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stadt/land/dach

Die Architektur (griech.: Baukunst) bezeichnet die Gesamtheit aller Bauwerke mit künstlerischer Gestaltung, die über die Erfordernisse ihres reinen Zweckes oder der Nützlichkeit hinausgehen. Doch wann wird aus dieser künstlerischen Gestaltung eine avantgardistische Architektur? Wenn wir von Avantgardismus sprechen, meinen wir jene Architektur, die richtungsweisend, zukunftsorientiert und fortschrittlich ist. Wir untersuchen ihre unterschiedlichen Maßstäbe und versuchen uns an einer Definition der alltäglichen Avantgarde. Wir werfen den Blick auf die Architektur der Superlative. Herzog de Meuron oder das international tätige, avantgardistische Architekturbüro Coop Himmelblau: Ist es der Umgang mit der Dachform, die schiere Größe ihrer Projekte oder die Wahl der Materialien, die uns fasziniert? Ist die Symbolik ihrer repräsentativen und richtungsweisenden Bauten auch auf den kleinen Maßstab übertragbar? Und was sagen die Nutzer*innen der Stadt zu den architektonischen Statements, die allerorts entstehen? Ein Statement auch zur aktuellen Situation: Die Welt wird zum Jahresende eine andere sein. Was wir heute als selbstverständlich hinnehmen, werden wir neu überdenken und unser Umfeld mit anderen Augen sehen. Wir, die Bewohner*innen, haben eine gesellschaftliche Verantwortung, das Bestmögliche zu tun, um Krisenzeiten zu überstehen und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Menschen verbünden sich, über die Distanz hinweg; Architektur verbindet, über Jahrhunderte hinweg. In Zeiten wie diesen wird sie neben der baukulturellen zunehmend auch zur sozialen Aufgabe, die sich nicht zuletzt Themen wie schwindenden Ressourcen, Klimaschutz, Demografie oder gar Epidemien stellen muss.

Die Architektur (griech.: Baukunst) bezeichnet die Gesamtheit aller
Bauwerke mit künstlerischer Gestaltung, die über die Erfordernisse
ihres reinen Zweckes oder der Nützlichkeit hinausgehen. Doch wann
wird aus dieser künstlerischen Gestaltung eine avantgardistische
Architektur?
Wenn wir von Avantgardismus sprechen, meinen wir jene Architektur, die
richtungsweisend, zukunftsorientiert und fortschrittlich ist. Wir untersuchen
ihre unterschiedlichen Maßstäbe und versuchen uns an einer Definition
der alltäglichen Avantgarde. Wir werfen den Blick auf die Architektur
der Superlative. Herzog de Meuron oder das international tätige, avantgardistische
Architekturbüro Coop Himmelblau: Ist es der Umgang mit der
Dachform, die schiere Größe ihrer Projekte oder die Wahl der Materialien,
die uns fasziniert? Ist die Symbolik ihrer repräsentativen und richtungsweisenden
Bauten auch auf den kleinen Maßstab übertragbar? Und was
sagen die Nutzer*innen der Stadt zu den architektonischen Statements,
die allerorts entstehen?
Ein Statement auch zur aktuellen Situation: Die Welt wird zum Jahresende
eine andere sein. Was wir heute als selbstverständlich hinnehmen, werden
wir neu überdenken und unser Umfeld mit anderen Augen sehen. Wir, die
Bewohner*innen, haben eine gesellschaftliche Verantwortung, das Bestmögliche
zu tun, um Krisenzeiten zu überstehen und gestärkt aus ihnen
hervorzugehen. Menschen verbünden sich, über die Distanz hinweg; Architektur
verbindet, über Jahrhunderte hinweg. In Zeiten wie diesen wird
sie neben der baukulturellen zunehmend auch zur sozialen Aufgabe, die
sich nicht zuletzt Themen wie schwindenden Ressourcen, Klimaschutz,
Demografie oder gar Epidemien stellen muss.

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<strong>stadt</strong> / <strong>land</strong> / <strong>dach</strong><br />

Magazin für Architektur und Raum.<br />

Heftthema Kommentar<br />

Dürfen Architekturstudierende<br />

eigentlich kein Steil<strong>dach</strong> entwerfen?<br />

Über die architektonische<br />

Herausforderung der „Alltags-Avantgarde“<br />

DACHKULT • 01/20 • AVANTGARDE


INHALT<br />

EDITORIAL<br />

Editorial<br />

/03<br />

Liebe Architekt*innen und Planer*innen,<br />

HERAUSGEBER<br />

Initiative Steil<strong>dach</strong> / Dachkult<br />

Tattenbachstraße 1<br />

86179 Augsburg<br />

Klaus H. Niemann (Sprecher)<br />

Mob.: 0175 / 59 11 518<br />

Mail: niemann@<strong>dach</strong>kult.de<br />

WEBSITE & SOCIAL MEDIA<br />

<strong>dach</strong>kult.de<br />

youtube.com/<strong>dach</strong>kult<br />

facebook.com/<strong>dach</strong>kult<br />

instagram.com/<strong>dach</strong>kult<br />

KONZEPT, DESIGN & REDAKTION<br />

Brandrevier GmbH, Essen<br />

Saskja Jagenteufel<br />

www.brandrevier.com<br />

DRUCK<br />

Woeste Druck + Verlag GmbH & Co. KG<br />

Druckauflage: 25.000<br />

BILDNACHWEIS<br />

1 • Oskar Dariz, Jens Rüßmann<br />

4/5 • Peter Pichler Architecture (Portrait);<br />

Oskar Dariz, Jens Rüßmann (1.v.l. / 2.v.l.);<br />

Rendering Peter Pichler Architecture (r)<br />

6/7 • steffne / photocase.de (1.v.l.); Heiner<br />

Leiska (2.v.l.); Foto Jung, Neustrelitz (r)<br />

8/9 • Markus Guhl (Portrait);<br />

Brigida González (alle weiteren)<br />

10 • studiomauer<br />

11 • Brigida González<br />

Steil<strong>dach</strong> / Peter Pichler und die Dolomiten<br />

Heftthema / Über die architektonische<br />

Herausforderung der „Alltags-Avantgarde“<br />

StadtPortrait / Das Steil<strong>dach</strong> ist wieder en vogue<br />

Kommentar / Dürfen Architekturstudierende<br />

eigentlich kein Steil<strong>dach</strong> entwerfen?<br />

Ausblick<br />

/04<br />

/06<br />

/08<br />

/10<br />

/11<br />

die Architektur (griech.: Baukunst) bezeichnet die Gesamtheit aller<br />

Bauwerke mit künstlerischer Gestaltung, die über die Erfordernisse<br />

ihres reinen Zweckes oder der Nützlichkeit hinausgehen. Doch wann<br />

wird aus dieser künstlerischen Gestaltung eine avantgardistische<br />

Architektur?<br />

Wenn wir von Avantgardismus sprechen, meinen wir jene Architektur, die<br />

richtungsweisend, zukunftsorientiert und fortschrittlich ist. Wir untersuchen<br />

ihre unterschiedlichen Maßstäbe und versuchen uns an einer Definition<br />

der alltäglichen Avantgarde. Wir werfen den Blick auf die Architektur<br />

der Superlative. Herzog de Meuron oder das international tätige, avantgardistische<br />

Architekturbüro Coop Himmelblau: Ist es der Umgang mit der<br />

Dachform, die schiere Größe ihrer Projekte oder die Wahl der Materialien,<br />

die uns fasziniert? Ist die Symbolik ihrer repräsentativen und richtungsweisenden<br />

Bauten auch auf den kleinen Maßstab übertragbar? Und was<br />

sagen die Nutzer*innen der Stadt zu den architektonischen Statements,<br />

die allerorts entstehen?<br />

Ein Statement auch zur aktuellen Situation: Die Welt wird zum Jahresende<br />

eine andere sein. Was wir heute als selbstverständlich hinnehmen, werden<br />

wir neu überdenken und unser Umfeld mit anderen Augen sehen. Wir, die<br />

Bewohner*innen, haben eine gesellschaftliche Verantwortung, das Bestmögliche<br />

zu tun, um Krisenzeiten zu überstehen und gestärkt aus ihnen<br />

hervorzugehen. Menschen verbünden sich, über die Distanz hinweg; Architektur<br />

verbindet, über Jahrhunderte hinweg. In Zeiten wie diesen wird<br />

sie neben der baukulturellen zunehmend auch zur sozialen Aufgabe, die<br />

sich nicht zuletzt Themen wie schwindenden Ressourcen, Klimaschutz,<br />

Demografie oder gar Epidemien stellen muss.<br />

Bleiben Sie gesund, und nehmen Sie sich Zeit für die schönen Dinge, wie<br />

die Achtsamkeit gegenüber der Architektur. /<br />

Klaus H. Niemann, Sprecher von Dachkult


STEILDACH • 04<br />

Peter Pichler und die Dolomiten<br />

Weite durch Enge erzeugen<br />

wohligen Atmosphäre. Die sichtbar<br />

Seine Architektur entspringt einer<br />

Nach nur neun Monaten Bauzeit<br />

belassene Dachkonstruktion aus<br />

avantgardistischen Herangehens-<br />

Die Dolomiten sind rund 250 Millionen Jahre alt, Peter Pichler<br />

wurde die Berghütte 2016 eröff-<br />

regionalen Hölzern, die Möbel aus<br />

weise, die kreativer und fantasie-<br />

gerade einmal 37. Und dennoch prägt er die alpine Landschaft und<br />

net und gilt seither als eines der<br />

Eiche und die passgenauen Polster<br />

voller nicht sein kann. Seit kurzem<br />

deren architektonisches Erscheinungsbild derzeit wie kein anderer.<br />

Highlights der Region. Das Innere<br />

aus felsgrauem Stoff sorgen dafür,<br />

arbeitet der Architekt, der durch<br />

Peter Pichler<br />

Mai<strong>land</strong>, Italien<br />

Urlauber verbinden den Gebirgszug der Alpen aus Sedimentgestein<br />

und Kalkstein zweifellos mit Erholung, Skifahren und hügeligen<br />

der auskragenden Verzweigung ist<br />

eine zeitgemäße Interpretation<br />

dass sich die Besucher wie in einer<br />

Zwischenwelt aus gemütlicher<br />

die Lehre Zaha Hadids ging und<br />

unter anderem Aufenthalte in LA,<br />

Ausblicken; Architekten seit Pichler wohl am ehesten mit eigenwilli-<br />

der regionaltypischen Almstuben.<br />

Stube und modernem Open-Spa-<br />

Rotterdam, London und Hamburg<br />

ger Architektur.<br />

Die gerippte Steil<strong>dach</strong>struktur<br />

ce-Wohnzimmer fühlen. Die licht-<br />

zur Inspiration nutzte, an einem<br />

endet in den drei „Pockets”, wie die<br />

durchflutete Bar mit einladender<br />

Konzept für nachhaltigen Lokal-<br />

Pichlers Architektur ist alles andere als alltäglich. Sie ist ihrer Zeit voraus,<br />

Architekten sie nennen, und bietet<br />

Theke sorgt für das leibliche Wohl,<br />

tourismus: Kleine Baumhäuser sol-<br />

inspiriert von regionaler Baugeschichte und Kultur und übersetzt in eine<br />

durch die spitzgiebelige Vollvergla-<br />

und die notwendigen Nebenräu-<br />

len in den waldreichen Bergen der<br />

schnörkellose Ästhetik heutiger Baukunst. Als Startpunkt zahlreicher<br />

sung einen spektakulären Blick in<br />

me wie Technik, WCs und Perso-<br />

Dolomiten entstehen und zugleich<br />

Wanderwege und inzwischen beliebter Ort der Einkehr entstand 2016<br />

die Natur. In Richtung der Stirn-<br />

nalbereich sind im sockelartigen<br />

luxuriös und spartanisch sein. Wie<br />

die Berghütte, die sich wie ein umgestürzter Baum mit drei dicken Ästen<br />

seiten verjüngen sich die Räume,<br />

Untergeschoss versteckt.<br />

kleine Zipfelmützen ragen auto-<br />

zwischen Bergstation und Skipiste an den Hang schmiegt. Der Architekt<br />

sodass sie während wie auch nach<br />

nome Wohnkapseln zwischen den<br />

aus Mai<strong>land</strong> gewann den 2015 ausgelobten Wettbewerb gemeinsam mit<br />

den Stoßzeiten genügend Intimi-<br />

Orte der Inspiration<br />

Bäumen hervor und verbinden sich<br />

dem Architekten Pavol Mikolajcak aus Bozen. Die Form des Baukörpers,<br />

tät schaffen und gerade durch die<br />

Pichler macht das, was viele andere<br />

mit der Natur. Was wie Zukunfts-<br />

gelegentlich auch die „drei Schaufenster” der Dolomiten genannt, erinnert<br />

Enge und die Fokussierung auf den<br />

Architekten vernachlässigen. Er<br />

musik klingt, ist bald Realität und<br />

an die Urform des Sattel<strong>dach</strong>s. Die vollverglasten Kopfbauten in 2.069<br />

Ausblick diese Weite erzeugen.<br />

studiert den Ort, inspiriert sich<br />

der Steil<strong>dach</strong>-Avantgardismus um<br />

Metern Höhe bieten gleich dreifachen Ausblick und scheinen vom Tal aus<br />

durch die Umgebung und ver-<br />

ein Paradebeispiel reicher. /<br />

betrachtet zu schweben. Sie ragen inmitten der Schnee<strong>land</strong>schaft wie ab-<br />

Materialität und Interieur<br />

folgt seine Ideen von der ersten<br />

geschnittene Äste empor und bieten Skifahrern und Snowboardern einen<br />

Der Innenraum ist geprägt von<br />

Skizze bis zur Umsetzung, um die<br />

Ort der Ruhe und der Einkehr.<br />

natürlichen Materialien und einer<br />

Menschen damit zu begeistern.<br />

Die Entwürfe Peter Pichlers sind geprägt vom Spiel mit der Umgebung, von Ein- und Ausblicken und einer spitzen Kontur.


Heftthema • 06<br />

Über die architektonische Herausforderung<br />

der „Alltags-Avantgarde“<br />

Reduzierte Interpretation<br />

Welche Rolle dabei nicht zuletzt<br />

auch die Dachform spielt, bestäti-<br />

mit dem Alltag des Bauens nichts<br />

gemein haben, ist es das architektonische<br />

Selbstbewusstsein, das<br />

Voß-Haus in Mecklenburg-Vorpommern,<br />

die zeigen, welche<br />

Bedeutung der Materialität, dem<br />

gen auch Architekturkritiker wie<br />

jeder Architekt mit seinem Projekt<br />

Bezug zur Umgebung oder auch<br />

Zwischen den medientauglichen Projekten großer Stararchitekten und herkömmlicher Alltagsarchi-<br />

Niklas Maak oder Gerhard Matzig<br />

ausdrücken kann. Es geht nicht<br />

der Formgebung eines Gebäudes<br />

tektur besteht meist eine große Diskrepanz. Während öffentliche Bauten wie die Elbphilharmonie, das<br />

in ihren Beiträgen über einfallslose<br />

darum, ein wellenförmiges Dach<br />

innewohnen. Von innen wie von<br />

Historische Museum in Frankfurt oder die neue Kirche in Poing mit ihren aufwendigen Dachkonst-<br />

Architektur, Klinkerklötze oder<br />

oder eine Fassade aus 1.096 einzel-<br />

außen drückt das „Waldhaus“ mit<br />

ruktionen Pracht, Prestige und Qualität ausstrahlen, scheinen in der Alltagsarchitektur Funktion und<br />

den Fluch der Schuhschachteln,<br />

nen Fensterelementen zu bauen,<br />

den schützenden Schrägen von<br />

Nutzwert statt Repräsentation im Vordergrund zu stehen.<br />

von denen eine flacher ist als die<br />

es geht auch nicht darum, sich auf<br />

n+1 Architekten Behaglichkeit,<br />

nächste.<br />

einem historischen Kaispeicher zu<br />

Geborgenheit und Wärme aus.<br />

Was nicht bedeuten soll, dass gute<br />

zogen, Investoren seien schuld,<br />

tragen werden und in Monotonie<br />

Kritiker gab es auch bei der<br />

platzieren. Vielmehr sind es die ar-<br />

Das Zuhause auf Zeit für Familien<br />

Architektur immer spektakulär sein<br />

die Bauträger interessierten sich<br />

und rein wirtschaftliche Interessen<br />

Elbphilharmonie: Das steinerne<br />

chitektonische Grundidee, die den<br />

schwer kranker Kinder ist alles<br />

muss und sich nicht in Zurückhal-<br />

nicht für ein attraktives Stadtbild,<br />

münden. Höhere Anforderungen<br />

Industriedenkmal mit aufgesetzter,<br />

Ort bereichert und zum Treffpunkt<br />

andere als seelenlos und einheit-<br />

tung üben darf. Im Gegenteil; eine<br />

und dann wären da auch noch die<br />

an den Wohnungsbau bei gleichen<br />

gläserner High-End-Avantgarde<br />

gesellschaftlichen Lebens macht,<br />

lich, sondern ein Rückzugsort, der<br />

maximale Dichte geltungsbedürfti-<br />

Gestaltungsbeiräte, die ihr Übriges<br />

Kosten dürfen nicht automatisch<br />

ist nach Jahren der Auseinander-<br />

der Umgang mit den Details oder<br />

lebendig ist und altern darf. Das<br />

ger und herausstechender Archi-<br />

dazutun.<br />

zu Abstrichen bei der Ästhetik, bei<br />

setzung zum neuen Wahrzeichen<br />

auch die Materialität, die ebenso<br />

Voß-Haus hingegen ist der Arche-<br />

tektur täte kaum einer Stadt gut.<br />

fantasievollen Grundrissen und<br />

Hamburgs geworden und symbo-<br />

auf den kleinen Maßstab übertra-<br />

typ Haus, nur modern interpretiert.<br />

Doch sollte sie keinesfalls banal<br />

Keine Architektur von der Stange<br />

aufwendigen Fassaden führen. Die<br />

lisiert die Verbindung zwischen<br />

gen werden können.<br />

Form und Materialität zeigen, wie<br />

oder beliebig sein. Allzu oft heißt<br />

In Anbetracht der Vielzahl an<br />

Akteure am Bau müssen sich ihrer<br />

Tradition und Moderne. Doch was<br />

selbstverständlich sich der Neubau<br />

es, Architekten verschandelten die<br />

Wohnungen, die aktuell benötigt<br />

baukulturellen Verantwortung<br />

kann die Alltagsarchitektur aus<br />

Individuell statt standardisiert<br />

einfügt und das Ensemble behut-<br />

Städte, sie seien entweder unkre-<br />

werden, darf dieser Interessen-<br />

bewusst werden. Die Wiederholung<br />

Projekten wie der Elphi lernen, und<br />

In ihrer baulichen und sozialen<br />

sam komplettiert. /<br />

ativ oder aber realitätsfremd. Zur<br />

konflikt allerdings nicht auf dem<br />

stets gleicher Formen ist unattrak-<br />

kann sie es überhaupt?<br />

Angemessenheit sind es Beispiele<br />

Rechtfertigung werden dann meist<br />

Rücken der architektonischen und<br />

tiv; wir streben nach mehr Vielfalt,<br />

Auch wenn sich die Baukosten in<br />

wie das Ronald-McDonald-Haus in<br />

wirtschaftliche Zwänge herange-<br />

städtebaulichen Qualität ausge-<br />

um uns wohlzufühlen.<br />

finanziellen Sphären bewegen, die<br />

Berlin oder das Johann-Heinrich-<br />

Medientaugliche Prestigeprojekte wie die Elbphilharmonie sind meist in aller Munde.<br />

Die Alltagsarchitektur kann sich einiges von der Stararchitektur abgucken und in den kleinen Maßstab übertragen.


StadtPORTRAIT • 08<br />

Steimle Architekten<br />

Stuttgart<br />

Das Steil<strong>dach</strong> ist wieder en vogue<br />

Thomas Steimle liebt die Vielfalt der Architektur, und diese Liebe<br />

sieht man seinen Bauten auch an. Die nötige Inspiration dafür holt<br />

er sich am Ort des Geschehens. Er und seine knapp 30 Mitarbeiter<br />

setzen sich auf der Suche nach dem tieferen Sinn intensiv mit den<br />

örtlichen Gegebenheiten, aber auch mit der Historie auseinander,<br />

um die Geschichten der Orte weiterzuerzählen.<br />

„Normalerweise polarisieren wir mit unserer Architektur. Die<br />

Bibliothek in Kressbronn polarisiert hingegen nicht. Ich kenne<br />

niemanden, der sich an ihr reibt. Es scheint, als sei sie durch<br />

die spürbar erhaltene Heimatliebe zu Everybody’s Darling<br />

geworden.“<br />

Thomas Steimle über das ehemalige Stadel in Kressbronn<br />

Wohnen wie in einem Findling: Für eine Familie realisierte das Architekturbüro eine Steil<strong>dach</strong>-Interpretation mit kupierten Ecken.<br />

Selten wird so wenig Kritik an einem Gebäude geübt wie an der Bibliothek in Kressbronn.<br />

Sparfüchse, Häuslebauer, Au-<br />

Projekten in die Reihe namhafter<br />

eine moderne Architektursprache<br />

auf geschlossene Wände fallen<br />

Alles, aber nicht schön<br />

erhalten. Der Baukörper ist eine<br />

to<strong>stadt</strong>: Stuttgart hat durchaus<br />

Baukünstler ein. Seit 1994 lebt<br />

zu übersetzen.<br />

sollte, sondern in den Freiraum.<br />

Die Leitidee für die neue Bibliothek<br />

Hommage an frühere Zeiten und<br />

mit zahlreichen Vorurteilen zu<br />

und baut der in Hol<strong>land</strong> geborene<br />

Die Ecken wurden schließlich<br />

im historischen Stadel der Gemein-<br />

lebt durch die Materialität. Raues<br />

kämpfen. Dass die sechstgrößte<br />

Architekt im Großraum Stuttgart,<br />

Ausblick dank kupierter Ecken<br />

kupiert und die Kubatur des Hau-<br />

de Kressbronn am Bodensee war<br />

Holz und wild gesetzte Steine<br />

Stadt Deutsch<strong>land</strong>s aber auch als<br />

aber auch deutsch<strong>land</strong>weit. Für ihn<br />

Wie ein Findling liegt das gleich-<br />

ses geschliffen. Die Innenräume<br />

schnell definiert: Der Bau sollte<br />

wurden durch grob geschalte<br />

Architekturlabor der Moderne und<br />

sei es ein weiter Weg gewesen, ehe<br />

namige Wohnhaus einer jungen<br />

werden über die Diagonalen hinaus<br />

genauso aussehen, wie er es früher<br />

Außenwände – im Inneren eine<br />

Quell avantgardistischer Baukunst<br />

er sich mit experimentelleren For-<br />

Familie im dörflich geprägten Um-<br />

in die Freiräume projiziert. Das<br />

einmal tat, ohne ihn zu rekonst-<br />

Nuance feiner – ins Hier und Jetzt<br />

wie der Weißenhofsiedlung oder<br />

men und auch der Steil<strong>dach</strong>-Land-<br />

<strong>land</strong> Stuttgarts. Der schwäbische<br />

Ergebnis ist ein unkonventionelles<br />

ruieren. Dazu wurde das Gebäude<br />

transformiert.<br />

des Firmenmuseums von Porsche<br />

schaft auseinandersetzen konnte,<br />

B-Plan aus den 60er Jahren, wie<br />

und gleichzeitig baurechtlich kor-<br />

sorgsam rückgebaut und kartiert,<br />

gilt, ist wohl eher nur in Fachkrei-<br />

sagt Steimle. Er selbst sei geprägt<br />

Steimle ihn nennt, sah ein Haus<br />

rektes Gebäude, dessen Raumqua-<br />

der massive Dämmbetonsockel auf<br />

Das heutige Gebäude ist schön,<br />

sen bekannt. Architekten wie Frei<br />

durch die Hochschullehre der<br />

mit klassischem Sattel<strong>dach</strong> und 35<br />

lität im Inneren spannungsvoll ist.<br />

dem Grundriss des Vorbilds neu<br />

aber aus einem anderen Schön-<br />

Otto, Werner Sobek oder auch UN<br />

90er Jahre, in der ein Sattel<strong>dach</strong><br />

Grad Neigung vor, das sich unauf-<br />

Der stark inszenierte Innenraum<br />

gegossen und das Tennengeschoss<br />

heitsverständnis heraus. Die<br />

Studio haben ihre Spuren hinter-<br />

an sich ein „No-go“ gewesen sei<br />

fällig in die Straßenbebauung ein-<br />

misst an der höchsten Stelle fast<br />

sowie das Dach wieder eins zu eins<br />

Regeln hierfür machten nicht die<br />

lassen und das architektonische<br />

und alles darangesetzt wurde, die<br />

fügt. Die Architekten entschieden<br />

6 Meter bei 2 Metern Breite und<br />

darüber errichtet. Der massive<br />

Architekten, sondern die jahr-<br />

Erbe geprägt.<br />

in Bebauungsplänen festgesetzte<br />

sich für eine andere Herangehens-<br />

mündet in behagliche Aufenthalts-<br />

Sockel wurde nach oben extrudiert,<br />

hundertealte Geschichte, die das<br />

geneigte Dachform durch kreative<br />

weise und entwickelten das Haus<br />

bereiche mit Höhen zwischen 2,70<br />

die Lamellen der Fassade für einen<br />

Gebäude zum Publikumsliebling<br />

Dächer neu belebt<br />

Interpretationen zu verhindern.<br />

von innen, also aus dem Wohnen<br />

und 3 Metern. Die steigenden und<br />

optimalen Lichteinfall variiert und<br />

werden ließ. /<br />

Ob durch Zufall oder Fügung glie-<br />

Heute sei er froh, sich von dieser<br />

heraus. Das wichtigste Element des<br />

fallenden Traufkanten im Oberge-<br />

das Dach mit seinem weit auskra-<br />

dert sich nun auch Thomas Steimle<br />

Maxime gelöst zu haben und Teile<br />

Entwurfs ist der Blick nach außen,<br />

schoss sorgen für eine expressive<br />

genden Überstand als Schutzsym-<br />

mit seinen verantwortungsvollen<br />

dieser geneigten Bautradition in<br />

der nicht in Nachbars Garten oder<br />

Dynamik.<br />

bol und raumbildendes Element


Kommentar • 10<br />

studiomauer<br />

Hannover<br />

Das Flach<strong>dach</strong> ist bei den meisten Studierenden<br />

das bevorzugte Mittel. Warum? Es<br />

zu entwerfen führt mehrheitlich zu weniger<br />

Fragen. Doch schon in unserer Generation<br />

hafteten dem Steil<strong>dach</strong> keine altbackenen<br />

Attribute mehr an. Diese Zeit scheint überwunden,<br />

und das ist auch gut so.<br />

Mittlerweile gilt: Wer sein Gebäude nicht<br />

aus dem Kontext heraus entwirft, muss hierfür<br />

gute Argumente vorbringen. Am Beispiel<br />

Lübeck lautet die selbstverständliche Entwurfsantwort<br />

auf das historische, gewachsene<br />

Bild des Stadtgefüges natürlich „steil“.<br />

Schließlich macht auch rechtlich gesehen<br />

spätestens die Gestaltungssatzung der Stadt<br />

den Umgang mit dem historischen Erbe klar.<br />

Hut ab also vor denjenigen Kommilitonen,<br />

deren Entwürfe für die Lübecker Innen<strong>stadt</strong><br />

nebst der giebelständigen Sattel<strong>dach</strong>häuser<br />

auch nach Abschluss aller Kolloquien bis<br />

zuletzt ein Flach<strong>dach</strong> zierte. Architektur<br />

braucht genau solche Kontroversen. Wie<br />

sonst soll der Genius Loci weiterentwickelt<br />

werden? Auch hier war unser Studium<br />

anstelle von Denkverboten geprägt durch<br />

einen offenen Umgang mit Architektur.<br />

Dennoch hat uns im Studium etwas gefehlt:<br />

die intensive und vor allem kreative Auseinandersetzung<br />

mit der baurechtlichen<br />

Realität. Formale Abstandsregelungen<br />

machen viele städtische Grundstücke und<br />

Dachaufstockungen unattraktiv für den<br />

klassischen Markt. Das Steil<strong>dach</strong> birgt auch<br />

hier das unterschätzte Potenzial, Regelungen<br />

spielerisch zu lösen. Man schaue nur auf<br />

Dürfen Architekturstudierende<br />

eigentlich kein Steil<strong>dach</strong> entwerfen?<br />

Ein Kommentar der fünf Köpfe (Heiko, Niklas, Nils, Jakob,<br />

Max) von studiomauer aus Hannover über ihre Entwurfsfreiheiten<br />

im Studium an der Leibniz Universität Hannover<br />

(Abschluss 2018).<br />

das Apartment House in Berlin von Barkow<br />

Leibinger: Die Form des Hauses wurde aus<br />

den Abstandsregeln des umgebenden Blocks<br />

heraus entwickelt und wäre ohne seine<br />

spezifische, geneigte Kubatur rechtlich nicht<br />

möglich gewesen.<br />

Um einen Professor für Baukonstruktion zu<br />

zitieren: Er sagte sinngemäß zu einem Masterabsolventen,<br />

er würde bei einem Holzbau<br />

aus konstruktiven Holzschutzgründen<br />

sowieso immer ein Steil<strong>dach</strong> mit Dachüberstand<br />

bevorzugen. Professoren verbieten<br />

also das Steil<strong>dach</strong>? Zu unserer Zeit weit<br />

gefehlt. In der Architektur gibt es selbstverständlich<br />

immer wieder starke Modeerscheinungen.<br />

Das betrifft von der P<strong>land</strong>arstellung<br />

bis zur Formensprache der Architektur über<br />

die Ausformulierung des Daches eigentlich<br />

alle Bereiche. So, wie wir unser Studium erlebt<br />

haben, folgt jede Architektengeneration<br />

und auch die jeweilige Professorenschaft ihren<br />

eigenen Trends, und auch das ist gut so.<br />

Unser Plädoyer gilt deshalb einer Offenheit<br />

auf allen Seiten, damit das architektonische<br />

Schaffen sich unabhängig von der Form so<br />

entfalten kann, wie es für die komplexen<br />

Raumzusammenhänge in Stadt, Architektur<br />

und Gesellschaft notwendig ist.<br />

Wir hoffen dennoch, dass künftig die Diskussion<br />

um Ausformulierung, Gestaltung<br />

und Nutzung von Dächern wieder etwas in<br />

Schwung kommt. Rein mit Bitumenbahnen<br />

versiegelte Dächer, die Hitze absorbieren<br />

und die Stadt aufheizen, können sicher<br />

nicht die Lösung sein. /<br />

Gastkommentare in <strong>stadt</strong>/<strong>land</strong>/<strong>dach</strong> geben stets die Meinung der jeweiligen Gastautoren wieder und nicht explizit die der Herausgeber.<br />

VERANSTALTUNGEN<br />

UND vorläufige TERMINE<br />

Architekten und Industrie im Dialog in Berlin<br />

am 22. Juni 2020<br />

Architekturbiennale in Venedig<br />

vom 28. bis 30. August 2020<br />

Rooftop Talk#9 in Leipzig<br />

am 31. August 2020<br />

Rooftop Talk#10 in Münster<br />

am 26. Oktober 2020<br />

(verlegt vom 30. März)<br />

Herausgeber<br />

<strong>dach</strong>kult.de<br />

Partner<br />

Benders<br />

Creaton<br />

Meyer-Holsen<br />

Nelskamp<br />

Dt. Rockwool<br />

Dörken<br />

Erlus<br />

Eternit<br />

Fleck<br />

Flender-Flux<br />

Gebr. Laumans<br />

Otto Lehmann<br />

Jacobi Walther<br />

Prefa<br />

Puren<br />

Rathscheck<br />

Rheinzink<br />

Isover<br />

AG Schiefer<br />

VM Building Solutions<br />

Wienerberger<br />

Zambellli<br />

Fördermitglied<br />

Bundesverband der<br />

Deutschen Ziegelindustrie<br />

Weitere Infos zu den Partnern<br />

unter <strong>dach</strong>kult.de/partner<br />

Die einläufige Treppe im Wohnhaus „Findling“<br />

von Steimle Architekten mündet im gefalteten<br />

Dachraum, der sich in die Höhe weitet.

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