stadt/land/dach
Die Architektur (griech.: Baukunst) bezeichnet die Gesamtheit aller Bauwerke mit künstlerischer Gestaltung, die über die Erfordernisse ihres reinen Zweckes oder der Nützlichkeit hinausgehen. Doch wann wird aus dieser künstlerischen Gestaltung eine avantgardistische Architektur? Wenn wir von Avantgardismus sprechen, meinen wir jene Architektur, die richtungsweisend, zukunftsorientiert und fortschrittlich ist. Wir untersuchen ihre unterschiedlichen Maßstäbe und versuchen uns an einer Definition der alltäglichen Avantgarde. Wir werfen den Blick auf die Architektur der Superlative. Herzog de Meuron oder das international tätige, avantgardistische Architekturbüro Coop Himmelblau: Ist es der Umgang mit der Dachform, die schiere Größe ihrer Projekte oder die Wahl der Materialien, die uns fasziniert? Ist die Symbolik ihrer repräsentativen und richtungsweisenden Bauten auch auf den kleinen Maßstab übertragbar? Und was sagen die Nutzer*innen der Stadt zu den architektonischen Statements, die allerorts entstehen? Ein Statement auch zur aktuellen Situation: Die Welt wird zum Jahresende eine andere sein. Was wir heute als selbstverständlich hinnehmen, werden wir neu überdenken und unser Umfeld mit anderen Augen sehen. Wir, die Bewohner*innen, haben eine gesellschaftliche Verantwortung, das Bestmögliche zu tun, um Krisenzeiten zu überstehen und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Menschen verbünden sich, über die Distanz hinweg; Architektur verbindet, über Jahrhunderte hinweg. In Zeiten wie diesen wird sie neben der baukulturellen zunehmend auch zur sozialen Aufgabe, die sich nicht zuletzt Themen wie schwindenden Ressourcen, Klimaschutz, Demografie oder gar Epidemien stellen muss.
Die Architektur (griech.: Baukunst) bezeichnet die Gesamtheit aller
Bauwerke mit künstlerischer Gestaltung, die über die Erfordernisse
ihres reinen Zweckes oder der Nützlichkeit hinausgehen. Doch wann
wird aus dieser künstlerischen Gestaltung eine avantgardistische
Architektur?
Wenn wir von Avantgardismus sprechen, meinen wir jene Architektur, die
richtungsweisend, zukunftsorientiert und fortschrittlich ist. Wir untersuchen
ihre unterschiedlichen Maßstäbe und versuchen uns an einer Definition
der alltäglichen Avantgarde. Wir werfen den Blick auf die Architektur
der Superlative. Herzog de Meuron oder das international tätige, avantgardistische
Architekturbüro Coop Himmelblau: Ist es der Umgang mit der
Dachform, die schiere Größe ihrer Projekte oder die Wahl der Materialien,
die uns fasziniert? Ist die Symbolik ihrer repräsentativen und richtungsweisenden
Bauten auch auf den kleinen Maßstab übertragbar? Und was
sagen die Nutzer*innen der Stadt zu den architektonischen Statements,
die allerorts entstehen?
Ein Statement auch zur aktuellen Situation: Die Welt wird zum Jahresende
eine andere sein. Was wir heute als selbstverständlich hinnehmen, werden
wir neu überdenken und unser Umfeld mit anderen Augen sehen. Wir, die
Bewohner*innen, haben eine gesellschaftliche Verantwortung, das Bestmögliche
zu tun, um Krisenzeiten zu überstehen und gestärkt aus ihnen
hervorzugehen. Menschen verbünden sich, über die Distanz hinweg; Architektur
verbindet, über Jahrhunderte hinweg. In Zeiten wie diesen wird
sie neben der baukulturellen zunehmend auch zur sozialen Aufgabe, die
sich nicht zuletzt Themen wie schwindenden Ressourcen, Klimaschutz,
Demografie oder gar Epidemien stellen muss.
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stadt / land / dach
Magazin für Architektur und Raum.
Heftthema Kommentar
Dürfen Architekturstudierende
eigentlich kein Steildach entwerfen?
Über die architektonische
Herausforderung der „Alltags-Avantgarde“
DACHKULT • 01/20 • AVANTGARDE
INHALT
EDITORIAL
Editorial
/03
Liebe Architekt*innen und Planer*innen,
HERAUSGEBER
Initiative Steildach / Dachkult
Tattenbachstraße 1
86179 Augsburg
Klaus H. Niemann (Sprecher)
Mob.: 0175 / 59 11 518
Mail: niemann@dachkult.de
WEBSITE & SOCIAL MEDIA
dachkult.de
youtube.com/dachkult
facebook.com/dachkult
instagram.com/dachkult
KONZEPT, DESIGN & REDAKTION
Brandrevier GmbH, Essen
Saskja Jagenteufel
www.brandrevier.com
DRUCK
Woeste Druck + Verlag GmbH & Co. KG
Druckauflage: 25.000
BILDNACHWEIS
1 • Oskar Dariz, Jens Rüßmann
4/5 • Peter Pichler Architecture (Portrait);
Oskar Dariz, Jens Rüßmann (1.v.l. / 2.v.l.);
Rendering Peter Pichler Architecture (r)
6/7 • steffne / photocase.de (1.v.l.); Heiner
Leiska (2.v.l.); Foto Jung, Neustrelitz (r)
8/9 • Markus Guhl (Portrait);
Brigida González (alle weiteren)
10 • studiomauer
11 • Brigida González
Steildach / Peter Pichler und die Dolomiten
Heftthema / Über die architektonische
Herausforderung der „Alltags-Avantgarde“
StadtPortrait / Das Steildach ist wieder en vogue
Kommentar / Dürfen Architekturstudierende
eigentlich kein Steildach entwerfen?
Ausblick
/04
/06
/08
/10
/11
die Architektur (griech.: Baukunst) bezeichnet die Gesamtheit aller
Bauwerke mit künstlerischer Gestaltung, die über die Erfordernisse
ihres reinen Zweckes oder der Nützlichkeit hinausgehen. Doch wann
wird aus dieser künstlerischen Gestaltung eine avantgardistische
Architektur?
Wenn wir von Avantgardismus sprechen, meinen wir jene Architektur, die
richtungsweisend, zukunftsorientiert und fortschrittlich ist. Wir untersuchen
ihre unterschiedlichen Maßstäbe und versuchen uns an einer Definition
der alltäglichen Avantgarde. Wir werfen den Blick auf die Architektur
der Superlative. Herzog de Meuron oder das international tätige, avantgardistische
Architekturbüro Coop Himmelblau: Ist es der Umgang mit der
Dachform, die schiere Größe ihrer Projekte oder die Wahl der Materialien,
die uns fasziniert? Ist die Symbolik ihrer repräsentativen und richtungsweisenden
Bauten auch auf den kleinen Maßstab übertragbar? Und was
sagen die Nutzer*innen der Stadt zu den architektonischen Statements,
die allerorts entstehen?
Ein Statement auch zur aktuellen Situation: Die Welt wird zum Jahresende
eine andere sein. Was wir heute als selbstverständlich hinnehmen, werden
wir neu überdenken und unser Umfeld mit anderen Augen sehen. Wir, die
Bewohner*innen, haben eine gesellschaftliche Verantwortung, das Bestmögliche
zu tun, um Krisenzeiten zu überstehen und gestärkt aus ihnen
hervorzugehen. Menschen verbünden sich, über die Distanz hinweg; Architektur
verbindet, über Jahrhunderte hinweg. In Zeiten wie diesen wird
sie neben der baukulturellen zunehmend auch zur sozialen Aufgabe, die
sich nicht zuletzt Themen wie schwindenden Ressourcen, Klimaschutz,
Demografie oder gar Epidemien stellen muss.
Bleiben Sie gesund, und nehmen Sie sich Zeit für die schönen Dinge, wie
die Achtsamkeit gegenüber der Architektur. /
Klaus H. Niemann, Sprecher von Dachkult
STEILDACH • 04
Peter Pichler und die Dolomiten
Weite durch Enge erzeugen
wohligen Atmosphäre. Die sichtbar
Seine Architektur entspringt einer
Nach nur neun Monaten Bauzeit
belassene Dachkonstruktion aus
avantgardistischen Herangehens-
Die Dolomiten sind rund 250 Millionen Jahre alt, Peter Pichler
wurde die Berghütte 2016 eröff-
regionalen Hölzern, die Möbel aus
weise, die kreativer und fantasie-
gerade einmal 37. Und dennoch prägt er die alpine Landschaft und
net und gilt seither als eines der
Eiche und die passgenauen Polster
voller nicht sein kann. Seit kurzem
deren architektonisches Erscheinungsbild derzeit wie kein anderer.
Highlights der Region. Das Innere
aus felsgrauem Stoff sorgen dafür,
arbeitet der Architekt, der durch
Peter Pichler
Mailand, Italien
Urlauber verbinden den Gebirgszug der Alpen aus Sedimentgestein
und Kalkstein zweifellos mit Erholung, Skifahren und hügeligen
der auskragenden Verzweigung ist
eine zeitgemäße Interpretation
dass sich die Besucher wie in einer
Zwischenwelt aus gemütlicher
die Lehre Zaha Hadids ging und
unter anderem Aufenthalte in LA,
Ausblicken; Architekten seit Pichler wohl am ehesten mit eigenwilli-
der regionaltypischen Almstuben.
Stube und modernem Open-Spa-
Rotterdam, London und Hamburg
ger Architektur.
Die gerippte Steildachstruktur
ce-Wohnzimmer fühlen. Die licht-
zur Inspiration nutzte, an einem
endet in den drei „Pockets”, wie die
durchflutete Bar mit einladender
Konzept für nachhaltigen Lokal-
Pichlers Architektur ist alles andere als alltäglich. Sie ist ihrer Zeit voraus,
Architekten sie nennen, und bietet
Theke sorgt für das leibliche Wohl,
tourismus: Kleine Baumhäuser sol-
inspiriert von regionaler Baugeschichte und Kultur und übersetzt in eine
durch die spitzgiebelige Vollvergla-
und die notwendigen Nebenräu-
len in den waldreichen Bergen der
schnörkellose Ästhetik heutiger Baukunst. Als Startpunkt zahlreicher
sung einen spektakulären Blick in
me wie Technik, WCs und Perso-
Dolomiten entstehen und zugleich
Wanderwege und inzwischen beliebter Ort der Einkehr entstand 2016
die Natur. In Richtung der Stirn-
nalbereich sind im sockelartigen
luxuriös und spartanisch sein. Wie
die Berghütte, die sich wie ein umgestürzter Baum mit drei dicken Ästen
seiten verjüngen sich die Räume,
Untergeschoss versteckt.
kleine Zipfelmützen ragen auto-
zwischen Bergstation und Skipiste an den Hang schmiegt. Der Architekt
sodass sie während wie auch nach
nome Wohnkapseln zwischen den
aus Mailand gewann den 2015 ausgelobten Wettbewerb gemeinsam mit
den Stoßzeiten genügend Intimi-
Orte der Inspiration
Bäumen hervor und verbinden sich
dem Architekten Pavol Mikolajcak aus Bozen. Die Form des Baukörpers,
tät schaffen und gerade durch die
Pichler macht das, was viele andere
mit der Natur. Was wie Zukunfts-
gelegentlich auch die „drei Schaufenster” der Dolomiten genannt, erinnert
Enge und die Fokussierung auf den
Architekten vernachlässigen. Er
musik klingt, ist bald Realität und
an die Urform des Satteldachs. Die vollverglasten Kopfbauten in 2.069
Ausblick diese Weite erzeugen.
studiert den Ort, inspiriert sich
der Steildach-Avantgardismus um
Metern Höhe bieten gleich dreifachen Ausblick und scheinen vom Tal aus
durch die Umgebung und ver-
ein Paradebeispiel reicher. /
betrachtet zu schweben. Sie ragen inmitten der Schneelandschaft wie ab-
Materialität und Interieur
folgt seine Ideen von der ersten
geschnittene Äste empor und bieten Skifahrern und Snowboardern einen
Der Innenraum ist geprägt von
Skizze bis zur Umsetzung, um die
Ort der Ruhe und der Einkehr.
natürlichen Materialien und einer
Menschen damit zu begeistern.
Die Entwürfe Peter Pichlers sind geprägt vom Spiel mit der Umgebung, von Ein- und Ausblicken und einer spitzen Kontur.
Heftthema • 06
Über die architektonische Herausforderung
der „Alltags-Avantgarde“
Reduzierte Interpretation
Welche Rolle dabei nicht zuletzt
auch die Dachform spielt, bestäti-
mit dem Alltag des Bauens nichts
gemein haben, ist es das architektonische
Selbstbewusstsein, das
Voß-Haus in Mecklenburg-Vorpommern,
die zeigen, welche
Bedeutung der Materialität, dem
gen auch Architekturkritiker wie
jeder Architekt mit seinem Projekt
Bezug zur Umgebung oder auch
Zwischen den medientauglichen Projekten großer Stararchitekten und herkömmlicher Alltagsarchi-
Niklas Maak oder Gerhard Matzig
ausdrücken kann. Es geht nicht
der Formgebung eines Gebäudes
tektur besteht meist eine große Diskrepanz. Während öffentliche Bauten wie die Elbphilharmonie, das
in ihren Beiträgen über einfallslose
darum, ein wellenförmiges Dach
innewohnen. Von innen wie von
Historische Museum in Frankfurt oder die neue Kirche in Poing mit ihren aufwendigen Dachkonst-
Architektur, Klinkerklötze oder
oder eine Fassade aus 1.096 einzel-
außen drückt das „Waldhaus“ mit
ruktionen Pracht, Prestige und Qualität ausstrahlen, scheinen in der Alltagsarchitektur Funktion und
den Fluch der Schuhschachteln,
nen Fensterelementen zu bauen,
den schützenden Schrägen von
Nutzwert statt Repräsentation im Vordergrund zu stehen.
von denen eine flacher ist als die
es geht auch nicht darum, sich auf
n+1 Architekten Behaglichkeit,
nächste.
einem historischen Kaispeicher zu
Geborgenheit und Wärme aus.
Was nicht bedeuten soll, dass gute
zogen, Investoren seien schuld,
tragen werden und in Monotonie
Kritiker gab es auch bei der
platzieren. Vielmehr sind es die ar-
Das Zuhause auf Zeit für Familien
Architektur immer spektakulär sein
die Bauträger interessierten sich
und rein wirtschaftliche Interessen
Elbphilharmonie: Das steinerne
chitektonische Grundidee, die den
schwer kranker Kinder ist alles
muss und sich nicht in Zurückhal-
nicht für ein attraktives Stadtbild,
münden. Höhere Anforderungen
Industriedenkmal mit aufgesetzter,
Ort bereichert und zum Treffpunkt
andere als seelenlos und einheit-
tung üben darf. Im Gegenteil; eine
und dann wären da auch noch die
an den Wohnungsbau bei gleichen
gläserner High-End-Avantgarde
gesellschaftlichen Lebens macht,
lich, sondern ein Rückzugsort, der
maximale Dichte geltungsbedürfti-
Gestaltungsbeiräte, die ihr Übriges
Kosten dürfen nicht automatisch
ist nach Jahren der Auseinander-
der Umgang mit den Details oder
lebendig ist und altern darf. Das
ger und herausstechender Archi-
dazutun.
zu Abstrichen bei der Ästhetik, bei
setzung zum neuen Wahrzeichen
auch die Materialität, die ebenso
Voß-Haus hingegen ist der Arche-
tektur täte kaum einer Stadt gut.
fantasievollen Grundrissen und
Hamburgs geworden und symbo-
auf den kleinen Maßstab übertra-
typ Haus, nur modern interpretiert.
Doch sollte sie keinesfalls banal
Keine Architektur von der Stange
aufwendigen Fassaden führen. Die
lisiert die Verbindung zwischen
gen werden können.
Form und Materialität zeigen, wie
oder beliebig sein. Allzu oft heißt
In Anbetracht der Vielzahl an
Akteure am Bau müssen sich ihrer
Tradition und Moderne. Doch was
selbstverständlich sich der Neubau
es, Architekten verschandelten die
Wohnungen, die aktuell benötigt
baukulturellen Verantwortung
kann die Alltagsarchitektur aus
Individuell statt standardisiert
einfügt und das Ensemble behut-
Städte, sie seien entweder unkre-
werden, darf dieser Interessen-
bewusst werden. Die Wiederholung
Projekten wie der Elphi lernen, und
In ihrer baulichen und sozialen
sam komplettiert. /
ativ oder aber realitätsfremd. Zur
konflikt allerdings nicht auf dem
stets gleicher Formen ist unattrak-
kann sie es überhaupt?
Angemessenheit sind es Beispiele
Rechtfertigung werden dann meist
Rücken der architektonischen und
tiv; wir streben nach mehr Vielfalt,
Auch wenn sich die Baukosten in
wie das Ronald-McDonald-Haus in
wirtschaftliche Zwänge herange-
städtebaulichen Qualität ausge-
um uns wohlzufühlen.
finanziellen Sphären bewegen, die
Berlin oder das Johann-Heinrich-
Medientaugliche Prestigeprojekte wie die Elbphilharmonie sind meist in aller Munde.
Die Alltagsarchitektur kann sich einiges von der Stararchitektur abgucken und in den kleinen Maßstab übertragen.
StadtPORTRAIT • 08
Steimle Architekten
Stuttgart
Das Steildach ist wieder en vogue
Thomas Steimle liebt die Vielfalt der Architektur, und diese Liebe
sieht man seinen Bauten auch an. Die nötige Inspiration dafür holt
er sich am Ort des Geschehens. Er und seine knapp 30 Mitarbeiter
setzen sich auf der Suche nach dem tieferen Sinn intensiv mit den
örtlichen Gegebenheiten, aber auch mit der Historie auseinander,
um die Geschichten der Orte weiterzuerzählen.
„Normalerweise polarisieren wir mit unserer Architektur. Die
Bibliothek in Kressbronn polarisiert hingegen nicht. Ich kenne
niemanden, der sich an ihr reibt. Es scheint, als sei sie durch
die spürbar erhaltene Heimatliebe zu Everybody’s Darling
geworden.“
Thomas Steimle über das ehemalige Stadel in Kressbronn
Wohnen wie in einem Findling: Für eine Familie realisierte das Architekturbüro eine Steildach-Interpretation mit kupierten Ecken.
Selten wird so wenig Kritik an einem Gebäude geübt wie an der Bibliothek in Kressbronn.
Sparfüchse, Häuslebauer, Au-
Projekten in die Reihe namhafter
eine moderne Architektursprache
auf geschlossene Wände fallen
Alles, aber nicht schön
erhalten. Der Baukörper ist eine
tostadt: Stuttgart hat durchaus
Baukünstler ein. Seit 1994 lebt
zu übersetzen.
sollte, sondern in den Freiraum.
Die Leitidee für die neue Bibliothek
Hommage an frühere Zeiten und
mit zahlreichen Vorurteilen zu
und baut der in Holland geborene
Die Ecken wurden schließlich
im historischen Stadel der Gemein-
lebt durch die Materialität. Raues
kämpfen. Dass die sechstgrößte
Architekt im Großraum Stuttgart,
Ausblick dank kupierter Ecken
kupiert und die Kubatur des Hau-
de Kressbronn am Bodensee war
Holz und wild gesetzte Steine
Stadt Deutschlands aber auch als
aber auch deutschlandweit. Für ihn
Wie ein Findling liegt das gleich-
ses geschliffen. Die Innenräume
schnell definiert: Der Bau sollte
wurden durch grob geschalte
Architekturlabor der Moderne und
sei es ein weiter Weg gewesen, ehe
namige Wohnhaus einer jungen
werden über die Diagonalen hinaus
genauso aussehen, wie er es früher
Außenwände – im Inneren eine
Quell avantgardistischer Baukunst
er sich mit experimentelleren For-
Familie im dörflich geprägten Um-
in die Freiräume projiziert. Das
einmal tat, ohne ihn zu rekonst-
Nuance feiner – ins Hier und Jetzt
wie der Weißenhofsiedlung oder
men und auch der Steildach-Land-
land Stuttgarts. Der schwäbische
Ergebnis ist ein unkonventionelles
ruieren. Dazu wurde das Gebäude
transformiert.
des Firmenmuseums von Porsche
schaft auseinandersetzen konnte,
B-Plan aus den 60er Jahren, wie
und gleichzeitig baurechtlich kor-
sorgsam rückgebaut und kartiert,
gilt, ist wohl eher nur in Fachkrei-
sagt Steimle. Er selbst sei geprägt
Steimle ihn nennt, sah ein Haus
rektes Gebäude, dessen Raumqua-
der massive Dämmbetonsockel auf
Das heutige Gebäude ist schön,
sen bekannt. Architekten wie Frei
durch die Hochschullehre der
mit klassischem Satteldach und 35
lität im Inneren spannungsvoll ist.
dem Grundriss des Vorbilds neu
aber aus einem anderen Schön-
Otto, Werner Sobek oder auch UN
90er Jahre, in der ein Satteldach
Grad Neigung vor, das sich unauf-
Der stark inszenierte Innenraum
gegossen und das Tennengeschoss
heitsverständnis heraus. Die
Studio haben ihre Spuren hinter-
an sich ein „No-go“ gewesen sei
fällig in die Straßenbebauung ein-
misst an der höchsten Stelle fast
sowie das Dach wieder eins zu eins
Regeln hierfür machten nicht die
lassen und das architektonische
und alles darangesetzt wurde, die
fügt. Die Architekten entschieden
6 Meter bei 2 Metern Breite und
darüber errichtet. Der massive
Architekten, sondern die jahr-
Erbe geprägt.
in Bebauungsplänen festgesetzte
sich für eine andere Herangehens-
mündet in behagliche Aufenthalts-
Sockel wurde nach oben extrudiert,
hundertealte Geschichte, die das
geneigte Dachform durch kreative
weise und entwickelten das Haus
bereiche mit Höhen zwischen 2,70
die Lamellen der Fassade für einen
Gebäude zum Publikumsliebling
Dächer neu belebt
Interpretationen zu verhindern.
von innen, also aus dem Wohnen
und 3 Metern. Die steigenden und
optimalen Lichteinfall variiert und
werden ließ. /
Ob durch Zufall oder Fügung glie-
Heute sei er froh, sich von dieser
heraus. Das wichtigste Element des
fallenden Traufkanten im Oberge-
das Dach mit seinem weit auskra-
dert sich nun auch Thomas Steimle
Maxime gelöst zu haben und Teile
Entwurfs ist der Blick nach außen,
schoss sorgen für eine expressive
genden Überstand als Schutzsym-
mit seinen verantwortungsvollen
dieser geneigten Bautradition in
der nicht in Nachbars Garten oder
Dynamik.
bol und raumbildendes Element
Kommentar • 10
studiomauer
Hannover
Das Flachdach ist bei den meisten Studierenden
das bevorzugte Mittel. Warum? Es
zu entwerfen führt mehrheitlich zu weniger
Fragen. Doch schon in unserer Generation
hafteten dem Steildach keine altbackenen
Attribute mehr an. Diese Zeit scheint überwunden,
und das ist auch gut so.
Mittlerweile gilt: Wer sein Gebäude nicht
aus dem Kontext heraus entwirft, muss hierfür
gute Argumente vorbringen. Am Beispiel
Lübeck lautet die selbstverständliche Entwurfsantwort
auf das historische, gewachsene
Bild des Stadtgefüges natürlich „steil“.
Schließlich macht auch rechtlich gesehen
spätestens die Gestaltungssatzung der Stadt
den Umgang mit dem historischen Erbe klar.
Hut ab also vor denjenigen Kommilitonen,
deren Entwürfe für die Lübecker Innenstadt
nebst der giebelständigen Satteldachhäuser
auch nach Abschluss aller Kolloquien bis
zuletzt ein Flachdach zierte. Architektur
braucht genau solche Kontroversen. Wie
sonst soll der Genius Loci weiterentwickelt
werden? Auch hier war unser Studium
anstelle von Denkverboten geprägt durch
einen offenen Umgang mit Architektur.
Dennoch hat uns im Studium etwas gefehlt:
die intensive und vor allem kreative Auseinandersetzung
mit der baurechtlichen
Realität. Formale Abstandsregelungen
machen viele städtische Grundstücke und
Dachaufstockungen unattraktiv für den
klassischen Markt. Das Steildach birgt auch
hier das unterschätzte Potenzial, Regelungen
spielerisch zu lösen. Man schaue nur auf
Dürfen Architekturstudierende
eigentlich kein Steildach entwerfen?
Ein Kommentar der fünf Köpfe (Heiko, Niklas, Nils, Jakob,
Max) von studiomauer aus Hannover über ihre Entwurfsfreiheiten
im Studium an der Leibniz Universität Hannover
(Abschluss 2018).
das Apartment House in Berlin von Barkow
Leibinger: Die Form des Hauses wurde aus
den Abstandsregeln des umgebenden Blocks
heraus entwickelt und wäre ohne seine
spezifische, geneigte Kubatur rechtlich nicht
möglich gewesen.
Um einen Professor für Baukonstruktion zu
zitieren: Er sagte sinngemäß zu einem Masterabsolventen,
er würde bei einem Holzbau
aus konstruktiven Holzschutzgründen
sowieso immer ein Steildach mit Dachüberstand
bevorzugen. Professoren verbieten
also das Steildach? Zu unserer Zeit weit
gefehlt. In der Architektur gibt es selbstverständlich
immer wieder starke Modeerscheinungen.
Das betrifft von der Plandarstellung
bis zur Formensprache der Architektur über
die Ausformulierung des Daches eigentlich
alle Bereiche. So, wie wir unser Studium erlebt
haben, folgt jede Architektengeneration
und auch die jeweilige Professorenschaft ihren
eigenen Trends, und auch das ist gut so.
Unser Plädoyer gilt deshalb einer Offenheit
auf allen Seiten, damit das architektonische
Schaffen sich unabhängig von der Form so
entfalten kann, wie es für die komplexen
Raumzusammenhänge in Stadt, Architektur
und Gesellschaft notwendig ist.
Wir hoffen dennoch, dass künftig die Diskussion
um Ausformulierung, Gestaltung
und Nutzung von Dächern wieder etwas in
Schwung kommt. Rein mit Bitumenbahnen
versiegelte Dächer, die Hitze absorbieren
und die Stadt aufheizen, können sicher
nicht die Lösung sein. /
Gastkommentare in stadt/land/dach geben stets die Meinung der jeweiligen Gastautoren wieder und nicht explizit die der Herausgeber.
VERANSTALTUNGEN
UND vorläufige TERMINE
Architekten und Industrie im Dialog in Berlin
am 22. Juni 2020
Architekturbiennale in Venedig
vom 28. bis 30. August 2020
Rooftop Talk#9 in Leipzig
am 31. August 2020
Rooftop Talk#10 in Münster
am 26. Oktober 2020
(verlegt vom 30. März)
Herausgeber
dachkult.de
Partner
Benders
Creaton
Meyer-Holsen
Nelskamp
Dt. Rockwool
Dörken
Erlus
Eternit
Fleck
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Deutschen Ziegelindustrie
Weitere Infos zu den Partnern
unter dachkult.de/partner
Die einläufige Treppe im Wohnhaus „Findling“
von Steimle Architekten mündet im gefalteten
Dachraum, der sich in die Höhe weitet.