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Online-Ausgabe 4, ET 18.04.2020

Krise, Krieg, Katastrophe: Die Begriffe, die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gerne verwendet werden, offenbaren schon die Unsicherheit. Da ist eine Unschärfe, die davon abhalten soll, das wahre Ausmaß der Katastrophe ins Auge zu fassen. Von Michael Zäh

Krise, Krieg, Katastrophe: Die Begriffe, die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gerne verwendet werden, offenbaren schon die Unsicherheit. Da ist eine Unschärfe, die davon abhalten soll, das wahre Ausmaß der Katastrophe ins Auge zu fassen. Von Michael Zäh

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Corona-Tagebuch | 11. April 2020

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Mal Zeit

für ein Lob!

Die Politik und vor allem die solidarische sowie disziplinierte Gesellschaft in Deutschland

haben im internationalen Vergleich ziemlich gute Werte erreicht, vor allem was

die Anzahl der Verstorbenen aufgrund des Corona-Virus angeht. Von Michael Zäh

Es ist mal Zeit für ein Lob. Jetzt natürlich die Frage:

für wen und wofür? Sagen wir es umgekehrt: Nicht

für Sebastian Kurz, den österreichischen Präsident,

der sich permanent selber lobt, als sei er der Oberschlaui

auf der Welt. Nein, kein Lob dafür, auch wenn

Bayerns Markus Söder sich ständig auf Kurz bezieht

(die Österreicher seien halt drei Wochen vor den Bayern),

quasi Kniefall, weil über kurz oder lang in Bayern

genau das gemacht würde, was zuvor im Versuchslabor

nebenan erfolgreich probiert wurde. Doch die Bayern

sind es nicht gewohnt, drei Wochen hinter dem Kurz

und seinem Team Österreich hinterher zu hinken. Diesbezüglich

bräuchte der Söder ja nur den Hoeneß fragen.

Doch zurück zum Lob, für das auch mal Zeit sein

muss. Der Kurz kriegt also keines und der Söder eher

auch nicht. Der prescht ja schon wieder vor, von wegen

der Mundschutzpflicht, die er kommen sieht (siehe Seite

6) und überhaupt, harter Hund und großer Macher, das

gibt von uns Punktabzüge, keine Frage.

Kanzlerin Merkel hat derweil eine ihrer Eigenschaften

wieder neu entdeckt: das Pastorale in ihrer

Ansprache. Ein Minuspünktchen in der Wertung, aber

laut den üblichen Umfragen sind die Deutschen mit ihrer

Dauer-Merkel schwer einverstanden. Einmal Raute,

zweimal Raute in schwerer Zeit, und das ist besser als

nix. Ja, gut ist es.

Heute gibt es mal ein Lob. Allein schon für die faktischen

Erfolge, die im internationalen Vergleich da sind.

Zum Beispiel dass es in Deutschland und Frankreich

jeweils ähnlich hohe Infektionszahlen gab, aber die Zahl

der am Corona-Virus Verstorbenen in Deutschland bei

2.276 Menschen lag, in Frankreich jedoch bei 12.228

Menschen (Stand 9.April). Das ist ein gewaltiger Unterschied,

der natürlich eine Vielzahl von Ursachen haben

kann. Offensichtlich ist, dass die Sterberate in Deutschland

eklatant niederiger ist als in den meisten anderen

Ländern mit einer ähnlichen Anzahl von Infektionen.

Dafür jetzt mal ein Lob! Dies geht zuallererst an die

deutsche Gesellschaft und jeden einzelnen Menschen

darin, der sich trotz massiver Einschränkungen hinter

die Maßnahmen zur Bekämpfung der weiteren

Ausbreitung des Virus gestellt hat. Ja, da könnte

man von Vernunft und Disziplin sprechen, die

offensichtlich von weiten Teilen der deutschen

Bevölkerung ausgeübt werden. Zweitens geht das

Lob an das gute Gesundheitssystem hierzulande,

die Ärzte und Kliniken, die es geschafft haben,

dass bisher kein Notstand an Intensivbetten

und Behandlungen aufgetreten ist.

Es ist nur ein Zwischenwert und die Aussagekraft

der Zahlen kann sich außerdem

noch verschieben. Aber gerade im Vergleich

mit dem Nachbarn aus Frankreich wird

auch das Verdienst der Politik von Bund

und Ländern deutlich (wenn denn nur der

Söder sich zurückhalten kann): Die sogenannten

Kontaktverbote in Deutschland

(nur zu Zweit sein, aber das auch jederzeit im Freien)

sind ja deutlich maßvoller als die Ausgangssperren in

Frankreich (siehe Seite 2).

Also ein dickes Lob dafür, dass die Politik in

Deutschland hier viel mehr Maß gehalten hat, um damit

gleichzeit größere faktische Erfolge zu erzielen. Denn

die Folgen jedes politischen Handelns kommen ja erst

noch. Je restriktiver ein Staat seine Bürger behandelt

hat, desto eher sind später soziale Unruhen zu erwarten.

Einen Kessel in der Krise unter Druck zu setzen, kann

zur Explosion führen.

Das haben Merkel, Kretschmann und Co. bisher

vermieden so gut es ging. Dafür heute: ein Lob!

Trotz dem Aussetzen so ziemlich aller bürgerlichen

Freiheiten neigen die deutschen Bürger noch dazu,

der Kanzlerin zu glauben, wenn sie sagt, dass auch

sie die Rückkehr zu einer Normalität anstrebe, da sie

ja selbst ein freiheitsliebender Mensch sei. „Wir

dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen. Wir

dürfen jetzt nicht leichtsinnig sein. Wir

können sehr schnell wieder zerstören, was

wir erreicht haben“, so Merkel vor Ostern.

Es ist ein Appell, und das ist immerhin

besser als großkotzige Befehle.

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