WirtschaftsKreuz-Nord-West Teil II - DIE WIRTSCHAFT - 27. Oktober 2020

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12 Wirtschaftskreuz Nord-West Unabhängigvonder Hotelbuchungslage:WeraufeinemCampingplatzübernachtet,agiertmeistensautark–das istgeradeinZeiteneiner weltweiten PandemieeingewichtigerVorteil. Fotos:AlfseeGmbH „Das Camping ist ganz klar ein absoluter Gewinner der Krise“ Sonja Glasmeyer, Chefin der FerienanlageamAlfsee, erwartet im Gesamtjahr deutliche Verluste,hofft aber auf 2021 VON CHRISTOPH LÜTZENKIRCHEN DerCampingplatzamAlfseeist gutbelegt. RIESTE Wenn Sonja Glasmeyer zurückblickt, wirkt sie immer noch ungläubig. „Wenn Sie mich das im Juni gefragt hätten“, sagt sie mehrfach im Gespräch. Seit Januar 2020 ist die 49-jährige Volljuristin und Diplomkauffrau Geschäftsführerin der Alfsee GmbH in Rieste. Auf insgesamt 18 Hektar Fläche betreibt das Unternehmen neben einem Fünf-Sterne-Campingplatz ein Drei-Sterne-Hotel, eine Ferienhausanlage, 16 Ferienappartements, das Themenressort „Germanenland“ mit 30 Mobilheimen, ein Saunaland, das Restaurant-Café „Alfsee- Piazza“, zwei Bistros, einen Imbiss und einen Supermarkt. „Wenn wir ausgebucht sind, halten sich zeitgleich 2500 Menschen auf unserem Gelände auf“, so Glasmeyer. Am 17. März 2020 musste sie sämtliche Betriebe schließen. Fast alle Mitarbeiter blieben zu Hause. NurinVerwaltung, Bauhof und Geschäftsführung gab es eine Notbesetzung. Zum Glück habe es mit dem Kurzarbeitergeld hervorragend geklappt, erinnertsich die Geschäftsführerin. Der Bescheid der Agentur für Arbeit sei sehr schnell gekommen. Ab dem 21. März gab es auch keine Dauercamper mehr auf dem Gelände. Erlaubt waren nur noch Geschäftskunden im Hotel, die hatten ihre Buchungen aber fast alle storniert. Auch das Hotel blieb geschlossen. „Besonders bitter war für mich der 1. April, an dem wir eigentlich das 40-jährige Jubiläum des Alfsees begehen wollten“, sagt Glasmeyer: „So einen Komplettstillstand hat esinder gesamten Zeit, die der Betrieb besteht, noch nie gegeben.“ Der Geschäftsbetrieb ruht, die Kosten laufen weiter. Doch staatliche Corona-Hilfen konnte das Touristikunternehmen nicht in Anspruch nehmen. Gesellschafter der Alfsee GmbH sind die Samtgemeinde Bersenbrück (94,9 Prozent) und der Landkreis Osnabrück (5,1 Prozent). Um Anspruch auf Corona- Hilfen zu haben, muss ein Unternehmen aber zu mindestens 50 Prozent in Privatbesitz sein. Den Lockdown überstand das Unternehmen mithilfe von Liquiditätsreserven, die man für die Endfinanzierung des Großbauvorhabens „Germanenland“vorgehalten hatte. „Zum 1. April –also mitten im Lockdown – haben zudem fast alle unserer 380 Dauercamper ihren Jahresbeitrag voll bezahlt“, berichtet die Geschäftsführerin nicht ohne Stolz: „So ein Stellplatz kostet im Jahr bis zu 1650 Euro.“ Inzwischen hat die Samtgemeinde Bersenbrückaußerdem ein Gesellschafterdarlehen zur Verfügung gestellt. Fast zwei Monate musste Sonja Glasmeyer die Pforten der Anlage geschlossen halten. Erstam11. Mai hattesie die offizielle Genehmigung für den Neustart. „Der Campingplatz durfteaber nur zu 50 Prozent ausgelastetsein“, sagtsie: „Umdiese Zeit sind wir sonstzu100 Prozent ausgebucht. Wir mussten also der Hälfte unserer Kunden absagen. Das war gar nicht so einfach, denn es werden klare, nachvollziehbare Kriterien dafür benötigt.“ So habe man beispielsweise allen Gruppen abgesagt, weil es hier die Gefahr gab, dass zu viele Personen aus verschiedenen Haushalten zusammentreffen. Wegender Absagen musste das Unternehmen erhebliche Summen an die Gäste zurückzahlen. Zum Glück sei das ohne Reklamationen gelungen, so die Geschäftsführerin. Der Neustart war aufwendig. Glasmeyer und ihr Team mussten jeden Gast schon sieben bis zehn Tage vor der Anreise darüber informieren, wie die Coronaregeln in Niedersachsen sind. Jeder erhielt eine schriftliche Belehrung, die er unterschreiben musste. Es gab erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Bundesländern, ein Großteil der Gäste am Alfsee kommt aus Nordrhein-Westfalen, wo vieles deutlich lockerer gehandhabt wurde. Selbstverständlich durften Gäste nicht mit Symptomen anreisen, das gilt auch heute unverändert. Das Verständnis der Kunden sei anfangs sehr groß gewesen, erinnertsich die 49-jährige. Im Laufe der Zeit habe es leider deutlich abgenommen. Die Vorbereitungen für den Neustart hatten schon während des Lockdowns begonnen. Glasmeyer: „Wir haben Hygiene- und Anreisepläne entworfen und die Gastronomie entsprechend der Abstandsregeln umgebaut. Dabei galt es permanent auf die Rechtslage zuachten, die sich teilweise täglich änderte. Beispielsweise hießesbeim Neustart, dass man 50 Prozent der freien Plätze vergeben dürfe. Zwei Tage später wurde dies modifiziert und es hieß, dass nur 50 Prozent der gesamten Plätze vergeben werden dürfen. Hierbei zählten die Dauerstellplätze mit.“ Die Geschäftsführerin der Alfsee GmbH verweist darauf, dass es auf dem Campingplatz eigene Sanitäranlagen für die Dauercamper gibt. Zudem seien ausreichende Abstände jederzeit gewährleistet. Die Wahrscheinlichkeit, dass es hier zu einer Infektion komme, sei sehr gering. „Bis jetzt ist mir in ganz Deutschland nicht ein einziger Fall einer Infektion auf einer Campinganlage bekannt“, argumentiert sie. Allerdings würde sie persönlich nicht mit den Verantwortlichen in der Politik tauschen wollen. Es sei sehr schwer,ineiner solchen Situation sachgerechte Entscheidungen zu treffen. Nachdem der Betrieb unter den neuen Bedingungen wieder hergestellt war, entwickelte sich das Geschäft mit einer Dynamik, die keiner erwartet hatte. „In den Sommerferien wurden wir regelrecht überrannt“, beschreibt Sonja Glasmeyer die Situation. Manchmal sei man morgens ins Büro gekommen und habe 300 neue E-Mails vorgefunden. Nach getaner Arbeit am Abend seien es dann immer noch 280 gewesen. Telefonisch sei das Büro zwei Wochen lang kaum noch erreichbar gewesen, weil pro Stunde um die 180 Anrufe eingingen. Für die Mitarbeiter in der Rezeption und der Gastronomie war der Boom eine große Herausforderung. Zudem mussten sie rund um die KOMPETENZZENTRUM TOURISMUS Schnelle Erholung? Laut der aktuellen „Recovery-Check“ Analyse desKompetenzzentrums Tourismus desBundesinSalzgitter erholt sich der Binnentourismusdeutlich schneller und stärker als der internationale Tourismus.Das internationale Geschäft sei voneiner deutlich volatileren Entwicklung geprägt,heißt es. Die Analyse sei eine Momentaufnahme auf Basis der geltenden Lockerungen, Grenzöffnungen und Aufhebungen vonReisewarnungen, so die Meldung desKompetenzzentrums.ImbestenFall könnten bis Ende Oktober diesesJahres demnach bereits70Prozent desUmsatzes von2019 erreicht werden, waseinem deutlichen Anstieg gegenüber der erstenJahreshälfte entspreche.„In diesemoptimistischen Szenario wirdsich der Binnentourismus bis zum 1. Mai Uhr mit Maske arbeiten. Durch die vielen Camping-Gäste war das Restaurant durchgehend ausgebucht, wegen der Abstandsregeln allerdings nicht voll besetzt. „Der Badesee musste den Zugang im Sommer beschränken“, erzählt die Geschäftsführerin: „Das führte zu morgendlichen Schlangen von bis zu 300 Metern Länge der Menschen, die für eine Badeseekarte anstanden. Das Camping istganz klar ein absoluter Gewinner der Krise. Für diesen Geschäftsbereich gehe ich davon aus, dass wir trotz des Lockdowns das Vorjahresergebnis erreichen werden.“ Allerdings erwirtschaftet das Unternehmen mit dem Campingplatz, nur etwa ein Drittel seiner Umsätze. Zum Stichtag 30. September liegeman beim Umsatz im gastronomischen Bereich um 40 Prozent unter den Vorjahreswerten, erklärtGlasmeyer: „Es istunmöglich, die Kosten im gleichen Maßzusenken. Allein im Saunaland verbuchen wir einen Umsatzrückgang um 70 Prozent.“ Die gastronomischen Betriebe und das Saunaland sind ihre Sorgenkinder. Immerhin liegt man bei Mietwohnwagen, Appartements und Miethäusern leicht im Plus gegenüber 2019. Die Vermietungssituation hat sich deutlich besser entwickelt als erwartet. „Zusammenfassend kann man festhalten, dass wir im Gesamtjahr deutliche Verluste einfahren werden“, stellt die Ökonomin fest: „Weil der Deutschlandtourismus von der Krise profitieren wird, hoffen wir aber darauf, dass diese sich imkommenden Jahr aufholen lassen. Für die Herbstferien sind wirimCamping fastvollständig ausgebucht. Zudem hoffenwir auf weitere Gäste im November und Dezember. Dann müssen wir sehen, wie wir über den Winter kommen.“ 2021vollständig erholen“, heißt es weiter. Ein vorsichtigeresSzenario sieht vor, dasserstab dem 1. Juli 2021wieder 100Prozent des Umsatzniveaus von 2019 erreicht werden. Im schlechtestenFall könne dies aber auch bis Ende 2022dauern. Die vollständigeErholung desinternationalen Tourismus erwarten die Experten im Rahmen eines pessimistischen Szenarioserstim Sommer 2024.
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