#7 Urbanität
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Stadt & Gesellschaft
p. Was sind die größten Herausforderungen, die sich bei
solchen Projekten herauskristallisieren?
M.: Die größte Herausforderung scheint mir die zu sein, dass
Partizipationsprozesse von denjenigen, die sie anbieten, seien
es Unternehmen, Kommunen, Landkreise, Landes- oder Bundesministerien,
abverlangen, selbst partizipativer zu werden.
Partizipationsprozesse sind so gesehen immer auch mit Veränderungsprozessen
aufseiten der beteiligten Institutionen verbunden.
p. Wie reagieren Sie, wenn die Wertevorstellungen der
Teilnehmenden nicht mit Ihren vereinbar sind?
M.: Das kommt sehr häufig vor. Wenn wir vor Ort oder online
moderieren, dann tun wir das wertschätzend und offen: Wir geben
Räume für viele Perspektiven und Wertesysteme, aber wir
setzen gleichzeitig auch klare Spielregeln, um einen wertschätzenden
und verständigungsorientierten Dialog zu ermöglichen.
Ich würde das mal „souveräne Offenheit“ nennen.
p. Auf ihrer Internetseite sprechen Sie im Hinblick
auf ihre „12 Grundsätze für gute Partizipation“ von
Entscheidungsspielräumen. Was meinen Sie konkret
damit? Sind die getroffenen Entscheidungen rechtlich
bindend?
M.: Nein, rechtlich bindend sind Bürgerbeteiligungen nicht –
das können und sollten sie auch nicht sein. Denn durch sie wird
keine Entscheidungsmacht – im Unterschied zu Bürger- oder
Volksentscheiden – an die Bürgerinnen und Bürger delegiert,
nach dem Motto: „Entscheidet ihr jetzt doch mal!“. Stattdessen
wird – wenn es gut läuft – der fachpolitische Abwägungsprozess
zu komplexen Fragestellungen durch Bürgerbeteiligung
unterstützt. Also zu komplexen Planungen, die nicht mit einem
einfachen „Ich bin dafür“ oder „Ich bin dagegen“ abgehandelt
werden können. Bürgerinnen und Bürger werden also konsultiert
und am Ende entscheiden die, die durch Wahlen legitimiert
wurden. Aber: Bürgerbeteiligung macht nur Sinn, wenn
es fachliche und politische Entscheidungsspielräume gibt, also
die Möglichkeit und den Willen, zuzuhören und sich durch
Ergebnisse aus der Bürgerbeteiligung bereichern zu lassen.
Alles andere wäre „Particitainment“ (so wie es Klaus Selle formulieren
würde).
p. Außerdem sprechen Sie davon „ePartizipations-
Dienstleister“ oder „Partizipationsallrounder“ zu sein. Sind
Sie nicht vielmehr Akzeptanzbeschaffer für Politik und
zahlende Unternehmen?
M.: Wir würden immer dann in Gefahr laufen, zum Akzeptanzbeschaffer
zu werden, wenn wir uns und unseren Kunden
nicht immer wieder genau diese Frage stellen würden. Daher
gehört vor die weiter oben angesprochene Verfahrensplanung
die zentralste Frage überhaupt: Was wird mit der Beteiligung
bezweckt? Hier einfach voran zu gehen, ohne diese Frage (an
der noch viele weitere hängen) zu beantworten, wäre fahrlässig.
Ebenso klären wir immer unsere Rolle: Denn zur Gestaltung
eines Verfahrens gehört, dass wir auch eigenständig agieren
können um unserer Verantwortung als Verfahrensgestalter und
-unterstützer, Moderatoren und Berater gerecht zu werden.
p. Was möchten Sie jungen Menschen mit auf den
Weg geben?
M.: Überlasst den Vereinfachern und Empörten dieser Welt
nicht die Bühne.
terschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden und die
verschiedenen Interessensgruppen müssen miteinander
sprechen lernen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt
auch eine in Auftrag gegebene Studie des Umweltbundesamtes
mit dem Aufgabenschwerpunkt Konfliktdialog.
Es gehe um das Verständnis des Konfliktes, so die Studie:
die genaue Analyse der jeweilig unterschiedlichen Hintergründe.
Sonst sei es kaum möglich ein passendes Format
zur Konfliktminderung zu finden.
Ein Bericht des Lehrstuhls für Methoden der empirischen
Sozialforschung an der Universität Potsdam liefert sogar
theoretische Ansätze zur Bewertung von abgeschlossenen
Beteiligungsverfahren: den sogenannten Beteiligungs-Bias.
Er widmet sich der Frage, inwieweit die Meinungen
der Beteiligten an einem Bürger_innenbeteiligungsverfahren
von den übrigen Meinungen der nicht teilnehmenden
Bürger_innen auseinandergeht. Dieses Instrument
entstammt dem aus der Survey-Forschung bekannten
Konzept der Verzerrung (Bias). Darüber hinaus sei er
auch als Auswahlkriterium für zu planende Verfahren
anwendbar. Auch wenn es sich bei letzterem Beispiel nur
um theoretische Ansätze handelt, zeigen sie doch die
Aktualität und Relevanz des Themas für die Gesellschaft
eindrucksvoll auf. Welche Verfahren werden zukünftig
angewandt, damit wir in unserer Demokratie auch wirklich
demokratisch entscheiden?
Weiterführende Literatur
Blühdorn, I.: (2013): Simulative Demokratie. Neue Politik nach
der Postdemokratischen Wende. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare
Sicherheit (2014a): Bürgerbeteiligung bei umweltrelevanten
Großprojekten. Der Beteiligungs-Bias als methodisches Instrument
zur Bewertung von Beteiligungsverfahren, 20.11.2014. Online
verfügbar unter: https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/
Pools/Forschungsdatenbank/fkz_um_13_12_934_umweltrelevante_grossvorhaben_bf.pdf
[Zugriff: 05.01.2019].
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
(2014b): Neuartiger Öffentlichkeitsdialog in Verfahren
mit Umweltprüfung am Beispiel bestimmter Vorhabentypen/
Vorhabeneigenschaften. Leitfäden für Behörden und rechtliche
Verankerung, 18.03.2015. Online verfügbar unter: https://www.
bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Forschungsdatenbank/
fkz_3712_13_101_umweltpruefung_schlussbericht_bf.pdf [Zugriff:
05.01.2019].
o.V. (2013): Ein Gespräch mit Ingolfur Blühdorn. Das etablierte
Lamento trägt nicht zur Veränderung bei. In: INDES. Zeitschrift
für Politik und Gesellschaft. 2013/3. S. 131.
RWE Aktiengesellschaft (2012): Akzeptanz für Großprojekte.
Eine Standortbestimmung über Chancen und Grenzen der Bürgerbeteiligung
in Deutschland. Essen.
Wagner, T. (2013a): Die Mitmachfalle. Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument.
Köln: PapyRossa Verlag.
Wagner, T. (2013b): Bürgerprotest in der Mitmachfalle. Wie aus
Partizipation eine Herrschaftsmethode gemacht wird. In: PROK-
LA, Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft. 43. Jg. 2013/2.
S.297–304.
39 philou.