#7 Urbanität
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Artikel
Immer diese Künstler ...
Kritik eines eindimensionalen
Gentrifizierungsbegriffes
Moritz Hirmer
historische Urbanistik (Berlin)
Ob in medialen Berichterstattungen zu städtischem Wandel,
als Thema kommunalpolitischer Veranstaltungen oder
als Diskussionsgegenstand in der WG-Küche – der Begriff
Gentrifizierung und der damit bezeichnete Trend hat in zahlreichen
Städten seinen Weg in die Lebenswelt vieler Menschen
geschlagen. So viele diesen Begriff zur Erklärung von
steigenden Mietpreisen und Veränderungen in Sozial- und
Baustruktur verwenden, so wenige treffen dabei den Kern
dieses sozialräumlichen Prozesses. Gentrifizierung wird hierbei
oftmals mit Yuppisierung und Subkulturalisierung von ehemals
kiezigen Stadträumen assoziiert, in denen Pioniere und
Gentrifier die antreibenden Akteure sind. Dies impliziert eine
Konkurrenzsituation auf dem freien Markt, infolgedessen
beispielsweise Studierende (Pioniere) durch ihr kulturelles
Kapital oder alternative Wohnformen (Wohngemeinschaften)
Altmieter verdrängen, daraufhin einkommensstärkere
Haushalte anziehen (Gentrifier) und somit Viertel grundlegend
verändern. Jedoch ist diese idealtypische Darstellung
oftmals blind gegenüber strukturellen Bedingungen und einflussreichen
Akteuren wie Eigentümerkonstellationen oder
politischen Institutionen. Vielerorts sind es heute zusätzlich
durchgeführte Aufwertungen, wie Luxussanierungen oder
gezielte Investitionsstrategien zur Profitmaximierung, die
ganz unterschiedliche Formen von Gentrifizierung implizieren.
Marktbedingte wie politische-administrative Entscheidungen,
privatwirtschaftliche Akteure und globales Kapital
spielen demzufolge eine immense Rolle bei der Betrachtung
von Gentrifizierung. Wie könnte also eine angemessene und
zeitgemäße Beschreibung des Begriffes lauten?
Gentrifizierung soll in diesem Artikel als ein städtischer
Umstrukturierungsprozess verstanden werden, welcher sich
durch Formen der Aufwertung (physisch-baulich, funktional,
symbolisch) und Verdrängung kennzeichnet (vgl. u.a. Krajewski
2006; Holm 2011; Bouali/Gude 2014). Derweilen
existieren in der Forschung zu Gentrifizierung zahlreiche
Definitionen, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte
markieren. Hartmut Häußermann erläuterte in den 90er
Jahren, dass wir von „Gentrification sprechen [...], wenn
in einem Stadtgebiet die Bewohner mit niedrigem Einkommen
durch Bewohner mit höherem Einkommen und/
oder anderen Konsumstilen ersetzt werden“ (Häußermann
1990: 35) und versteht so Gentrifizierung als sozialökologische
Dominanzsituation zwischen Bevölkerungsgruppen.
Überspitzt gesagt: Reiche verdrängen Arme aufgrund ihres
ökonomischen Kapitals. Daran anschließende nachfrageorientierte
Erklärungsansätze, die, wie in der Einleitung
beschrieben, Gentrifizierung als Resultat von Konkurrenz
unter Gruppen mit unterschiedlichem ökonomischen, kulturellen
und sozialen Kapital erklären, waren dabei treffend
und wichtig. Die Herausbildung als Forschungsgegenstand
in den 60er Jahren durch die britische Soziologin Ruth
Glass und die ersten wissenschaftlichen Arbeiten in den
70er Jahren gründeten sich explizit auf Beobachtungen,
dass der innerstädtische Wohnraum massiv an Relevanz
und Attraktivität gewonnen hat. Das Aufkommen neuer
Lebensstile, Konsum- und Haushaltstypen und der Bedeutungswandel
von Gebäudetypen (Altbau/Neubau) hat
sich in den 80er und 90er Jahren nochmals gesteigert. Die
ehemals von der Arbeiterklasse bewohnten innerstädtischen
Viertel wurden von der Mittelschicht (wieder-)entdeckt, die
zuvor maßgeblich in der Peripherie lebten (Suburbanisierung).
Die Funktion der Stadt veränderte sich im Kontext
des Strukturwandels, welcher sich durch eine Tertiärisierung
(Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft) und allmählich
flexibilisierten Formen der Arbeit, des Lebens und
des Wohnens kennzeichnete. Diese neue Nachfrage, heutzutage
in vielen Großstädten auf ihrem Höhepunkt, ist eine
konkrete Folge dieses fortlaufenden Bedeutungswandels
des Urbanen.
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