#7 Urbanität
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Stadt & Gesellschaft
Großbauprojekten werden. Auch im Manager-Magazin werde
in diesem Kontext empfohlen, den Dialog mit den Bürger_innen
zu forcieren. Aus der Perspektive des Kultursoziologen werden
hier ursprünglich linke Ansätze, Verfahren und Ideen von großen
Unternehmen genutzt und sind folglich als Mittel zur Erreichung
des zugrundeliegenden Zwecks, also der kostengünstigen
Realisierung der Investitionsmittel, zu verstehen.
NIMBY
Als Gegenbeispiel für eine funktionierende politische Mediation
gelte das umstrittene Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart
21. Im Verlauf des Projektes formierten sich Proteste, an denen
sich zehntausende Menschen beteiligten. Im Zuge dessen kam
es auch zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei sowie
einer kontroversen, öffentlichen Debatte. Schon lange bevor
der Moderator Heiner Geißler im Stuttgarter Rathaus mit dem
Schlichtungsverfahren beginnen konnte, sei, nach Wagner, „das Kind schon in den
Brunnen gefallen.“ In diesem Sinne hätte eine politische Mediation, die gelingen
soll, schon im Vorfeld ansetzen müssen, um jene Menschen in die Verfahren miteinzubeziehen,
die sich im Zuge der Proteste politisch selbst organisiert haben.
Wenn Wagner versucht, die Ungerechtigkeiten in Mitbestimmungs- und Partizipationsverfahren
als Mitmachfalle zu demaskieren, analysiert er sehr präzise
die einzelnen Missstände, die aus der Weiterentwicklung von Herrschaftstechniken
des politischen Establishments resultieren. So genau er auch den Fokus
darauflegen kann, was moralisch nicht wünschenswert ist, so schwer fällt es ihm,
Alternativen aufzuzeigen: Wie soll die Partizipation in einer gut funktionierenden
Demokratie aussehen? Wenn sie sich nicht – wie Ingolfur Blühdorn passend
beschrieben hat – zur simulativen Demokratie entwickeln soll, müssen wir
darüber sprechen, wie im Detail vernünftige politische Aushandlungsprozesse
strukturiert werden können. Zum Beispiel beim Bau eines Flughafens, der Planung
einer Stromtrasse oder der Errichtung eines Windparks.
Wie finde ich die Balance zwischen einer der Allgemeinheit dienenden, rationalen
Entscheidung und der angemessenen Berücksichtigung einzelner Menschen?
Und vielleicht als letzte Frage: Wer wird überhaupt berücksichtigt? Wer ist betroffen
von einer Entscheidung, wer nicht? Fest steht, dass diese Fragen kaum
allgemeingültig beantwortet werden können. Sie müssen detailliert aus den un-
Häufiges, aber nicht alleiniges Argumentationsmuster
in lokalen Entscheidungsprozessen:
NIMBY. Das
englischsprachige Akronym steht für Not
In My Backyard („Nicht in meinem Hinterhof“).
Es bezeichnet eine ethische
und politische Position von Menschen,
die sich gegen Entwicklungen richten,
die ihre Nachbarschaft und damit ihre
eigene Lebensqualität beeinträchtigen
könnten. Meist wird eine generelle Zustimmung
für politische Vorhaben unterstellt,
solange diese nur weit genug
weg von der eigenen Haustür realisiert
werden.
Der NIMBY-Ansatz wird besonders in Diskussionen
um die Ansiedlung von marginalisierten
und diskriminierten Gruppen
(Obdachlose, Flüchtlinge usw.), aber
auch um den Aufbau von Industrie-Standorten,
Mülldeponien, Lagerung radioaktiven
Abfalls, Mobilfunkmasten oder
Stromtrassen etc. verfochten. Dabei kommen
teilweise auch soziale oder ökologische
Argumente zum Einsatz, die aber
fadenscheinig sind, solange es nur um
die Verlagerung eines Problems geht.
37 philou.