Samstag, 18. April 20206GESELLSCHAFTDEUTSCHLANDCorona-TagebuchSamstag, 18.Ausgabe 287 am 4.Samstag, 18. April 2020Da ist der Menschwie der HundVerbote. Wenn es verboten ist, in München auf einer Parkbank ein Buch zu lesen, dann fragtsich der Mensch schon, was hier der Hintergedanke ist. Der Weiße Schäferhund oder der TibetTerrier befolgen Befehle auch nur, wenn sie deren Sinn einsehen. Von Michael ZähWenn Sie einen Hund suchen,der ohne zu zucken auf IhreBefehle hört, dann ist derWeiße Schäferhund nicht der richtigefür sie. Denn er befolgt einen Befehlnur, wenn er auch den Sinn des Befehlseinsieht. So steht es geschrieben ineinem einschlägigen Ratgeber.Nun ist der Mensch natürlichnicht in jeder Hinsicht wie der Hund.Es könnte aber sein, dass auch derMensch sich eher jenen Befehlenbeugt, deren Sinn er einsehen kann.Und umgekehrt: Je strikter der Menschdie Befehle befolgen soll, die derzeitüberall in der Welt sind, desto eherneigt er zum Ausbrechen. Und wennder Weiße Schäferhund nicht will,dann will er nicht. Da kann Herrchenzehnmal „du sturer Hund“ rufen. Nutztdann gar nix.Doch heute ist ja auch ein Menschnicht nur „der Mensch“, sondern er istwomöglich ein Franzose anstatt einDeutscher, ein Amerikaner gar, oderals Deutscher vielleicht ein Bayer.Die Unterschiede sind derzeit riesig,jetzt mal rein vom erzieherischenAnsatz her gesehen. Es ist insgesamtzu loben (siehe Titel), dass in Deutschlandmit den deutlich sinnvollerenKontakverboten anstatt den schwernachvollziehbaren Ausgangssperrenwie etwa in Frankreich und anderswooperiert wird.Wer dort nur eine Stunde amTag aus der Wohnung darf und diesdann auch nur im Umkreis von einemKilometer um den Wohnsitz, selbstwenn er völlig allein spaziert und denMindestabstand von zwei Metern zuanderen Personen einhält, dem kannals Mensch und Franzose schon dieSinnkrise kommen, weil hinter demstrikten Ausgehverbot einfach nurDrohung (und die Vollstreckung derStrafe) steckt und keine nachvollziehbareErklärung.Hinzu kann dann noch kommen,je nach Lebenssituation, dass die soauferlegten Verbote aller Wahrscheinlichkeitnach mehr Schaden anrichtenals Gutes zu bewirken. Etwa wenn derMensch in einem Hochhaus in einemVorort von Paris lebt, und dort auf45 Quadratmetern mit weiteren achtLeuten in einem Haushalt. Jetzt, selbstwenn er da nicht wahnsinnig wird,weil er nur eine Stunde am Tag rausdarf, ist es doch so, dass es für allebesser wäre, wenn er fünf Stunden ander frischen Luft spaziert wäre.Auch in Deutschland gibt es einigeBeispiele, bei denen sich die Sinnfragestellt. „Nein, ein Buch auf einer Banklesen ist nicht erlaubt“, lautet etwaein Tweet der Müncher Polizei. Es gabentsprechend auch Fernsehbilder vonPark- bzw. Uferbänken am Bodensee,die allesamt mit rotweißem Plastikbandumwickelt sind, damit sich dabloß keiner drauf setzt.Jetzt warum? Angenommen manwürde sagen, dass halt derzeit immernur eine Person auf eine Bank sitzendarf, möglicherweise mit dem Appellverbunden, dass der lesend Sitzendeauch an jene denken soll, denen ernicht zu lange den Platz wegnehmensoll, sprich: Kurzgedicht und dann imGehen weiter denken. Dann wäre dochim Sinne der Gesundheit aller logisch,dass dies kaum gefährlich wäre, aberförderlich für Geist und Seele.Wenn ein Buch auf einer Bank zulesen in München nicht erlaubt ist,dann kommt der Mensch ins Grübeln.Denn er fragt sich prompt nach demGrund dafür. Da ist der Mensch ganzähnlich wie der Tibet Terrier, der lautRatgeber „über ein großes Maß anUnabhängigkeit und Sebstsicherheitverfügt.“ Ergo: „Unterwürfigkeit odergar bedingungslose Unterwerfungkönnen wir beim Tibet Terrier alsoniemals erwarten.“Doch weil der Mensch sich etwasdenken kann, kann er sich schon auchdenken, dass hinter solchen Verbotenwie dem von der Müncher Parkbankein weiterer Gedanke der Behördensteckt. Nämlich derselbe, weshalb dasSonnenbaden (trotz allem Abstandzu anderen Leuten) in Parks und aufWiesen nicht erlaubt sein soll.Achtung, die Beörden denken sich:Wenn einer auf die Parkbank darf,dann wollen das alle anderen auch.Und dann ist jeder Abstand schnell dahinund womöglich finden dann sogarGespräche zwischen Leuten statt, diesich erzählen, was sie jeweils lesen.Auch das Sonnenbaden hat ja quasieinen Sogeffekt, weil die Sonne ist jafür alle da. Warum aber Leute nichtaus Berlin raus in ihre Zweitwohnungaufs Land dürfen, kann dann dochwieder keiner erklären.Solche Hintergedanken, die nichtwirklich mitgeteilt oder gar diskutiertwerden, haben einen groben Fehler.Und der besteht darin, dass sowiesoalle Maßnahmen zur Eindämmungdes Corona-Virus nur funktionierenkönnen, wenn halt möglichst vieleMenschen aus eigener Überzeugungauch mitmachen. Und dies scheint jain Deutschland auch recht gut zu klappen.Deshalb sollte es nicht von demGedanken der Unmündigkeit der Bürger(schwer erziehbare Kinder) untergrabenwerden, wo es doch gerade dieMündigkeit ist, die derzeit alles trägt.Deshalb nochmal zurück: Weshalb solles den Bürgern nicht zuzutrauen sein,sich an sonnigen Tagen an der frischenLuft, auf Parkbänken oder Wiesen soverantwortungsvoll zu verhalten wiesie es schon die ganze Zeit über tun?Ohne die Einsicht und Disziplin derGesellschaft geht eh gar nix. Da ist derMensch wie der Hund: „Naturgemäßverfügt der Tibet Terrier über einegewisse Zielstrebigkeit, wenn es ihmdarum geht, seinen Willen durchzusetzen.Anweisungen, die er nicht fürgeeignet hält, kann er auch einmalschlicht ignorieren.“
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