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gegen<br />

des F_____ T_____,<br />

D_____, _____ I_____<br />

7 K 1410/07 We<br />

VERWALTUNGSGERICHT WEIMAR<br />

<strong>URTEIL</strong><br />

IM NAMEN DES VOLKES<br />

In dem Verwaltungsstreitverfahren<br />

Prozessbevollm.:<br />

Rechtsanwälte Schlüter und Partner,<br />

Käthe-Kollwitz-Straße 1c, 99734 Nordhausen<br />

den Abwasserzweckverband _____<br />

vertreten durch den Verbandsvorsitzenden,<br />

_____, _____ N_____<br />

Prozessbevollm.:<br />

Rechtsanwalt Synofzik,<br />

Raiffeisenstraße 6, 37133 Friedland/Niedernjesa<br />

wegen<br />

Ausbaubeiträgen<br />

hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Weimar<br />

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Strätz,<br />

den Richter am Verwaltungsgericht Bratek,<br />

die Richterin am Verwaltungsgericht Stalbus<br />

sowie die ehrenamtlichen Richterinnen<br />

aufgrund der mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2008<br />

- Kläger -<br />

- Beklagter -<br />

verkündet am 27.02.2008<br />

gez. Günther<br />

Justizangestellte<br />

als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle


für Recht erkannt:<br />

7 K 1410/07 We<br />

1. Der Bescheid des Beklagten vom 19.04.2007, Registriernum-<br />

mer 10/61471, Bescheid-Nr. 27015 in der Fassung des Widerspruchsbe-<br />

scheides vom 27.08.2007 wird aufgehoben.<br />

2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, mit Ausnahme der<br />

außergerichtlichen Kosten, die dem Landkreis Nordhausen durch die ge-<br />

gen ihn gerichtete Klageerhebung entstanden sind. Diese außergerichtli-<br />

chen Kosten hat der Kläger zu tragen.<br />

3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch den Kläger<br />

wird für notwendig erklärt.<br />

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweili-<br />

ge Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in<br />

Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, falls der jeweilige Kosten-<br />

gläubiger nicht Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.<br />

T a t b e s t a n d<br />

Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Bescheides über die Erhebung eines Herstellungs-<br />

beitrages.<br />

Mit Bescheid vom 19.04.2007 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger den Beitrag für das<br />

Grundstück D_____ , _____ S_____, Gemarkung I_____, Flur 16, Flurstück a für den Anla-<br />

genteil Kläranlage auf 798,27 € fest, wobei der fällige Teil des Beitrages nur 390,73 € betrage<br />

und der Restbetrag bis zum Wegfall der Privilegierungstatbestände gestundet werde.<br />

Mit Schriftsatz vom 03.05.2007, beim Beklagten eingegangen am 07.05.2007, legte der Klä-<br />

ger Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der sofortigen Vollziehung<br />

des Beitragsbescheides.<br />

Mit Schreiben vom 11.05.2007 wurde der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt.<br />

Daraufhin wurde mit Schriftsatz vom 05.07.2007 vorgetragen, dass ein "Gebührentatbestand"<br />

nicht vorliege, da ein Anschluss aufgrund der örtlichen Gegebenheiten sowie der geographi-<br />

schen Lage unmöglich sei. Darüber hinaus bedeutet die "Vorauszahlung" eine unzumutbare<br />

2


7 K 1410/07 We<br />

Härte für den Grundstückseigentümer. Auch sei die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden<br />

Globalkalkulation zu bezweifeln.<br />

Nach weiteren Darlegungen mit Schreiben vom 11.07.2007 teilte der Beklagte dem Kläger<br />

mit Schreiben vom 14.08.2007 mit, dass er dem Widerspruch nicht abhelfen könne und ihn<br />

deshalb der Widerspruchsbehörde vorlege.<br />

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2007, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zuge-<br />

stellt am 03.09.2007, wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Es handele sich<br />

weder um eine "Abwassergebühr", noch um eine "Vorauszahlung". Die Satzungen des Be-<br />

klagten sowie die Kalkulation seien durch die Kommunalaufsicht geprüft und genehmigt. Für<br />

das Grundstück des Klägers bestehe die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Entwässe-<br />

rungseinrichtung Anlagenteil Kläranlage in Form der Fäkalschlammbeseitigung. Dadurch<br />

erhalte das Grundstück einen Vorteil bzw. eine Wertsteigerung. Unerheblich sei, ob das<br />

Grundstück direkt angeschlossen sei oder die Entsorgung in Form von Transportfahrzeugen in<br />

die Kläranlage erfolge.<br />

Mit am 24.09.2007 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 21.09.2007 hat der Kläger<br />

Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesent-<br />

lichen vor, eine Inanspruchnahmemöglichkeit der öffentlichen Entwässerungseinrichtung lie-<br />

ge nicht vor. Ein Anschlusszwang bestehe dann nicht, wenn der Anschluss rechtlich oder tat-<br />

sächlich unmöglich sei. Die Gemeinde Sophienhof sei nicht an die Kläranlage Nordhausen<br />

angeschlossen und verfüge auch über keine Einleitungseinrichtung. Sophienhof befinde sich<br />

ca. 18 km von Nordhausen entfernt und könne aufgrund der örtlichen Gegebenheiten sowie<br />

der geographischen Lage zu keinem Zeitpunkt an die Kläranlage Nordhausen angeschlossen<br />

werden. Darüber hinaus sei die Globalkalkulation mangelhaft. Eine Sicherheitsreserve von 20<br />

% sei nicht nachvollziehbar. Auch bestehe eine Überkapazität der Kläranlage Nordhausen.<br />

Die Zugrundelegung einer Forderquote von 10% sei zu unbestimmt. Der höchstzulässige Bei-<br />

tragssatz sei falsch ermittelt.<br />

Der Kläger beantragt,<br />

den Bescheid des Beklagten vom 19.04.2007, Registriernummer 10/61471, Be-<br />

scheid-Nr. 27015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2007<br />

aufzuheben.<br />

Der Beklagte beantragt,<br />

3


die Klage abzuweisen.<br />

7 K 1410/07 We<br />

Zur Begründung beruft er sich darauf, dass das Grundstück des Klägers tatsächlich an die<br />

Teileinrichtung Kläranlage angeschlossen sei. Der Einrichtungsbegriff sei in Thüringen auf-<br />

gabenbezogen zu verstehen. Auch bei Grundstücken, die nur die Fäkalschlammentsorgung in<br />

Anspruch nähmen, existiere ein Vorteil, der eine Beitragserhebung rechtfertige. Sie liege dar-<br />

in, dass der Aufgabenträger den Fäkalschlamm von den Grundstücken abnehme und beseiti-<br />

ge. Für einen Anschluss sei keine leitungsmäßige Verbindung erforderlich. Es genüge, dass<br />

die dem häuslichen Abwasser entstammenden Fäkalschlämme der zentralen Kläranlage<br />

Nordhausen über eine Abfuhr mit Entsorgungsfahrzeugen ("rollender Kanal") zugeführt wür-<br />

den. Der Begriff der "leitungsgebundenen Einrichtung" diene lediglich der Abgrenzung zu<br />

Verkehrsanlagen. Gründe, die eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang recht-<br />

fertigen würden, habe der Kläger nicht vorgetragen. Da er die Fäkalschlammentsorgung tat-<br />

sächlich in Anspruch nehme, dokumentiere er, dass er auf die Nutzung dieser Einrichtung<br />

angewiesen sei. Hinsichtlich der Kläranlage sei weder eine Überkapazität feststellbar, noch<br />

sei eine Sicherheitsreserve von 20% einkalkuliert. Ein Artzuschlag sei im Abwasserbeseiti-<br />

gungsrecht bundesrechtlich nicht geboten. Es bestünden sogar ernstliche Bedenken gegen die<br />

Zulässigkeit eines Artzuschlages, da der dem Grundstück vermittelte Vorteil nicht in der Stei-<br />

gerung des wirtschaftlichen Ertragswertes dieses Grundstückes, sondern in der Erhöhung des<br />

Gebrauchs- und Nutzungswertes liege. Die Förderquote für die Teileinrichtung Kläranlage<br />

habe wesentlich höher als 10% gelegen und sei auch entsprechend berücksichtigt worden.<br />

Substantiierte Einwendungen gegen die Höhe der künftigen Fördermittel habe der Kläger<br />

nicht vorgetragen. Seine Angriffe gegen die Berechnung des höchstzulässigen Beitragssatzes<br />

seien unsubstantiiert.<br />

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die<br />

Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, die den Kläger betreffende Behördenakte der Be-<br />

klagten (2 Hefter), die vom Beklagten vorgelegten und im vorliegenden Verfahren beigezo-<br />

genen Satzungsunterlagen sowie die dazugehörige Globalkalkulation.<br />

E n t s c h e i dungsgründe<br />

Die Klage des Klägers ist zulässig und begründet.<br />

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7 K 1410/07 We<br />

Der Bescheid vom 19.04.2007, Registriernummer 10/61471, Bescheid-Nr. 27015 in der Fas-<br />

sung des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in<br />

seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).<br />

Dem angefochtenen Bescheid vom 19.04.2007, mit dem der Kläger im Wege der Kostenspal-<br />

tung zu einem Teilbeitrag für die "Kläranlage" herangezogen wird, fehlt es an einer materiell<br />

wirksamen Rechtsgrundlage.<br />

Die in § 7 Nr. 2 der Beitragssatzung zur Entwässerungssatzung des Beklagten (BS-EWS) in<br />

der Fassung der Bekanntmachung vom 31.08.2005 enthaltene Beitragsmaßstab hinsichtlich<br />

des Teilbeitrages für die Kläranlage ist wegen seiner fehlenden vorteilsgerechten Beitragsab-<br />

stufung nichtig, mit der Folge, dass die sachliche Beitragspflicht nach § 7 Abs. 7 Satz 1 Thür-<br />

KAG nicht entstanden ist.<br />

Der Kläger nimmt gegenwärtig unstreitig die Teileinrichtung "Kläranlage" über den sog. "rol-<br />

lenden Kanal" in Anspruch.<br />

Nach § 1 Abs. 1 der Entwässerungssatzung des Beklagten in der Fassung der Bekanntma-<br />

chung vom 08.10.2003 betreibt der Zweckverband zur Abwasserbeseitigung eine öffentliche<br />

Einrichtung. Nach dessen Abs. 2 umfasst die Entwässerungseinrichtung die leitungsgebunde-<br />

ne Entwässerungsanlage und die dezentrale, mobile Fäkalschlammentsorgung. Nach § 7 Abs.<br />

1 Satz 1 ThürKAG können die Gemeinden und Landkreise … zur Deckung des Aufwandes<br />

für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentli-<br />

chen Einrichtungen Beiträge von denjenigen Grundstückseigentümern … erheben, denen die<br />

Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtung besondere Vorteile bietet.<br />

Bei öffentlichen Entwässerungseinrichtungen wird in der Rechtsprechung unterschiedlich<br />

beurteilt, ob die nicht über das Kanalnetz durchgeführte Entsorgung von Fäkalschlamm aus<br />

Kleinkläranlagen und abflusslosen Gruben (dezentrale Abwasserbeseitigung) als Teil der öf-<br />

fentlichen Einrichtung - wie dies die Entwässerungssatzung des Beklagten hier festlegt - an-<br />

gesehen werden kann. Nach der Rechtsprechung des ThürOVG ist der in § 7 Abs. 1 Satz 1<br />

ThürKAG verwendete Begriff der "öffentlichen Einrichtung" allerdings nicht anlagenbezo-<br />

gen, sondern rechtlich und aufgabenbezogen zu verstehen (so grundlegend ThürOVG, Urteil<br />

vom 12.12.2001 - 4 N 595/94).<br />

Zur Aufgabenwahrnehmung in diesem Sinn gehört im Bereich der Abwasserbeseitigung nach<br />

Thüringer Landesrecht die Beseitigung von Schmutz- und Niederschlagswasser einschließlich<br />

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7 K 1410/07 We<br />

der Fäkalschlammentsorgung, die ebenfalls Teil der Gesamtaufgabe "Abwasserbeseitigung"<br />

gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Thüringer Wassergesetzes in der hier maßgeblichen Fas-<br />

sung der Neubekanntmachung vom 04.02.1999 (GVBl. S. 114) - ThürWG - ist. Nach dieser<br />

Vorschrift obliegt den kommunalen Einrichtungsträgern die Beseitigung des in ihrem Gebiet<br />

anfallenden Abwassers. Abwasser im Sinne des ThürWG ist gemäß § 57 Abs. 1 ThürWG das<br />

durch Gebrauch in seinen Eigenschaften veränderte Wasser (Schmutzwasser), das von Nie-<br />

derschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen abfließende und gesam-<br />

melte Wasser (Niederschlagswasser) sowie das sonstige zusammen mit Schmutz- oder Nie-<br />

derschlagswasser in Abwasseranlagen abfließende Wasser. Als Abwasser gilt auch das aus<br />

Anlagen zum Behandeln, Lagern und Ablagern von Abfällen austretende und gesammelte<br />

Wasser sowie der in Kleinkläranlagen anfallende Schlamm, soweit er aus häuslichem Abwas-<br />

ser stammt. Dementsprechend umfasst nach § 58 Abs. 1 Satz 3 ThürWG die kommunale Ab-<br />

wasserbeseitigungspflicht bei Kleinkläranlagen auch das Transportieren des anfallenden<br />

Schlamms und bei Gruben auch das Entleeren und Transportieren des Grubeninhalts.<br />

Bei einem aufgabenbezogenen Verständnis des Einrichtungsbegriffs ist die Fäkalschlamment-<br />

sorgung Teil der öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtung.<br />

"Unterschiede zwischen dem leitungsgebundenen Anschluss an die Kläranlage und der<br />

Verbringung der Abwässer aus abflusslosen Gruben durch Abfuhr zum Klärwerk treten hinter<br />

dem gemeinsamen Zweck der unschädlichen Abwasserbeseitigung zurück. Letztlich werden<br />

alle Abwässer dem Klärwerk zugeführt, vermischt und gemeinsam aufbereitet. Unterschiede<br />

in der Arbeitsweise bestehen insoweit nur hinsichtlich der unterschiedlichen Zuführungen der<br />

Abwässer, nicht in der unterschiedlichen Klärung" (Blomenkamp in Driehaus, Kommunalab-<br />

gabenrecht, § 8, Rdnr. 1444 unter Bezugnahme auf ThürOVG, Urteil vom 21.06.2006, Ak-<br />

tenzeichen 4 N 574/98).<br />

Aspekte der Kostenverursachung oder der unterschiedlichen Leistungs- oder Vorteilsgewäh-<br />

rung durch die Benutzung oder Inanspruchnahmemöglichkeit der öffentlichen Einrichtung<br />

stehen der zulässigen Zusammenfassung technisch getrennter Anlagensysteme zu einer ein-<br />

heitlichen öffentlichen Einrichtung nach der Thüringer Rechtslage regelmäßig nicht entgegen.<br />

Vielmehr besteht der besondere Vorteil, den die abwasserbeseitigungspflichtige Körperschaft<br />

den angeschlossenen oder anschließbaren Grundstücken durch die Inanspruchnahmemöglich-<br />

keit bzw. die tatsächliche Benutzung der Abwasserbeseitigungseinrichtung bietet und der<br />

Voraussetzung für eine Beitragserhebung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 ThürKAG ist, in der Ab-<br />

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7 K 1410/07 We<br />

nahme und Beseitigung des auf den Grundstücken anfallenden Abwasser, also des Schmutz-<br />

und/oder Niederschlagswassers bzw. des Fäkalschlamms aus Kleinkläranlagen und des Gru-<br />

beninhalts aus abflusslosen Gruben. Der Aspekt des Reinigungsgrades des abgenommenen<br />

Abwassers oder der Arbeitsweise der Abwasserbehandlungsanlagen betrifft nicht den Umfang<br />

des den Grundstücksinhabern gegenüber erbrachten Vorteils der Abwasserbeseitigung.<br />

Eine andere rechtliche Beurteilung ist nach der Rechtsprechung des Thüringer Oberverwal-<br />

tungsgerichts auch nicht deshalb geboten, weil der Landesgesetzgeber in § 7 ThürKAG den<br />

Begriff der "leitungsgebundenen Einrichtungen" gebraucht. Der Begriff der "leitungsgebun-<br />

denen Einrichtungen" im ThürKAG ist nicht technisch als Rohrleitungs- oder Kanalsystem zu<br />

verstehen, sondern nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, dem Sinn und Zweck so-<br />

wie dem systematischen Zusammenhang mit anderen Vorschriften als rechtlicher Begriff der<br />

Abgrenzung zu nicht leitungsgebundenen Einrichtungen (vgl. Blomenkamp in Driehaus, § 8,<br />

Rdnr. 1445). In der Ausgangsfassung des ThürKAG vom 07.08.1991 (GVBl. S. 329) wurde<br />

zunächst nur der Begriff der nicht leitungsgebundenen Einrichtungen im Zusammenhang mit<br />

den in § 7 Abs. 1 Satz 3 ThürKAG a.F. genannten Verkehrsanlagen verwendet (vgl. § 7 Abs.<br />

1 Satz 4 und 5 ThürKAG a.F.). Erst mit der Neufassung des § 7 ThürKAG durch das 2. KAG-<br />

ÄndG vom 10.11.1995 (GVBl. S. 342) gebrauchte der Gesetzgeber erstmals den Begriff der<br />

leitungsgebundenen Einrichtungen (z.B. in § 7 Abs. 1 S. 6 und Abs. 5 Satz 2 ThürKAG), um<br />

nunmehr u.a. ausdrücklich die Möglichkeit der Kostenspaltung auf den Bereich der Wasser-<br />

versorgung und Abwasserbeseitigung auszudehnen (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf<br />

der Landesregierung, LT-Drucks. 2/469, S. 7). In diesem Zusammenhang wird in der Begrün-<br />

dung zum Gesetzentwurf der Landesregierung ausgeführt, dass die Kostenspaltung auch die<br />

Heranziehung von Grundstücken zu Teilbeiträgen für eine Kläranlage ermöglichen solle, die<br />

zwar noch nicht an das Kanalnetz angeschlossen sind, aber deren Abwässer (über Abfuhr)<br />

durch die Kläranlage entsorgt werden. Bei der Aufwandsverteilung und Beitragserhebung für<br />

die Teileinrichtung Kläranlage einer einheitlichen öffentlichen Entwässerungseinrichtung<br />

sollen demnach auch die Grundstücke berücksichtigt werden, deren Abwässer durch Abfuhr<br />

beseitigt und der Kläranlage zugeführt werden. Dies macht jedoch nur Sinn, wenn die Fäkal-<br />

schlammentsorgung keine eigene öffentliche Einrichtung, sondern Teil einer einheitlichen<br />

Entwässerungseinrichtung ist (vgl. hierzu ThürOVG, Urteil vom 21.06.2006 - 4 N 574/98).<br />

Nach dem - wie dargestellt - in Thüringen gegebenen aufgabenbezogenen Verständnis des<br />

Einrichtungsbegriffs in § 7 Abs. 1 Satz 1 ThürKAG hat der Beklagte berechtigterweise in § 1<br />

Abs. 1 Satz 1 EWS festgelegt, dass er zur Abwasserbeseitigung eine öffentliche Einrichtung<br />

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7 K 1410/07 We<br />

betreibt und in Satz 2 bestimmt, dass die Entwässerungseinrichtung die leitungsgebundene<br />

Entwässerungsanlage und die Fäkalschlammentsorgung umfasst.<br />

Dementsprechend regelt der Beklagte in § 4 Abs. 2 EWS weiter, dass die Grundstückseigen-<br />

tümer, auf deren Grundstück das dort anfallende Abwasser nicht in eine Entwässerungsanlage<br />

mit Sammelkläranlage eingeleitet werden kann, zum Anschluss und zur Benutzung der öffent-<br />

lichen Fäkalschlammentsorgung berechtigt sind. Damit korrespondiert zugleich der in § 5<br />

Abs. 2 und 3 EWS für die zur Benutzung der öffentlichen Fäkalschlammentsorgung Berech-<br />

tigten festgelegte Benutzungszwang. Nur ausnahmsweise, nämlich wenn der Anschluss oder<br />

die Benutzung aus besonderen Gründen auch unter Berücksichtigung der Erfordernisse des<br />

Gemeinwohls nicht zumutbar ist, besteht nach § 6 Abs. 1 EWS die Möglichkeit einer Befrei-<br />

ung von dem in § 5 EWS grundsätzlich bestimmten Anschluss- und Benutzungszwanges.<br />

Der Beklagte hat sich weiterhin für eine Kostenspaltung entschieden. Nach § 7 Abs. 1 Satz 5<br />

ThürKAG kann der Beitrag für Teile der Einrichtung selbständig erhoben werden (Kosten-<br />

spaltung). Dementsprechend bestimmt er in § 6 BS-EWS, dass der Beitrag für das Kanalnetz,<br />

die Kläranlage und die Haupt- und Verbindungssammler gesondert und in beliebiger Reihen-<br />

folge erhoben wird. Die in der BS-EWS angeordnete Kostenspaltung und die Regelung in § 2<br />

Satz 1 BS-EWS, wonach der Beitrag auch für solche Grundstücke erhoben wird, wenn für sie<br />

nach § 4 EWS ein Recht zum Anschluss an die Entwässerungseinrichtung besteht, zeigen,<br />

dass der Beklagte bereits vor abschließender Herstellung des Kanalnetzes vom Beitragspflich-<br />

tigen einen Teilbetrag für die Kläranlage einfordern will. Wäre über das Kanalnetz bereits<br />

eine Vollanschlussmöglichkeit für bebaute Grundstücke vorhanden, so könnte der Beklagte<br />

auch den vollen Herstellungsbeitrag einfordern, ein Rückgriff auf die Kostenspaltung, d.h. die<br />

Einforderung von lediglich Teilbeiträgen, wäre nicht notwendig und aus wirtschaftlichen<br />

Gründen auch nicht nachvollziehbar. Für die Erstellung von Teilbeitragsbescheiden bei Voll-<br />

einleitern besteht rechtlich und wirtschaftlich keine Notwendigkeit. Ist ein Beitragspflichtiger<br />

allerdings noch nicht an das Kanalnetz angeschlossen, die Kläranlage jedoch fertig gestellt, so<br />

kann der Beitragspflichtige die Kläranlage nur in Form des rollenden Kanals, also für die Fä-<br />

kalschlammentsorgung oder für die Entleerung seiner abflusslosen Grube in Anspruch neh-<br />

men. Gerade um aber auch in diesen Fällen der Inanspruchnahmemöglichkeit der Teileinrich-<br />

tung "Kläranlage" eine Möglichkeit der (Teil-) Beitragserhebung zu haben, hat der Landesge-<br />

setzgeber das Rechtsinstitut der "Kostenspaltung" eingeführt. Hiervon hat der Beklagte<br />

Gebrauch gemacht und in seiner EWS - wie oben dargelegt - die Fäkalschlammentsorgung<br />

zum Inhalt seiner einheitlichen öffentlichen Einrichtung gemacht und die Beitragspflichtigen<br />

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7 K 1410/07 We<br />

zur Nutzung der Fäkalschlammentsorgung berechtig und verpflichtet und in § 2 Satz 1 BS-<br />

EWS zudem ausdrücklich bestimmt, dass der Beitrag auch für solche Grundstücke erhoben<br />

wird, auf denen Abwasser anfällt, wenn für sie nach § 4 EWS ein Recht zum Anschluss an die<br />

Entwässerungseinrichtung besteht.<br />

Es kann auch dahinstehen, ob der Beklagte als Endziel seiner Ausbauplanung einen vollstän-<br />

digen oder weitgehenden Anschluss aller Grundstücke in seinem Verbandsgebiet an ein Ka-<br />

nalnetz vorgesehen hat. Seine Entscheidung, eine Kostenspaltung in Form eines Teilbeitrages<br />

für die Kläranlage einzuführen und seine Regelung in § 2 Satz 1 BS-EWS zeigen, dass er un-<br />

abhängig vom Endzustand seiner öffentlichen Einrichtung Teilbeiträge für die Entsorgung<br />

von Fäkalschlamm in der Kläranlage geltend machen will. Dies wird bestätigt durch die<br />

Versendung eines Teilbeitragsbescheides Kläranlage an die Klägerin, die nur die Fäkal-<br />

schlammentsorgungsmöglichkeit nutzt.<br />

Zwar stehen Aspekte der Kostenverursachung oder der unterschiedlichen Leistungs- oder<br />

Vorteilsgewährung durch die Benutzung oder Inanspruchnahmemöglichkeit der öffentlichen<br />

Einrichtung der zulässigen Zusammenfassung technisch getrennter Anlagensysteme zu einer<br />

einheitlichen öffentlichen Einrichtung nach der Thüringer Rechtslage regelmäßig nicht entge-<br />

gen.<br />

Hat der Beklagte sich in seiner BS-EWS jedoch für eine Kostenspaltung mit einem Teilbei-<br />

trag Kläranlage entschieden und bestimmt er in § 2 Satz 1 BS-EWS letztendlich, dass der Bei-<br />

trag sowohl von Teileinleitern (Fäkalschlammentsorgung oder Entleerung abflussloser Gru-<br />

ben) als auch Volleinleitern (Einleitungsmöglichkeit sowohl von Schmutz- als auch Nieder-<br />

schlagswasser in ein Kanalnetz, dass die Fracht zur zentralen Kläranlage verbringt) erhoben<br />

wird, dann muss er den unterschiedlichen Vorteil für den Beitragspflichtigen auch durch ei-<br />

nen vorteilsgerechten Beitragsmaßstab in seiner BGS-EWS berücksichtigen.<br />

Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 ThürKAG 2005 sind die Beiträge jedoch entsprechend abzustufen,<br />

wenn die Vorteile der Beitragspflichtigen verschieden hoch sind. Der Beklagte hat den Teil-<br />

beitrag für die Teileinrichtung "Kläranlage" in seiner BS-EWS jedoch nicht abgestuft. Er er-<br />

hebt insoweit einen einheitlichen Teilbeitrag, obwohl die Vorteile, die den einzelnen Nutzer-<br />

gruppen gewährt werden, durchaus unterschiedlich sind.<br />

Unterschiedliche Vorteile durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Entwässerungs-<br />

einrichtung können sich insbesondere daraus ergeben, dass die Einrichtung nicht allen<br />

9


7 K 1410/07 We<br />

Grundstücken im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung eine vergleichbare Leistung<br />

bietet, z.B. weil teilweise das gesamte Schmutz- und Niederschlagswasser, teilweise aber nur<br />

das Schmutzwasser oder nur das Niederschlagswasser abgeleitet oder weil die Entwässe-<br />

rungseinrichtung teilweise ohne, teilweise mit Vorklärung in Anspruch genommen werden<br />

kann bzw. weil eine Nutzung der Entwässerungseinrichtung teilweise nur über eine Abfuhr<br />

aus Kleinkläranlagen oder abflusslosen Gruben ermöglicht wird (vgl. ThürOVG, Urteil vom<br />

21.06.2006, a.a.O, ebenso BayVGH, Urteil vom 18.11.1999 - 23 N 98.3160 - BayVBl. 2000,<br />

208).<br />

Derartige Unterschiede sind bei der Beitragsbemessung durch eine vorteilsgerechte Beitrags-<br />

abstufung zu berücksichtigen.<br />

Soweit der Beklagte meint, er könne auf eine solche Abstufung verzichten, weil er die Teil-<br />

beiträge für das Kanalnetz und die Sammler separat erhebe und sich bei der Teileinrichtung<br />

"Kläranlage" eine Abstufung erübrige, geht dies fehl. Diese Argumentation vermischt unzu-<br />

lässigerweise das Instrument der Kostenspaltung mit dem Gebot der Beitragsabstufung.<br />

Der in § 5 Abs. 1 BS-EWS enthaltene Beitragsmaßstab für den Teilbeitrag "Kläranlage" ent-<br />

spricht jedoch nicht der zu fordernden vorteilsgerechten Beitragsabstufung und ist daher nich-<br />

tig.<br />

"Die Abstufung von Beitragssätzen für Voll- und Teileinleiter der öffentlichen Entwässe-<br />

rungseinrichtung bzw. für die Abfuhr aus abflusslosen Gruben und Kleinkläranlagen ist eben-<br />

so wie die Festlegung gestaffelter Gebührensätze kein variabler Berechnungsfaktor bei der<br />

Kalkulation der Beitragssätze, sondern Teil der Maßstabsregelung, die der Bemessung unter-<br />

schiedlicher Vorteile durch die Inanspruchnahme der öffentlichen Entwässerungseinrichtung<br />

dient. Wie jede Maßstabsregelung muss daher auch die Regelung über die Beitragssatzabstu-<br />

fung geeignet sein, die den Beitragspflichtigen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme<br />

der öffentlichen Einrichtung gebotenen, grundstücksbezogenen Vorteile angemessen zu ge-<br />

wichten" (ThürOVG, Urteil vom 21.06.2006 4 N 574/98).<br />

"Nach dem in Anschlussbeitragsrecht geltenden Grundsatz der konkreten Vollständigkeit<br />

muss der gewählte Verteilungsmaßstab für alle Veranlagungsfälle im Gebiet des Einrich-<br />

tungsträgers die Berechnung der beitragspflichtigen Flächen ermöglichen. Eine unvollständi-<br />

ge oder fehlerhafte Maßstabsregelung hindert als Voraussetzung für die Verteilung des umla-<br />

gefähigen Aufwandes nicht nur die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht, sondern führt<br />

10


7 K 1410/07 We<br />

grundsätzlich zur Nichtigkeit der Beitragssatzung bzw. des Beitragsteiles einer Beitrags- und<br />

Gebührensatzung, weil ein unverzichtbarer Mindestbestandteil der Satzung fehlt. Wird der<br />

Verteilungsmaßstab für die Zukunft oder zur Ersetzung einer fehlerhaften Maßstabsregelung<br />

geändert, hat dies regelmäßig Auswirkungen auf die Summe der Maßstabseinheiten und damit<br />

auf die Berechnung und die Höhe des Beitragssatzes, die in der Beitragskalkulation zu be-<br />

rücksichtigen sind" (Blomenkamp in Driehaus, § 8, Rdnr. 1490).<br />

Bei einer inhaltlichen Ausgestaltung der Beitragsabstufung als Maßstabsregelung hat der Sat-<br />

zungsgeber unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes, dem Äquivalenzprinzip, dem<br />

Vorteilprinzips und dem Grundsatz der konkreten Vollständigkeit sowie dem Prinzip der Be-<br />

stimmtheit und Normenklarheit ein normatives Gestaltungsermessen. Er hat einen weiten Er-<br />

messensspielraum und muss nicht den zweckmäßigsten, vernünftigsten, wahrscheinlichsten<br />

oder gerechtesten Maßstab wählen (vgl. BayVGH, Urteil vom 27.01.2000 und Urteil vom<br />

26.10.2000 in BayVBl. 2001, 498 ff.). Weiter wird vom BayVGH ausgeführt: "Die den ein-<br />

zelnen Grundstücken in unterschiedlichem Maße zukommenden Vorteile müssen den gege-<br />

benen Unterschieden entsprechend zutreffend bewertet werden. Ausgangspunkt aller diesbe-<br />

züglichen Überlegungen ist die Grundstücksbezogenheit des Vorteils, nach dessen Ausmaß<br />

sich wiederum die jeweilige Beitraghöhe zu bemessen hat. Denn sowohl das Äquivalenzprin-<br />

zip und der Gleichheitssatz als auch der im Beitragsrecht besonders bedeutsame Grundsatz<br />

des Vorteilsausgleichs finden im Beitragsmaßstab ihren Niederschlag" (BayVGH, Urteil vom<br />

26.10.2000, in BayVBl, 2001, 498; ebenso Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8, Rdnr.<br />

739). "Weil sich dieser Vorteil aber nicht der Wahrscheinlichkeit entsprechend messen lässt,<br />

muss ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab nur gewährleisten, dass die geschuldeten Beiträge den<br />

aus der öffentlichen Einrichtung gezogenen Vorteilen annähernd entsprechen. Wahrschein-<br />

lichkeitsmaßstäbe sind deshalb nur darauf überprüfbar, ob sie offenbar ungeeignet sind, den<br />

Vorteil zu bestimmen. Dagegen ist es dem Satzungsgeber nach seinem Ermessen überlassen,<br />

welchen Wahrscheinlichkeitsmaßstab er unter den zulässigen auswählt. Grundsätzlich beste-<br />

hen auch keine Bedenken, mehrere zulässige Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe zu kombinieren,<br />

wobei jedoch zu beachten ist, dass stets nur solche Maßstäbe gewählt werden dürfen, die ei-<br />

nen einigermaßen sicheren Schluss auf das Ausmaß des Vorteils zulassen" (BayVGH, Urteil<br />

vom 26.10.2000, a.a.O.).<br />

Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung die Wahrscheinlich-<br />

keitsmaßstäbe von Grundstücksfläche und Geschossfläche immer als geeignet für die Abgel-<br />

11


7 K 1410/07 We<br />

tung des grundstücksbezogenen Vorteils der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öffentli-<br />

chen leitungsgebundenen Versorgungseinrichtung anerkannt.<br />

Der bloße Grundstücksflächenmaßstab allein ist allerdings ungeeignet, die Vorteile sachge-<br />

recht zu erfassen, die ein Grundstück aus einer öffentlichen leitungsgebundenen Versor-<br />

gungseinrichtung erfährt, ausgenommen der Beitragsmaßstab der befestigten Grundstücksflä-<br />

che für eine bloße Regenwasserkanalisation (vgl. BayVGH, Urteil vom 26.10.2000, a.a.O.).<br />

Dem Grundsatz des Vorteilsausgleichs würde auch nicht ausreichend Rechnung getragen,<br />

wenn ein Abwasserzweckverband für eine Mischwasserkanalisation, in die sowohl das<br />

Schmutz- als auch das Niederschlagswasser von den Grundstücken abgeleitet werden kann,<br />

einen reinen Geschossflächenmaßstab wählen würde. Andererseits ist bei einer ausschließli-<br />

chen Schmutzwasserkanalisation ein "reiner" Geschossflächenmaßstab ohne Grundstücksflä-<br />

chenkomponente sachgerecht und in der Regel sogar geboten. Dieser Maßstab ist bei einer<br />

reinen Schmutzwasserkanalisation zulässig, weil sich dort der Grad des Vorteils aus der Mög-<br />

lichkeit der Ableitung des Abwassers aus der vorhandenen oder zulässigen Bebauung be-<br />

stimmt (vgl. BayVGH, Urteil vom 26.10.2000 a.a.O.).<br />

Bei einer reinen Schmutzwasserentwässerung bestehen somit Bedenken hinsichtlich eines aus<br />

Grundstücks- und Geschossfläche gemischten Maßstabes (vgl. ThürOVG, Urteil vom<br />

21.06.2006, Aktenzeichen 4 N 574/98). Die Geeignetheit eines kombinierten Geschossflä-<br />

chenmaßstabes bei einer bloßen Fäkalschlammentsorgung aus abflusslosen Gruben und<br />

Kleinkläranlagen fehlt, weil es sich bei der Abwasserentsorgung aus Kleinkläranlagen und<br />

abflusslosen Gruben regelmäßig um eine reine Schmutzwasserentsorgung handelt, bei der<br />

kein Niederschlagswasser entsorgt wird. "Für eine reine Schmutzwasserbeseitigung wird<br />

(deshalb) … grundsätzlich nur ein reiner Geschossflächen- oder Vollgeschossmaßstab als<br />

geeignet angesehen, weil der wahrscheinliche Umfang der Inanspruchnahme der Schmutz-<br />

wasserentsorgung nicht in Relation zur Grundstücksgröße steht, sondern nur zum Umfang der<br />

baulichen Nutzung, die Ursache für die Entstehung des Schmutzwassers als häuslichem Ab-<br />

wasser ist" (ThürOVG, Urteil vom 21.06.2006, Aktenzeichen 4 N 574/98). Die für die Misch-<br />

wasserkalkulation (Ableitung von Schmutz- und Oberflächenwasser) als sachgerecht aner-<br />

kannte und gebotene Kombination führt bei einer reinen Schmutzwasserentsorgung aus ab-<br />

flusslosen Gruben und Kleinkläranlagen dazu, Eigentümer großer Grundstücke bei gleicher<br />

Bebauung, also gleichem Vorteil, stärker zu belasten als die Eigentümer kleiner Grundstücke.<br />

Daher kann bei einer "reinen" Schmutzwasserkanalisation ein solcher Maßstab nur zulässig<br />

sein, wenn durch die Verteilung des Aufwandes auf die jeweiligen Bezugsflächen diese Un-<br />

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7 K 1410/07 We<br />

gleichbehandlung weitgehend ausgeschlossen wird (vgl. BayVGH, Urteil vom 26.10.2000,<br />

a.a.O.). Sachgerechte Gründe, die Beitragsbemessung bei der Fäkalschlammentsorgung - wie<br />

sie hier in der Entwässerungssatzung des Beklagten als Teil der Entwässerungseinrichtung<br />

festgelegt ist - durch einen kombinierten Beitragsmaßstab unter Einbeziehung eines Beitrags-<br />

satzes auch für die Grundstücksfläche zu bemessen, konnte das Thüringer Oberverwaltungs-<br />

gericht im Urteil vom 21.06.2006, Aktenzeichen 4 N 574/98 nicht erkennen. Ein gerechter<br />

Vorteilsausgleich bei abflusslosen Gruben und Kleinkläranlagen, bei denen nur die Fäkal-<br />

schlammentsorgung erfolgt, ist somit nur bei einem reinen Geschossflächen- oder Vollge-<br />

schossmaßstab möglich (so ThürOVG, Urteil vom 21.06.2006 Aktenzeichen 4 N 574/98).<br />

Ob die Ungleichbehandlung auch dadurch ausgeschlossen werden kann, dass neben dem Ge-<br />

schossflächen- oder Vollgeschossmaßstab auch ein entsprechend geringer Teil der Grund-<br />

stücksfläche, der 10 Prozent nicht übersteigen darf, Berücksichtigung finden kann (so<br />

BayVGH, Urteil vom 26.10.2000, a.a.O.), kann vorliegend offenbleiben, da der Beklagte oh-<br />

ne Differenzierung einen kombinierten Geschoßflächenmaßstab anwendet, in den die gesamte<br />

Grundstücksfläche grundsätzlich Eingang findet.<br />

Nach §§ 5 Abs. 1, 7 Nr. 2 der BS-EWS des Beklagten wird der Beitrag nach der gewichteten<br />

Grundstücksfläche (Produkt aus Grundstücksfläche und dem Nutzungsfaktor) berechnet. § 5<br />

BS-EWS, der den Beitragsmaßstab für die öffentliche Entwässerungseinrichtung des Beklag-<br />

ten normiert, enthält ebenso wenig wie § 7 Nr. 2 BS-EWS eine Regelung, die dem einge-<br />

schränkten Vorteil bei einer bloßen Fäkalschlammentsorgung aus abflusslosen Gruben oder<br />

Kleinkläranlagen gerecht werden würde.<br />

Ein tauglicher Beitragsmaßstab ist jedoch nach § 2 Abs. 2 ThürKAG zwingender Mindestin-<br />

halt einer Beitragssatzung. Fehlt ein solcher bzw. ist dieser - wie hier - unvollständig, ist eine<br />

Berechnung des Beitrages nicht möglich. Dies führt zur Nichtigkeit der entsprechenden Sat-<br />

zungsregelung für die Geltendmachung des Teilbeitrages Kläranlage.<br />

Mangels materiell wirksamer Rechtsgrundlage ist der angefochtene Bescheid zur Erhebung<br />

eines Herstellungsbeitrages für die Teileinrichtung Kläranlage in Gestalt des Widerspruchsbe-<br />

scheides rechtswidrig. Einer Auseinandersetzung mit den sonstigen von Klägerseite aufge-<br />

worfenen Fragen etwa zu Einwänden in Bezug auf die Globalkalkulation bedurfte es mithin<br />

nicht.<br />

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7 K 1410/07 We<br />

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich der außerge-<br />

richtlichen Kosten (§ 162 Abs. 1 VwGO) des ursprünglichen Beklagten (Landkreis Nordhau-<br />

sen) aus § 155 Abs. 4 VwGO (vgl. VGH München, Beschluss vom 11.02.1999, NVwZ-RR<br />

1999, 695).<br />

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf §<br />

167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.<br />

Dem Antrag, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig<br />

zu erklären, war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO stattzugeben.<br />

Welcher Maßstab bei der Beantwortung der Frage anzulegen ist, unter welchen Vorausset-<br />

zungen die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren als notwendig anzusehen<br />

ist, wird in Rechtssprechung und Literatur uneinheitlich beurteilt. Während zum Teil genera-<br />

lisierend darauf abgestellt wird, dass die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmäch-<br />

tigten im Vorverfahren nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren, sondern zur<br />

Erzielung annähernder ,,Waffengleichheit" zwischen Bürger und Behörde im Regelfall zu<br />

bejahen sei, da der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage sei, selbst seine Rechte gegen-<br />

über der Verwaltung ausreichend zu wahren, ist nach der Rechtsprechung vor allem des 6.<br />

Senats des Bundesverwaltungsgerichtes die Notwendigkeit enger zu beurteilen und nur nach<br />

Lage der Dinge im konkreten Einzelfall anzuerkennen.<br />

Hier ist davon auszugehen, dass selbst nach der engen Betrachtungsweise die Voraussetzun-<br />

gen des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten<br />

eines Rechtsanwalts im Vorverfahren vorliegen. Danach ist die Notwendigkeit der Hinzuzie-<br />

hung zumindest dann zu bejahen, wenn sich im konkreten Fall ein vernünftiger Bürger mit<br />

gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwaltes<br />

oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Maßgebend ist die Sicht einer verständigen,<br />

aber nicht rechtskundigen Partei. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes je-<br />

denfalls dann, wenn es der Partei im Zeitpunkt der Bevollmächtigung nach ihren persönlichen<br />

Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfah-<br />

ren selbst zu führen. Im kommunalabgabenrechtlichen Verfahren liegen diese Voraussetzun-<br />

gen nach Auffassung des Thür. OVG (Beschluss vom 9.1.2003 - 4 VO 24/02), der sich das<br />

Gericht anschließt, regelmäßig vor. In Streitigkeiten über gemeindliche Abgaben treten typi-<br />

scherweise schwierige Sach- und Rechtsfragen auf, die nur eine mit dieser Materie vertraute<br />

rechtskundige Person übersehen und (zuverlässig) beantworten kann.<br />

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7 K 1410/07 We<br />

So liegt der Fall auch hier. Im Hinblick auf die aufgeworfenen Rechtsfragen war es dem Klä-<br />

ger nicht zumutbar, das Widerspruchsverfahren ohne die Zuziehung eines Rechtsanwalts zu<br />

führen.<br />

R e c h t s m i t t e l b e l e h r ung<br />

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Thüringer Oberverwaltungsgericht<br />

zu, wenn sie von diesem zugelassen wird.<br />

Die Zulassung der Berufung kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beantragt<br />

werden. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Weimar, Rießnerstraße 12 b,<br />

99427 Weimar, zu stellen.<br />

Der Zulassungsantrag ist innerhalb zweier Monate nach Zustellung des Urteils zu begründen.<br />

Die Begründung ist - wenn sie nicht bereits mit dem Zulassungsantrag erfolgt - beim Thüringer<br />

Oberverwaltungsgericht, Kaufstraße 2 - 4, 99423 Weimar einzureichen.<br />

Hinweis: Für das Berufungsverfahren besteht Vertretungszwang nach Maßgabe des § 67<br />

Abs. 1 VwGO; dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung.<br />

Strätz Bratek Stalbus<br />

B e s c h l u s s<br />

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 798,27 € festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).<br />

R e c h t s m i t t e l b e l e h r ung<br />

Gegen den Streitwertbeschluss steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen<br />

die Beschwerde an das Thüringer Oberverwaltungsgericht zu.<br />

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Weimar, Rießnerstraße 12 b,<br />

99427 Weimar, einzulegen.<br />

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird,<br />

nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich<br />

anderweitig erledigt hat.<br />

Strätz Bratek Stalbus<br />

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