#7 Urbanität
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Dicht wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.
einer bestimmten Interaktionssituation horizontale, diagonale
oder vertikale Resonanzen ausbilden oder ob stumme
Beziehungen dominieren“ (Rosa 2018: 642). Steife Räume
resonieren nicht, ist somit Rosas Kurzformel. Interessant ist
hier besonders Rosas Einsicht, dass die disponierende Wirkung
von Räumen Konsequenz „ihrer kulturellen Aufladungen
im Rahmen der affektiven und kognitiven Bedeutungen“
(Rosa 2018: 646) ist.
Den urban sisters und monks können im Anschluss an Rosa
kulturelle Aufladungen des städtischen Lebens im doppelten
Sinn attestiert werden: Einerseits geben sie dem Resonanzraum
Großstadt die affektive und kognitive Bedeutung
einer Wüste, indem sie sakrale Räume als Oasen und damit
lebensnotwendige Orte der Gastfreundschaft (neu-)aufladen.
Diametral zur hostile architecture (vgl. De Fine Licht 2017:
28), die durch bauliche Maßnahmen zweckfremde Verwendung
ausschließt (z. B. Stahlstacheln auf Lüftungsgittern mit
warmer Luft gegen Obdachlose), dürfen die Besucher_innen
die ‚Jerusalemer‘ Kirchen auch als ambigue Orte z.B. für
körperliche Erholung in Gebrauch nehmen. Andererseits
durchbrechen sie affektive und kognitive Bedeutungsparameter
im öffentlichen Raum, indem sie in ihrem sakralen
Erscheinungsbild des Ordensgewandes in säkularen, öffentlichen
Berufsbildern auftreten und damit den öffentlichen
Raum zum ambiguen Raum werden lassen.
Vor fünfzig Jahren interpretierte Delfieux die sozialphilosophischen
Erklärungsmodelle der 68er-Bewegung als unmittelbare
Reaktion und nicht als längerfristige Lösung und
versuchte selbst mit der (Neu-)Aufladung des urbanen Raumes
als Wüste täglich ein anthropologisches Modell zu leben,
das zwar noch nicht konkret auf die sozialpolitischen
Probleme eingeht, aber jenen ambiguen Raum sicherstellt,
der es erst zulässt, „die Wüste in eine menschliche Welt zu
verwandeln“ (Arendt 2003: 181) oder wie der Kleine Prinz
resümiert: „Das Schöne an der Wüste ist, dass sie irgendwo
einen Brunnen versteckt hält.“
Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, ihre nahen Blicke baden
Ineinander, ohne Scheu befragt.
Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine.
Unser Flüstern, Denken... wird Gegröle...
Und wie still in dick verschlossner Höhle
Ganz unangerührt und ungeschaut
Steht ein jeder fern und fühlt: alleine.
– Städter, Alfred Wolfenstein
1883–1945
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