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WirtschaftsKreuz-Nord-West Teil II - DIE WIRTSCHAFT - 27. Oktober 2020

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04<br />

Wirtschaftskreuz <strong>Nord</strong>-<strong>West</strong><br />

„Das Wissen bleibt vorhanden“<br />

Hartmut Hagmann und Dr.Hans-Ulrich Sorgenfrei über die Herausforderungen in den Krankenhäusern<br />

VON JENNY HAGEDORN<br />

MÜNSTER Am 3. März ist imClemenshospital<br />

Münster der erste<br />

Covid-19-Patient aufgenommen<br />

worden. „Wir sind gefühlt in einen<br />

Tunnel gefahren und wussten<br />

nicht, wann wir wieder herausfahren“,<br />

erinnert sich Hartmut Hagmann,<br />

Regionalgeschäftsführer<br />

der Alexianer Misericordia. Vor<br />

welche Herausforderungen die<br />

Pandemie die beiden Krankenhäuser<br />

(Clemenshospital, Raphaelsklinik)<br />

stellte, wie es nach Covid-19<br />

weitergeht und was bei der Finanzierung<br />

des Gesundheitswesens<br />

besser laufen könnte, beantwortet<br />

er gemeinsam mit Dr.Hans-Ulrich<br />

Sorgenfrei, Geschäftsführer des<br />

Clemenshospitals und der Raphaelsklinik,imInterview.<br />

Jetzt wird(wieder mal) deutlich,<br />

zu welchen Leistungen Krankenhäuser<br />

fähig sind und wie wichtig<br />

sie für uns alle in Krisensituationen<br />

sind. Muss die Frage der<br />

Ökonomisierung des Gesundheitswesens<br />

neu überdacht werden?<br />

Hans-Ulrich Sorgenfrei: Die<br />

Krankenhäuser sind eine wichtige<br />

Säule der Daseinsvorsorge. Sie garantieren<br />

eine medizinische Versorgung<br />

der Bevölkerung auf hohem<br />

Qualitätsniveau und sollten<br />

flächendeckend nah erreichbar<br />

sein. Das Gesundheitswesen gehört<br />

zur Daseinsvorsorge wie beispielsweise<br />

etwa das Rettungswesen<br />

oder das Bildungswesen. Niemand<br />

würde auf die Idee kommen,<br />

diese Bereiche zu ökonomisieren<br />

und vollends dem Wettbewerb<br />

auszusetzen. Wir müssen auch im<br />

Bereich der Krankenhäuser die<br />

entfesselten marktwirtschaftlichen<br />

Elemente wieder verringern.<br />

Der staatliche Sicherstellungsauftrag<br />

und die sozialstaatliche Verpflichtung<br />

der Daseinsvorsorge<br />

kann nicht delegiert oder den Regeln<br />

des Marktes überlassen werden.<br />

Reformen der Krankenhausversorgungsstruktur<br />

und<br />

-finanzierung sind daher nun nötig.<br />

Hartmut Hagmann: Zudem<br />

muss die Finanzierung der Krankenhäuser<br />

weiterentwickelt werden.<br />

Dieses komplexe System ist24<br />

Stunden an sieben Tagen die Woche<br />

unabhängig von der jeweiligen<br />

Auslastung vorzuhalten. Wie bei<br />

der Feuerwehr muss auch in Krankenhäusern<br />

das Vorhalten von Personal<br />

und Technik unabhängig<br />

von der konkreten Inanspruchnahme<br />

finanziert werden. Dabei<br />

istwichtig,dass Kliniken ihre Vorhaltekosten<br />

außerhalb des Systems<br />

der Fallpauschalen erstattet<br />

bekommen.<br />

Sorgenfrei: Wichtig istnun, dass<br />

diese Strukturreformen gut geplant<br />

vorgenommen und vor allem<br />

am regionalen Versorgungsbedarf<br />

ausgerichtet werden. Der aktuell<br />

marktwirtschaftlich erzeugte<br />

Strukturwandel über den ruinösen<br />

Verdrängungswettbewerb gefährdet<br />

immer mehr eine gut er-<br />

„Die Bürokratie<br />

frisst viel von<br />

der Arbeitskraft<br />

der Mitarbeiter“<br />

Dr.Hans-Ulrich Sorgenfrei,<br />

Geschäftsführer<br />

Dr.Hans-Ulrich<br />

Clemenshospitals<br />

cordia<br />

Sorgenfrei,Geschäftsführerdes<br />

undderRaphaelsklinik<br />

reichbare Gesundheitsversorgung.<br />

Diese „kalte Krankenhausplanung“<br />

muss verhindertund die<br />

Daseinsvorsorge federführend gestaltetwerden.<br />

Daher beabsichtigt<br />

das Land auch ab 2021, regulierend<br />

in den Wettbewerb einzugreifen<br />

und erstellt dazu aktuell einen<br />

neuen Krankenhausrahmenplan.<br />

Welche Rolle spielt Geld denn<br />

überhaupt im Gesundheitswesen?<br />

Hagmann: Ökonomische Rahmenbedingungen<br />

können nicht<br />

ausgeblendet werden –sie dürfen<br />

die Versorgung aber nicht allein<br />

dominieren. Und: Qualitätsmedizin<br />

und Wirtschaftlichkeit müssen<br />

auch kein Widerspruch sein. Die<br />

Mitarbeiter brauchen allerdings<br />

ausreichend Zeit für die individuelle<br />

Behandlung und Betreuung<br />

der Patienten. Das bisherige pauschalierte<br />

Abrechnungssystem<br />

mit DRG-Fallpauschalen hat zu<br />

vielen Verwerfungen geführt. (Mit<br />

den DRG-Fallpauschalen wird die<br />

Höhe der Krankenhaus-Entgelte<br />

nach Artund Schweregrad der diagnostizierten<br />

Krankheit eingestuft,<br />

d. Red.). Gleichzeitig haben<br />

sich die Länder aus der Investitionskostenfinanzierung<br />

in den<br />

letzten Jahren immer mehr zurückgezogen.<br />

Gerade einmal die<br />

Hälfte des Investitionsbedarfs<br />

wird derzeit von den Bundesländern<br />

gedeckt. Diese Investitionslückehat<br />

massive Konsequenzen für<br />

die Patientenversorgung,denn die<br />

Krankenhäuser finanzierten in<br />

den letzten Jahren notwendigeInvestitionen<br />

aus Betriebsmitteln,<br />

die dann an anderer Stelle<br />

schmerzhaftfehlen, beispielsweise<br />

bei der Bereitstellung des Personals.<br />

Die Häuser befinden sich damit<br />

zunehmend in einem Spannungsverhältnis<br />

aus Versorgungspflicht<br />

und unzureichender Finanzierung.<br />

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang<br />

der Wettbewerbund<br />

damit die Eigenverantwortlichkeit<br />

der Krankenhäuser?<br />

Hagmann: Gesundheit ist kein<br />

marktwirtschaftliches Gut, sondern<br />

öffentlicher Auftrag. Das<br />

DRG-Fallpauschalensystem ist<br />

eingeführt worden, um unter anderem<br />

auch den Wettbewerb zu<br />

fördern. Der Wettbewerb findet<br />

aber da seine Grenzen, wenn er<br />

dem Wohl der Patientinnen und<br />

Patienten entgegensteht. Die<br />

ökonomische Freiheit des einzelnen<br />

Krankenhauses muss dort<br />

Grenzen finden, wo ein versorgungsgefährdender<br />

Wettbewerb<br />

ausgelöst wird. Wettbewerb „ja“,<br />

aber nicht zu Lasten der Versorgung<br />

der Patientinnen und Patienten.<br />

Sorgenfrei: In der freien Wirtschaft<br />

hat der Wettbewerb einen<br />

HartmutHag-<br />

mann,Regionalge-<br />

schäftsführerder<br />

Alexianer Miseri-<br />

Sinn. Im Gesundheitswesen Ökonomisierung<br />

und Wettbewerb zu<br />

propagieren und dann überall regulierend<br />

mit Einschränkungen<br />

staatlich einzugreifen, macht wenig<br />

Sinn. Inzwischen findet sich<br />

eine überbordende Bürokratie,<br />

die viel von der Arbeitskraft der<br />

Mitarbeiter auffrisst und der direkten<br />

Patientenversorgung entzieht.<br />

Das äußert sich ja auch in<br />

der Unzufriedenheit vieler Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter.<br />

Zeigt Corona die Schwachstellen<br />

des Gesundheitssystems?<br />

Hagmann: Krankenhäuser tragen<br />

eine hohe gesellschaftliche<br />

Verantwortung,dasich gerade bei<br />

Krankheit und Todzeigt, welche<br />

Werte und ethische Grundhaltungen<br />

eine Gesellschaft lebt. Während<br />

der Covid-19-Pandemie haben<br />

uns dramatische Bilder aus<br />

ausländischen Hotspot-Regionen<br />

gezeigt, dass ethische Dilemmata<br />

entstanden sind. Die Krankenhauslandschafthat<br />

sich in der Corona-Krise<br />

als elastischer und flexibler<br />

erwiesen als zentralisierte<br />

Strukturen in Nachbarländern.<br />

Dieser wichtige Vorteil darf nun<br />

nicht verspielt werden.<br />

Waswaren beziehungsweise sind<br />

denn darüber hinaus die größten<br />

Herausforderungen während der<br />

Pandemie? Wasläuft gut?<br />

Hagmann: Eine unserer größten<br />

Herausforderungen war es,<br />

Schutzkleidung, Desinfektionsmittel<br />

und Mund-Nasen-Schutz zu<br />

beschaffen. Es galt zu verhindern,<br />

dass unser Personal nicht arbeiten<br />

kann, weil es an „Pfennigkram“<br />

scheitert. Da müssen die Länder<br />

sehen, dass solche elementaren<br />

Dingeimeigenen Land hergestellt<br />

werden.<br />

Sorgenfrei: Wir haben uns während<br />

der Pandemie in Münster<br />

zwischen den Krankenhausträgern<br />

alle einheitlich mit den<br />

Maßnahmen eng koordiniertund<br />

mit dem Gesundheitsamt die Regeln<br />

abgestimmt. In allen Häusern<br />

in Münster gelten die gleichen<br />

Regeln, beispielsweise in<br />

puncto Patientenbesuche oder<br />

Hygiene. Das hat eine Sicherheit<br />

in der Bevölkerung und bei den<br />

Mitarbeitern geschaffen. Das war<br />

eine sehr positive Erfahrung für<br />

uns alle.<br />

Hagmann: Wir haben uns mit<br />

unseren beiden Krankenhäusern<br />

in Münster so organisiert, dass Patienten<br />

mit Verdacht auf Covid-19<br />

im Clemenshospital versorgt werden,<br />

die Raphaelsklinik ist somit<br />

nahezu frei von Covid-Patienten.<br />

Dort gibt es keine Isolierstation<br />

und keine Covid-Beatmungspatienten.<br />

Deshalb konnten wir<br />

einerseits gefährdetes Personal in<br />

der Raphaelsklinik beschäftigen,<br />

andererseits Covid-Fachpersonal<br />

sowie Beatmungsgeräte und Medikamente<br />

im Clemenshospital bündeln.<br />

Das war eine gelungene Trennung.<br />

Wir haben einmal mehr gesehen,<br />

dass wir großartige Mitarbeiter<br />

in allen Bereichen unserer<br />

Häuser haben, die in dieser<br />

schwierigen Situation über sich<br />

hinaus gewachsen sind und mehr<br />

als nur vollen Einsatz für unsere<br />

Patienten gezeigt haben. Arbeit in<br />

der Krise heißt definitiv Arbeit im<br />

Team –das hat toll funktioniert<br />

und ist sicher nicht selbstverständlich<br />

–dafür danken wir allen<br />

Mitarbeitern!<br />

Wie geht es jetzt weiter? Washaben<br />

Sie aus der Krise gelernt?<br />

Sorgenfrei: Wir haben in den<br />

vergangenen Monaten gelernt,<br />

schnell Strukturen aufzubauen,<br />

die sehr schlagkräftig sind. Das<br />

werden wir nicht vergessen, das<br />

Wissen bleibt vorhanden. Beim<br />

nächsten Mal bekommen wir es<br />

deshalb schneller hin, wir könnten<br />

nun innerhalb von fünf Minuten<br />

einen kompletten Krisenstab<br />

aufstellen, denn die Gesamtstruktur<br />

steht jetzt. Wir waren alle<br />

auf italienische Verhältnisse<br />

und ethische Fragestellungen<br />

vorbereitet.<br />

„Wir waren<br />

in der Corona-<br />

Kriseelastisch<br />

und flexibel“<br />

Hartmut Hagmann,<br />

Regionalgeschäftsführer

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