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Online-Ausgabe 4, ET 18.04.2020

Krise, Krieg, Katastrophe: Die Begriffe, die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gerne verwendet werden, offenbaren schon die Unsicherheit. Da ist eine Unschärfe, die davon abhalten soll, das wahre Ausmaß der Katastrophe ins Auge zu fassen. Von Michael Zäh

Krise, Krieg, Katastrophe: Die Begriffe, die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gerne verwendet werden, offenbaren schon die Unsicherheit. Da ist eine Unschärfe, die davon abhalten soll, das wahre Ausmaß der Katastrophe ins Auge zu fassen. Von Michael Zäh

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Samstag, 18. April 2020

8

GESELLSCHAFT

EXPERTISE

Corona-Tagebuch

Samstag, 18.

Ausgabe 287 am 4.

„Jeder einzelne

Samstag, 18. April 2020

Mensch erlebt dies

seelisch anders“

Interview. Die Psychologin Dr. Andrea Zäh trägt einen anderen Blick zur

aktuellen Pandemie bei. Was vorher schon war, wird durch die Corona-

Krise nicht verschwinden, sondern nur anders sein.

Interview von Michael Zäh

Dr. Andrea Zäh erklärt im Interview

mit ihrem Bruder, weshalb

es auch noch einen anderen

Blick auf das Geschehen rund um die

Ausbreitung des Corona-Virus geben

kann. Nämlich den der Einzigartigkeit

jedes einzelnen Menschen und den Umstand,

dass deshalb auch jeder einzelene

Mensch die momentane Corona-Krise

seelisch anders erlebt.

ZaS: Was versteht man unter Gesundheit

?

Andrea Zäh: In der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation

heißt es: „Gesundheit

ist ein Zustand des vollständigen

körperlichen, geistigen und sozialen

Wohlergehens und nicht nur das Fehlen

von Krankheit oder Gebrechen. »

ZaS: Was heißt dies bezüglich der psychischen

Gesundheit?

Andrea Zäh: Psychische Gesundheit ist

die Möglichkeit zum seelischem individuellem

Wohlbefinden. Ein Mensch,

der sich seiner selbst bewusst ist, der

einerseits genug widersprüchliche Fixierungen

in sich trägt, um so krank

zu sein wie viele Patienten, der andererseits

aber auf seinem Weg nicht

auf zu viele oder zu große interne und

externe Schwierigkeiten gestoßen ist,

hinsichtlich seiner erblichen und seiner

erworbenen affektiven Ausrüstung,

hinsichtlich seiner defensiven und anpassungsfähigen

persönlichen Fähigkeiten.

Denn dieselben ermöglichen

ihm seine Bedürfnisse und Triebe, seine

irrationalen und rationalen seelischen

Vorgänge weiterhin so zu steuern, in

Schach zu halten, damit er auf persönlicher

und sozialer Ebene, unter gebührender

Berücksichtigung der Realität,

flexibel bleibt.

ZaS: Was bedeutet dies in Bezug auf die

derzeitige Krisen-Situation wegen des

Corona-Virus, die ja nun tatsächlich

eine Realität ist, die es gebührend zu

berücksichtigen gilt? Es wurden inzwischen

mehr als 3,5 Milliarden Menschen

aufgefordert zu Hause zu bleiben, um

die Ausbreitung der Pandemie einzugrenzen

bzw. zu verzögern.

Andrea Zäh: Ja genau, diese Schutzmaßnahmen

betreffen unglaublich

viele Menschen auf der Welt, in ganz

verschiedenen Ländern, wo die medizinische

Versorgung mehr oder weniger

gelingt. Auch in Europa sind die

sozialen, materiellen und finanziellen

Unterschiede sehr groß, und damit auch

konkret die persönlichen Bedingungen

der Menschen, diese Kontaktsperre

positiv oder negativ zu erleben. Solange

man nicht ins Krankenhaus muss und

da man nicht mehr an seinen Arbeitsplatz

gehen kann, soll ja Jeder zu Hause

bleiben. Entscheidend ist hier aus meiner

Sicht: Jeder einzelne Mensch erlebt

dies seelisch anders!

ZaS: Worauf wollen Sie hinaus? Haben

Sie vielleicht ein paar Beispiele?

Andrea Zäh: Ich will betonen dass jeder

Mensch nicht nur unter ganz verschiedenen

sozialen, beruflichen, materiellen,

auch körperlichen Bedingungen

diese noch nie dagewesene Situation

mehr oder weniger bewältigt. Sondern

dass auch jeder Mensch psychisch

mehr oder weniger unter der Situation

leidet. Ein paar Fallbeispiele sollen das

verständlich machen. Also, es gibt Menschen

welche die derzeitige Ausgangssperre

eher nutzen, um weiterhin zu

schaffen: Worte finden, Gestalt geben,

kreativ sein in verschiedener Weise.

Ich denke an eine 60 jährige Künstlerin,

Madeleine (alle Namen wurden von der

Redaktion geändert, sind also fiktiv),

ZUR SACHE

Die Methode der Psychoanalyse

Die Methode der klinischen Psychologie ist die eingehende Untersuchung von

normalen oder pathologischen Einzelfällen auf der Grundlage von Beobachtungen

und Gesprächen, in denen persönliche lebensgeschichtliche, innere seelische

psychodynamische, sowie familiäre und soziale Elemente gesammelt werden.

Anders ausgedrückt: es geht um individuelles menschliches Verhalten und seine

Bedingungen, also um die Untersuchung einer einzigartigen Persönlichkeit in der

Gesamtheit ihrer momentanen Situation und ihrer Entwicklung.

Klinische Tiefenpsychologie wurde von Sigmund Freud als Psychoanalyse bezeichnet

in der man drei Ebenen unterscheidet: „Psychoanalyse ist der Name

1) eines Verfahrens zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum

zugänglich sind; 2) einer Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die sich

auf diese Untersuchung gründet; 3) einer Reihe von psychologischen, auf solchem

Wege gewonnen Einsichten, die allmählich zu einer neuen wissenschaftlichen

Disziplin zusammenwachsen.“ (S.Freud, Gesammelte Werke XIII, Seite 211)

Die psychoanalytische Methode besteht also in der Hervorhebung der unbewussten

Bedeutung von Gesagtem, Handlungen, Träumen, Fantasien oder

Wahnvorstellungen von jedem einzelnen Menschen. Die Methode beruht auf den

freien Assoziationen des sogenannten Patienten einerseits, und auf der Deutung

derselben vom Psychoanalytiker anderseits, welcher seine ganze gleichschwebende

Aufmerksamkeit diesem einen Patienten widmet.

Es handelt sich um eine individuelle Psychotherapie. Diese psychoanalytische Kur

besteht aus regelmäßigen Treffen, wobei der Patient folgende Grundregel einhalten

sollte: „Sagen Sie, was Ihnen spontan einfällt, auch wenn es ihnen unwichtig,

albern, peinlich, nicht dazugehörig oder unlogisch erscheint“. Es handelt sich also

nicht um ein rationales vernünftiges Gespräch!

Währenddessen kommt es zur einer sogenannten Übertragung , das heißt der

Patient überträgt seine unbewussten Wünsche bzw. Ängste auf den Analytiker,

und wiederholt dabei seine üblichen inneren seelischen Konflikte. Sie werden

somit aktualisiert, dann werden ihre unbewussten Bedeutungen freigelegt. Diese

Ursachenforschung ist gleichzeitig die Lösung der seelischen Konflikte wodurch

neurotische Symptome verschwinden, sich geradezu auflösen.

Andrea Zäh

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