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Leseprobe: Gemäldegalerie - 200 Meisterwerke der Europäischen Malerei

Die Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin vereint eine der reichsten und vollständigsten Sammlungen der europäischen Malerei. Sie erlaubt einen nahezu lückenlosen Überblick über deren Entwicklung von der mittelalterlichen Tafelmalerei bis zum Klassizismus um 1800. Dieses repräsentative Buch stellt 200 der wichtigsten und schönsten Gemälde dieser Sammlung von Weltrang vor. Fast alle berühmten Meister der deutschen, niederländischen, italienischen, französischen, spanischen und englischen Malerschulen sind vertreten. Jedes Werk wird mit einer großen Farbabbildung präsentiert und in den kunst- und zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet.

Die Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin vereint eine der reichsten und vollständigsten Sammlungen der europäischen Malerei. Sie erlaubt einen nahezu lückenlosen Überblick über deren Entwicklung von der mittelalterlichen Tafelmalerei bis zum Klassizismus um 1800. Dieses repräsentative Buch stellt 200 der wichtigsten und schönsten Gemälde dieser Sammlung von Weltrang vor. Fast alle berühmten Meister der deutschen, niederländischen, italienischen, französischen, spanischen und englischen Malerschulen sind vertreten. Jedes Werk wird mit einer großen Farbabbildung präsentiert und in den kunst- und zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet.

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PARISER MEISTER Die Krönung Mariens, um 1410<br />

108<br />

Nie<strong>der</strong>ländische und französische <strong>Malerei</strong> des 15. und 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

Nach ihrem Tod wurde Maria, gemäß mittelalterlicher Vorstellung, als einziger Mensch<br />

bereits vor dem Jüngsten Gericht leiblich in den Himmel aufgenommen. Im Lauf <strong>der</strong><br />

Zeit wurde dieses Ereignis dahingehend ausgebaut, dass die Jungfrau anschließend<br />

von Gott zur Himmelskönigin gekrönt worden sei. Der Himmel wurde somit als eine<br />

Art königlicher Hof verstanden, und eben diese Vorstellung drückt sich auch in dem<br />

kleinen französischen Tondo aus. Christus, in den roten Mantel des Auferstandenen<br />

und das violette Gewand <strong>der</strong> Passion gehüllt, sitzt auf einem steinernen Thron und<br />

setzt seiner betend vor ihm knienden Mutter die Krone auf das Haupt. Der Stoffbaldachin,<br />

das prächtige Kissen unter Mariens Knien und die als Pagen fungierenden<br />

Engel entstammen <strong>der</strong> höfischen Vorstellungswelt. Den Schauplatz des Ereignisses<br />

hat sich <strong>der</strong> Maler offenbar als Thronsaal vorgestellt, <strong>der</strong> durch den grünen Fliesenboden<br />

angedeutet wird. Auf diesen sind Schnittblumen gestreut, weiße Lilien, Vergissmeinnicht,<br />

Akelei und rote Rosen, die auf Mariens Reinheit und Liebe verweisen.<br />

Wie bei einer Fürstin hält ein Engel die Schleppe ihres Kleids; er ist liturgisch in eine<br />

Dalmatik gekleidet, während sein Begleiter einen Chormantel trägt. In menschlich<br />

anrühren<strong>der</strong> Weise wendet sich <strong>der</strong> hintere Engel seinem Kameraden zu; die fein erfassten<br />

Gesichter <strong>der</strong> beiden scheinen trotz des Ernstes, <strong>der</strong> dem erhabenen Vorgang<br />

gebührt, auch Neugier auszudrücken. Ebenso lugen rechts zwei weitere Engel hinter<br />

dem Vorhang des Baldachins hervor, um die Szene zu beobachten.<br />

Seinen beson<strong>der</strong>en Reiz erhält das Täfelchen durch die zarte Ausführung, die<br />

sich insbeson<strong>der</strong>e in Details wie den vielfarbigen Flügeln <strong>der</strong> Engel o<strong>der</strong> den elegant<br />

ondulierenden goldenen Gewandsäumen präzise artikuliert. Hinzu kommt die schöne,<br />

mittels durchscheinen<strong>der</strong> Lasuren erzielte Farbigkeit, die dem dominierenden<br />

Dreiklang von Rot, Blau und Weiß als Sekundärtöne Gelb, Grün, Violett und Orange<br />

zugesellt. Sowohl die Palette als auch die minutiöse <strong>Malerei</strong> lassen sich ähnlich in<br />

<strong>der</strong> Pariser Buchmalerei des frühen 15. Jahrhun<strong>der</strong>ts wie<strong>der</strong>finden, etwa in den Miniaturen<br />

des sogenannten Boucicaut-Meisters und seines Umkreises. Dort begegnen<br />

uns ebenso die Motive des Thronbaldachins und <strong>der</strong> die Schleppe tragenden Engel.<br />

Die Komposition war zu Beginn des 15. Jahrhun<strong>der</strong>ts allerdings eine Neuheit nördlich<br />

<strong>der</strong> Alpen, wo die Marienkrönung bis dato stets mit nebeneinan<strong>der</strong> thronenden<br />

Gestalten dargestellt worden war. Dieser neue Typus stammte aus dem italienischen<br />

Trecento und wurde ab etwa 1400 in französischen Skulpturen und Buchmalereien<br />

aufgegriffen. Eine motivisch sehr ähnliche Darstellung findet sich in einer Pariser<br />

Legenda aurea von etwa 1403, doch dürften die Schöpfer <strong>der</strong> beiden Werke nicht<br />

identisch sein. Unter den sehr wenigen französischen Tafelbil<strong>der</strong>n, die sich aus jener<br />

Zeit erhalten haben, gibt es kein zweites Werk, das von dem Maler des vorliegenden<br />

Tondos stammt, und auch unter den in großer Zahl erhaltenen Buchmalereien <strong>der</strong><br />

Epoche scheint sich seine Hand nicht noch einmal finden zu lassen.<br />

Wir wissen nichts über die Entstehungsumstände des Täfelchens. Vermutlich aber<br />

wurde es für einen hochgestellten Auftraggeber, <strong>der</strong> wohl zumindest im Umfeld des<br />

Pariser Hofs lebte, als privates Andachtsbild geschaffen. Er mag ursprünglich mit<br />

einer zweiten runden Tafel zu einem Kapselbild gehört haben, dessen beide Hälften<br />

sich wie eine Dose zusammenstecken ließen. Auf <strong>der</strong> Rückseite des Tondos haben<br />

sich Reste einer Grundierung erhalten, auf <strong>der</strong> einst das Wappen des Auftraggebers<br />

gemalt gewesen sein könnte. Als eines <strong>der</strong> schönsten Tafelbil<strong>der</strong> seiner Zeit vertritt<br />

das kleine Werk in <strong>der</strong> <strong>Gemäldegalerie</strong> glanzvoll eine <strong>der</strong> herausragenden Epochen<br />

<strong>der</strong> französischen Kunstgeschichte.<br />

SK

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