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Welt 2010 - OSZ Max-Taut-Schule in Berlin

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Jahrbuch 2009/10<br />

Die Ausstellung „Jugend <strong>in</strong> Ost- und West-Berl<strong>in</strong> von 1945 - 1949“<br />

„Alles was morgen ist, auch wenn es Sorge ist, ich sage: Ja! ( Wolfgang Borchert )<br />

Diesen Satz hat der sterbenskranke Wolfgang Borchert nach dem 2. <strong>Welt</strong>krieg gleichsam als Lebenscredo für<br />

sich, aber auch für e<strong>in</strong>e ganze Generation zum Lebenspr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>es Neubeg<strong>in</strong>nes nach all den Schrecken und<br />

Ängsten der zwölfjährigen Terrorherrschaft der Nationalsozialisten aufgestellt. Hier taucht trotz schwerster<br />

Krankheit, trotz aller Verluste, trotz aller Trauer das „Pr<strong>in</strong>zip Hoffnung“ auf, ohne das die Menschen nach dem<br />

Krieg nicht das hätten leisten können, was sie <strong>in</strong> den nächsten Jahren und Jahrzehnten <strong>in</strong> beiden Deutschlands<br />

geschaffen haben.<br />

Die Hoffnung e<strong>in</strong>er jeden menschlichen Geme<strong>in</strong>schaft - ob nun als kle<strong>in</strong>ste Zelle <strong>in</strong> Form der Familie oder im<br />

Geme<strong>in</strong>wesen e<strong>in</strong>er staatlichen Gesellschaft - beruht auf der Kraft ihrer Jugend. Das verhält sich heute so, wie<br />

auch <strong>in</strong> der Vergangenheit und <strong>in</strong> der Zukunft. Ohne Jugend ist ke<strong>in</strong> Staat zu machen. Das Bestehen e<strong>in</strong>er<br />

Demokratie ist nur gewährleistet, wenn diese von jungen Menschen getragen und gestaltet wird. „Demokratie<br />

braucht Demokraten“ - dieser Appell Friedrich Eberts sollte sich gerade nach dem II. <strong>Welt</strong>krieg an die Jugend<br />

Deutschlands richten, den Teil der deutschen Bevölkerung, der noch am ehesten die Chance hatte, sich von<br />

dem menschenverachtenden Unterdrückungssystem der Nationalsozialisten abzuwenden, um an e<strong>in</strong>em<br />

demokratischen Deutschland mitzuwirken.<br />

Was wissen wir über diese Jugend? Die Jugendlichen der Jahrgänge 1927 - 1930 haben ihre K<strong>in</strong>dheit unter den<br />

umfassenden „Gleichschaltungsmechanismen“ des Propagandadiktats vom J. Goebbels erlebt, dem sich zu<br />

entziehen kaum möglich war. Ihre Jugendzeit war von den Belastungen und Gefährdungen des Krieges<br />

bestimmt. Sie wurden als Kriegsk<strong>in</strong>der auf verschiedenste Weise mit Fliegeralarm,<br />

Luftschutzbunkeraufenthalten, Bombardierungen, Tieffliegerangriffen und mit eigenem Kampfe<strong>in</strong>satz<br />

konfrontiert und zu Hunderttausenden, oft getrennt von ihren Familien, <strong>in</strong> besonderer Weise traumatisiert<br />

durch die direkte Konfrontation mit dem Kriegsgeschehen <strong>in</strong> Form von Fliegerangriffen und Bombardierungen.<br />

Schlecht organisierte oder erst gar nicht vorhandene Evakuierungsmaßnahmen, e<strong>in</strong>e zusammengebrochene<br />

Infrastruktur, mangelnde Versorgung, Krankheit und Tod zählten zu den leidvollen Erfahrungen dieser<br />

Heranwachsenden. Ständige Fluchtbereitschaft sowie das Erleben der eigenen Schutzlosigkeit - auch angesichts<br />

der Hilflosigkeit der Eltern - bestimmten das Leben nahezu aller Menschen <strong>in</strong> Deutschland und ließen ihnen<br />

nicht Zeit und Bes<strong>in</strong>nung, die Niederlage des Nazi-Regimes als Befreiung von Gewalt und Unterdrückung zu<br />

reflektieren.<br />

Besonders die Jugendlichen hatten <strong>in</strong> den<br />

Nachkriegsjahren schwerwiegende familiäre Folgen zu<br />

erleiden. Der Zweite <strong>Welt</strong>krieg hatte <strong>in</strong> Gesamteuropa<br />

über 20 Millionen Halbwaisen h<strong>in</strong>terlassen – vor allem<br />

durch den Verlust der gefallenen bzw. <strong>in</strong><br />

Kriegsgefangenschaft geratenen Väter. Diese oft<br />

„vaterlose“ Gesellschaft zwang Mütter zudem zu<br />

„Überlebensstrategien“, zu denen die Prostitution und<br />

das E<strong>in</strong>gehen von „Vernunftehen“ zählten. Trotz der oft<br />

desaströsen Familienverhältnisse <strong>in</strong> der Nachkriegszeit<br />

war es den K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen nicht erlaubt zu<br />

klagen, obwohl viele der jungen Menschen von diesen<br />

Lebensverhältnissen sicherlich materiell und psychisch überfordert waren.<br />

Die natürliche Kraft der Jugendlichen war also nicht ungebrochen. Anstatt e<strong>in</strong>en möglichst geradl<strong>in</strong>igen Weg <strong>in</strong><br />

das Erwachsenenleben e<strong>in</strong>zuschlagen, mussten nach dem 2.<strong>Welt</strong>krieg junge Menschen notbed<strong>in</strong>gt erwachsen<br />

se<strong>in</strong>. Ihnen fehlten Privatheit und Freiraum zum Fabulieren über ihre Zukunft und zum Träumen über e<strong>in</strong><br />

persönliches Ideal. Die Nationalsozialisten hatten ihnen die K<strong>in</strong>dheit oder die Jugend geraubt. Wichtige<br />

entwicklungspsychologische Etappen des Erwachsenwerdens konnten von vielen jungen Menschen nicht<br />

altersgerecht vollzogen werden. Nach der Befreiung Deutschlands von den Nationalsozialisten traf gerade die<br />

Jugend, die ja meist ohne persönliches Verschulden von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft<br />

vere<strong>in</strong>nahmt wurde, das weltweite Dictum der deutschen Kollektivschuld. Oft e<strong>in</strong>es Elternteiles beraubt,<br />

politisch und sozial orientierungslos, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Welt</strong> ohne Vertrauen, mussten sie sich f<strong>in</strong>den und Individualität<br />

suchen, obwohl ihnen doch jahrelang e<strong>in</strong>gebläut worden war, dass nur die „Volksgeme<strong>in</strong>schaft“ gelte. Nun<br />

bezog sich - wie für alle Deutschen - Paul Celans Allegorie aus se<strong>in</strong>em Gedicht „Todesfuge“ auch auf die<br />

Jugend: „Der Tod ist e<strong>in</strong> Meister aus Deutschland“. Wie sollte e<strong>in</strong> 15 - 16jähriger diesen ungeheuerlich<br />

monströsen, aber auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Rigorosität bestechenden Satz verkraften?

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