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NEUMANN Dezember 2019 | Januar 2020

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12<br />

Konzert<br />

KULTUR<br />

Rin feiert Jahresabschluss in der Schleyer-Halle<br />

Der Peter Pan aus Bietigheim<br />

Wie war das mit Eintagsfliege? Deutschrap-Senkrechtstarter Rin beschließt<br />

<strong>2019</strong> nicht nur mit seinem wegweisenden neuen Album „Nimmerland“. Er<br />

bittet auch zu einem explosiven Jahresfinale in Stuttgarts größter Halle.<br />

Mit Tiefstapeln hatte es Rin noch nie. Schon vor<br />

einigen Jahren sagte Bietigheims Finest über sich<br />

und seine Bros: „Wir sind das Fresheste, das es im<br />

deutschsprachigen Rap-Kosmos gerade gibt!“ Und<br />

auch wenn man sich ja manchmal wünscht, dass<br />

juvenile Rapper einen Dämpfer verpasst bekommen,<br />

der ihnen ein wenig überlebensnotwendige<br />

künstlerische Ehrfurcht einimpft, so kann man im<br />

Falle des Renato „Rin“ Simunovic neidlos feststellen:<br />

Der Kerl hat doch tatsächlich Recht behalten!<br />

Seine Singles „Bros“ und „Monica Bellucci“ sicherten<br />

sich 2017 gleich mehrfach Gold, allein <strong>2019</strong><br />

platzierte er jeden veröffentlichten Song hoch in<br />

den Charts, 100 000 Leute wollten seine Tour zur<br />

„Eros“-Platte sehen. Er wurde über Nacht zum<br />

Sprachrohr, zur Galionsfigur der Rap-Jugend –<br />

und Bietigheim in seinem Fahrwasser zur neuen<br />

Rap-Hauptstadt Deutschlands. Der hält Rin die<br />

Treue, hat auf seinem neuen Album „Nimmerland“<br />

sogar einen Song namens „Bietigheimication“ – in<br />

Anlehnung an „Californication“ von den Red Hot<br />

Chili Peppers. Fun fact: Als das rauskam, war Rin in<br />

der Grundschule.<br />

Schon krass, was in den letzten fünf Jahren alles<br />

passiert ist. Damals begann alles im Park, er und<br />

seine Kumpels waren besoffen, fingen an zu freestylen.<br />

„Allerdings war ich so schlecht darin, dass<br />

ich mir immer vorsorglich zwei Lines überlegt<br />

habe. Und die waren relativ lustig“, sagt er. Heute<br />

müsste man diese Stelle im Park fast schon zu einem<br />

Wallfahrtsort für deutschen Rap des 21. Jahrhunderts<br />

erklären. So groß, so wichtig und stilprägend<br />

ist er. Sein Album „Nimmerland“ zeigt Rin<br />

aber auch von einer anderen Seite. Getrieben von<br />

Heimatverbundenheit, fängt sein Album dennoch<br />

mit den Worten „wir wollen alle nach Amerika“ an.<br />

Er hat eine Sehnsucht nach den morbiden Abgründen<br />

Hollywoods, nach Schein und Sein, zeigt schon<br />

mit dem Albumtitel, dass er sich nach einer Fantasiewelt<br />

sehnt, in der er nicht altern muss.<br />

Das mag für einen Rapper mit Mitte 20 reichlich<br />

prätentiös klingen. Es zeigt aber eben auch, dass<br />

er schon viel hinter sich hat und stärker gereift ist<br />

als andere Männer in seinem Alter. „Dieses Album<br />

ist mein Leben“, sagt er selbst darüber. Und man<br />

spürt tatsächlich, dass das mehr ist als eine clevere<br />

Floskel. Er zitiert sein Leben, seine Träume, spielt<br />

mit den Klischees eines Genres („Gucci trag‘ ich nur<br />

noch, wenn ich putze“), dem er längst entwachsen<br />

scheint. Melancholisch, nachdenklich, auch ein wenig<br />

entlarvend, dabei stets reflektiert und intelligent.<br />

Seine Metaphern kommen aus der Welt der<br />

Kunst, der Mode, des Films, billig und platt ist hier<br />

nichts. Und noch was: Rin hat keine Scheu vor Gefühlen.<br />

Eine Ausnahme im testosterongeschwängerten<br />

Deutschrap-Peinlichkeitssumpf krampfhafter<br />

Maskulinität.<br />

In „Bietigheimication“ gibt es Sätze wie „Ich geb‘<br />

der Szene wieder Leben wie Gepetto“, das ist schon<br />

ziemlich groß. All das wird vorgetragen mit einer<br />

seltsamen, meditativen, tendenziell traurigen<br />

Ruhe. „Ich höre gerne so richtig depressive Musik“,<br />

sagte Rin schon mehrfach. „Ich finde, dass in<br />

der Musik Schmerz immer authentischer rüberkommt<br />

als Glück.“ Da passt auch „Nirvana“, in der<br />

er Rio Reiser zitiert, oder natürlich „Keine Liebe“,<br />

das Quasi-Cover von Echt, für das er sich seinen<br />

Bietigheimer Spezi Bausa organisiert hat. Und dann<br />

ist da natürlich noch der Titeltrack zum Ausklang.<br />

Eine psychedelische, rauschhafte Kaleidoskop-Reise,<br />

vertont von den Österreichern Bilderbuch – und<br />

einer der Höhepunkte des Rap-Jahres <strong>2019</strong>.<br />

Die Orsons haben sich in diesem Jahr erst mit „Orsons<br />

Island“ einen fiktiven Ort der inneren Einkehr<br />

geschaffen. Rin hat mit „Nimmerland“ nachgelegt<br />

– ein ziemlich visionäres Album für einen Künstler<br />

dieses Alters. Und mehr als Grund genug für ihn,<br />

nach seinem Heimspiel in Stuttgarts größter Halle<br />

die Korken knallen zu lassen.<br />

jono<br />

RIN<br />

13.12.| 19 Uhr | Schleyer-Halle | Stuttgart |<br />

RINTHETHING<br />

Foto: Tim Lorenzen<br />

<strong>Dezember</strong> <strong>2019</strong> | <strong>Januar</strong> <strong>2020</strong>

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