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295. Ausgabe, ET 24.10.2020

Kleines Schlupfloch gesucht: Angela Merkel hat wenige Stunden nach dem Treffen mit den Ministerpräsident/innen der Länder ihren Kanzleramtschef Helge Braun ins Fernsehen geschickt, um der Bevölkerung mitzuteilen, dass diese es selbst richten muss. Von Michael Zäh

Kleines Schlupfloch gesucht: Angela Merkel hat wenige Stunden nach dem Treffen mit den Ministerpräsident/innen der Länder ihren Kanzleramtschef Helge Braun ins Fernsehen geschickt, um der Bevölkerung mitzuteilen, dass diese es selbst richten muss. Von Michael Zäh

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Samstag, 24. Oktober 2020

HINTERGRUND POLITIK 3

, 24. Oktober 2020

24. Oktober 2020

Debattenkultur: ja!

Quatsch: nein!

Samstag, 24. Oktober 2020

Es wäre wünschenswert, wenn die Parlamente im Bund und in den Ländern möglichst oft darüber „streiten“, welche Corona-

Maßnahmen gut sind. Das heißt aber nicht, dass die Demokratie in Gefahr ist, weil die Exekutive regierte . Von Michael Zäh

Derzeit kursiert gerne eine

falsche Vorstellung. Weil

nun immer öfter kritisiert

wird, dass in Zeiten von Corona nur

noch die Exekutive regiert, wird das

Bild entworfen, dass die Demokratie

dabei auf der Strecke bliebe. Und es

gibt dann natürlich auch Leute, die

dieses Zerrbild weiter ausschlachten

wollen und sogleich von einer nun

bevorstehenden Diktatur sprechen.

Dies wiederum verunsichert auch

die Bevölkerung, weil sie aufgrund

der Corona-Pandemie sowieso nach

Halt sucht. So entsteht das Gefühl,

dass derzeit alles aus den Fugen

gerät.

Was ist da dran und was ist ein

Missverständnis? Richtig ist, dass es

zweifellos wünschenswert ist, wenn

Parlamente, sowohl der Bundestag

wie auch die Landtage, möglichst

oft in Debatten darüber „streiten“,

was denn der richtige Weg ist, um

die Corona-Pandemie zu bekämpfen.

Parteiübergreifend gibt es derzeit

Kritik am geringen Einfluss der

Parlamente auf die Entscheidungen

über die Corona-Maßnahmen. So

forderte Bundestagsvizepräsidentin

Claudia Roth eine stärkere Rolle

des Parlaments: „In einer Zeit, wo

es darum geht, diese schwierige

Abwägung immer wieder zu treffen,

Schutz der Gesundheit, aber

auch Schutz von Freiheit und Bürgerrechten,

da muss es ein Ringen

geben um Lösungen, Debatten,

Reden, Gegenreden, Alternative,

Abwägungen, Entscheidungen und

Kontrollen.“

Das ist richtig. Aber es ist nicht

deswegen richtig, weil bisher am

Parlament vorbei regiert worden

sei. Alles, was die Exekutive, also

die Bundesregierung zusammen

mit den Ministerpräsidenten der

Länder bisher beschlossen haben,

wäre mit an Sicherheit grenzender

Wahrscheinlichkeit auch von den

bestehenden Mehrheiten in den

Parlamenten so bestätigt worden.

Das ist ja leicht zu kapieren: Wenn

sich Merkel, Scholz und Söder

für die Große Koalition über die

Corona-Maßnahmen abgestimmt

haben, dann hätte eben diese GroKo

im Bundestag auch jederzeit die

dafür nötige Mehrheit gehabt. Es

waren ja auch keine Beschlüsse

dabei, die den Parlamentarien eine

Gewissensfrage jenseits der Parteizugehörigkeit

abgefordert hätten.

Es geht eher um das Bild der

Demokratie als solcher und damit

auch um das Vertrauen der Bürger.

Debatten in den Parlamenten sind

– unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen

– einfach ein Abbild

der Demokratie. Wenn also in den

Parlamenten über den richtigen

Weg gestritten wird, dann ist das

gut, um die richtige Entscheidung

zu treffen und vor allem, um dies

dann auch den Bürgern plausibel

zu machen. Das wiegt den Nachteil

auf, dass ein solches Vorgehen halt

viel mehr Zeit kostet.

Es ist natürlich auch kein Zufall,

dass jene Politiker, die es besonders

eilig haben, auch jene sind, denen

ein Hang zur Macht nunmal nicht

abzusprechen ist. Da ist ja Markus

Söder immer vorneweg (siehe Seite

5), dicht gefolgt von Jens Spahn.

Aber noch einmal: Dies ist von

demokratischen Richtlinien gedeckt

und es handelt sich dabei nicht um

Versuche, heimlich die Demokratie

zu umgehen. Wer dies behauptet,

verbreitet Irrlichter.

Gerne wird hier ja der Vorstoß

von Gesundheitsminister Jens

Spahn als Beispiel genommen, der

die bestehenden „Sonderrechte“

gerne über den März 2021 hinaus

verlängern will. Das wird ihm als ein

Versuch ausgelegt, am Parlament

vorbei regieren zu wollen. Aber ist

das tatsächlich so?

Nein. Denn erstens sind alle ihm

als Gesundheitsminister über das

Infektionsschutzgesetz zugestandenen

Befugnisse vom Parlament

verabschiedet worden. Es gibt kein

Gesetz, das am Bundestag vorbei

verabschiedet hätte werden können.

Und zweitens ist sein Anliegen,

hier eventuelle Sonderrechte zu

„verstetigen“ ja nicht mehr als sein

Wunsch, aber keineswegs in seiner

Macht stehend. Beispielsweise hat

ja auch Koalitionspartner SPD hier

Bedenken angemeldet. Was auch

bedeutet, dass eine Mehrheit im

Bundestag für Spahns Vorhaben

eher wacklig wäre. Und ohne einen

Mehrheitsbeschluss im Bundestag

ließe sich sein neues Gesetz gar

nicht verwirklichen.

Die Corona-Gefahr ist schlimm

genug. Eine Debattenkultur wieder

zu stärken, wäre gut. Aber den Eindruck

zu erwecken, dass wir keine

Demokratie hätten, ist Quatsch.

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