Die «Sarasin-Debatte» im Tages-Anzeiger Wieso die ... - ZHSF
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Rud<strong>im</strong>entäre Bildung<br />
Hinter den Selbstverständlichkeiten unserer Bildungspolitik verbergen sich drei Konzeptfehler.<br />
Der erste besteht darin, dass <strong>die</strong> hohen Eintrittshürden ins Gymnasium als<br />
Instrumente der Qualitätssicherung dysfunktional und ungerecht sind. Denn zum einen<br />
erzwingen sie einen zu frühen Richtungsentscheid, der das gesamte spätere Leben<br />
tief greifend prägt und nur um den Preis verlorener Jahre halbwegs korrigiert<br />
werden kann. <strong>Die</strong> <strong>im</strong> Vergleich deutlich höhere Abiturientenquote in den europäischen<br />
Ländern hat, neben allen sonstigen Gründen, auch <strong>die</strong> Funktion, den Entscheid<br />
über <strong>die</strong> Befähigung eines Jugendlichen für einen akademischen Bildungsweg länger<br />
hinauszuschieben – und damit etwa pubertätsbedingte Entwicklungsschwierigkeiten<br />
gerade bei Knaben abzuwarten sowie den negativen Einfluss eines bildungsfernen<br />
Familienhintergrundes durch eine grössere Anzahl von besuchten Schulstunden ein<br />
Stück weit zu kompensieren.<br />
<strong>Die</strong> grosse Mehrheit der Jugendlichen, <strong>die</strong> mit ihrer Berufsbildung und Berufsarbeit<br />
zum Teil schon weit vor dem zwanzigsten Lebensjahr beginnt, bezahlt dafür<br />
nicht selten den Preis einer bloss rud<strong>im</strong>entären Bildung. <strong>Die</strong> Pisa-Stu<strong>die</strong> von 2000<br />
zeigte, dass am Ende der obligatorischen Schulzeit ein Drittel der Schülerinnen und<br />
Schüler nicht in der Lage ist, einen einfachen Text zu verstehen und zu interpretieren,<br />
und weiteren 20 Prozent <strong>die</strong>s nur ganz knapp gelingt; 16 Prozent der Erwachsenen<br />
gelten als illiterat.<br />
Bessere Integration<br />
Der gerne vorgebrachte Hinweis auf <strong>die</strong> «tiefe Jugendarbeitslosigkeit» hilft nicht weiter:<br />
Zu behaupten, dass Jugendliche, <strong>die</strong> länger und besser ausgebildet würden, <strong>im</strong><br />
Rahmen unserer Gesellschaft und unseres Arbeitsmarktes schlechtere Erwerbschancen<br />
hätten, ist absurd. Warum sollen <strong>die</strong>se sinken, wenn <strong>die</strong> Berufsausbildung mit 20<br />
statt mit 16 begonnen wird – und ein grösserer Prozentsatz als heute nicht um eine<br />
Lehrstelle konkurriert, sondern auf <strong>die</strong> Uni geht?<br />
Zum andern weist der Bildungsbericht Schweiz nach, dass Kinder aus privilegierten<br />
Familien rund doppelt so häufig ins Gymnasium kommen wie Kinder aus benachteiligten<br />
Familien; Benachteiligung misst sich dabei nicht nur in sozioökonomischen<br />
Kategorien, sondern kann durch eine migrationsbedingte kulturelle Alterität<br />
noch verschärft werden. Gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund werden vom<br />
heutigen Bildungssystem (nicht selten <strong>im</strong> Verbund mit Vorurteilen gegen höhere Bildung<br />
<strong>im</strong> Herkunftsmilieu) einigermassen zuverlässig benachteiligt: <strong>Die</strong> eindeutige<br />
Korrelation zwischen der familiären Herkunft und der Möglichkeit, ein Gymnasium<br />
zu besuchen, zeigt, dass <strong>die</strong> Chancengleichheit <strong>im</strong> Bereich der Sekundarstufe II nicht<br />
gewährleistet ist.<br />
Klassensortierungsanlagen<br />
Kurz: Harsche Selektionsinstrumente <strong>die</strong>nen nicht einmal dazu, dass nur «the best<br />
and the brightest» den Weg zum Gymnasium finden. Es sind vor allem <strong>die</strong> Eltern aus<br />
dem ehemaligen Bürgertum, <strong>die</strong> neuen Reichen und der gehobene, oft zugewanderte<br />
akademische Mittelstand, <strong>die</strong> dank Lernstudios, Privatschulen, Gymi-Vorbereitungs-<br />
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