw. 2 150 mg gesteigert werden) eingesetzt.<br />
Die Wirkung wird mit der erhöhten körpereigenen Dopaminfreisetzung<br />
erklärt. Hierunter sind moderate, jedoch oft nicht anhaltenden Verbesserungen<br />
der Ermüdbarkeit beschrieben. Daher stehen die nicht- medikamentösen<br />
Maßnahmen im Vordergrund der Therapie dieser Beschwerden.<br />
Diese umfassen Coping-Strategien(Bewältigungsstrategien)<br />
inkl. psychologische Unterstützung, Cooling, Entspannungsverfahren und<br />
Energiemanagement.<br />
Cooling: Senkung des Körpertemperaturs und Vermeidung von Hitze.<br />
Die Kühlung des Körpers oder der Gliedmaßen durch Kühlelemente<br />
(Kühlwesten, kühlende Stirnbänder, Nackentücher, Kühlhauben, Kühlstrümpfe),<br />
kühle Bäder oder externe Klimatisierung ist oft wirksam und<br />
leicht verfügbar. Laut Untersuchungen kommt es bereits nach einer ca.<br />
30-45 minutigen Kühlung zu deutlichen Verminderungen der „Fatigue”.<br />
Der Effekt hält maximal wenige Stunden an.<br />
Entspannungsverfahren: dazu gehören neben dem Autogenen Training<br />
und Progressiver Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson auch fernöstliche<br />
Meditationstechniken wie Tai-Chi, Qigong oder Yoga, die auch helfen<br />
können. Im Gegensatz zum Autogenen Training sind Sie bei anderen<br />
Techniken aktiv. Bei PMR, zum Beispiel, werden die Muskel abwechselnd<br />
angespannt und entspannt. Die erwünschten Effekte setzen sich nicht sofort,<br />
sondern mit einer Latenz ein.<br />
Die Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe.<br />
Quelle: Sieg Reha, Olga Weirich<br />
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