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295. Ausgabe, ET 24.10.2020

Kleines Schlupfloch gesucht: Angela Merkel hat wenige Stunden nach dem Treffen mit den Ministerpräsident/innen der Länder ihren Kanzleramtschef Helge Braun ins Fernsehen geschickt, um der Bevölkerung mitzuteilen, dass diese es selbst richten muss. Von Michael Zäh

Kleines Schlupfloch gesucht: Angela Merkel hat wenige Stunden nach dem Treffen mit den Ministerpräsident/innen der Länder ihren Kanzleramtschef Helge Braun ins Fernsehen geschickt, um der Bevölkerung mitzuteilen, dass diese es selbst richten muss. Von Michael Zäh

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Samstag, 24. Oktober 2020

DEUTSCHLAND POLITIK 5

, 24. Oktober 2020

24. Oktober 2020

Samstag, 24. Oktober 2020

Tiger & Dompteur

Markus Söder hat fast jede Woche eine weitere Idee, wie er sich selbst interessant machen könnte.

Das Dumme dabei ist allerdings, dass er in Bayern die schlechtesten Zahlen bei der Corona-Pandemie

zu verantworten hat. Er droht den Leuten, aber ohne Erfolg. Von Michael Zäh

Markus Söder ist ein Politiker, dessen bilderreiche

Sprache ihn ständig verrät. „Der Staat darf kein zahnloser

Tiger sein“, hat er kürzlich gesagt, als um die

nötigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie

in Deutschland zwischen Bund und Ländern gestritten wurde.

Wir wissen also jetzt, dass Söder sich den Staat auf jeden Fall als

Tiger vorstellt. Und natürlich gehören zu so einem richtigen Tiger

auch die Zähne, keine Frage! Doch jetzt, Achtung: In wen genau

sollen die Fangzähne des Tigers geschlagen werden? Wenn der

Staat der Tiger ist, wer sind dann die Menschen, die diesen Staat

bevölkern? Lauter scheue Antilopen? Markus Söder jedenfalls

scheint der Dompteur zu sein, der den Tiger beherrscht und ihn

wenn nötig auf die Leute in seinem Land loslässt.

Das Land heißt Bayern. Und natürlich sind die Bayern selber

Schuld, wenn sie einen wie Söder zu ihrem Ministerpräsidenten

wählen. Doch irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass

dieser Söder gerne auch ganz Deutschland quasi als Bundesdompteur

dressieren würde. Wer nicht horcht, hat dann schnell

die Zähne des Tigers am Hals.

Gerne sucht sich Söder also Ministerpräsidenten anderer

Länder aus, um sich sozusagen am Unterschied zu ihnen zu

profilieren. Lange war das Armin Laschet (Nordrhein-Westfalen)

und neuerdings ist es gerne Berlins Regierender Bürgermeister

Michael Müller. Sowohl in Berlin wie auch in München sind es

die explodierenden Infektionszahlen, die den beiden Politikern

Sorgen machen. Aber während Müller davon spricht, wie wichtig

es sei, weitere Einschränkungen bei privaten Feiern zu formulieren

und das Problembewusstsein der Menschen zu schärfen,

setzt sein Kollege Söder auf die schlichte Formel: „Mehr Maske,

weniger Alkohol, weniger feiern.“ Was für ein Oberchecker!

Michael Müller schaut sparsam drein, wenn Söder über

Sanktionen und Ahndung von Verstößen schwadroniert. Und

Söder wiederum rollt mit den Augen, wenn Müller die Notwendigkeit

von allerlei Freiheiten in der Hauptstadt untermauert.

„Ein Staat darf kein zahnloser Tiger sein“, sagt Söder also. Und

Müller kontert: „Abriegelung ist für mich keine Option.“

Es ist kein Zufall, dass nach den Diskussionen unter den 16

Ministerpräsidenten der Länder mit Kanzlerin Merkel und ihren

Bundesministern stets Markus Söder auffällig wird. Von einem

Winfried Kretschmann dringt in diesem Zusammenhang nicht

viel an die Öffentlichkeit. Söder ist ziemlich viel an der Präsentation

seiner selbst, vielleicht sogar an einer Inszenierung seiner

Person gelegen, während es andere Minister gibt, die eher ans

große Ganze denken. Und dieses ist, dass die Corona-Lage nicht

dazu taugt, ein politisches Theaterstück aufzuführen. Denn das

Vertrauen der Bevölkerung steht auf dem Spiel. Geht dieses

verloren, dann fallen dem Tiger bald alle Zähne aus.

Typisch Söder: Er drohte den Leuten einsame Weihnachten

an. „Entweder schaffen wir es, in den nächsten vier Wochen

wieder die Zahlen unter Kontrolle zu bekommen – oder es wird

sehr schwierig“, sagte der bayerische Ministerpräsident. „Dann

wird es ein einsames Weihnachten.“ Sprich: Statt Friede, Freude

und Besinnlichkeit schickt Söder den bezahnten Tiger. Er sagt

ja schon jetzt, dass die Ordnungsämter sich ab sofort weniger

um die Falschparker und mehr um die Maskensünder kümmern

sollen. „Es wird Bußgelder geben“, versprach er.

Überhitzt wie Söder nunmal ist, kommt er fast täglich mit

einer neuen Idee um die Ecke. „Ich bin ein überzeugter Föderalist,

aber ich glaube, dass der Föderalismus zunehmend an seine

Grenze stößt“, sagte Söder. Bayerns Ministerpräsident ist bereit,

zur Bekämpfung der Pandemie Kompetenzen von den Ländern

auf den Bund zu verlagern. Na ja, nicht wenige seiner Kollegen

haben erkannt, dass dies wohl ein Trick ist, da Söder in Bayern

die schlechtesten Zahlen aller Bundesländer zu verantworten

hat. Unterm Strich sind solche Manöver schädlich, weil sie den

Eindruck erwecken, dass es mehr um Selbstdarstellung als um

echte Problemlösung geht. Markus Söder ist der Dompteur eines

Tigers, den man auch „Karriere machen wollen“ nennt.

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