Die «Sarasin-Debatte» im Tages-Anzeiger Wieso die ... - ZHSF
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<strong>die</strong> frühen, hohen Eintrittshürden in den gymnasialen Bildungsweg beschnitten werden,<br />
weil sie <strong>im</strong> falschen Kanton wohnen ? Oder in der Agglo leben und -ic heissen?<br />
Bildungsverachtung<br />
Doch würde mit einer solchen Expansion der akademischen Bildung nicht notwendigerweise<br />
das Niveau gesenkt? Abgesehen davon, dass heute viele Begabte gar nicht<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit haben, zu zeigen, dass ihr Einbezug das Niveau vielleicht sogar steigern<br />
würde, lauert hinter <strong>die</strong>sem Verdacht der dritte Konzeptfehler. Denn eine akademische<br />
Qualifikation in Gestalt eines formalen Stu<strong>die</strong>nabschlusses hat nicht Genialität<br />
zu ihrer Voraussetzung. Für eine Gesellschaft, <strong>die</strong> auch für sehr praxisorientierte<br />
Berufe <strong>im</strong> Gesundheitswesen und in der vorschulischen oder Pr<strong>im</strong>arausbildung <strong>die</strong><br />
Matura voraussetzt, <strong>die</strong> für sehr viele Tätigkeiten etwa in der Verwaltung ein Studium<br />
verlangt und <strong>die</strong> jedes Jahr zu Hunderten neue Lehrer, Ingenieure, Juristen, Ärzte und<br />
akademisch gebildete Me<strong>die</strong>nschaffende braucht, ist eine breitere Streuung von Mittel-<br />
und Hochschulqualifikationen keine Bedrohung, sondern existenziell notwendig.<br />
Dass <strong>die</strong> Schweiz glaubt, nicht selbst für <strong>die</strong> Ausbildung all <strong>die</strong>ses Personals sorgen<br />
zu müssen, sondern <strong>die</strong> fehlenden Arbeitskräfte jederzeit und nach Bedarf aus<br />
dem Ausland <strong>im</strong>portieren und dann gegebenenfalls wieder nach Hause schicken zu<br />
können, ist Ausdruck einer ebenso dummen wie zynischen Bildungsverachtung eines<br />
kleinen Herrenvolkes. In ihr trifft sich <strong>die</strong> Ideologie des bodenständigen Mittelmasses,<br />
der «e Lehr» schon <strong>im</strong>mer das höchste Bildungsziel war, mit der neuen Kultur<br />
des individualistischen Hedonismus, dem dank fortwährendem Fun und <strong>im</strong> europäischen<br />
Vergleich sehr guten Löhnen für junge Leute Investitionen in akademische Bildungstitel<br />
schlicht obsolet erscheinen. Dass all das am Schluss auch noch mithelfen<br />
soll, den Altherrentraum des perfekten Kampfflugzeugs zu finanzieren, ist wahrlich<br />
tragisch. Denn für ein Land, das sich als urbane, weltweit vernetzte Wissens-, <strong>Die</strong>nstleistungs-<br />
und Kreativgesellschaft neu erfinden müsste, ist Bildungsverachtung <strong>die</strong><br />
denkbar schlechteste Strategie.<br />
<strong>Tages</strong>-<strong>Anzeiger</strong>, 11.10.2011<br />
Rudolf Strahm *<br />
«Der Bildungsdünkel ist das Problem»<br />
«<strong>Die</strong> Schweiz hat ein Problem mit den Universitäten», schrieb der Historiker<br />
Philipp Sarasin. Rudolf Strahm widerspricht.<br />
Der Geschichtsprofessor Philipp Sarasin hat viele verärgert mit seiner elitären und<br />
abschätzigen Beurteilung des schweizerischen Berufsbildungssystems. Ich bin einverstanden,<br />
wenn er sagt: «<strong>Die</strong> gymnasiale Bildung ist kein Luxus. Sie ist ein wichti-<br />
*<br />
Rudolf Strahm ist Nationalökonom und Chemiker. Er pflegt Lehrtätigkeiten an den Universitäten Bern<br />
und Freiburg und am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung. Der ehemalige Preisüberwacher<br />
und Nationalrat hat <strong>im</strong> Bereich Bildung das Buch «Warum wir so reich sind» geschrieben.<br />
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