Der Geheimdienst als Spiegel der Welt - eBook.de
Der Geheimdienst als Spiegel der Welt - eBook.de
Der Geheimdienst als Spiegel der Welt - eBook.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Saison<br />
Die handlungsreichen Bücher von martin suter sind <strong>als</strong> Filmvorlagen äusserst beliebt –<br />
«Lila, Lila» ist nur eine von vielen Suter-Verfilmungen.<br />
Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> statt<br />
Buchstaben<br />
«Harry potter und die Heiligtümer <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s 1» ist <strong><strong>de</strong>r</strong> erfolgreichste Film dieses<br />
Herbsts – und wie je<strong><strong>de</strong>r</strong> zweite Streifen, <strong><strong>de</strong>r</strong> ins Kino kommt, eine Literaturverfilmung.<br />
Warum ist Literatur für die Filmemacher so wichtig? und was braucht es,<br />
damit <strong><strong>de</strong>r</strong> medientransfer vom Buch zum Film gelingt?<br />
Text: Marius Leutenegger<br />
Die Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> hatten gera<strong>de</strong> laufen gelernt und<br />
stan<strong>de</strong>n auf noch sehr wackligen Beinen<br />
– doch bereits wagten sich die Gebrü<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Lumière an einen <strong><strong>de</strong>r</strong> bekanntesten Stoffe<br />
überhaupt: 1896 zeigten sie ihrem staunen<strong>de</strong>n<br />
Publikum eine ultrakurze Version von<br />
Goethes «Faust». Was die Erfin<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Cinématographie<br />
veranlasste, ausgerechnet dieses<br />
hochreflexive und action-arme Theaterstück<br />
zur Vorlage eines Stummfilms zu machen,<br />
bleibt wohl für immer ihr Geheimnis. Sie begrün<strong>de</strong>ten<br />
damit aber eine Kino-Tradition:<br />
die Verfilmung von Literatur.<br />
Bewährt und mit Fan-Gemein<strong>de</strong><br />
«Faust» ist seither Dutzen<strong>de</strong> Male verfilmt<br />
wor<strong>de</strong>n – <strong>de</strong>mnächst wird eine neue Version<br />
mit Moritz Bleibtreu <strong>als</strong> Mephisto gedreht.<br />
In <strong>de</strong>n Anfangszeiten <strong>de</strong>s Kinos konnten Regisseure<br />
etwas gegen das Schmud<strong>de</strong>limage<br />
<strong>de</strong>s Films tun, wenn sie Goethes Drama<br />
verfilmten. Eine ähnliche Motivation trieb<br />
vermutlich auch Richard Burton zu seinem<br />
Film «Doktor Faustus» an, mit welchem er<br />
seine Gattin Elizabeth Taylor ins beste Licht<br />
rückte. Bei <strong>de</strong>n meisten Literaturverfilmungen<br />
steht aber wohl kaum im Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>grund,<br />
dass sich die Filmer <strong>als</strong> beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s kultiviert<br />
darstellen möchten. Die Verfilmung eines<br />
Buchs bietet viele an<strong><strong>de</strong>r</strong>e gewichtige Vorteile.<br />
Erstens hat sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Stoff in Buchform bereits<br />
bewährt; die Filmemacher wissen, dass die<br />
Geschichte «funktioniert», und sie gehen daher<br />
kein beson<strong><strong>de</strong>r</strong>es Risiko ein. Zweitens ga-<br />
Die erfolgreichste Buch- ist auch die erfolgreichste<br />
Filmserie: Die sechs ersten<br />
Harry-potter-streifen spielten weit über<br />
5 milliar<strong>de</strong>n Franken ein.<br />
rantiert <strong><strong>de</strong>r</strong> Erfolg eines Buchs <strong>de</strong>m Film eine<br />
grosse Aufmerksamkeit und ein zuweilen<br />
riesiges Fanpublikum – siehe Harry Potter.<br />
Drittens ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Bedarf <strong><strong>de</strong>r</strong> Filmindustrie an<br />
Geschichten so immens, dass je<strong><strong>de</strong>r</strong> gute Stoff<br />
sofort die Aufmerksamkeit von Regisseuren<br />
auf sich zieht.<br />
Je<strong>de</strong>n Tag eine Literaturverfilmung<br />
Man schätzt, dass rund die Hälfte aller Filme<br />
auf bereits publizierten Büchern basiert. Literaturverfilmungen<br />
sind eine <strong><strong>de</strong>r</strong>artige Selbstverständlichkeit,<br />
dass es bei <strong>de</strong>n Oscar-Verleihungen<br />
jeweils zwei Drehbuch-Preise zu<br />
gewinnen gibt: <strong>de</strong>n Oscar für das beste Originaldrehbuch,<br />
das auf keiner zuvor veröffentlichten<br />
Publikation basiert, und <strong>de</strong>n Oscar<br />
für das Drehbuch nach einer literarischen<br />
Vorlage. 2010 gewann «The Hurt Locker»<br />
<strong>als</strong> bestes Originaldrehbuch, «Precious» galt<br />
<strong>als</strong> beste Adaption – das Drehbuch basierte<br />
auf <strong>de</strong>m Roman «Push» <strong><strong>de</strong>r</strong> US-Autorin<br />
Sapphire. Schaut man, welche Drehbücher in<br />
<strong>de</strong>n letzten Jahren <strong>als</strong> beste Adaptionen ausgezeichnet<br />
wur<strong>de</strong>n, erkennt man, wie wichtig<br />
die Literatur fürs Kino ist: «Slumdog Millionaire»,<br />
«Brokeback Mountain», «A Beautiful<br />
Mind», sie alle sind Literaturverfilmungen.<br />
Doch so verbreitet <strong><strong>de</strong>r</strong> Medientransfer<br />
vom Buch zum Film auch ist – er bleibt kei-<br />
neswegs ohne Risiken und Nebenwirkungen.<br />
«Das Buch hat mir aber besser gefallen!» ist<br />
vermutlich jener Satz, <strong>de</strong>n man am meisten<br />
hört, wenn man ein Kino verlässt.<br />
Das Kino – kein Ort für Fantasie?<br />
Die Schwierigkeiten und Chancen von Buchverfilmungen<br />
lassen sich beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s gut am<br />
Beispiel <strong>de</strong>s Fantasy-Epos’ «<strong>Der</strong> Herr <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Ringe» aufzeigen. <strong>Der</strong> in <strong>de</strong>n 1950er-Jahren<br />
erschienene Roman von J.R.R. Tolkien ist<br />
eines <strong><strong>de</strong>r</strong> wenigen literarischen Werke, das<br />
die Bezeichnung «Kultbuch» tatsächlich verdient<br />
– es soll das meistgelesene Buch nach<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Bibel sein und wird von seiner weltweiten<br />
Fangemein<strong>de</strong> gera<strong>de</strong>zu andächtig verehrt.<br />
Tolkien war einer Verfilmung seines Werks<br />
nicht abgeneigt; vom Drehbuch, das ihm<br />
bereits in 1960er-Jahren vorgelegt wur<strong>de</strong>,<br />
wandte er sich aber mit Grausen ab. «Das<br />
Drama ist <strong><strong>de</strong>r</strong> natürliche Feind <strong><strong>de</strong>r</strong> Fantasie»,<br />
befand er. «Fantasie kann innerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
dramatischen Darstellung kaum bestehen,<br />
wenn die Geschehnisse, so wie es das Drama<br />
verlangt, szenisch umgesetzt wer<strong>de</strong>n.» Tolkien<br />
sah keine Möglichkeit, wie das üppige<br />
Wortgemäl<strong>de</strong>, das er von seiner Fantasy-<strong>Welt</strong><br />
Mitteler<strong>de</strong> entworfen hatte, fürs Kino aufbereitet<br />
wer<strong>de</strong>n könnte. 1978 kam aber doch<br />
ein Zeichentrickfilm nach <strong>de</strong>n ersten eineinhalb<br />
Bän<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Ringe-Trilogie auf die Leinwän<strong>de</strong>.<br />
Die Kommentare in <strong>de</strong>n einschlägigen<br />
Fan-Foren dokumentieren, warum die<br />
geplante Fortsetzung seinerzeit nicht zustan<strong>de</strong><br />
kam: Sie sind vernichtend. Produzenten<br />
liessen die Hän<strong>de</strong> danach lange vom Stoff,<br />
weil sie sich mit ihrem wichtigsten Zielpublikum,<br />
<strong>de</strong>n Fans, nicht anlegen wollten. Doch<br />
dann eröffnete <strong><strong>de</strong>r</strong> Computer <strong>de</strong>m Film ganz<br />
neue Möglichkeiten – und plötzlich schien<br />
es eben doch <strong>de</strong>nkbar, Tolkiens Panoptikum<br />
aus stämmigen Zwergen, spazieren<strong>de</strong>n Bäumen<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> fiesen Orks aus <strong>de</strong>n Köpfen auf die<br />
Leinwand zu bringen.<br />
Vom Fan für Fans<br />
Als sich Peter Jackson En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> 1990er-Jahre<br />
daran machte, <strong>de</strong>n «Herr <strong><strong>de</strong>r</strong> Ringe» <strong>als</strong><br />
Dreiteiler zu verfilmen, wusste er genau, dass<br />
er vor allem die Fans zufrie<strong>de</strong>n stellen musste.<br />
An akribische Werktreue war aber nicht zu<br />
<strong>de</strong>nken – zum einen ist das Buch etwa 1300<br />
Seiten dick, zum an<strong><strong>de</strong>r</strong>en funktionieren Film<br />
und Literatur zu unterschiedlich. Im Buch<br />
wird die Handlung verbal vorangetrieben, im<br />
Film visuell. Deshalb ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Begriff «Verfilmung»<br />
eigentlich f<strong>als</strong>ch, man sollte eher von<br />
Adaption sprechen, von «Anpassung». Das<br />
Buch dient dabei nur <strong>als</strong> Vorlage. Peter Jackson<br />
hielt sich in seinem Fall an diese Vorlage<br />
– aber nicht im Detail, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n im Prinzip.<br />
Jackson wusste, dass Stimmungen, Gefühle,<br />
Handlungsbögen nicht an bestimmte Medien<br />
gebun<strong>de</strong>n sind – und konzentrierte sich <strong>de</strong>shalb<br />
auf diese Aspekte. Es gelang ihm, <strong>de</strong>n<br />
Geist <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte zu erfassen und in sein<br />
Medium zu übertragen. Die Fans nahmen<br />
ihm nicht übel, dass er einiges aus filmdramaturgischen<br />
Grün<strong>de</strong>n verän<strong><strong>de</strong>r</strong>te und wichtige<br />
Passagen wegliess; dazu war er trotz einer<br />
Filmdauer von insgesamt neun Stun<strong>de</strong>n<br />
gezwungen. Überraschen<strong><strong>de</strong>r</strong>weise zeigten die<br />
Fans viel Verständnis für die An<strong><strong>de</strong>r</strong>sartigkeit<br />
<strong>de</strong>s Mediums Film, und am En<strong>de</strong> akzeptierten<br />
sie <strong>de</strong>n Regisseur sozusagen <strong>als</strong> einen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Ihren: <strong>als</strong> einen Tolkien-Freund, <strong><strong>de</strong>r</strong> begriffen<br />
hatte, worum es im Roman ging.<br />
Viele grauenvolle Bespiele ...<br />
Das Beispiel von «<strong>Der</strong> Herr <strong><strong>de</strong>r</strong> Ringe» zeigt:<br />
Ob eine Verfilmung gelingt o<strong><strong>de</strong>r</strong> nicht, hängt<br />
vor allem davon ab, ob <strong><strong>de</strong>r</strong> Film die Atmosphäre<br />
eines Romans aufnehmen kann. Planen<br />
kann man so etwas nur bedingt – manchmal<br />
reichen schon Details wie die f<strong>als</strong>che<br />
Besetzung einer Rolle o<strong><strong>de</strong>r</strong> eine unpassen<strong>de</strong><br />
Musik, um die Stimmung zu ruinieren. Es<br />
braucht viel, damit ein Film gut wird, aber<br />
nur wenig für einen Flop. <strong>Der</strong> beste Beweis<br />
dafür ist die weiterhin sehr lange Liste missratener<br />
Verfilmungen. Ein paar Beispiele gefällig?<br />
«Eat Pray Love» nach <strong>de</strong>m Bestseller von<br />
Elizabeth Gilbert ist zu glatt geraten. «Tintenherz»<br />
wur<strong>de</strong> ein viel zu berechnen<strong><strong>de</strong>r</strong> Abklatsch<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Cornelia-Funke-Trilogie und liess<br />
je<strong>de</strong> Lei<strong>de</strong>nschaft für <strong>de</strong>n Stoff vermissen. In<br />
«Das Parfum», eine <strong><strong>de</strong>r</strong> enttäuschendsten<br />
Verfilmungen überhaupt, verharmlost Regisseur<br />
Tom Twyker die Hauptfigur Grenouille<br />
und versucht Liebesgefühle in <strong>de</strong>n Film einzuflechten,<br />
die es im Buch nicht gibt und die<br />
auch nicht passen – Tykwer begrün<strong>de</strong>te dies<br />
mit <strong>de</strong>n Vorlieben <strong>de</strong>s Publikums. Er hätte<br />
sich in<strong>de</strong>ssen gescheiter eines an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Stoffs<br />
angenommen, wenn er <strong><strong>de</strong>r</strong> Kraft von Patrick<br />
Südkinds Roman <strong><strong>de</strong>r</strong>art misstraute.<br />
... aber auch viele geglückte<br />
Glücklicherweise gibt es auch viele sehr unterschiedliche<br />
Beispiele für höchst gelungene<br />
Adaptionen: «Stolz und Vorurteil» mit<br />
Keira Knightley nach <strong>de</strong>m Roman von Jane<br />
Austen, «High Fi<strong>de</strong>lity» nach Nick Hornby,<br />
«<strong>Der</strong> Name <strong><strong>de</strong>r</strong> Rose» nach Umberto Eco,<br />
24 – books – November 2010 books – November 2010 – 25<br />
Saison