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2021-03_Pfarrblatt

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Interview Editorial

Ausbrechen aus dem Gedankenkarussell

Nun halten Sie also schon das Märzpfarrblatt

in Händen. Vielleicht geht

es Ihnen wie mir und Ihnen kommt

dabei in den Sinn, dass vor einem

Jahr die WHO die Krankheit CO-

VID-19 zur weltweiten Pandemie

erklärte. Es folgten viele Einschränkungen

im öffentlichen Leben und

im Privatleben. Nach den ersten Einschnitten

kam ein weitestgehend ruhiger

Sommer, aber auch ein Herbst,

der mit einer zweiten Welle an Erkrankungen

und auch leider vielen

Todesfällen unser Leben erschütterte.

Der Februar 2021 ist noch immer

geprägt von vielen Unsicherheiten:

Mutationen des Virus treten auf, die

Impfungen haben begonnen, aber

vielleicht geht es nicht so schnell voran,

wie wir uns das wünschen. Dazu

kommen Ängste und Unsicherheiten

um Arbeitsplätze, um liebe Mitmenschen,

um die Zukunft. In diesen

Tagen telefoniere ich öfter mit

Menschen, die auch einfach müde

sind und keine Lust mehr haben auf

den „Ausnahmezustand”.

Vor einem Jahr habe ich (Christina

Mönkehues-Lau, C.M.) für das Aprilpfarrblatt

mit Margret Rihs-Middel

(M.R.), Psychologin und langjähriges

Mitglied unserer Bildungskommission,

gesprochen und um ein paar

Tipps für den „neuen” Alltag gebeten.

Nun haben wir ein kleines Interview

geführt, um Ihnen ein Update

zu diesem Thema zu geben.

C.M.: Corona und die Schutzmassnahmen

bestimmen noch immer

unseren Alltag. Wie nimmst Du die

allgemeine Stimmungslage wahr?

M.R.: Natürlich die Situation ist im

Moment nicht einfach. In den Medien

wird man oft konfrontiert mit

Horrorszenarien. Die Fallzahlen werden

zwar besser, aber welche Rolle

die Mutationen spielen, ist nicht klar.

Vielleicht kann man es vergleichen

mit einem Buschfeuer, das langsam

vor sich hin züngelt, und das man

noch eine Weile nicht in den Griff

bekommen wird. Und unser Alltag,

wie wir ihn kennen, ist ziemlich eingeschränkt.

Da gibt es genug Gründe,

unzufrieden zu sein. Das ist auch

schon ein wichtiger Schritt: Sich einzugestehen,

dass nicht alles gut ist.

C.M.: Wie kann man auf diesen Gemütszustand

reagieren?

M.R.: Galgenhumor ist ein gutes Mittel,

denn Lachen ist wichtig für die

Gesundheit. Das können einfach

Witze sein, die man sich durchliest,

oder man schaut eine Komödie, die

einen zum Lachen bringt. Das hilft

schon gegen eine Verstimmung.

Eine andere Piste ist Bewegung, z.B.

Tanzen zu Radiomusik. Singen kann

ich auch sehr empfehlen: Vielleicht

mit Texthilfe oder man kann eine

Karaoke-Version heraussuchen und

dazu singen. Wenn man Ängste

spürt, gibt es natürlich auch kurze

Gebete, in die man sich hineinfallen

lassen kann. Das Vaterunser, das

Angelusgebet, das Herzensgebet.

Wenn man sie ständig wiederholt,

dann kann man nach einer Weile

innere Beruhigung wahrnehmen. Es

hilft dabei, nicht panisch zu werden.

C.M.: Und aus theologischer Perspektive

würde ich dann auch noch

ergänzen, dass es gut tut, sich mehrmals

am Tag mit etwas zu verbinden,

das grösser als ich ist und dass man

seinen Glauben an eine gute Schöpfung

bekräftigt. Im Dialog mit Gott

zu sein gibt Kraft und ist ein Zeichen

gegen die gefühlte Hilflosigkeit.

M.R.: Ja, Hilflosigkeit ist ein gutes

Stichwort. Wir selbst können die Situation

nicht komplett ändern. Natürlich

kann man sich ständig Sorgen

machen um die Zukunft, aber

es bringt einen leider auch nicht

weiter. Gerade wenn die Gedanken

kreisen, dann muss man ausbrechen.

Ein guter Weg wäre, auszuloten,

wie weit ich meinen Handlungsspielraum

ausreizen kann. Was kann

ICH tun, um diese Zeit möglichst gut

zu verbringen? Etwas Konkretes zu

machen kann dabei helfen, z.B. ein

Gartenprojekt im Frühling, Kuchen

backen, Topflappen häkeln, Aufräumen,

Sortieren, seine Biographie

schreiben. Je nach Lebenssituation

sind die Antworten wohl ganz unterschiedlich.

Margret Rihs-Middel ist Psychologin

und beschäftigt sich neben

Psychotherapie auch mit Biographiearbeit

und Coaching. Sie

war lange Zeit Mitglied unserer

Bildungskommission.

C.M.: Was machst Du denn konkret?

M.R.: Ich schreibe derzeit an einem

Buch und arbeite auch im Garten,

wenn das Wetter es zulässt.

Ausserdem ich bin internetaffin. Gerade

kann man viele Konzerte und

Opern per Stream empfangen. So

bin ich dann mal in Venedig, mal im

Wiener Opernhaus. Im Herbst habe

ich einen Italienischkurs über Zoom

belegt. Dabei waren Menschen aus

China, Südamerika und den USA, die

aus ihrem Alltag erzählt haben – das

mache ich bald wieder. Und ich telefoniere

regelmässig mit Bekannten

und Freunden. Es ist gut, dass man

einander nicht vergisst.

Bei allem ist mir noch wichtig, dass

ich Dankbarkeit kultiviere: für all die

Menschen die uns Waren liefern, das

Land am Laufen halten, aber auch

für die ersten Frühlingsblumen, für

die freundlichen Worte der Apothekerin,

für das uns geschenkte Leben

in all seiner Vielfalt. Dazu ein kleiner

Tipp: Jeden Abend für drei Dinge

danken, die uns im Verlauf des Tages

widerfahren sind.

C.M.: Es ist toll, dass Du diese Zeit so

produktiv für Dich nutzen kannst.

Vielen fällt es aber schwer, so positiv

zu sein und zu bleiben.

M.R.: Das ist ganz wichtig: Wenn man

aus der Verzweiflung nicht mehr herauskommt,

dann sollte man keine

Hemmungen haben, sich Hilfe zu

holen – sei es von einer Psychologin

oder Seelsorgerin. Es gibt viele

gut ausgebildete Leute, die dafür da

sind, zu helfen.

C.M.: Das kann ich nur unterstützen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Kath. Pfarreiseelsorge Freiburg – Stadt und Umgebung | März 2021 3

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