wellhotel Ausgabe 4-2018
Das Fachmagazin für Hotellerie & Gastronomie, Tourismus & Freizeit, Wellness & Beauty
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Hotellerie | Gastronomie | Tourismus [ Branchennews ]<br />
eine Busladung Touristen belästigt fühlen,<br />
wird bei anderen die Schmerzgrenze erst<br />
bei einigen Tausenden erreicht (und bei<br />
denen, die daran verdienen, Gastronomen<br />
etwa, nicht einmal dann).<br />
Es sind immer individuelle subjektive<br />
Schmerzgrenzen. Sie sind zum Beispiel<br />
niedrig bei den Besuchern von Freizeitparks<br />
und hoch, wenn die Betroffenen bislang<br />
beschaulich lebende Älpler sind.<br />
Das alles ist überhaupt nichts Neues.<br />
Die Ökologie / Umweltpsychologie kennt<br />
das Phänomen des „Crowding“ schon<br />
seit den 1960er Jahren. Und auf der anderen<br />
Seite gab es in den Medien, aber auch<br />
im Fachtourismus seit jeher Klagen über<br />
überlaufene Städte und Inseln, überbelegte<br />
Strände, lange Warteschlangen vor Sehenswürdigkeiten<br />
usw.<br />
Handelt es sich demnach bei dem aktuell<br />
diskutierten Phänomen der touristischen<br />
Überbelastung also nur um eine<br />
Neuauflage der bekannten Kritik am Massentourismus<br />
ab dem Ende der 1960er Jahre?<br />
Oder ist es auch eine neuartige Problematik?<br />
Für Letzteres sprechen einige gute<br />
Gründe. Denn:<br />
| Die Gründe für die Überbelastung |<br />
Manche Auswüchse des aktuellen Tourismus<br />
haben mittlerweile extreme Dimensionen<br />
angenommen. Das lässt sich zum<br />
Beispiel am Verhältnis der Touristen zu<br />
den Einheimischen (etwa Venedig, Dubrovnik,<br />
Barcelona, Amsterdam, aber auch<br />
auf Island oder im Zillertal und in Hallstadt),<br />
an den von den Touristen und / oder<br />
ihren Fortbewegungsmitteln verursachten<br />
Müllmengen bzw. Schadstoffen oder an<br />
der Zunahme von Protesten Einheimischer<br />
gegen die Touristenflut erkennen.<br />
Zu wenig wird aber nach den wirklichen<br />
Gründen für die so wahrgenommene<br />
Überbelastung gefragt. Neu ist erstens<br />
eine nahezu universelle und anhaltende<br />
Zunahme der Reisehäufigkeit, hervorgerufen<br />
durch eine enorm reisefreudige<br />
wachsende Mittel- und Oberschicht in den<br />
prosperierenden neuen Industrieländern<br />
(China, Korea, Indien, Brasilien u. a.).<br />
Dahinter steht nicht nur die enorme<br />
Verbilligung und Erleichterung des Reisens,<br />
sondern besonders, dass das Reisen<br />
für immer mehr Menschen zum gesellschaftlichen<br />
Wert per se geworden ist – das<br />
Verlassen des eigenen Hauses, das Aufbrechen,<br />
ja die Flucht vor tatsächlichen oder<br />
angeblichen Zwängen ist Hauptmotiv.<br />
Hinzu kommen neue touristische Entwicklungen<br />
in einigen Segmenten, so das<br />
überproportionale Wachstum des Kreuzfahrttourismus,<br />
den man aber nicht als<br />
neue Mode begreifen darf, sondern der<br />
die quasi natürliche Antwort auf die Eskapismus-(Flucht-)Motive<br />
und besonders<br />
die latente Angst um die eigene Sicherheit<br />
ist. Jedenfalls hat der Cruisetourismus zu<br />
einem ständig steigenden Umschlag von<br />
Menschen in den am meisten frequentierten<br />
Hafenstädten geführt, und deren<br />
Zahl ist natürlich aus topografischen /<br />
geografischen Gründen begrenzt. Immer<br />
mehr Menschen unternehmen eine Kreuzfahrt<br />
und betrachten es als ihr natürliches<br />
Recht, an den ausgesuchten Häfen<br />
auszusteigen und die betreffenden Städte<br />
„heimzusuchen“ (von einem „Besuch“ im<br />
traditionellen Sinn – mit entsprechenden,<br />
den Einheimischen zukommenden Konsumausgaben<br />
– kann bei vier oder sechs<br />
Stunden Aufenthalt natürlich keine Rede<br />
sein). Besonders betroffen von knausrigen<br />
Kurzzeit-Kreuzfahrttouristen sind<br />
bekanntlich Venedig, Dubrovnik, Santorin<br />
sowie einige Ziele in der Karibik.<br />
| Die Folgen von Airbnb | Drittens gibt<br />
es die echte Neuigkeit des kommerziellen<br />
Vermietens privaten Wohnraumes, Stichwort<br />
Airbnb (das inzwischen einen Börsenkapitalwert<br />
von einigen Milliarden Dollar<br />
aufweist). In vielen Ländern kann dieser<br />
Trend gar nicht mehr zurückgedrängt<br />
oder eingedämmt werden. Hier sieht man<br />
die „neue Qualität“ des aktuellen Overtourismus.<br />
Die Kritik an dieser Entwicklung<br />
bezieht sich auf einen anderen Aspekt als<br />
den der rein quantitativen „Vermassung“,<br />
nämlich auf die sozialökologischen und sozialökonomischen<br />
Auswirkungen (Folgen)<br />
von Urlaubs- und Beherbergungsformen.<br />
Ihr Erfolg gründet sich auf der Tatsache,<br />
dass mehrere Motive der Kunden<br />
zusammenkommen: billig, authentisch,<br />
sozial – einmal die in Aussicht gestellte<br />
Verwirklichung des Wunsches vieler Touristen<br />
nach möglichst individueller Erlebnis-<br />
und Genussoptimierung zu möglichst<br />
günstigen Preisen. Zweitens der Wunsch<br />
nach „authentischen“ Begegnungen mit<br />
den einheimischen Wohnungsinhabern /<br />
-vermietern. Drittens die sozialromantische<br />
Motivation des „Teilens“ nicht genutzter<br />
Kapazitäten.<br />
Die Realität ist bekanntlich mittlerweile<br />
eine andere. Durch eine wachsende<br />
Anzahl privater Vermietungen vor allem<br />
seitens darauf spezialisierter Firmen<br />
wird Wohnraum individualisiert, kommerzialisiert<br />
und kapitalisiert, werden ganze<br />
Stadtteile gentrifiziert. Dieser Wohnraum<br />
geht der ansässigen Bevölkerung verloren.<br />
So werden den Wienern allein durch<br />
die Airbnb-Vermietungen schätzungsweise<br />
2000 Wohnungen entzogen und in Florenz<br />
sind fast 20 Prozent der Wohnungen<br />
im historischen Zentrum an Touristen vermietet.<br />
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