Ein Beitrag zum Alternativen Drogen- und Suchtbericht 2020 Cannabis: Entkriminalisierung mit Ordnungswidrigkeit und Bußgeld? 36 HIGHWAY <strong>01</strong>/<strong>21</strong>
Seit die SPD-Fraktion im Februar 2020 ihr Positionspapier zu Cannabis verabschiedet hat, gibt es im Bundestag theoretisch eine Mehrheit für die Entkriminalisierung von Cannabis. Am häufigsten wird die Herabstufung des Besitzes geringer Mengen zur Ordnungswidrigkeit diskutiert. Doch wäre das wirklich ein Fortschritt? Dieser Artikel diskutiert verschiedene Szenarien einer Liberalisierung der Rechtslage. Erschienen ist er erstmals im Alternativen Drogen- und Suchtbericht 2020, der kürzlich veröffentlicht wurde. Autoren dieses Beitrags sind Rechtsanwalt Helmut Pollähne, der langjährige Polizeichef Münsters, Hubert Wimber, sowie das Oberhaupt des Deutschen Handverbands, Georg Wurth. Meinungsumfragen zeigen, dass die derzeitige repressive Cannabispolitik in Deutschland keinen Rückhalt in der Bevölkerung mehr hat. 59 Prozent der Befragten waren 2<strong>01</strong>8 laut Infratest Dimap der Meinung, dass „der Besitz geringer Cannabis-Mengen zum Eigenverbrauch nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden sollte“. Im Bundestag sind nur noch CDU/CSU und AfD dafür, weiterhin Strafverfahren für jeden noch so kleinen Krümel Cannabis einzuleiten. Alle anderen Fraktionen, die Mehrheit also, würde Cannabis grundsätzlich legalisieren, also den Markt für Erwachsene regulieren und staatlich kontrollierte Fachgeschäfte oder Anbauclubs einführen. Grüne, Linke und FDP haben teilweise seit vielen Jahren entsprechende Positionen verabschiedet. Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag ist der jüngste Spross im Legalize-Boot. Am 11.2.2020 verabschiedeten die Sozialdemokraten ein Positionspapier mit dem Titel „Cannabis: Neue Wege gehen!“ (SPD-Bundestagsfraktion 2020). Darin bekennt sich die Fraktion zumindest perspektivisch zur Legalisierung von Cannabis: „Wir sehen in der regulierten Cannabis-Abgabe an Erwachsene in Deutschland eine gute Chance für eine erfolgreiche Cannabis-Politik.“ Allerdings schlagen die Sozialdemokraten als Zwischenschritt kommunale Modellprojekte vor, um Erkenntnisse für optimale Regulierungen zu sammeln. Bei der Entkriminalisierung der Konsumenten und Konsumentinnen möchte aber auch die SPD-Fraktion sofort handeln: „Um kurzfristig bereits Verbesserungen zu erreichen, setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion dafür ein, den Besitz von kleinen Mengen von Cannabis nicht weiter strafrechtlich zu verfolgen, sondern zukünftig ordnungsrechtlich zu ahnden.“ Gäbe es eine freie Abstimmung im Bundestag, könnte die Mehrheit also mit sofortiger Wirkung das Ende der Strafverfolgung von Cannabis Konsumierenden beschließen. Über den Koalitionszwang kann die Unionsfraktion die SPD allerdings noch daran hindern, mit der Opposition abzustimmen, und so ihre repressive Cannabispolitik weiter durchsetzen. Doch auch in der Union mehren sich die Stimmen für eine Reform der Cannabispolitik. Einzelne CDU-Bundestagsabgeordnete sprechen sich für Legalisierung oder kommunale Modellprojekte aus und auch die Entkriminalisierung der Konsumierenden ist Thema. Auch die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig befürwortete nach einem Besuch bei der DPolG Bayern die Umstufung des Besitzes geringer Mengen Cannabis zur Ordnungswidrigkeit (DPolG-TV 2020). Allerdings ging es hier weniger um die Intention, die Konsumierenden zu entkriminalisieren, sondern im Gegenteil pflichtete Ludwig der Forderung der Polizeigewerkschaft bei, dass diese über Bußgelder endlich wieder eine staatliche Sanktion erfahren sollten. Die DPolG Bayern hatte bemängelt, dass Strafverfahren, die eingestellt werden, keine Belastung für die Täter seien. Schnell verhängte Bußgelder wegen einer Ordnungswidrigkeit könnten das ändern. In seiner Sitzung vom 20.9.2<strong>01</strong>9 hat sich der Bundesvorstand des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) mit der Drogenpolitik befasst. Im BDK sind ca. 15.000 Angehörige der Polizei (vorwiegend Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamte) organisiert. Der in dieser Sitzung verabschiedete Vorstandsbeschluss befürwortet eine Überführung der konsumnahen Delikte vom Strafrecht in das Ordnungswidrigkeitenrecht, begleitet von Interventions- und Hilfsmaßnahmen. Er regt außerdem eine Überprüfung an, ob das portugiesische Modell mit einer Vorladung von Konsumierenden vor eine Kommission, die im Wesentlichen eine beratende Funktion hat, auf Deutschland übertragen werden kann. Sind Cannabis Konsumierende bereits entkriminalisiert? Viele Menschen glauben, der Besitz geringer Mengen Cannabis sei in Deutschland legal. Politiker behaupten immer wieder, Strafverfahren wegen solcher Delikte würden regelmäßig eingestellt, sodass es gar keine Strafverfolgung von Cannabiskonsumenten und -konsumentinnen gebe. Tatsächlich ist 1992 der § 31a in das Betäubungsmittelgesetz eingefügt worden. Danach kann die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und Georg Wurth lediglich eine geringe Menge zum Eigenbedarf „im Spiel“ ist. Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht 1994 im sogenannten Cannabis-Beschluss zwar festgestellt, dass die Strafbarkeitsbestimmungen des BtMG auch bezogen auf Cannabis verfassungskonform sind, aber eben auch, dass der Besitz geringer Mengen Cannabis zum gelegentlichen Eigenverbrauch aus Gründen des Übermaßverbots im Regelfall nicht bestraft werden soll. Auf diesen Beschluss geht die derzeit praktizierte „Entkriminalisierung“ von Cannabiskonsumenten und -konsumentinnen nach § 31a BtMG immer noch zurück. Bei der Umsetzung wurde den Bundesländern viel Spielraum gelassen, was zu einem Flickenteppich an unterschiedlichen Regelungen führte. Die Definition Hubert Wimber HIGHWAY <strong>01</strong>/<strong>21</strong> 37