Angsthunde und der Umgang mit diesen
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"Angsthunde" und der Umgang mit diesen
oder auch
"Die stete Suche nach Daseinsberechtigung – die Mär vom Angsthund-Halter“
Ute Contius, im November 2019
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort 1
2. Grundlagen
2.1 Der Begriff „Angsthund“ im Allgemeinen 2
2.2 Die Begriffe „Furcht“, „Angst“ und „Angststörung“ in nur
grobem Überblick 3
3. Der „Angsthund“ im Speziellen oder auch „das Abbild der panischen
Angst vor dem Leben“
3.1 Der „ängstliche“ Hund und der, der an einer Angststörung leidet 4
3.2 Exkurs: Angst/Furcht vs. Aggression 5
3.3 Ursachen für Furcht, Angst und Angststörungen bei Hunden 5
3.4 Die Sonderfälle, die einen Hund zum Angsthund machen 7
4. Der meiner Meinung nach richtige Umgang
4.1 Einleitung 9
4.2 Eine nur exemplarische Gegenüberstellung häufig angeratener
„Methoden und Techniken“ zu dem im Folgenden beschriebenen
Umgang 9
4.3 Die Sache mit dem gesunden Menschenverstand 11
4.4 „Die Theorie dahinter“ im Überblick 16
4.5 Voraussetzungen für den Umgang mit Angsthunden
4.5.1 Voraussetzung: Die Einstellung 17
4.5.2 Voraussetzung: Souveräne Führung 18
4.5.3 Voraussetzung: Die Umgebung 19
4.6 Die Gewöhnung im Rahmen des Tagesablaufs 19
4.7 Sonderfall: Der Angsthund mit Phobie vor Menschen 22
4.8 Sinnvolle und notwendige Unterstützung
4.8.1 Unterstützung zur Beruhigung und zur Gewinnung von
Selbstsicherheit 23
4.8.2 Exkurs: Beruhigungsmittel 24
4.8.3 Exkurs: Ernährung und Zusätze 24
4.9 Im Falle der Eskalation 24
4.10 Wenn Angriff immer die beste Verteidigung war - der „Angstbeißer“ 25
5. Schlussbemerkung 25
Seite
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
1. Vorwort
In den vergangenen Wochen und Monaten mehren sich die Fälle, da Menschen Hunde
zumeist aus dem Tierschutz oder aus einer Notlage des Hundes heraus aufnehmen, sie
aber nicht darauf vorbereitet sind und wurden, welche Probleme sich zu Anfang eventuell
einstellen können. Es sind zumeist Hunde, die z.B. aus einem ausländischen Shelter
gerettet wurden, Hunde von sog. „Vermehrern“, solche, die misshandelt wurden usw., aber
in einigen Fällen auch Hunde direkt von Züchtern. Diese Hunde leiden oftmals unter mehr
oder weniger stark ausgeprägter Angst, Furcht oder auch unter Angststörungen. Nach
zahlreichen Diskussionen mit Angsthund-Haltern und Angsthund-Trainern, sowie z.T. leider
jeweils auch solchen, die sich dafür halten, möchte ich nachfolgend in notwendiger
Ausführlichkeit zusammenfassen, was nach herrschendem Sprachgebrauch insbesondere
ein „Angsthund“ ist, und damit, worauf man sich bei Übernahme eines solchen Hundes
einstellen muss. Ferner möchte ich darstellen, wie man einem „Angsthund“ nach meiner
nunmehr doch langjährigen Erfahrung gerecht wird; eine Erfahrung, bei welcher „n“ nicht
1, 2 oder 3, sondern mittlerweile irgendetwas zwischen 9 und 11 ist.
Ich bin weder Hundetrainerin, noch möchte ich eine solche sein. Ich „trainiere“ im Rahmen
meiner beruflichen Zielsetzung Menschen, d.h., ich leite Unternehmer und Führungskräfte
u.a. darin an, ihre Persönlichkeit mit dem Ziel der souveränen Führungsqualität zugunsten
ihrer Unternehmensziele zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund sehe ich als langjährige
Mehrhundehalterin Defizite auch in der Führung von Hundehaltern und vor allem, wie sich
diese Defizite auf das Verhalten von Hunden auswirken. Die Arbeit mit Hunden,
insbesondere Angsthunden, wird jedoch immer meine private Passion bleiben.
Ich wähle nachfolgend meine Kangal-Hündin Cheyenne als Beispiel, da sie mir Vorbild für
jeden weiteren meiner Kontakte mit Angsthunden war. Vorbild vor allem im nötigen
Umgang, aber auch Vorbild darin, was man mit dem nötigen Umgang erreichen kann und
erreicht.
Diese Ausführungen sind insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass ich nicht
möchte, dass jemand einen vom zumeist Tierschutz (korrekterweise) als Angsthund
bezeichneten Hund übernimmt, in der Annahme, dieser hätte ein bisschen „Angst“ vor
glatten Böden, Autos o.Ä., dem Ausmaß letztlich dann nicht gewachsen ist und den Hund
wieder abgibt/abgeben muss. Dieser Kurz-Überblick ist somit zwischen der Fülle von
vielfach angeratenen „Methoden und Techniken“ als Darstellung einer Einstellung und
Umgangsform anzusehen. Eine Einstellung, welche hoffentlich zu einem Umdenken
und/oder Gedankenanstoß führt und als solche neben der beschriebenen Umgangsform
wirklich bemühten Haltern eine Unterstützung bietet.
Nachfolgendes ist folglich nicht mit „Methoden und Techniken“ gleichzusetzen, es ist kein
abzuarbeitender Leitfaden, sondern vielmehr der Versuch, über ein Verständnis für das
Grundproblem und anhand verschiedener Beispiele einen Tagesablauf zu schaffen,
welcher den Hund integriert, ihm Sicherheit gibt und damit eine Basis zu schaffen, um den
Hund mit Lebensqualität „leben“ lernen zu lassen.
Hintergrund dieser Ausführungen ist ferner, dass ich die nachfolgend kurz und späterhin
detaillierter bezeichnete „Selbstbeweihräucherung“ etlicher angeblicher und tatsächlicher
Angsthund-Halter als das erklären möchte, was sie leider häufig ist - Tierquälerei in
Reinform.
Ich bin in erschreckender Häufigkeit mit Angsthund-Haltern und sog. Angsthund-Trainern
konfrontiert, welche unter vehementer Rechtfertigung ihrer „Trainingstechniken und -
1
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
methoden“ es nicht schaffen, innerhalb angemessener Zeit signifikante Erfolge zu
erreichen. Ich sehe Hunde, die sich noch nach Jahren nicht entspannt anfassen lassen,
sich nicht untersuchen oder behandeln lassen, solche, die außerhalb der eigenen
Grundstücksgrenzen noch nach Jahren stark unsicher reagieren und aufgrund dessen ihr
Leben im häuslichen Bereich fristen.
Signifikante und erreichbare Erfolge im Umgang mit einem Angsthund sind dabei, dass
dieser innerhalb der nunmal nur angemessenen Zeit von wenigen Wochen, keinesfalls
Monaten oder gar Jahren, überwiegend entspannt in seinem häuslichen Umfeld ist, er sich
problemfrei anfassen und auch behandeln lässt, und draußen weit überwiegend entspannt
herum laufen kann (meint, in einer Umgebung, die nicht durch Menschenmassen, starkes
Verkehrsmittelaufkommen o.Ä. gekennzeichnet ist, wohl aber durch Menschen-, Hundeund
Verkehrsmittelbegegnungen). Bedenkt man, dass ein Hundeleben durchschnittlich rd.
12 Jahre umfasst und die aufgenommenen Hunde mit entsprechender Vergangenheit aus
der Natur der Sache heraus bereits 3 Jahre oder älter sind, verbleiben bei „Methoden und
Techniken“, welche es nicht erreichen, innerhalb von wenigen Wochen zu einer
Entspannung des Hundes zu führen, nicht mehr viele Lebensjahre mit der Lebensqualität,
die sie verdient haben.
Dies sowie die Tatsache, dass ein Hund wissentlich in Anspannung und Unruhe gehalten
wird, verleiten mich zu der Aussage, dass der Umgang mit Angsthunden einschließlich
deren „Therapie“ oftmals auch Selbstzweck ist; vgl. dazu nachstehend auch „Eine nur
exemplarische Gegenüberstellung häufig angeratener Methoden und Techniken“.
Es sei an dieser Stelle klargestellt, dass Nachstehendes definitiv nicht zu einer
Abänderung erfolgreicher Maßnahmen führen soll, so diese Maßnahmen innerhalb der
überschaubaren Zeit von wenigen Wochen erfolgreich sind.
Nachfolgendes ist als Kurz-Überblick zu verstehen und erhebt keinen Anspruch auf
Vollständigkeit, im Gegenteil. Es basiert ferner auf bestem Wissen und Gewissen und
jegliche Haftung, die sich aus diesem Kurz-Überblick ableiten ließe und lässt oder mit
diesem Kurz-Überblick in Zusammenhang bringen ließe und lässt, ist ausgeschlossen.
Zudem ist jede Weiterleitung, Vervielfältigung o.Ä., auch in Auszügen, nur nach
ausdrücklicher, schriftlicher Zustimmung durch mich, die Verfasserin, zulässig.
Um zu verstehen, warum der im Folgenden beschriebene Umgang so elementar ist, sei
zunächst einleitend erläutert, welche Hunde im Allgemeinen (detaillierter im nachfolgenden
Textteil) im vorherrschenden Sprachgebrauch als „Angsthunde“ bezeichnet werden und
wodurch sie sich auszeichnen. Ohne auf die neurowissenschaftlichen Hintergründe,
welche man zuhauf in frei verfügbarer Literatur nachlesen kann, im Einzelnen einzugehen,
ist es meines Erachtens jedoch wichtig, zumindest die folgenden theoretischen
Hintergründe zu kennen:
2. Grundlagen
2.1 Der Begriff „Angsthund“ im Allgemeinen
Als Angsthund wird allgemein ein Hund bezeichnet, der u.a. an zahlreichen
AngstSTÖRUNGEN leidet. Ein unsicherer/ängstlicher Hund ist dagegen ein Hund, dem
entweder nötiges Vertrauen fehlt und der sich darum öfter als andere fürchtet oder der
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
eher zu Ängsten neigt als andere. Hinsichtlich der im vorherrschenden Sprachgebrauch,
insbesondere vom Tierschutz, verwendeten Bezeichnung eines Hundes als „Angsthund“
siehe nachstehend vor allem „Die Sonderfälle, die einen Angsthund zum Angsthund
machen“.
Zu beachten ist, dass im Folgenden die Begriffe "Unsicherheit" und "Ängstlichkeit", also
Zustand und Eigenschaft, synonym verwendet werden.
Was aber ist eine Angststörung und woran erkennt man diese?
2.2 Die Begriffe „Furcht“, „Angst“ und „Angststörung“ in nur grobem Überblick
Furcht ist eine spezifische/zielgerichtete Emotion, die auf einen konkreten Reiz oder eine
konkrete Situation gerichtet ist (beim Menschen z.B. die Furcht vor Spinnen, vor dem
Zahnarztbesuch u.Ä.; insbesondere bei Hunden z.B. die Furcht vor Autos, Menschen,
Besen u.Ä.).
Angst dagegen ist unspezifisch/diffus und auf keinen konkreten Reiz, keine konkrete
Situation bezogen (beim Menschen z.B. Prüfungsangst, Angst im Dunkeln u.Ä.;
insbesondere bei Hunden z.B. die Angst vor neuen Umgebungen, vor Hunde- oder
Menschenansammlungen u.Ä.).
Beiden gemein ist, dass in der Situation von Furcht oder Angst sowohl der Mensch wie
auch der Hund uneingeschränkt handlungsfähig bleibt. Die Körperreaktionen (erhöhter
Herzschlag, Zittern, Schwitzen u.Ä.) sind angemessen und Mensch wie auch Tier sind
weiterhin in der Lage, zu reagieren (Flucht, auch Angriff - Selbstberuhigung des Menschen
mit z.B. anschließender Entscheidung, die Spinne mittels Staubsauger einzusaugen oder
doch zu verschonen).
Beide Emotionen, Furcht wie auch Angst, sind Schutzfunktionen des Körpers, die durch
Ausschüttung von Hormonen dazu führen sollen und führen, dass Mensch wie auch Tier
sich nicht "blindlings" in Gefahr bringt.
Angst und Furcht sind somit Schutzinstinkte des Körpers, die Mensch wie auch Tier (wie
gesagt instinktiv, somit genetisch verankert) davor warnen, sich bei Treffen auf
Unbekanntes/Ungewohntes oder bekanntermaßen Gefährliches keinem Risiko
auszusetzen; anhand der Beispiele wird jedoch auch schnell klar, dass Angst wie auch
Furcht zudem z.B. Resultat negativer Geschehnisse und/oder „erlernt“ sein können
(Autounfall, Geschlagenwerden z.B. mit einem Besen u.Ä.); vgl. hierzu auch „Ursachen für
Furcht, Angst und Angststörungen bei Hunden“.
Im Extrem jedoch wird aus Furcht Phobie und aus Angst wird Panik, wobei beide Extreme
unter den Begriff der "Angststörung" fallen.
Eine Angststörung zeichnet sich dadurch aus, dass, konfrontiert mit dem nur
unbedeutenden, minimalen Auslöser, bei einem Phobiker wie auch einem
Menschen/einem Tier, der/das Panik empfindet, die Körperreaktionen (Herzschlag, Zittern,
Schwitzen, Muskeltonus u.Ä.) unangemessen im Verhältnis zur Situation und weit
überzogen sind; die Hormone schießen über, Mensch wie auch Tier sind nicht mehr
handlungsfähig und außerstande, auf den Auslöser zu reagieren.
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Dieses Außerstandesein zu reagieren, äußert sich zumeist durch Flucht, durch "innere
Flucht" (ein "Einfrieren") oder auch Angriff, wobei jede dieser möglichen Reaktionen
jeweils in unkontrollierter Art und Weise erfolgt.
Stellen wir uns zum besseren Verständnis kurz einen Menschen mit Furcht vor Spinnen
und einen mit einer "ausgewachsenen" Spinnenphobie vor:
Viele Menschen sagen korrekterweise, sie hätten Furcht (umgangssprachlich zumeist
verallgemeinert als "Angst" bezeichnet) vor Spinnen und würden diesen aus diesem
Grund rigoros aus sicherer Entfernung heraus (zielgerichtet und bewusst) den Garaus
machen, oftmals unter Zuhilfenahme eines Staubsaugers - sie zeigen also Handlungsfähigkeit.
Ein Spinnenphobiker ist jedoch außerstande, zu reagieren, er flüchtet spontan
oder beginnt z.B., schreiend, weinend u.Ä. Dinge in Richtung der Spinne zu werfen oder
bleibt wie paralysiert stehen. Die Hormone schießen über und das Verhalten ist
unkontrolliert, Ansprechbarkeit nicht zu erwarten.
Wie äußert sich dies nun bei Hunden?
3. Der „Angsthund“ im Speziellen oder auch „das Abbild der panischen Angst vor
dem Leben“
3.1 Der "ängstliche" Hund und der, der an einer Angststörung leidet
Die vorstehend beschriebenen Verhaltensmuster sind bei Hunden sehr ähnlich. Ein Hund,
der Angst oder Furcht empfindet, versucht, den auslösenden Reiz auf Distanz zu halten,
dies zumeist durch Flucht. Es ist, wie zuvor genannt, instinktives Verhalten, das sie davor
schützt, sich durch Unbekanntes oder Ungewohntes in Gefahr zu bringen, es ist z.T.
erlerntes Verhalten oder auch Resultat aus negativen Erlebnissen.
Hat sich jedoch z.B. bewährt, dass Knurren, Zähnefletschen u.Ä. den Auslöser auf Distanz
hält, wird auch dieses vielfach als „probates Mittel“ eingesetzt und ist es dem Hund trotz
dessen nicht möglich, dem auslösenden Reiz zu entkommen, kann es durchaus zur
Reaktion des Beißens im Sinne einer „Flucht nach vorn“ kommen. Schafft der Hund es mit
seinem Verhaltensrepertoire nicht, den auslösenden Reiz auf Distanz zu halten oder zu
bringen, kommt es in letzter Konsequenz oftmals zu dem sog. „Einfrieren“, der „Flucht
nach innen“, ein Zustand, in dem der Hund wie abwesend scheint und alles nur noch über
sich ergehen lässt, ein Zustand, der durchaus Auslöser einer Angststörung sein kann (vgl.
hierzu „Ursachen für Furcht, Angst und Angststörungen bei Hunden“).
Hundetrainer sprechen im Zusammenhang mit diesen Angstreaktionen oftmals von den
4 F‘s – Flight (Flucht), Fight (Angriff), Freeze (Erstarren), Fiddle out (Übertriebende
Handlungen/Übersprunghandlungen).
Ein Hund, der Panik empfindet oder mit seinem Phobie auslösenden Reiz konfrontiert ist,
reagiert letztlich ähnlich, nur um ein Vielfaches extremer. Eine Flucht vor einem
auslösenden Reiz kann urplötzlich, ohne vorige Anzeichen, passieren, unkontrolliert,
wobei der Hund z.T. gegen Wände, andere Hindernisse oder auch direkt in den
Straßenverkehr läuft. Ebenso kann es passieren, dass der Hund „einfriert“, in sein „Inneres
flüchtet“ und/oder spontan zum Angriff übergeht, so er keinen anderen Ausweg sieht.
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
3.2 Exkurs: Angst/Furcht vs. Aggression
Ein Hund, der Angst/Furcht empfindet oder mit seiner Angststörung konfrontiert ist, agiert
defensiv, meint, sein Ansinnen ist es, einem auslösenden Reiz zu entkommen. Das
Ansinnen eines aggressiven Hundes dagegen ist die Beschädigung. Aggression und sog.
„Angst-Aggression“ mag im Ergebnis gleichermaßen zum Beißvorfall o.Ä. führen, die
jeweilige Motivation ist jedoch völlig verschieden, wie auch die Signale des Hundes völlig
verschieden, wenn auch bisweilen kaum merklich, sind.
Insofern ist es im Falle eines „beißenden Hundes“ elementar, zu analysieren, was die
Motivation ist, denn wie sich die Motivation grundlegend unterscheidet, unterscheidet sich
auch der nötige Umgang grundlegend.
3.3 Ursachen für Furcht, Angst und Angststörungen bei Hunden
Sicherlich haben bestimmte Rassen eine genetische Disposition „zur Vorsicht“, wohingegen
andere Rassen gemäß ihrer genetischen Disposition eher „draufgängerisch“ sind;
diese genetische Disposition beeinflusst unter Umständen auch, ob sich aus Angst/Furcht
in der Folge eine Angststörung entwickelt.
Neben dem Umstand, dass die Gründe für Angststörungen, die nicht mit bestimmten
Situationen/Umständen in Zusammenhang stehen, noch nicht abschließend erforscht sind,
können die Ursachen für Furcht/Angst wie auch Angststörungen im Wesentlichen wie folgt
zusammengefasst werden:
Erlernte und assoziierte Furcht/Angst und Angststörung:
Wie vorstehend bereits erwähnt, können Furcht und Angst „erlernt“ sein wie z.B. die Furcht
vor Besen oder ähnlich Aussehendem, so damit ein für den Hund negatives Ereignis
verknüpft ist, oder auch assoziiert (z.B. das Umfallen eines Besen vor oder auf den Hund
oder auch das Umfallen eines Besen auf den Hund, während eine Sirene im Hintergrund
zu hören ist, mit der Folge zukünftiger Furcht vor Besen UND dem Geräusch von Sirenen).
Schafft der Hund es in z.T. nur einer Situation nicht, dem auslösenden Reiz zu
entkommen, kann sich u.U. aus Furcht oder Angst eine Angststörung entwickeln (vgl.
hierzu die Erklärungen im Rahmen des folgenden Teilabschnitts).
Furcht/Angst oder Angststörung als Folge negativer Erlebnisse/Trauma:
Negative Erlebnisse wie z.B. Unfälle, Misshandlung o.Ä. können wie zuvor bereits erwähnt
mit der Folge der Furcht/Angst vor Menschen, Autos, Straßenverkehr o.Ä. einhergehen.
Schwerwiegende negative Erlebnisse können Hund wie auch Mensch zudem
„traumatisieren“, d.h. zu einer Angststörung bzw. zu Angststörungen führen; man spricht in
diesem Zusammenhang von einem „traumatischen Ereignis“ bzw. von einem „Trauma“.
Bei Mensch wie auch Hund werden Erlebnisse mit einem sog. „Zeitstempel“ versehen und
abgespeichert. Im Falle von traumatischen Erlebnissen aber sind bestimmte Hirnareale
durch eine Überausschüttung von Hormonen deaktiviert und diese Erlebnisse erhalten
aufgrund dessen keinen „Zeitstempel“, werden somit nicht als abgeschlossen
abgespeichert. Vielmehr sind diese Erlebnisse weiterhin präsent mit der Folge, dass z.B.
nach einem Unfall der Anblick eines Autos ausreicht, um die traumatische Situation
wiederzuerleben als würde sie in dem Moment geschehen und in die Hilflosigkeit der
ursprünglich traumatischen Situation zu verfallen.
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
„Schwerwiegend“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass ein solches Trauma
notwendigerweise mit physischen Schäden, überhaupt tatsächlich bedrohlichen
Situationen, in Zusammenhang stehen muss, es ist vielmehr abhängig von der
individuellen Bewertung und Folge eines übersteigerten Stresslevels, das dazu führt, dass
die erlebte Situation nicht richtig verarbeitet werden kann. Möglich ist daher auch z.B. eine
Angststörung als Folge eines als traumatisch erlebten „Knallens“ o.Ä.
Furcht/Angst oder Angststörung als Folge mangelnder Sozialisierung:
Ein weiterer Grund für Furcht, Angst wie auch Angststörungen, der viel zu oft unterschätzt
wird, ist das Treffen auf Unbekanntes/Ungewohntes und somit die mangelnde
Sozialisierung.
Die Entwicklungsphase von Welpen gliedert sich, wie im Übrigen auch die von Menschen,
in verschiedene Teilbereiche/Lernphasen. Man geht davon aus, dass Welpen im Alter von
rd. 4 bis rd. 12 Wochen am einfachsten Eindrücke ihres Umfeldes aufnehmen, am
einfachsten in Kontakt treten und damit am einfachsten diesbezüglich positive, leider auch
negative, Verknüpfungen herstellen. In dieser Phase bilden sich vornehmlich die
diesbezüglichen Hirnstrukturen aus, die den Hund in seinem zukünftigen Leben dazu
befähigen, Reize wahrzunehmen, zu speichern, zu verarbeiten und damit auch
einzuschätzen. Man geht bei Hunden wie auch bei u.a. Menschen zu jetzigem Zeitpunkt
(noch) davon aus, dass sich Hirnstrukturen, die in der entsprechenden Entwicklungsphase,
in der deren Anlage vorgesehen ist, nicht ausgebildet werden, im Nachhinein nicht
mehr ausbilden lassen/nicht mehr ausgebildet werden („use it or loose it“).
Ab dem Alter von rd. 12 Wochen wird es für den Hund immer schwerer, mit bisher
Unbekanntem/Ungewohntem neutral in Kontakt zu treten. Dieser Umstand hat zur Folge,
dass ein erwachsener Hund, der mit Unbekanntem/Ungewohntem konfrontiert ist,
durchaus auch Furcht/Angst empfinden kann, da es wie zuvor erwähnt ein natürlicher
Schutzinstinkt des Körpers ist, vor eben Unbekanntem/Ungewohntem durch Stresshormonausschüttung
u.Ä. zu „warnen“.
Bsp.: Bei einem Hund, der unter Stimulation sämtlicher Sinnesbereiche aufgewachsen ist,
der jedoch z.B. noch nie einen fahrenden Zug gesehen hat, konnten sich die
Hirnstrukturen in gebotenem Maße entwickeln. Steht er nun aber das erste Mal vor einem
Bahnübergang und ein Zug rast ungebremst direkt vor ihm entlang, schlägt ihm dabei z.B.
noch der plötzliche Fahrtwind entgegen usw., wird er sich ggf. dennoch spontan fürchten.
Da sein Hirn aber in der Lage ist, die Situation/den Reiz schnell zu verarbeiten und folglich
auch die Bedrohlichkeit einzuschätzen, es zudem der einzige ihm im Moment bedrohlich
erscheinende Reiz ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass seine Stresshormonausschüttung
recht schnell wieder nachlässt und er sich wieder entspannen wird.
Je weniger ein Hund jedoch mit den Reizen des täglichen Lebens vertraut ist, desto mehr
unbekannte Reize wirken z.B. bei Veränderung seiner Lebenssituation auf ihn ein – Züge,
Autos, Fahrradfahrer, schreiende Kinder, lärmende Menschen usw. Er trifft, trotz normaler
Hirnentwicklung, auf eine Vielzahl neuer Reize, wodurch sein Körper stetig Stresshormone
ausschüttet. Er hat keine Möglichkeit, die Reize einzeln zu bewerten und seine Furcht
abzubauen, vielmehr steigt sein Stresshormonspiegel stetig, bis zu schlimmstenfalls dem
Maß „da das Hirn versagt“.
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
3.4 Die Sonderfälle, die einen Hund zum Angsthund machen
Der Sonderfall des "Deprivationssyndroms", der leider alles Andere als ein Einzelfall ist
Hunde, die während der frühen Entwicklungsphase völlig ohne Außenreize oder sehr
reizarm aufgewachsen sind, konnten, wie vorstehend erläutert, die Hirnstrukturen der
jeweiligen Entwicklungsphasen mangels Stimulation sämtlicher Sinnesbereiche nicht
ausbilden. Es kommt in der Folge zu (Entwicklungs-)Störungen wie z.B. Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen,
welche sich insbesondere in der gestörten Aufnahme,
Speicherung und Verarbeitung, somit auch Bewertung, von (Umwelt-)Reizen äußern.
Zudem werden diese Hunde in ungewohnter Umgebung oder Situation permanent mit
Unbekanntem/Ungewohntem konfrontiert und auf Basis von Vorstehendem werden sie
somit im weit überwiegenden Fall neben den Folgen vieler etwaig möglicher
(Entwicklungs-)Störungen unentwegt von ihrem Körper vor dem Unbekannten „gewarnt“.
Sie stehen folglich unter Dauerstress. Dieser Dauerstress und die Hilflosigkeit gegenüber
den auf sie einwirkenden unbekannten Reizen führen in der Folge wiederum zum Erleben
traumatischer Situationen.
Man spricht zu Neu-Deutsch bei einem solchen Hund von einem Hund mit
Deprivationssyndrom (starke Angst/Furcht, Angststörungen), im Falle nur gemäßigter
Angst/Furcht von einem Hund mit "Deprivationsschaden".
Je früher die Deprivation eintritt, im schlimmsten Fall ab Geburt, und je reizärmer die
entsprechende Umgebung ist, desto höher ist gleichwohl das Risiko und die
Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von (Entwicklungs-)Störungen sowie das Risiko und die
Wahrscheinlichkeit des Treffens auf eine Vielzahl von unbekannten Reizen.
Zum besseren Verständnis sei erwähnt, dass im Falle schwerer Deprivation von z.B.
Menschen die Symptomatik lt. Literaturmeinung der des Autismus gleicht, sodass eine
verlässliche Differentialdiagnostik insbesondere bei Kindern nur in bestimmter Umgebung
und unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist.
Ein Hund mit Deprivationsschaden oder Deprivationssyndrom kann in seiner
Vergangenheit tatsächlich in irriger Annahme wohlwollend oder auch infolge von Krankheit
von Außenreizen ferngehalten worden sein; solch ein Hund ist aber zumeist aus
Verwahrlosung befreit, aus einem ausländischen Shelter gerettet, in welches er
schlimmstenfalls hineingeboren wurde, o.Ä. Es ist ein Hund, der vielfach nichts weiter
kennengelernt hat als die Behausung, in der er von Geburt an vor sich hin vegetiert hat,
einschließlich der Individuen, die dort anwesend waren.
Bsp.: meine Cheyenne hat ab ihrer Geburt für ca. 3-4Jahre zusammen mit wenigen
anderen Hunden in einem abgelegenen Zwinger auf einem verwilderten Gelände
zwischen Büschen vor sich hin vegetiert. Die Eindrücke in dieser Umgebung waren das
Einzige, das sie kannte, zzgl. einem einzigen (!) Menschen, der stets betrunken und völlig
überfordert mit Dachlatten auf die Hunde eindrosch, sie mit Elektroschockern traktierte,
Hunger und Durst leiden ließ usw.
Befreit man einen solchen Hund, hat dieser im weit überwiegenden Fall nicht hier und da
mal Angst/Furcht vor irgendetwas, irgendjemandem oder reagiert in einzelnen Situationen
ängstlich oder panisch. Ein solcher Hund hat neben der Tatsache, dass sein Hirn nur
eingeschränkt in der Lage ist, Wahrnehmungen (=Reize) zu verarbeiten, Angst und Furcht
vor Allem, was es in seinem Zwinger/seiner Behausung nicht gab, einschließlich, wie im
beschriebenen Fall meiner Cheyenne, der Phobie vor Menschen.
7
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Bäume, Steine, Gras, Blumen, Tische, Stühle, alles, jeder Geruch, der nicht Kot oder Aas
ist, jedes unbekannte Geräusch, jedes Tier, das nicht Hund oder Ratte ist - es ist alles
unbekannt und die Summe an Eindrücken, der sie sich nach ihrer Befreiung nicht
entziehen können, lässt diese Hunde förmlich erstarren, sie sind kaum bis gar nicht
ansprechbar und zu keiner adäquaten Reaktion fähig. Es macht den Anschein als würde
die Summe an Angst- und Furchtsituationen sich zu einer alles umfassenden, komplexen
Angststörung kumulieren, die dazu führt, dass diese Hunde „in ihr Inneres flüchten“, wie
abwesend wirken und auf dem schmalen Grat zwischen Apathie und Angriff wandeln.
Einem mit leerem Blick in‘s Nichts Starren folgt bisweilen ein im höchsten Maße
beschwichtigendes urinierend auf dem Bauch Rutschen, das in Bruchteilen von Sekunden
in einen Angriff übergehen kann.
Diese wie vorstehend beschriebenen Hunde werden im vorherrschenden Sprachgebrauch
als „Angsthunde“ bezeichnet – es sind Hunde mit panischer „Angst“ vor dem Leben.
Ohne einen solchen Hund wieder zu isolieren und von allem abzuschotten, gibt es
anfangs keine Möglichkeit, ihn „aus der Situation zu nehmen“, wie man es mit Hunden mit
vereinzelten Angststörungen kann, da die Situation ausnahmslos überall um diesen Hund
herum ist, einschließlich, in einem Fall wie meiner Hündin, der Tatsache, dass man selbst
durch bloßes „Menschsein“ maßgeblicher Teil dieser Situation ist.
Der Sonderfall der chronischen Traumatisierung/der posttraumatischen Belastungsstörung
Wie vorstehend erläutert, können negative Erlebnisse für Hunde (wie u.a. auch Menschen)
traumatisch sein. Findet keine Verarbeitung dieser Erlebnisse statt, kann sich die
Traumatisierung bei Hunden (wie auch bei Menschen) chronifizieren; man spricht dann
von einer chronischen Traumatisierung oder einem posttraumatischen Belastungssyndrom.
Durch die Präsenz des Erlebten können unspezifisch erscheinende Reize zu
einem spontanen Wiedererleben der traumatischen Situation führen, es kann somit bei nur
minimalen Reizen (Gerüche, Geräusche, Berührungen, optische Reize) zu plötzlichen,
unkontrollierten Angstreaktionen kommen. Das Problem in diesem Zusammenhang ist
meist, die Auslöser zu identifizieren, um die Traumatisierung gezielt angehen zu können,
sodass sich durch ein stetes Wiedererleben die Situation eher verschärft als bessert.
Traumatisierte Hunde stehen ferner unter dem präsenten Eindruck des Erlebten oftmals
unter Dauerstress, sind apathisch, ziehen sich zurück, zeigen Verhaltensauffälligkeiten wie
(Angst-)Aggressivität u.Ä. und entwickeln als Folge weitere Ängste.
Kommt es in der entscheidenden Entwicklungsphase eines Hundes zu einem Trauma, das
nicht verarbeitet wird, kann es infolgedessen zudem zur Deprivation kommen mit den
vorstehend genannten Folgen.
Auch diese Hunde fallen unter den Begriff des „Angsthundes“, so sie infolge des erlittenen
Traumas weitere Angststörungen entwickelt haben und/oder ihr Verhalten dadurch
insgesamt beeinflusst wird.
Welche Störung im Einzelnen vorliegt, ist bisweilen, wenn überhaupt, nur schwer
auszumachen. Viele Symptome sind identisch oder ähneln sich stark, bestimmte
Störungen ziehen wie beschrieben oftmals auch weitere nach sich, sodass es zu
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Kombinationen kommt usw. Neben einer Analyse der Vergangenheit des Hundes
sprechen Symptome wie eine mangelnde räumliche Orientierung, Defizite in der Bewegungssteuerung,
der Kraftdosierung, der Zuordnung, aus welcher Richtung Reize
kommen, die mangelnde Fähigkeit, verschiedene Reize parallel zu verarbeiten usw. für
Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen und damit eher für eine Deprivationsproblematik
als für eine chronische Traumatisierung. Allerdings ist eine klare Identifizierung der
zugrunde liegenden Problematik für nachstehend Beschriebenes entbehrlich.
Angsthunde erscheinen anfangs oftmals als seien sie nicht „handlebar“; meiner Erfahrung
nach lässt sich eine „Handlebarkeit“ jedoch recht schnell erreichen, die sich dadurch
auszeichnet, dass der Hund im Haus/der Wohnung sowie auf gemeinsamen
Spaziergängen entspannt, heißt, seinen Dauerstress ablegt, wodurch die „Spirale der
Angststörungen“ unterbrochen wird und er sich zudem im Zustand der Ansprechbarkeit
befindet.
4. Der meiner Erfahrung nach richtige Umgang
4.1 Einleitung
Einleitend sei erwähnt, dass sich Nachstehendes an Personen richtet, die in der Lage
sind, auch dem Risiko der „Angst-Aggression“ bei nur minimalem Fehler des Menschen zu
begegnen, somit dem Versuch eines Hundes, der Angst oder Furcht empfindet oder/und
an Angststörung/en leidet, dem auslösenden Reiz zu entkommen.
Es ist meines Erachtens denkbar ungünstig, auf schriftlichem Wege Verhaltensalternativen
und -muster zu formulieren und ich persönlich ziehe es vor, vor dem Hintergrund des
Risikos der Fehldeutung lediglich das grundsätzliche Verhalten, den grundsätzlichen Weg,
das Ziel einschließlich der Etappenziele zu beschreiben. Anhand dieser Beschreibung
lässt sich jedoch meiner Ansicht nach zumindest ein geeigneter Trainer/Therapeut aus der
Masse der sog. Angsthund-Trainer/-Therapeuten heraussuchen, so man sich selbst nicht
in der Lage dazu sieht, Nachfolgendes konsequent umzusetzen und einen eigenen
erfolgreichen Weg zu finden.
Es steht hoffentlich außer Frage, dass ein Angsthund in der Situation, da er „in sein
Inneres geflüchtet ist“, tatsächlich auf der Flucht ist o.Ä., nicht aufnahme- oder gar
lernbereit ist. Aufnahme- und Lernbereitschaft im Sinne eines physischen und psychischen
Vermögens ist aber elementare Voraussetzung, um dem Hund den Stress zu nehmen und
ihn an für ihn bis dato Unbekanntes im Rahmen des Möglichen zu gewöhnen, allgemein,
ihm seine Angst und Furcht zu nehmen.
4.2 Eine nur exemplarische Gegenüberstellung häufig angeratener „Methoden und
Techniken“ zu dem im Folgenden beschriebenen Umgang
Zu den im Umgang häufig angeratenen „Methoden und Techniken“ mit Hunden, welche an
vereinzelten Angststörungen leiden, wie auch im Umgang mit Angsthunden, gehören u.a.
die Desensibilisierung/Reizsteigerung, die Gegenkonditionierung wie auch u.a. das
Flooding u.A. Ohne im Einzelnen auf die jeweiligen Techniken einzugehen, sei anhand des
Beispiels der Desensibilisierung/Reizsteigerung erläutert, was Ziel der Techniken ist, um
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
im weiteren Verlauf dieses Überblicks zu erkennen, worin sich die Anwendung von
„Techniken“ von einem wie im nachfolgenden Textteil vorgestellten Umgang unterscheidet.
Zu beachten ist dabei, dass insbesondere von „modernen Angsthund-Trainern/-
Therapeuten“ wie vielfach auch Angsthund-Haltern ein wie im nachfolgenden Textteil
beschriebener Umgang nicht nur als nicht notwendig angesehen wird, sondern vielmehr
noch als dringend zu vermeiden. Diese Ablehnung wird meist durch Verweis auf sog.
neueste Forschungsergebnisse begründet, auf welche ich unter dem Punkt „Die Sache mit
dem gesunden Menschenverstand“ gezielt eingehen werde.
Die Technik der Desensibilisierung/Reizsteigerung, aus der Fülle von „Methoden und
Techniken“ exemplarisch dargestellt, sieht vor, dass ein Hund mit dem jeweils
auslösenden Reiz in dem Maß konfrontiert wird, dass er diesem ohne Reaktionsauslösung
standhalten kann und sich jederzeit im „Wohlfühlbereich“ befindet. Diese Situation wird
mehrfach wiederholt und bei Gewöhnung langsam gesteigert, wiederum in dem Maß, dass
es zu keiner Reaktionsauslösung kommt, bis hin zu dem Zeitpunkt, da sich der Hund an
den jeweiligen Reiz in seiner normal auftretenden Ausprägung vollständig gewöhnt hat.
Praktisch bedeutet dies z.B., dass ein Mensch im Kontakt mit einem Angsthund diesen
zunächst kleinschrittig an seine Nähe gewöhnt, indem er sich in reizarmer/reizloser
Umgebung (wie z.B. einem Zimmer) dem Hund über mehrere Tage oder oft auch Wochen
immer wieder und weiter nähert.
Es steht wohl außer Frage, dass eine solche Gewöhnung im Kontakt mit einem Angsthund
nicht innerhalb von 1, 2 oder auch 3 Tagen erfolgt und „Gewöhnung“ nicht mit „Vertrauen“
gleichzusetzen ist. Lediglich ein Hund, der den Kontakt zum Menschen bisher neutral oder
im optimistischsten Fall positiv erlebt hat, wird sich innerhalb kurzer Zeit dergestalt an den
Menschen gewöhnen, dass er dessen Nähe ohne Reaktionsauslösung zulässt.
Ist die Gewöhnung an die Nähe des Menschen, welche wiederum auch nicht gleichbedeutend
mit einer Berührung oder gar einem Festhalten o.Ä. ist, früher oder zumeist
später erfolgt, wird der Hund in weiterhin maximal reizarmer Umgebung mit einem
weiteren einzelnen (auslösenden) Reiz in Kontakt gebracht, dieses wiederum in der Art
der Steigerung bis an die jeweilige Grenze der Reaktionsauslösung heran. Meint z.B.,
dass der Hund nun kleinschrittig an Geschirr und Leine gewöhnt wird, um bei Gewöhnung
daran im Folgenden in den reizarmen Außenbereich gebracht zu werden. Im Beisein des
Menschen wird der Hund nun kleinschrittig an die verschiedenen Eindrücke in sehr
reizarmer Umgebung (Gerüche, Vögel und andere Tiere, wechselnde Untergründe wie
Steine, Gras u.A. usw.) gewöhnt, immer in mehrfacher Wiederholung bis an seine
jeweilige Reaktionsauslösung heran. Usw. usw.
Unter anderem diese Technik wird als sehr „sanft“ beschrieben und darum auch vielfach
angeraten. Mir stellt sich dabei jedoch die Frage, inwieweit das Gesamtbild einer Technik,
bei welcher der Hund über zumeist Jahre weiterhin nahezu isoliert und/oder im z.B.
Wohnhaus abgeschottet, andernfalls nämlich unter Stress, verbleibt, als „sanft“ bezeichnet
werden kann.
Es ist somit hoffentlich nachvollziehbar, dass eine solche Technik ausschließlich bei
Vorliegen vereinzelter Angststörungen in verantwortungsvollem Rahmen erfolgreich sein
kann und dieses auch nur, so der auslösende Reiz dem Hund in seinem
uneingeschränkten Leben wenig bis gar nicht begegnet bzw. begegnen muss (im Bezug
auf z.B. bestimmte Gegenstände wie Besen o.Ä.).
10
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Im Gegensatz zu vorstehend Erläutertem fußt der nachfolgend beschriebene Umgang auf
der „Sprache“ des Hundes, die ihm in die Wiege gelegt wurde (vgl. auch entsprechende
Ausführungen im Überblick „HSH erzieht man nicht“). Der Umgang fußt folglich auf dem
zumeist Einzigen, das der Hund in einer für ihn verstörenden Umgebung und unter dem
angsteinflößenden Kontakt zum Menschen kennt und verstehen kann.
Ein Umgang, der ihm in seiner „Sprache“ zeigt, dass er sich am Menschen orientieren und
sich auf dessen Entscheidungen verlassen kann, um an seinem Vorbild mit der Gewissheit
des Schutzes durch ihn, den Menschen, und damit innerhalb absehbarer Zeit stressfrei in
dessen Gegenwart zu lernen und sich an Umweltreize zu gewöhnen.
Es geht folglich darum, sich auf die Ebene des Hundes zu bewegen, in seiner „Sprache“
zu kommunizieren und der zu sein, der ihn durch das Leben führt, gleich dem, wie es ein
souveräner Hund mit Führungsqualität täte.
Es geht im Folgenden mithin um die souveräne Führung des Hundes durch den Menschen
in der „Sprache“ des Hundes.
Natürlich wissen Hunde, dass wir Menschen keine Hunde sind und es ist auch nicht nötig,
„Hundesprache“ zu 100% zu kopieren/kopieren zu können, es geht aber darum, dass
einem Hund im Kontakt mit dem Menschen möglichst viel von dem begegnet, das ihm in
einer verstörenden Welt als schlimmstenfalls Einziges bekannt ist; das Einzige, das,
konsequent umgesetzt, für ihn verlässlich ist.
Es bestürzt mich immer wieder von Neuem, dass Menschen der Ansicht sind, sie könnten
mit konstruierten Methoden und Techniken, die in dem Verhaltensrepertoire von Hunden
nicht einmal im Ansatz vorkommen, auch nur im Entferntesten das erreichen, das im
natürlichen Verhalten von Hunden untereinander steht; Methoden und Techniken, die der
Psychotherapie von Menschen entstammen und somit zugeschnitten sind auf die
Hirnstrukturen von Menschen, deren Denkvermögen, deren Kognition u.A. Zwar fußen
diese „Methoden und Techniken“ zweifelsohne auf den Ergebnissen verschiedener
Studien zum Lernverhalten von Hunden, durchaus auch auf neurowissenschaftlichen
Erkenntnissen, es wird jedoch insbesondere vor dem Hintergrund des Zeitfaktors außer
Acht gelassen, dass Hunden neben ihrer „Sprache“ das Prinzip von „der, der es am besten
kann, übernimmt es/tut es“ in die Wiege gelegt wurde (vgl. auch Überblick „HSH erzieht
man nicht“). Es wird somit vernachlässigt, dass das Vertrauen darauf, dass jemand, „der
es kann“, „es übernimmt und tut“, Sicherheit gibt, dass sich Stimmungen übertragen,
vieles durch Abgucken erlernt wird usw. und somit, dass aus Sicherheit Sicherheit
erwächst.
Die Vernachlässigung, vielmehr sogar strikte Vermeidung, von Vorstehendem wird, wie
bereits angedeutet, vielfach mit Verweis auf vermeintlich entsprechende Forschungsergebnisse
gerechtfertigt, auf welche im Folgenden kurz eingegangen werden soll.
4.3 Die Sache mit dem gesunden Menschenverstand
„Methoden und Techniken“ wie z.B. die Desensibilisierung unter Vernachlässigung oder
gar Vermeidung des im Folgenden beschriebenen Umgangs werden vielfach mit Verweis
insbesondere auf die Forschungsergebnisse von Adam Miklosi, Karsten Brensing und
Norbert Sachser angeraten.
11
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Hintergrund ist, dass z.B. Adam Miklosi insbesondere auf Basis einer von Juliane
Kaminski durchgeführten Testreihe, in welcher Hunde einem Fingerzeig korrekt in
Richtung eines Blumentopfes folgten, unter welchem sich Futter verbarg, davon ausgeht,
dass Hunde Gesten des Menschen und damit deren Körpersprache verstehen können;
dies bestärkt durch eigene Tests, in welchen Hunde (im Gegensatz zu Wölfen) Menschen
erwartungsvoll ansahen, wenn es ihnen nicht möglich war, Behältnisse mit Futter zu
öffnen. Hintergrund ist ferner, dass gemäß der Forschung von Karsten Brensing u.a.
Hunde komplexes Sozialverhalten zeigen, Tiere Moral und Ethik leben und dass gemäß
der Forschung von Norbert Sachser u.a. Hunde eine Persönlichkeit haben und Tiere dem
Menschen in seiner Gefühlswelt mehr als ähnlich sind usw.
Das Alles sei überhaupt nicht in Frage gestellt, vielmehr im Gegenteil:
Dass Hunde menschliche, verbalisierte Sprache nicht verstehen, auch wenn sie auf Basis
von Erfahrungen und durchaus auch Reizverknüpfungen manchmal den Anschein erwecken,
sie würden, steht wohl hoffentlich außer Frage. Natürlich erkennen Hunde aber
u.a. die Stimmung eines Menschen, denn bestimmte Gefühle, Gedanken usw. führen u.a.
zu Hormon-, Sekret- u.a. Ausschüttungen, insbesondere auch zu Veränderungen der
Körperspannung und Mimik, die Hunde wahrnehmen. Sie sind zudem auch meiner
Meinung nach zu weit mehr Aufnahme, Interpretation etc. und im Übrigen auch Emotion
fähig als vorherrschend in der klassischen Literatur beschrieben.
Ich selbst stütze meine Kommunikation mit Hunden seit Jahrzehnten u.a. auch darauf,
dass Hunde gemäß meinen eigenen Erfahrungen auf unterschiedliche Intonation
reagieren und somit ihnen bekannte lobende Worte nur als lobend aufgenommen werden,
so sie entsprechend intoniert sind. Vor diesem Hintergrund erstaunte es mich nicht, dass
Attila Andics in 2016 sog. bahnbrechend belegte, dass bei Hunden ihnen bekannte
lobende Worte ähnlich dem Menschen zu einer Aktivität in der linken Hirnhälfte führen,
wobei eine lobende Intonation zu einer Aktivität in der rechten Hirnhälfte führt und nur
beides zusammen zu einem Wohlgefühl des Hundes.
Es bestürzt mich geradezu, dass Menschen, die seit Jahrzehnten mit Hunden
zusammenleben, sich auf Forschungsergebnisse stützen (müssen), um zu
wissen/erkennen/verdeutlichen, dass Hunde menschliches Verhalten kopieren und mit
dem Menschen anders kommunizieren als sie es mit Artgenossen tun, dass sie eine
soziale Bindung zum Menschen aufbauen, zu gewissem Maß an vorausschauendem
Denken fähig sind, Emotionen empfinden usw. Aber uns muss bei der Gesamtheit der
Theorien, Erkenntnisse usw. doch bewusst bleiben, auf welchem Level sich dieses
abspielt!
Norbert Sachser, der dem Hund auf Basis dessen, dass sich einige Hunde in Spiegeln
erkennen, (meiner Meinung nach völlig zurecht) eine Persönlichkeit zuschreibt und u.a. in
im Juli 2018 zusammengefügten Forschungsergebnissen erklärt, dass Tiere weit
intelligenter und dem Menschen ähnlicher seien als noch vor Jahrzehnten angenommen,
verweist zeitgleich darauf, dass Haustiere keine Miniaturausgaben des Menschen sind
und wir sie nur verstehen können, wenn wir uns auf sie einlassen und die Unterschiede
erkennen. Wenige Monate später, im Oktober 2018, belegten Studien (Dr. Britta Osthaus,
Stephen Lea), dass Hunde im Vergleich zu anderen Tieren in Sachen der Intelligenz eher
schlecht abschneiden, ihre Fähigkeiten im Vergleich zu anderen Tieren überbewertet
seien. Karsten Brensing, gemäß dessen Forschung Hunde ein komplexes Sozialverhalten
zeigen, welches sich insbesondere im „Einhalten von Regeln“ zeige, sagt parallel aus,
dass Kojoten, die sich nicht an „die Regeln“ halten, aus dem Rudel ausgegrenzt werden
und ein gut sozialisierter Hund dieses Risiko niemals eingehen würde, da er vom
12
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Menschen mit Nahrung und Obdach versorgt wird. Letzteres im Übrigen eine Aussage,
welche mir als passionierter Hundehalterin das Herz bluten lässt, ferner eine Aussage,
welche durch die betreffenden Trainer, Therapeuten und Halter zumindest mir gegenüber
nicht ein einziges Mal erwähnt wurde.
Wir müssen doch die Gesamtheit sehen und realistisch bleiben und es bestürzt mich vor
diesem Hintergrund ferner, dass Menschen diese Forschungsergebnisse in geradezu
unsinnigem Zusammenhang, in isolierten Aussagen und z.T. unter meines Erachtens
bewusster Fehldeutung nutzen, um ihre meiner Ansicht nach tierschutzrelevanten
Maßnahmen zu rechtfertigen; Maßnahmen, welche oftmals erst, wenn überhaupt, nach
Jahren Erfolg in vorstehend genanntem Sinn zeigen und die Hunde während der
gesamten Jahre über ihrem lähmenden Stress ausliefern.
Um nochmals klarzustellen, worum es mir im Zusammenhang mit der Summe an
Forschungsergebnissen geht:
Wir bewegen uns z.B. im Zusammenhang mit Miklosis Forschungsergebnissen durchaus
im Bereich der Interpretation menschlicher Körpersprache, wir bewegen uns jedoch
NICHT im Bereich der UMDEUTUNG des in eigener „Sprache“ bekannten
(Ausdrucks-)verhalten, diese Umdeutung war nicht Gegenstand dieser neuerdings gern
bemühten Studien, lediglich ein Verstehen von in eigener Sprache UNBEKANNTEN,
einfachen Gesten („Gesten“ nicht gleichzusetzen mit Stimmung u.Ä.).
Wer tatsächlich davon überzeugt ist bzw. wer behauptet, dass Vorstehendes keinen
Unterschied darstellt und auf Basis weiterer Forschungsergebnisse Rückschlüsse
dergestalt zu ziehen sind, dass menschliche Körpersprache von Hunden richtig
UMGEDEUTET wird, dem sei folgende Frage gestellt:
Ich bin in erschreckender Häufigkeit mit der Situation konfrontiert, dass mehrjährige
Hundehalter frontal vor ihrem Hund stehen, welcher gähnt, schmatzt etc. und ich voller
Überzeugung die Aussage höre "oh, er ist schon wieder soooo müde", oder ich
Hundehalter auf einer Wiese sehe, auf welcher Hunde ihre Rangordnung klären und sich
die Halter darüber freuen, wie schön die Hunde doch wieder miteinander spielen würden,
oder ich einen Hund sehe, der in höchstem Maße beschwichtigend die Lefzen nach hinten
zieht und sich darüber gefreut wird, wie schön er lächele, oder Hunde aufreiten und sich
über deren Sexualtrieb ausgelassen wird usw.
Wenn selbst Menschen nicht in der Lage dazu sind, mit ihren naturgegebenen Hirnstrukturen
ihnen bekannte Verhaltensweisen UMZUDEUTEN, wie soll es denn ein Hund
können? Hunde seien dem Menschen ähnlicher als lange Zeit angenommen, zweifelsohne,
bei der Behauptung aber, ein Hund könne ein Ausdrucksverhalten seiner ihm in die
Wiege gelegten „Sprache“ richtig umdeuten, wird die Aussage getroffen, dass Hunde in
Denken, Schlussfolgern, Erkennen, Deuten usw. dem Menschen weit überlegen sind!
So (erschreckend) viele Elemente der "Spitze der Evolution" stehen vor ihrem
beschwichtigend gähnenden Hund und sind der vollen Überzeugung, er sei müde, sie
sehen Hunde ihre Rangordnung klären und sind der vollen Überzeugung, die Hunde
würden gerade so schön spielen usw. usw., und sie behaupten zeitgleich, dass ihr Hund
schon verstehe, dass sie ihn mit „eingefallener“ Statur und vom auslösenden Reiz
abgewandten Blick beschützen wollen und vor allem beschützen können. Die
Körpersprache sei nicht wichtig, „souveräne Führung“ sei nicht wichtig, nichts, das dem
Hund als „Sprache“ von insbesondere seiner Mutter mitgegeben wurde, sei im Verhältnis
zum Menschen wichtig?
13
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Elemente der "Spitze der Evolution", der "Krone der Schöpfung", wie dem auch immer sei,
sind nicht in der Lage, diesen Widerspruch zu erkennen und schlimmer noch, sie maßen
sich an, von einem Hund, der sich unentwegt in einer Stresssituation höchsten Ausmaßes
befindet, zu erwarten, die Körpersprache des Menschen zu deuten, anstatt diesem Hund
mit dem Einzigen, das ihm definitiv vertraut ist, seiner „Sprache“/seinem Ausdrucksverhalten,
zu begegnen.
Es wird sich von „versierter Seite“ aus zudem vielfach auch mit Verweis auf o.g.
Forschungsergebnisse dagegen ausgesprochen, im Umgang mit Hunden dem in ihrer
Natur stehenden Prinzip von „der, der es am besten kann, übernimmt es/tut es“ (vgl.
diesbzgl. Ausführungen im Überblick „HSH erzieht man nicht“) zu folgen. Dies unter
Verweis auf bereits vorstehend ausgeführte isolierte Aussagen hinsichtlich der Ähnlichkeit
von Mensch und Tier, aber auch unter Bestreiten, dass souveräne Hunde mit
Führungsqualität, Leithunde, ihren Gruppenmitgliedern durch ihre Führung Sicherheit und
Schutz bieten. Eine Argumentation, die mir ebenso völlig unverständlich ist, denn:
Es ist wohl zweifelsohne so, dass sich die Lebensbereiche, die „Aufgaben des täglichen
Lebens“, von Hunden und Menschen unterscheiden. Stellen wir uns dennoch kurz die
Bewältigung der Aufgaben des täglichen Lebens im Rahmen einer menschlichen
Lebensgemeinschaft vor: Kümmern sich beide Partner um alle Aufgaben oder werden die
Aufgaben verteilt bzw. verteilen sich? Und wenn sie verteilt werden oder sich verteilen,
nach welchem Maßstab?
Wie oft höre ich auf die Frage, wer in einer Lebensgemeinschaft „die Papiere führt“, die
Antwort „das macht meine Frau/mein Mann“ und auf meine sich anschließende Frage
nach dem Warum, „weil ich davon keine Ahnung habe“, „weil er/sie/es das besser kann“
o.Ä. Zudem bin ich auch leider des Öfteren mit der Situation konfrontiert, dass der Partner,
dessen Aufgabe z.B. die „Führung der Papiere“ ist/war, urplötzlich wegbricht, und ein
diesbezüglich völlig überforderter, verunsicherter und darum verzweifelter Partner
verbleibt, welcher tatsächlich ein ausgeprägt mangelndes Verständnis von der Führung
der Papiere hat, überdies noch weder Motivation noch Muße.
Ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, dass sich Aufgaben in sämtlichen Lebensbereichen
nach Fähigkeiten und Fertigkeiten verteilen? Oder bastelt in einer
Lebensgemeinschaft tatsächlich der Part an dem Auto, der sich schon seit Jahren fragt,
wozu so eine Kurbelwelle überhaupt nötig ist, während derweil der andere Part das Essen
kocht, indem er/sie/es die verschlossene Ravioli-Konserve in die Mikrowelle stellt?
In menschlichen Beziehungen (Lebensgemeinschaft, Familie, Arbeit usw.) ist es eine
Selbstverständlichkeit, dass sich Aufgaben nach jeweiligen Fähigkeiten und Fertigkeiten
verteilen und die Mehrzahl der Menschen versteht, dass jemand, dessen Neigung es z.B.
nicht ist, die Papiere zu führen, damit auch schnell überfordert und froh ist, wenn jemand
Anderes diese Aufgabe übernimmt – der nämlich, der es kann. Menschen verstehen
durchaus gut, dass es Sicherheit gibt, entlastet und einer Überforderung vorbeugt, wenn
Aufgaben von anderen Menschen übernommen werden, die diese besser als sie selbst
bewältigen können, so diese anderen Menschen verlässlich sind.
Menschen verstehen jedoch trotz dessen vielfach nicht, dass die souveräne Führung
durch den Menschen Hunden Sicherheit gibt und der Überforderung von Hunden
vorbeugt, obgleich es im Zusammenhang mit souveräner Führung um nichts Anderes
geht. Dem (hier verstörten) Hund wird Sicherheit gegeben, dadurch, dass man derjenige
ist, der jede Situation im Griff hat, der keine Angst hat, der entscheidet, der ihm Vorbild ist,
14
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
der, auf den er sich in jeder Situation verlassen kann. Eine Sicherheit, die ihm in
Gegenwart des Menschen in jeder Situation gewiss ist, gleich, welche ihm unbekannte
Situation er erleben muss. Eine Sicherheit, die ihm in der Sprache verdeutlicht und
zugesichert wird, die er kennt – in seiner „Sprache“, in seinem Ausdrucksverhalten.
Wer nun noch, wie z.B. eine sog. Angsthund-Therapeutin regelmäßig, behauptet, dass es
„den Leithund“ nicht gibt und souveräne Hunde mit Führungsqualität im Falle von
Bedrohung ihrer Gruppenmitglieder vielmehr ignorant zusehen als zu reagieren, hat sich
noch nie tatsächlich mit dem Verhalten von Hunden auseinander gesetzt, hat deren
Interaktionen nicht beobachtet, geschweige denn, einen souveränen Hund halten dürfen.
Ein (Angst-)hund „klebt“ förmlich an den Souveränen der Gruppe, lässt diese/n nicht aus
den Augen und folgt ihnen/ihm auf Schritt und Tritt.
Warum ich mir diesbezüglich derart sicher bin? Weil ich das Glück hatte, einen überaus
souveränen Altdeutschen Schäferhund-Rüden halten zu dürfen und seine Wirkung auf
ängstliche Hunde und vor allem auch Angsthunde gesehen habe. Gesehen habe, wie er
interagierte und welche Reaktionen dadurch bei den ängstlichen Hunden und vor allem
auch den Angsthunden ausgelöst wurden. Weil ich an verschiedenen Hunden gesehen
habe, wie ängstliche Hunde und auch Angsthunde in Gegenwart nur eines souveränen
Hundes sichtlich entspannen, Situationen an dessen Seite bewältigen, die ohne ihn schier
unlösbar wären – und das alles ohne mehrmonatiges oder zumeist leider mehrjähriges
„Anwenden von Techniken“.
Und noch aus einem weiteren Grund, ein „Schwank“ aus meiner Kindheit: ich habe als
Kleinkind gern geschaukelt und stand auf einem Jahrmarkt im Alter von 2 oder 3 Jahren
voller Faszination vor der Riesen-Schiffschaukel, in die meine Eltern somit mit mir gingen
– natürlich in den „Bug“, da es dort ja am schönsten ist; eine meiner ersten Erinnerungen.
Es dauerte nicht lange und das kurze Gefühl der Freude wandelte sich spontan in das
Gefühl, gleich sterben zu müssen. Mein Vater, der mir gegenüber saß, reagierte recht
schnell und packte das erste, das er zu packen bekam – meinen Fuß. Er drückte und
schüttelte daran und da er kurz meine Aufmerksamkeit hatte, sagte er nur den einen Satz:
„ich bin da, dir passiert nichts“. Das Gefühl, sterben zu müssen, ließ nach, das sich
anschließende als „Spaß“ zu bezeichnen, wäre vermutlich übertrieben, aber die restliche
Fahrt empfand ich zumindest nicht mehr als schlimm.
Um genau dieses Gefühl geht es im Folgenden, darum, dieses Gefühl der Sicherheit zu
erreichen - „ich bin da, dir passiert nichts“.
Um die Jüngeren, insbesondere jüngeren Mütter, unter uns, am Rande kurz zu beruhigen
– neben Kinderliedern von „Hamann“, dem abgebrannten Pommern und der vollen
Bandbreite von Grimms Märchen waren solche Situationen für Personen meiner
Altersgruppe das geringste Übel und unserer Altersgruppe entstammen im Übrigen auch
nicht die statistisch häufigsten psychischen Erkrankungen, Erschöpfungszustände u.Ä.,
ferner fahre ich heute gern Karussell, mag das Gefühl von Geschwindigkeit und habe
keine Höhenangst o.Ä.
Um diesen Teilbereich abzuschließen, verbleibe ich mit der Frage, warum Menschen
vielmehr auf zusammenhanglose Forschungsergebnisse verweisen oder auch ihren Hund
individuell, seine Rasse o.Ä. als Grund bemühen, anstatt vor dem Hintergrund dessen,
was an Erfolg belegterweise möglich ist, sich selbst und ihre jeweiligen „Methoden und
Techniken“ zu reflektieren; ich hoffe, Vorstehendes bietet Anlass dazu.
15
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
4.4 „Die Theorie dahinter“ im Überblick
Wie zuvor angedeutet, ist ein Angsthund in der Situation, da er „in sein Inneres geflüchtet
ist“, tatsächlich auf der Flucht ist o.Ä. nicht aufnahme- oder gar lernbereit. Aufnahme- und
Lernbereitschaft im Sinne eines physischen und psychischen Vermögens ist aber
elementare Voraussetzung, um dem Hund den Stress zu nehmen und ihn an für ihn bis
dato Unbekanntes zu gewöhnen.
Das heißt, das erste Etappenziel muss sein, den Hund in den Zustand des Aufnahmeund
Lernvermögens zu versetzen – und genau an diesem allerersten, so elementaren
Etappenziel scheiden sich wie vorstehend ausgeführt die Geister bzw. trennt sich die
Spreu vom Weizen.
Im Folgenden werden in diesem Zusammenhang wie zuvor genannt insbesondere die
Maßgaben der souveränen Führung beschrieben.
Parallel zu der durch die souveräne Führung gewährten Sicherheit werden ab dem ersten
Tag Rituale für die „Anforderungen des täglichen Lebens“ etabliert, die sich für
unbestimmte Zeit nicht mehr ändern werden und die ihm nochmals Sicherheit geben, da
„das Leben für ihn vorhersehbar wird“. Rituale, die ihm eine Basis an Reizen schaffen, auf
welcher er sein Lernen aufbauen kann.
Diese Rituale werden in das tägliche Leben eingeflochten, meint, es sind nicht spezielle
Trainingseinheiten, sondern Bestandteile der täglichen Routine.
In einem nächsten Schritt werden diese Rituale ausgeweitet, so z.B. zu anderer Tageszeit
wiederholt, ergänzt o.Ä.
Erst in einem nächsten Schritt wird eines der etablierten Rituale ein stückweit verändert,
worauf andere folgen.
Während der ritualisierten Vorgänge kann der Angsthund zudem ganz nebenbei mit
spezifischen Angstauslösern vertraut gemacht werden.
Der Hund wird im Rahmen der ritualisierten Vorgänge mit neuen Eindrücken in Kontakt
kommen, an die er sich gewöhnen kann und wird. Zudem ist er in einem Zustand, da er
sich Verhaltensweisen von seinem „Führmenschen“ abgucken kann und zweifelsohne
abgucken wird.
Der Unterschied zu der „Anwendung von Techniken“ ist, dass der Hund durch die
souveräne Führung von Anfang an ein Gefühl der Sicherheit hat und dass er auf Basis
dessen anhand von Ritualen lernt, die Reize „des täglichen Lebens“ als ungefährlich und
vorhersehbar einzuordnen sowie daran, dass er die Möglichkeit erhält, sich adäquates
Verhalten von seinem „Führmenschen“ abzugucken. Er ist von vornherein in das tägliche
Leben integriert, somit nicht „abgeschottet“, und erlangt auf diesem Wege im Laufe der
Zeit selbst Sicherheit und lernt im Laufe der Zeit, eigenständig mit einer Vielzahl von
Situationen umzugehen bzw. Reize zu bewältigen. Er lernt folglich NICHT anhand von
Einzelsituationen, welche sich z.T., wenn überhaupt, erst Jahre später zu einem „Großen
Ganzen“ zusammenfügen. Er lernt mithin nicht sofort eigenständig einzelne Situationen
aus der ihn insgesamt ängstigenden Gesamtheit bewältigen zu können bzw. mit
Einzelreizen aus der ihn insgesamt ängstigenden Gesamtheit selbst umgehen zu können.
Um eines in diesem Zusammenhang noch einmal ganz klar zu betonen: natürlich ist das
Endziel, dass der Angsthund selbstständig wird und Situationen alleine meistert, doch ist
16
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
diese Art diejenige Alternative, die ihn während seines Lernprozesses maximal angstfrei
und mit Lebensqualität, mit Teilhabe am Leben im Haus als auch außerhalb der eigenen
Grenzen, leben lässt. Bis diese Hunde alle Situationen des täglichen Lebens alleine
meistern können, vergehen Jahre – diese Jahre sollen sie aber mit uneingeschränkter
Qualität verbringen, denn alles Andere ist nur eines: Tierquälerei.
4.5 Voraussetzungen für den Umgang mit Angsthunden
4.5.1 Voraussetzung: Die Einstellung
Wenn man weiß, warum sich ein Hund, insbesondere der eigene Hund, verhält, wie er
sich nunmal verhält, kann man meines Erachtens besser auch damit zurecht kommen,
dass ggf. etwas nicht „nach Plan“ verläuft oder auch das eigene Nervenkostüm arg
strapaziert und bisweilen auch überstrapaziert wird. Aus diesem Grund befürworte ich es,
die vorstehenden theoretischen Grundlagen zur „Angst“ präsent zu halten und auf Basis
dessen auch den Umstand, dass sich diese Hunde z.T. nicht anders verhalten können.
Trotz dessen uns die Hintergründe des Verhaltens aber präsent sind, vielleicht auch die
Vergangenheit des Hundes, sollte der Umstand, dass der Hund in dieser Art belastet ist,
nicht dramatisiert werden, nicht überbewertet, aber definitiv auch nicht unterschätzt, denn:
Ich teile nicht die Ansicht, dass Hunde unter sich die Verfassung des belasteten Hundes
generell ignorieren und meine Erfahrung ist es auch nicht, dass souveräne Hunde sich so
arg belasteten Hunden gegenüber verhalten, wie sie es gegenüber „unbelasteten“ Hunden
tun. Meine Erfahrung ist vielmehr, dass souveräne Hunde in Nuancen, bisweilen kaum
merklich, unterstützen. Diese Unterstützung zeigt sich z.B. in Distanzverringerungen,
Blicken u.Ä. und lässt für mich den Rückschluss zu, dass weder ein Dramatisieren, noch
ein Ignorieren der richtige Weg ist. Emotionen wie Mitleid und Ärger, in der Intensität wie
Menschen diese empfinden und ausstrahlen, sind Hunden unbekannt und führen eher zur
Verunsicherung, insbesondere bei einem Hund, der in seiner Entwicklungsphase nicht mit
dem Verhalten und „Gefühlsleben“ von Menschen vertraut wurde. Das Empfinden von
Mitleid für den Hund lässt sich aber wunderbar in „Zuneigung“ wandeln, wie auch
aufkommender Ärger über z.B. das Verhalten des Hundes sich wunderbar auf andere
Auslöser, z.B. die tatsächlich Verantwortlichen, umlenken oder z.B. in Forenbeiträgen
Ausdruck verleihen lässt. Hierzu ist jedoch „der Kopf“ gefragt und es erfordert in der Regel
nur ein wenig Training, mit dem Wissen um die Hintergründe und die Folgen, sich auf
diesen zu konzentrieren und die eigenen Emotionen dadurch zu regulieren.
Sollten die Emotionen jedoch irgendwann Überhand nehmen, kann ich nur anraten, diesen
in Abwesenheit des Hundes Ausdruck zu verleihen und diese zudem kurz „auszuleben“.
Menschen dürfen bisweilen überfordert sein, Menschen dürfen auch vor Ärger schreien,
weinen u.Ä. und manchmal beugt ein kurzes Ausleben dessen einer diesbezüglichen
Latenz vor. Solche „Gefühlsausbrüche“ dürfen aber niemals in Anwesenheit des Hundes
geschehen!
Sollten sich jedoch Gedanken und/oder Emotionen wie „das ist nicht der Hund, den ich
wollte“ o.Ä. verfestigen, da du vielleicht einen Hund wolltest, mit dem du Sport treiben
kannst, einen Kameraden für die Kinder, einen Hund, der einfach „mitläuft“ und nicht auch
anstrengend ist, kann ich nur voller Überzeugung sagen: dann gib den Hund ab!
17
Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Tu‘ dies aber verantwortungsvoll, auch, wenn die Suche nach einem geeigneten neuen
Zuhause etwas länger dauern sollte. Hol‘ dir Vermittlungshilfe von einem seriösen
Tierschutzverein, von engagierten Menschen u.Ä., denn dieser Hund ist LEBEN, das zu
schützen DU DICH bei Übernahme bereit und verantwortlich erklärt hast! Dieser Hund hat
nur dich und du allein bestimmst sein weiteres Schicksal.
4.5.2 Voraussetzung: Souveräne Führung
Eine grobe Umschreibung könnte sein:
„Führe den Hund unter Beachtung des Prinzips von „der, der es am besten kann,
übernimmt es/tut es“, in der Sprache, die er wirklich versteht, somit „seiner Sprache“.
Korrigiere ihn in seiner „Sprache“ unter Beachtung eines angemessenen Energielevels
und sei dabei überzeugt, selbstsicher, mental gefestigt und entschlossen.
Sei der, der jede Situation im Griff hat, der keine Angst hat, der entscheidet, der, auf den er
sich in jeder Situation verlassen kann und berücksichtige dabei immer seine Natur, das,
wofür zu leben er gemacht wurde.“
Um einen Hund aber in dieser Art führen zu können, braucht es gewisse Eigenschaften,
welche man sich u.U. erst aneignen muss. Neben dem Verständnis „hündischer Sprache“
ist somit zwingend notwendig: Selbstsicherheit und „innere Ruhe“.
Es gibt Menschen, die diese Eigenschaften von Natur aus mitbringen und es gibt
Menschen, die sich diese Eigenschaften mit dem konsequenten Willen dazu z.B. mittels
entsprechendem Coaching oder eigenem Training aneignen können. Zahlreiche
„Selbsthilferatgeber“ und vor allem auch zahlreiche Seminare bieten z.T. gute
Unterstützung. Es gibt Übungen, welche sich in der Praxis bewährt haben, jedoch z.T.
leider auch solche, die ihre Zielsetzung verfehlen. Um eine grobe Orientierung zu bieten,
sind in separater Zusammenfassung die erfolgversprechensten Übungen kurz zusammengestellt.
Um „die Sprache“ der Hunde zu erlernen, beobachte Hundegruppen, sieh‘ deren
Interaktionen und du wirst vielleicht erkennen, wie Hunde untereinander kommunizieren,
ihr Ausdrucksverhalten, und dass eine Korrektur immer mit einem angepassten
Energielevel stattfindet. Dass ein „leichtes Vergehen“ eben nicht mit Nackenschütteln,
Schnauzgriff, dem (ich mag es ja kaum schreiben) „Alphawurf“ o.Ä. geahndet wird,
ebenso, wie ein „schwereres Vergehen“ wie z.B. eine ungerechtfertigte Attacke auf einen
Artgenossen nicht mit einem sinngemäßen „Dududu“.
Die Energie, die Intensität der Korrektur, erfolgt immer auf dem Level des zu
korrigierenden Verhaltens. Dies mit einer Ausnahme: Hunde, die sich wie zuvor erläutert
„im Tunnel“ befinden, deren Hormone überschießen und die infolgedessen weder
ansprechbar noch zu adäquater Reaktion fähig sind, werden von souveränen Hunden mit
Führungsqualität nicht mit entsprechendem Energielevel korrigiert. Man sieht souveräne
Hunde mit Führungsqualität vielmehr Hunde „im Tunnel“ überwältigen und so zur Ruhe
zwingen oder aber diese wegdrängen, was einem „aus der Situation Nehmen“ ähnelt.
Intuitiv sorgen diese Hunde so dafür, dass sich der nicht mehr „erreichbare“ Hund
beruhigen kann.
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Es gibt durchaus Hunde, die auch in solche Situationen hineinkorrigieren, diese sind
jedoch nicht die souveränen mit Führungsqualität, sondern zumeist die „ewig Zweiten“.
Sollte keine Möglichkeit bestehen, Hundegruppen zu beobachten, oder sollten die
Einblicke nicht verständlich sein, lass‘ dir die „Sprache“ der Hunde z.B. von einem
geeigneten Trainer vor Ort näherbringen.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass „souveräne Führung“ natürlich auch impliziert,
dass der Führende die Aufgaben nach Fähigkeiten und Fertigkeiten verteilt und es steht
hoffentlich außer Frage, dass ein Angsthund sich nicht in dem mentalen Zustand befindet,
z.B. Haus und Hof zu bewachen.
4.5.3 Voraussetzung: Die Umgebung
Die Umgebung, die ein Angsthund vorfinden sollte, ist stressfrei, aber keinesfalls reizfrei.
Da es wichtig ist, dass das (im Deprivationsfall) bisher nur stark einseitig geforderte Hirn
durch verschiedenste Reize, somit Sinne, stimuliert wird, ist eine oftmals angeratene
Separierung des Hundes meines Erachtens dringend zu vermeiden. Meiner Erfahrung
nach bietet es sich an, dem Hund in den durchaus von der Familie frequentierten Räumen
Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen. Eine Rückzugsmöglichkeit in einem von der Familie
genutzten Raum wie der Küche, dem Wohnzimmer usw. könnte z.B. eine „Höhle“ in Form
einer nicht verschlossenen (!), ausreichend großen Box mit Sichtelementen sein, wie auch
ein unter z.B. einer Küchen-Eckbank eingerichteter Platz o.Ä. Der Hund sollte das tägliche
Leben miterleben können, sich jedoch im Rahmen dessen nach eigenem Ermessen an
einen für ihn sicheren Platz zurückziehen können. Da sich der Hund einen solchen Platz
ohnehin in den meisten Fällen selbst sucht, bietet es sich z.B. auch an, mehrere solcher
Rückzugsmöglichkeiten vorzubereiten, zu schauen, welche dieser der Hund aufsucht, und
die restlichen im Anschluss getrost wieder abzubauen.
Der Hund sollte wie gesagt die gängigen Reize des täglichen Lebens auf einem für ihn als
sicher empfundenen Platz miterleben dürfen, jedoch ist Stress dabei dringend zu
vermeiden. Rennende Kinder, Geschrei, distanzlose Besucher oder Familienmitglieder, zu
laute Musik, ausufernde Streitgespräche, emotionale Ausnahmesituationen u.Ä. werden
den Hund aus der Natur der Sache heraus ängstigen und sind damit konsequent von dem
Hund fernzuhalten.
Natürlich können z.B. Streitgespräche oder auch emotionale Ausnahmesituationen in
einem „ganz normalen Leben“ bisweilen nicht vermieden werden, diese können jedoch an
einen anderen Ort verlagert werden. Beispielsweise kann man in einem solchen
unvermeidbaren Fall gemeinsam mit dem Streitpartner zu einem Parkplatz fahren,
taktischerweise zuvor von einer Fast-Food-Kette o.Ä. etwas Essbares erwerben und sich
während dem Essen auf einem Parkplatz streiten – kauen beruhigt belegtermaßen das
Gemüt, sodass eine solche Maßnahme ggf. sogar zur Ruhe aller Beteiligten beiträgt.
4.6 Die Gewöhnung im Rahmen des Tagesablaufes
Unter Vorliegen aller vorgenannten Voraussetzungen hat sich bewährt, jeglichen Kontakt
mit dem Angsthund zunächst zu ritualisieren.
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Man ist in diesem Zusammenhang oftmals erstaunt, was für einen Angsthund wichtig ist,
um den jeweiligen Vorgang als bekannt und ungefährlich einzustufen – für meine Hündin
war es z.B. wichtig, in welcher Reihenfolge die Verschlüsse des Sicherheitsgeschirrs
klickten, dass das Geschirr immer in der identischen Ecke des Raumes angezogen wurde,
dass die Türen weit offen standen, in welcher Reihenfolge die Pfoten beim in das Haus
Gehen abgetrocknet wurden u.Ä. An diesen Beispielen lässt sich vielleicht erkennen, was
im Wesentlichen mit „Ritualisieren“ gemeint ist – jeder Kontakt mit dem Hund sollte in
wiederholt identischer Weise ablaufen, denn genau das gibt ihm zusätzliche Sicherheit.
Dass jeder Kontakt mit dem Hund in ruhiger Art stattfinden sollte, ist nach Vorstehendem
hoffentlich selbstverständlich; Gleiches gilt natürlich uneingeschränkt für die Spaziergänge.
Auch Spaziergänge sollten in ruhiger und gleichmäßiger Art erfolgen, also nicht in
Form von „Joggen“, Radfahren o.Ä.
Vor allem sollten insbesondere aber auch die Spaziergänge ritualisiert werden, da der
Hund im Rahmen derer in Kontakt mit verschiedensten Reizen kommt. Neben den
Vorbereitungen wie dem Geschirranlegen, dem aus dem Haus Gehen und allem Übrigen
ist dabei insbesondere auch wichtig, dass der Weg/die „Runde“ immer identisch ist. Ich
persönlich halte aus zuvor bereits erklärtem Grund nichts davon, zu Anfang abgelegene,
somit reizarme, Wege o.Ä. zu wählen. Wohl aber befürworte ich, anfangs eine Tageszeit
zu nutzen, in der nicht allzu viel los ist. Meint, zu Anfang sollte meiner Erfahrung nach ein
grundsätzlich durchaus frequentierter Weg zu einer Tageszeit gewählt werden, da dort
nicht viel los ist, um dann im Rahmen der Ausweitung des Rituals einleitend nur die
Tageszeit zu verändern, sodass der Hund auf einem ihm bekannten Weg mit etwas mehr,
etwas stärkeren und etwas anderen Reizen konfrontiert ist.
Der Vorteil liegt meines Erachtens auf der Hand: der Hund hat durch die souveräne
Führung UND die bekannte Umgebung ein gewisses Maß an Sicherheit, ist im Zustand
der Ansprechbarkeit UND in gleichmäßiger, ruhiger Bewegung - er nimmt die neuen
und/oder zahlreicheren Reize somit in positiver Grundstimmung eher am Rande war.
Dieses Prozedere führt einerseits dazu, dass der Hund sich in einer Grundstimmung
befindet, in der er sich Verhaltensweisen von seinem „Führmenschen“ abgucken kann und
zweifelsohne abguckt, und andererseits dazu, dass er eher nebenbei an Reize gewöhnt
wird.
Begegnet einem auf dem gewählten Weg etwas, das den Hund gezielt ängstigt (um das er
einen großen Bogen läuft, das er nicht aus den Augen lässt etc. - Müllsäcke, Figuren o.Ä),
bietet es sich an, als Mensch selbst auf den jeweiligen Auslöser zuzugehen, ihn
anzufassen o.Ä. Dies ohne „Dramaturgie“, sondern vielmehr ganz nebenbei und
selbstverständlich. Sollte der Hund Interesse an dem Auslöser zeigen, sollte man ihm die
Zeit gewähren, diesen selbst zu erkunden, zu beschnüffeln etc.
Sollte der Hund Angst vor Auslösern zeigen, die man nicht anfassen kann oder anfassen
sollte (fremde Menschen, fahrende Autos o.Ä.), sollte der Mensch zwischen dem Hund
und dem Auslöser laufen, stehen usw., um dem Hund zusätzliche Sicherheit zu geben
bzw. u.U. die Zeit, den Auslöser zu beäugen und diesen mithilfe der positiven
Grundhaltung des Menschen als zumindest „nicht unbedingt gefährlich“ einzuschätzen.
Die grundsätzliche Vorgehensweise ist also, für sämtliche Vorgänge des täglichen Lebens
Rituale zu etablieren und diese im weiteren Verlauf der Zeit um neue und stärkere Reize
zu ergänzen. Am Beispiel des Spaziergangs ist diese Vorgehensweise vorstehend
erläutert, als weiteres Beispiel sei dies am Vorgang des Geschirranlegens erklärt:
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Anfangs wird dem Hund das Sicherheitsgeschirr an identischer Stelle des Raums unter
gleichbleibendem Vorgehen angezogen. Dabei wird z.B., ohne sich über den Hund zu
beugen oder in anderer Weise Bedrohung zu signalisieren, das Geschirr über den Kopf
gezogen und anschließend mit beiden Händen „am Hund“ (!) eine Hand unter dem Bauch
nach vorne geführt, um das Unterteil zu greifen. Beide Hände am Hund werden daraufhin
zum erst rechten Verschluss geführt, um diesen zu schließen, dann zum linken, dann zu
den hinteren etc. Im weiteren Verlauf wird z.B. eine Hand dann währenddessen langsam
in Richtung der Pfoten geführt, es wird sich mal langsam über den Hund gebeugt und
gesehen, wie er darauf reagiert, das Geschirr wird unter Beibehaltung des „Anziehrituals“
an anderer Stelle des Raumes angezogen usw.
Dies alles natürlich unter Begleitung lobender Worte, die wiederum ruhig,
langsam/unaufdringlich und in ihrer Wortwahl gleichbleibend sind. Es bietet sich vor dem
Hintergrund der Zielsetzung weder an, den Hund „zuzulabern“, ihn wie ein Kind „hysterisch
motivierend“ unterstützen zu wollen, noch überhaupt nicht mit ihm zu reden.
Letztlich ist die gleichbleibende Verwendung von „Phrasen“ nichts Anderes als ein Element
der Konditionierung, dies jedoch auch wieder im Rahmen des täglichen Ablaufs etabliert,
und nicht durch Einzelübungen. Ein Element, das späterhin durchaus auch genutzt
werden kann, um in unbekannten Situationen ein Wohlgefühl beim Hund auszulösen (vgl.
„Die Sache mit dem gesunden Menschenverstand“, dort Verweis auf die Studie von Attila
Andics aus 2016).
Natürlich mag das Alles entbehrlich erscheinen, wenn man z.B. über ein Grundstück von
1 ha verfügt, das dem Hund ausnahmslos zur Verfügung steht, auf dem er sich neben dem
Haus frei bewegen kann und auf welchem er sich sicher fühlt usw. Man wird nur
spätestens dann, wenn z.B. ein notfallmäßiger Besuch bei einem Tierarzt oder in einer
Tierklinik ansteht, damit konfrontiert sein, dass der Hund „mit dem Leben umzu“ umgehen
können muss, von der Situation einer notwendigen stationären Aufnahme ganz zu
schweigen.
Aus diesem Grund ist es meines Erachtens auch zwingend notwendig, den Hund an
Berührungen, die auch „Untersuchungscharakter“ haben, bzw. an eigene Untersuchungen
der Ohren, Pfoten usw. einschließlich der Fellpflege zu gewöhnen. Dies ebenso wie an
das Treffen auf fremde Menschen und eben die ganz normalen Reize der Umgebung
außerhalb des eigenen Grundstücks. Gewöhnung wiederum in Form von etablierten
Ritualen.
Es wird natürlich insbesondere zu Anfang Situationen geben, in welchen es sich nicht
vermeiden lassen wird, anfangs gegen einen gewissen Widerstand des Hundes arbeiten
zu müssen - das erste Anlegen des Sicherheitsgeschirrs, der erste Spaziergang, das erste
Autofahren u.Ä.
In diesen Situationen ist vorrangig eines wichtig: Ruhe, Geduld und Beharrlichkeit! Ein
Herauszerren des Hundes zum Spazierengehen wird sich ebenso negativ auswirken wie
ein monatelanger Verzicht auf einen Spaziergang an der Leine, weil der Hund sich
dagegen wehrt. Vielmehr sollte der Hund also unter Einsatz der Körpersprache, die er
versteht, und die in keinster Weise Bedrohung auszudrücken hat, sehr ruhig, aber
beharrlich dazu gebracht werden, aus der Tür zu gehen. Dies auch, wenn es dazu
unvermeidbar ist, ihn am Geschirr langsam dorthin zu drücken, zu schieben oder zu
ziehen - wie gesagt ruhig, aber beharrlich. Ein Blockieren, Zurückziehen, Toben u.Ä. des
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Hundes ist solange unproblematisch, so ruhig und langsam dagegen gearbeitet wird und
werden kann und der Hund in dem Zustand der „Ansprechbarkeit“ verbleibt!
Ob der Hund weiterhin „erreichbar“ ist, erkennt man dabei mit etwas Erfahrung an seinem
Blick, seinem Muskeltonus, seinem Verhalten usw. Im Zweifel sollte dies jedoch von
jemandem beurteilt werden, „der sich damit auskennt“.
4.7 Sonderfall: Der Angsthund mit Phobie vor Menschen
Schwieriger wird es sein, wenn der Hund eine Phobie vor Menschen hat und es einem
damit unmöglich ist, ihn zu berühren o.Ä., ohne dass seine Hormone überschießen und er
in den Zustand gerät, da „das Hirn versagt“.
Hunden, die noch ansprechbar/aufnahmebereit sind, kann man durchaus unter
bestimmten Voraussetzungen ähnlich der vorstehend beschriebenen Vorgehensweise
ruhig, aber beharrlich und bestimmt aus ihrer Situation helfen. Hunde aber, die sich durch
Hormonüberausschüttung „im Tunnel“ befinden, werden daraus keinen positiven Nutzen
ziehen, eher im Gegenteil.
In diesen Fällen ist es erfahrungsgemäß ratsam, einen anderen Hund, zu dem man eine
gute Bindung hat, als Brücke zu nutzen. Geht dieser Hund völlig unbefangen und freudig
auf einen zu, orientiert sich der Angsthund in den allermeisten Fällen daran. Zumindest
aber wird ihm die positive Haltung eines Hundes oder besser noch mehrerer Hunde
auffallen und seine „feste Überzeugung“ des ausschließlich gefährlichen Menschen in‘s
Wanken bringen.
Ist dies geschehen, braucht man sich als Mensch nur noch fähig zeigen, gleich einem
Hund handeln zu können und zu handeln. Hierzu bedarf es natürlich weit ausgeprägterer
Kenntnisse „hündischer Sprache“ und vor allem bedarf es Kreativität, da das, was dieser
Hund als Gefahr sieht, nunmal faktisch oftmals keine Gefahr ist. Kreativität somit
dergestalt, dass man einzelne Angstauslöser identifizieren und sich überlegen sollte, wie
man diese meist irrationalen Auslöser für den Hund gezielt abwehren sollte.
Beispiel: Meine Hündin hatte zu Anfang u.a. Angst vor vorbeifahrenden Autos, sie zog
stark in die entgegengesetzte Richtung und versuchte, sich in Hecken o.Ä. zu verstecken.
Also vereinbarte ich mit Freunden, dass diese uns entgegen fahren und in unsere
Richtung einschlagen sollten. In dem Moment, da sie das taten, drehte ich mich ihnen in
Drohgebärde entgegen, lief in dieser Haltung langsam auf sie zu und sie drehten daraufhin
natürlich ab, um dann an uns vorbeizufahren. Für meine Hündin, die letztlich bis auf ein
paar negative Erfahrungen nicht mit dem Verhalten von Menschen vertraut war, zeigte sich
dadurch einmal, dass ich durchaus Gefahren erkenne, unterscheide, ob eine Situation
gefährlich ist oder nicht, und ferner, dass ich im Fall einer drohenden Gefahr handele und
selbst als Mensch in der Lage bin, diese Gefahr dann abzuwenden.
In vergleichbarer Art konstruierte ich verschiedene Situationen und es dauerte nicht lang,
bis sie sich bei „Angst“ hinter mir versteckte.
Betont sei in diesem Zusammenhang abermals, dass es sich in diesem Fall zumeist um
Hunde handelt, die in ihrer Entwicklungsphase keinen oder nur negativen Kontakt zu
Menschen hatten, deren Verhalten nicht kennen und somit zweifelsohne auch deren
Vermögen nicht einschätzen können.
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
4.8 Sinnvolle und notwendige Unterstützung
4.8.1 Unterstützung zur Beruhigung und zur Gewinnung von Selbstsicherheit
Vielen dieser Hunde hilft es generell sowie in speziellen Situationen, wenn ein
Körperbezug hergestellt wird, was sich im Übrigen auch u.a. bei Babys bewährt hat.
Insofern werden dem ein oder anderen nachfolgende Maßnahmen evtl. bekannt sein.
Sollte dem nicht so sein, bitte ich, die jeweils genannten Maßnahmen einschließlich deren
Wirkung gesondert nachzulesen.
Um einem Hund einen generellen Körperbezug, ein Gefühl für den eigenen Körper, mit
u.a. dem Zweck der Selbstsicherheit zu vermitteln, gibt es z.B. die Möglichkeit, speziell
Cavaletti-Übungen zu trainieren, oder einfach, den Hund im Rahmen der Spaziergänge
auf Baumstämmen balancieren zu lassen, auf wechselnden Untergründen laufen zu
lassen u.Ä., je nachdem, was der Hund individuell mitmacht.
In speziellen Angstsituationen hat sich für den Moment der Situation dagegen z.B. das
„Pucken“ bewährt – natürlich wickelt man Hunde nicht in der Art ein, wie man es mit Babys
tut, es gibt jedoch spezielle Körperbandagen, mit welchen in speziellen Wickeltechniken
der Körper dem Hund ebenso fühlbar gemacht wird. Eine Maßnahme, die erfahrungsgemäß
ganz erstaunliche Ergebnisse erzielt und welche neben der Vergleichbarkeit zum
Pucken von Babys u.a. dem Tellington-Touch (TTouch) entspringt.
Der TTouch ist eine Maßnahme, welche gleichermaßen zur generellen Stabilisierung als
auch in bestimmten Angstsituationen eingesetzt werden kann. Sie basiert auf der Theorie,
dass durch gezielte Stimulation, und somit Sinnesreizung, das parasympathische
Nervensystem aktiviert und dadurch u.a. Stress reduziert wird.
Neben vorstehenden Maßnahmen, die durchaus regelmäßig in den Alltag eingeflochten
werden sollten, empfiehlt es sich zur Beruhigung durchaus auch, z.B. ruhige Musik
abzuspielen, aber vor allem empfiehlt es sich, dem Hund einen Teddy mit Herzschlag aus
dem Kinder-Fachhandel zur freien Verfügung auf den Schlafplatz zu legen, nachdem man
ihm den Teddy einschließlich seines Herzschlags bekannt gemacht hat. Belegterweise
wirkt ein gleichmäßiger, fühlbarer Takt überaus beruhigend - für Babys und auch für
ängstliche Hunde.
Ebenso vergleichbar zum Menschen ist, dass sowohl Kauen als auch ruhige Bewegung
zum Abbau von Stresshormonen beiträgt und es sich folglich anbietet, Kauartikel zu
nutzen, dem Hund regelmäßige Bewegung zu ermöglichen usw. Ferner ist es sowohl für
Menschen als auch für Hunde wichtig, Ruhezeiten zu gewähren und ggf. zu etablieren, da
der Körper während dieser Phasen entspannt, verarbeitet, Kraft schöpft.
Anders als beim Menschen aber wirken Berührungen und insbesondere Umarmungen. Da
Hunde sich im Gegensatz zum Menschen nunmal nicht zur Beruhigung umarmen o.Ä.,
empfinden sie diese Geste meist auch alles Andere als beruhigend. Bis ein Hund diese
rein menschliche Geste positiv besetzt, kann es einige Zeit dauern, so es überhaupt dazu
kommt. In Sachen von Berührungen sollte somit geschaut werden, wie der Hund auf diese
reagiert und dementsprechend sollten Berührungen eingesetzt werden oder eben nicht.
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
4.8.2 Exkurs Beruhigungsmittel
Es schockiert mich immer wieder, dass durchaus auch in Fachkreisen orale Sedativa
eingesetzt werden, um u.a. Angsthunde (überhaupt und sogar noch nach Jahren) im Falle
von z.B. notwendigen Berührungen „handlebar“ zu machen.
Neben der Tatsache, dass sich verschiedene Wirkstoffe als toxisch für insbesondere
Herdenschutzhunde gezeigt haben, ist in den Verwendungshinweisen einiger Sedativa
beschrieben, dass das jeweilige Präparat eine psychomotorische Hemmung bei nicht
wesentlicher Beeinträchtigung des Bewusstseins verursacht und u.a. zum Ruhigstellen
und zur Ausschaltung von Abwehrreaktionen eingesetzt wird.
Natürlich wirken diese so sedierten Hunde ruhig und passiv - eine psychomotorische
Hemmung bewirkt u.a. auch beim Menschen den äußerlichen Eindruck von Passivität und
Entspannung, jedoch empfinden diese so sedierten Menschen gemäß etlicher Untersuchungen
parallel größte quälende innere Unruhe. Es gibt zahlreiche Erfahrungsberichte,
in denen geschildert wird, dass Hunde nach Verabreichung bestimmter Präparate verstört
reagierten u.Ä., was sich letztlich eben genau aus Vorstehendem begründet, und seit
mehreren Jahren warnen zudem u.a. Tierärzte vor dem Gebrauch bestimmter Präparate,
welche jedoch nach wie vor u.a. bei Angsthunden eingesetzt werden.
Zahlreiche Mittel wie z.B. Rescue-Tropfen, CBD-Öl, verschiedene Aroma-Öle etc. werden
zur Beruhigung eingesetzt – dagegen ist auch meiner Meinung nach nichts einzuwenden,
denn diese Mittel schaden bei sachgerechter Verwendung nicht. Wie oben beschriebene
Sedativa aber sind schon per se als quälend einzustufen und als Ersatz für eine
erfolgreiche Führung des Hundes ist die Verwendung von derartigen Sedativa nichts
Anderes als Tierquälerei und ein Zeichen des eigenen Versagens vor dem Hintergrund der
Rechtfertigung der eigenen, meist als so schonend bezeichneten „Techniken und
Methoden“!
4.8.3 Exkurs: Ernährung und Zusätze
Im Rahmen der Depressionsforschung hat sich durch insbesondere Experimente an
Mäusen gezeigt, dass Signale aus dem Darm über die wesentliche Verbindung zwischen
Darm und Hirn, den Nervus Vagus, auf Angstempfinden, Gedächtnis, Motivation usw.
wirken. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, unterstützend auch ein Augenmerk auf
die Ernährung des Hundes zu legen und ggf. Hilfe in Sachen der Ernährung des Hundes
zzgl. entsprechende Ergänzungen in Anspruch zu nehmen.
4.9 Im Falle der Eskalation
Wie vorstehend bereits angedeutet, empfiehlt es sich im Falle der Eskalation, da die
Hormone des Hundes überschießen und er sich „im Tunnel“ befindet, ihn aus der Situation
zu nehmen und abzuwarten. Ihn wird in diesem Zustand keine Korrekturmaßnahme o.Ä.
erreichen.
Ziel muss sein, dass der Hund wieder in den Zustand der Ansprechbarkeit zurückkehrt und
dafür muss er sich beruhigen können. Von dem Halter ist auch in dieser Situation wieder
vor allem eines gefordert: Ruhe! Keinesfalls sollte der Mensch mit dem Hund zusammen
flüchten, ihn anschreien, an ihm zerren o.Ä., er sollte den Hund vielmehr ruhig aus der
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Angsthunde und der Umgang mit diesen
Ute Contius
Situation bringen, sich einducken lassen und abwarten o.Ä. (vgl. „Voraussetzung:
Souveräne Führung“).
4.10 Wenn Angriff immer die beste Verteidigung war
Grundsätzlich gilt alles Vorstehende auch für sog. Angstbeißer. Es erfordert jedoch eine
gewisse Erfahrung, mit einem solchen Hund umgehen zu können, und das Prinzip „Trial
and Error“ ist definitiv fehl am Platz. Nicht zuletzt zugunsten des Hundes sollte im Falle
eines Angstbeißers professionelle Unterstützung hinzugezogen werden.
5. Schlussbemerkung
Wie eingangs erwähnt, möchte ich mit vorstehenden Ausführungen verantwortungsbewussten
und bemühten Haltern insbesondere eines Angsthundes Gedankenanstöße
und Unterstützung bieten. Gleichwohl stelle ich mich mit diesen Ausführungen gegen die
so verbreitete Front derer, die Angsthunde in ihre Grundstückgrenzen verbannen unter
vehementer Rechtfertigung ihrer „Methoden und Techniken“. Gegen die, die aufgrund
eines Modetrends, eines wie auch immer empfundenen gesellschaftlichen Drucks oder
auch aus dem Selbstzweck der Daseinsberechtigung o.Ä. heraus, Angsthunde über Jahre
ihren quälenden Ängsten aussetzen oder aber sie von dem „ganz normalen Leben
draußen“ abschotten und damit ihre Lebensqualität auf ein Minimum reduzieren.
Ich durfte miterleben, wie meine um sich beißende Angsthündin, die vom Tierschutz
aufgrund ihrer Angstproblematik zur Euthanasie freigegeben war, innerhalb kurzer Zeit
aufblühte, sich integrierte und täglich an Lebensqualität gewann. Mit diesem Vorbild
konnte zahlreichen weiteren Angsthunden geholfen werden und sie alle blühten innerhalb
angemessener Zeit auf, schlossen sich an und gewannen innerhalb kurzer Zeit an
Sicherheit.
Ich kann nicht mehr sehen, hören oder lesen, wie Angsthunde unter strikter Befolgung
eines Modetrends o.Ä. trainiert werden mit dem Ergebnis, dass diese Hunde über mehrere
Jahre wie dargestellt gequält werden.
Und ich werde mich nicht durch Wegsehen daran mitschuldig machen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Verfechter dargestellter „Methoden und
Techniken“ behaupten, dass „ihr Angsthund“ speziell sei, den Ängsten ihres Hundes nicht
anders begegnet werden könnte, sie bereits alles Andere versucht hätten, sie vorstehend
Beschriebenes parallel umsetzen würden, ohne dass sich daraus signifikante Erfolge
ergeben würden usw. Es liegt in der Natur der Sache, da sich die als Voraussetzung für
diesen Weg dargestellte Führungsqualität nicht im Ausleben und Proklamieren von
Extremen wiederspiegelt, nicht darin, eindimensional zu denken und zu verfahren und
schon gar nicht darin, Modetrends zu folgen oder nach Daseinsberechtigung zu suchen.
Abschließend danke ich auf diesem Wege den Beauftragten des Tierheims, die mir meine
Cheyenne (vormals: Lea) vor die Haustür setzten. Diese Hündin, die keiner mehr wollte,
aufzunehmen, war eine der besten Entscheidungen meines Lebens, denn sie ist
einzigartig, wunderbar und der beste Hund, den man sich nur wünschen kann!
***************
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