Der Geheimdienst als Spiegel der Welt - eBook.de
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Notizen<br />
In diesen Wochen können wir gleich eine ganze Reihe<br />
von Jubiläen rund um die Literatur feiern. Und<br />
gar ein Doppeljubiläum: Am 5. Januar 2011<br />
wäre Friedrich Dürrenmatt genau 90<br />
Jahre alt gewor<strong>de</strong>n – wäre er nicht<br />
bereits am 14. Dezember 1990,<br />
<strong>als</strong>o vor genau 20 Jahren, gestorben.<br />
Dürrenmatt war <strong><strong>de</strong>r</strong> grösste<br />
Dramatiker, <strong>de</strong>n die Schweiz bis jetzt hatte, sieht<br />
man einmal von max Frisch ab. Frisch-Fans haben<br />
im nächsten Jahr übrigens auch viel zu feiern,<br />
dann jährt sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburtstag <strong>de</strong>s Zürchers zum<br />
100. Mal; zumin<strong>de</strong>st, wenn es um Jubiläen geht, hat<br />
Dürrenmatt <strong>als</strong>o die Nase vorn.<br />
Wir nehmen an, dass bei Ihnen daheim bereits eine Gesamtausgabe<br />
mit <strong>de</strong>n Werken von Dürrenmatt steht, <strong>de</strong>shalb müssen<br />
wir Ihnen hier schon etwas Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>es empfehlen. Zum Beispiel<br />
<strong>de</strong>n Prachtsband «Dürrenmatt. sein Leben in Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n». Ein<br />
Buch fast so kolossal wie <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch, <strong><strong>de</strong>r</strong> darin vorgestellt wird.<br />
Wer es weniger mit Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n hat,<br />
kann sich dafür am ganz neuen<br />
Lesebuch «meine schweiz»<br />
erfreuen. Dürrenmatt gibt sich<br />
darin gewohnt kritisch – und<br />
gewohnt humorvoll.<br />
Ebenfalls ein Doppeljubiläum gab<br />
es 2010 bei mark Twain. In diesem<br />
Frühjahr jährte sich sein To<strong>de</strong>stag<br />
zum 100. Mal, am 30. November<br />
gibt es auch noch seinen<br />
run<strong>de</strong>n Geburtstag zu feiern: <strong>Der</strong><br />
Schriftsteller, <strong><strong>de</strong>r</strong> eigentlich Samuel<br />
Langhorne Clemens hiess, kam vor<br />
genau 175 Jahren zur <strong>Welt</strong>. Sein<br />
Geburts- und To<strong>de</strong>sdatum sind übrigens durch eine eigenartige<br />
Konstellation miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong> verknüpft: Mark Twain kam zur <strong>Welt</strong>,<br />
nach<strong>de</strong>m <strong><strong>de</strong>r</strong> Halleysche Komet aufgetaucht war, und starb einen<br />
Tag nach <strong>de</strong>ssen Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>kunft.<br />
Natürlich wur<strong>de</strong>n dieses Jahr unzählige Bücher von und über Mark<br />
Twain publiziert. Zum Abschluss <strong>de</strong>s Twain-Jahrs möchten wir Ihnen<br />
noch zwei Neuerscheinungen ans Herz legen. Zuerst einmal<br />
das schmale Bändchen «Die schreckliche <strong>de</strong>utsche sprache».<br />
In diesem neu aufgelegten, erzkomischen Essay spielt Mark Twain<br />
alle seine Stärken aus – Beobachtungsgabe, Humor und eine sehr,<br />
sehr, sehr spitze Fe<strong><strong>de</strong>r</strong>. Wer sich noch mit noch mehr regionalen<br />
Speisen aus Mark Twains Küche ein<strong>de</strong>cken will, sollte sich zu<strong>de</strong>m<br />
das Hörbuch «Bummel durch europa – schweiz» herunter la<strong>de</strong>n;<br />
Rufus Beck liest Auszüge aus Twains Bericht über seine legendäre<br />
Europareise.<br />
Aber selbstverständlich ist auch alles an<strong><strong>de</strong>r</strong>e von Mark Twain empfehlenswert<br />
– vor allem <strong><strong>de</strong>r</strong> Roman «Die Abenteuer <strong>de</strong>s Huckleberry<br />
Finn». Nur Menschen, die keinen Funken Abenteuerlust<br />
mehr in sich verspüren, können dieses Opus magnum <strong>de</strong>s grossen<br />
Amerikaners <strong>als</strong> Jugendbuch bezeichnen.<br />
Jubiläen Oft<br />
2010 jährte sich nicht nur <strong><strong>de</strong>r</strong> 100. To<strong>de</strong>stag von Mark Twain,<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch jener von Leo Tolstoi – <strong><strong>de</strong>r</strong> Russe starb am 20. November<br />
82-jährig auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Flucht vor seiner Frau. Die Gattin<br />
war wenig erbaut darüber, dass Tolstoi seinen Nachlass<br />
– zum Beispiel die Romane «Krieg und Frie<strong>de</strong>n»<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> «Anna Karenina» – <strong>de</strong>m geliebten russischen<br />
Volk und nicht ihr vermachte. Tolstoi war einer<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> ganz grossen Denker <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>ts, ein<br />
überaus kritischer Zeitgenosse, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich mit Gott<br />
und <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Welt</strong> – beziehungsweise mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche und<br />
<strong>de</strong>m Zaren – anlegte und eigentlich je<strong><strong>de</strong>r</strong> Macht<br />
gegenüber skeptisch blieb. Dass er<br />
ungebrochen lesenswert ist, beweist<br />
die Neuauflage von «Die schönsten erzählungen».<br />
<strong>Der</strong> Aufbau-Verlag hat in diesem<br />
Band 18 Geschichten von Tolstoi versammelt, die<br />
gleichzeitig amüsant und tiefgründig sind. O<strong><strong>de</strong>r</strong> wie<br />
ein Kritiker schrieb: «Die Lektüre von Tschechows<br />
Geschichten vermittelt an einem einzigen Leseabend<br />
mehr Menschenkenntnis <strong>als</strong> ein<br />
ganze Jahr an <strong><strong>de</strong>r</strong> Liebesfront.»<br />
Wir bewegen uns hinsichtlich<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Jubiläen nun in Richtung<br />
Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>-literatur. Beginnen wir<br />
mit einem norwegisch-walisischen Schriftsteller, <strong><strong>de</strong>r</strong> für alle Altersgruppen<br />
schrieb: roald Dahl starb am 23. November 1990<br />
in Oxford. Sein Werk könnten wir auch in unserem Artikel über<br />
Literaturverfilmungen auf Seite 24 vorstellen, <strong>de</strong>nn viele seiner<br />
Bücher kamen ins Kino: «Charlie und die schokola<strong>de</strong>nfabrik»,<br />
«<strong>Der</strong> fantastische Mister Fox», «James und <strong><strong>de</strong>r</strong> Riesenpfirsich»<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> «matilda». Alle diese Bücher sind von einem äusserst<br />
skurrilen, oft auch makaberen Humor geprägt. Wenn Sie <strong>als</strong>o ein<br />
wirklich originelles Buch für Ihre Kleinen o<strong><strong>de</strong>r</strong> nicht mehr ganz so<br />
Kleinen daheim suchen: Nutzen Sie das Dahl-Jubiläum!<br />
Genug <strong><strong>de</strong>r</strong> To<strong>de</strong>stage: ellis Kaut feiert Geburtstag<br />
– sie wird 90 Jahre alt. Sie wissen<br />
nicht, wer Ellis Kaut ist? Sicher kennen Sie Ihre<br />
berühmteste Schöpfung: <strong><strong>de</strong>r</strong> rothaarige Kobold<br />
pumuckl, <strong><strong>de</strong>r</strong> wegen eines beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en Paragraphen<br />
im Koboldgesetz an <strong>de</strong>n alten Schreinermeister<br />
E<strong><strong>de</strong>r</strong> gebun<strong>de</strong>n ist. Pumuckl können<br />
Sie sich bei Orell Füssli gleich multimedial besorgen:<br />
Es gibt unzählige Bücher, Hörspiele und Filme. Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s<br />
beliebt – und beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s gelungen – sind die Mundart-Hörspiele<br />
mit Jörg Schnei<strong><strong>de</strong>r</strong> und <strong>de</strong>m unvergesslichen Paul Bühlmann.<br />
Nun kommen wir jubiläumsmässig bei <strong>de</strong>n Klein-<br />
sten an. Eines <strong><strong>de</strong>r</strong> schönsten Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>bücher überhaupt<br />
ist wohl «<strong>Der</strong> maulwurf Grabowski».<br />
Sein Schöpfer, <strong><strong>de</strong>r</strong> Österreicher Luis murschetz,<br />
wird dieser Tage 75 Jahre alt. Wir gratulieren<br />
– und wünschen vielen Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>de</strong>n<br />
kleinen Grabowski ins Büchergestell!<br />
ist die letzte Seite eines Buchs jene, die<br />
man am wenigsten gern liest – weil man<br />
nicht möchte, dass das Buch schon zu<br />
En<strong>de</strong> ist. Glücklicherweise können einem<br />
Fachleute in solchen Momenten weiterhelfen<br />
und einem Bücher mit vergleichbaren<br />
Qualitäten empfehlen. Heute macht das<br />
susanna Beusch; sie ist seit 33 Jahren<br />
Buchhändlerin und arbeitet seit sechs Jahren<br />
bei Orell Füssli in Winterthur.<br />
«Was kann man einem Bestseller wie ‚Gut<br />
gegen Nordwind‘ von Daniel Glattauer<br />
entgegensetzen? Ich bin kühn und empfehle<br />
‚Zwei an einem Tag‘ von David Nicholls.<br />
Stilistisch sind die bei<strong>de</strong>n Bücher zwar nicht<br />
unbedingt miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong> zu vergleichen, inhaltlich<br />
aber gibt es Parallelen, die bei mir<br />
<strong>als</strong> Leserin zu ähnlichen Gefühlen führten.<br />
Daniel Glattauer erzählt eine Liebesgeschichte<br />
zwischen zwei Menschen, die nur per<br />
E-Mail miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong> verkehren und einan<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
noch nie gesehen haben. Bei Nicholls sind<br />
die Hauptfiguren, die nicht zueinan<strong><strong>de</strong>r</strong> kommen<br />
können, zwei Studieren<strong>de</strong>, die eine<br />
schöne Nacht miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong> verbringen, <strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Leben danach aber in verschie<strong>de</strong>ne Richtungen<br />
gehen. Sie bleiben zwar befreun<strong>de</strong>t, aber<br />
ihre Geschichten könnten unterschiedlicher<br />
nicht sein. Dexter ist schön, jung und will<br />
<strong>de</strong>n Erfolg, Emma will die <strong>Welt</strong> verbessern<br />
und <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>s Lebens fin<strong>de</strong>n. Die bei<strong>de</strong>n<br />
Was lesen Sie gera<strong>de</strong> ?<br />
paul riniker, regisseur und produzent, Zürich:<br />
«Das hat unsere Liebesbeziehung überdauert: Ich tausche<br />
mit meiner Exfrau immer noch Literatur-Tips aus. Sinnigerweise<br />
gab sie mir kürzlich Rafael Yglesias’ ‚Glückliche<br />
Ehe’. Ein schönes, starkes Buch, gut geschrieben, dicht, unsentimental<br />
und doch berührend – einfach so, dass ich auch<br />
ohne Krimiplot gern weiter lese. Es ist die Geschichte einer Liebe, von <strong>de</strong>n wildromantischen<br />
Anfängen bis zum Abschied, <strong>de</strong>m Tod. Auf ein Kapitel aus <strong>de</strong>n Anfängen<br />
kommt eines aus <strong>de</strong>m En<strong>de</strong>, was die bei<strong>de</strong>n Lebensphasen stets in einen spannen<strong>de</strong>n<br />
Bezug zueinan<strong><strong>de</strong>r</strong> setzt. Älterwer<strong>de</strong>n und Sterben sind ohnehin Themen, die mich<br />
zunehmend beschäftigen, und die <strong>Spiegel</strong>ung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Jugend ist ein für mich neuer,<br />
packen<strong><strong>de</strong>r</strong> Ansatz.»<br />
Leute, die das mögen,<br />
mögen auch...<br />
verbin<strong>de</strong>t aber ein Verständnis auf einer tiefen<br />
Ebene. Nicholls erzählt, wie die nächsten<br />
20 Jahre <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong>n verlaufen – in<strong>de</strong>m er<br />
jeweils <strong>de</strong>n 15. Juli je<strong>de</strong>s Jahres beschreibt.<br />
Man fragt sich beim Lesen ständig: Kriegen<br />
die bei<strong>de</strong>n einan<strong><strong>de</strong>r</strong> endlich? Bei Glattauer<br />
lautete die Frage: ‚Wann sehen sich die<br />
Hauptfiguren endlich – und kann das gut<br />
gehen?’ Und hier: ‚Kommen sie wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zusammen<br />
– und kann das gut gehen?’ ‚Zwei<br />
an einem Tag’ ist wie ‚Gut gegen Nordwind’<br />
eine wun<strong><strong>de</strong>r</strong>schöne Liebesgeschichte, spannend,<br />
geistreich und lebensklug.»<br />
Also gut, noch ein Weihnachtsbuch –<br />
diesmal, weil sein Autor aus Zürich<br />
stammt. Und weil er Charles Lewinsky<br />
heisst. Und weil vielleicht auch Sie zur<br />
immer grösseren Fangemein<strong>de</strong> dieses<br />
vielfältigen Schriftstellers zählen. In seinem<br />
neuesten Oeuvre «<strong>Der</strong> Teufel in<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Weihnachtsnacht» erzählt er uns<br />
von einem schrecklichen Traum <strong>de</strong>s<br />
Papstes vor Weihnachten: <strong>Der</strong> Teufel<br />
steht vor seinem Bett und<br />
führt ihn in Versuchung.<br />
Doch träumt <strong><strong>de</strong>r</strong> Papst<br />
das alles nur? Wie so<br />
oft brilliert Lewinsky<br />
mit Schalk und<br />
spitzer Fe<strong><strong>de</strong>r</strong>.<br />
Seit Menschen schreiben können, halten<br />
sie fest, was sie gera<strong>de</strong> getan haben<br />
– zur Erinnerung o<strong><strong>de</strong>r</strong> Dokumentation,<br />
zur Bewältigung bestimmter Ereignisse<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> einfach aus Gewohnheit.<br />
Dabei entstehen Tagebücher, die in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Regel nicht zur Veröffentlichungbestimmt<br />
sind. rainer Wieland hat jetzt<br />
<strong>de</strong>n enormen Aufwand auf sich genommen,<br />
sich durch 180 Tagebücher<br />
aus <strong>de</strong>n letzten 500 Jahren zu lesen –<br />
und die besten Stellen in <strong><strong>de</strong>r</strong> 700-seitigen<br />
Sammlung «Das Buch <strong><strong>de</strong>r</strong> Tagebücher»<br />
zu vereinen. Dabei hat <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Sammelband selber die Form eines Tagebuchs<br />
erhalten – die Einträge sind<br />
chronologisch übers Jahr geordnet. So<br />
können wir lesen, dass Thomas Mann<br />
am 31. Januar sehnsüchtig die Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>kehr<br />
seiner Empire-Uhr erwartet,<br />
Victor Klemperer die Nazis lachhaft<br />
fin<strong>de</strong>t, Andy Warhol in einem Theater<br />
blossgestellt wird und Marie Valérie<br />
von Österreich vom Suizid ihres Bru<strong><strong>de</strong>r</strong>s<br />
erfährt. Man könnte es sich<br />
fast zur Gewohnheit<br />
machen, je<strong>de</strong>n<br />
Tag die Eintragungen<br />
zu diesem<br />
Tag zu lesen!<br />
6 – books – November 2010 books – November 2010 – 7