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big magazin nr. 113 Köln-Bickendorf und Umgebung

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Den Willen bekunden

Die Patientenverfügung ist in Corona-Zeiten besonders wichtig

Angesichts der erschreckend

vielen Menschen, die wegen

einer Covid 19-Erkrankung auf

einer Intensivstation behandelt

werden müssen, soll dasjenige

dargestellt werden, was bei dem

Errichten einer Patientenverfügung

zu beachten ist. Wie so vieles

in Deutschland ist auch die

Patientenverfügung gesetzlich

geregelt. Die Regelungen sind

recht jung. Nach einer langen

Debatte wurden entsprechende

Normen in das Bürgerliche Gesetzbuch

(BGB) aufgenommen.

Was steht hinter dem Begriff

„Patientenverfügung“?

Dazu gibt es in § 1901a BGB

eine gesetzliche Definition, die

sich sperrig liest:

„Hat ein einwilligungsfähiger

Volljähriger für den Fall seiner

Einwilligungsunfähigkeit

schriftlich festgelegt, ob er in

bestimmte, zum Zeitpunkt der

Festlegung noch nicht unmittelbar

bevorstehende Untersuchungen

seines Gesundheitszustands,

Heilbehandlungen oder

ärztliche Eingriffe einwilligt

oder sie untersagt (Patientenverfügung),

…“ (§ 1901a Abs.

1 S. 1 BGB)

Diese Vorschrift wird nun im Detail

erklärt, um sie verständlich

zu machen.

Wer kann eine Patientenverfügung

errichten?

Der Betroffene muss volljährig,

also 18 Jahre alt sein, und einwilligungsfähig.

Der Minderjährige

kann auch nicht vertreten

durch seine Erziehungsberechtigen

eine Verfügung errichten.

Was heißt „einwilligungsfähig“?

Dass ist dann der Fall, wenn der

Betroffene einsichts- und steuerungsfähig

ist, Art und Bedeutung,

Tragweite und Risiken der

Maßnahme zu erfassen und seinen

Willen danach zu richten. Mit

anderen Worten: Der Betroffene

muss überblicken, welche Konsequenzen

seine Anordnung haben

kann und den entsprechenden

Willen selbst bilden können. Das

dürfte demzufolge bei einem

Demenzkranken oder einem Depressiven

nicht der Fall sein.

Muss eine Patientenverfügung

schriftlich errichtet

werden?

Ja! Es reicht aus, wenn ein maschinenschriftlicher

Text unterschrieben

wird. Der Text sollte

das Datum des Tages tragen,

an dem die Unterschrift geleistet

worden ist. Es ist weder ein

handschriftliches Niederlegen

noch eine notarielle Beurkundung

erforderlich. Die Unterschrift

sollte in der Art und Weise

geleistet werden, wie dieses von

dem Betroffenen üblicherweise

geschieht.

Muss vorher ärztlicher Rat

eingeholt werden?

Nein! Die Verbindlichkeit der

Erklärung hängt nicht von dem

vorherigen Einholen eines ärztlichen

Rats ab. Das war im

Gesetzgebungsverfahren diskutiert

worden, wurde jedoch

nicht in das Gesetz aufgenommen.

Gleichwohl kann es nicht

schaden, vorher ärztlichen Rat

einzuholen, um Missverständnisse

und Fehlvorstellungen

über Behandlungsmöglichkeiten

und Behandlungsmethoden zu

vermeiden. Holt der Betroffene

keinen ärztlichen Rat ein, dann

trägt er das Risiko, unzureichend

aufgeklärt zu sein. Der Gesetzgeber

hat sich diesbezüglich

bewusst nicht in die Autonomie

– Selbstständigkeit – des Betroffenen

eingemischt.

Kann eine Patientenverfügung

widerrufen werden?

Eine dauerhafte Bindung geht

von der Patientenverfügung

nicht aus. Der Widerruf kann

jederzeit erfolgen und bedarf

keiner Form. Die mündliche Erklärung

reicht aus, genauso

konkludentes Handeln. Darunter

versteht man, dass durch entsprechendes

Handeln der Wille

zum Widerruf ausgedrückt wird.

Zum Zeitpunkt des Widerrufs

muss der Betroffene einwilligungsfähig

in dem oben beschriebenen

Sinn sein. Ist vom

Gericht ein Betreuer bestellt,

dann darf dieser die Verfügung

nicht widerrufen. Dem Vorsorgebevollmächtigten

ist das nur

gestattet, wenn eine Vorsorgevollmacht

dieses ausdrücklich

vorsieht.

Muss eine Patientenverfügung

aktualisiert werden?

Praktisch ist darunter zu verstehen,

dass in gewissen Zeitabständen

durch die Unterschrift

bekundet werden soll, dass die

Verfügung noch Bestand hat.

Auch von einer solchen Verpflichtung

hat der Gesetzgeber abgesehen.

Zu ihrem Weiterbestand

bedarf die Patientenverfügung

mithin keiner regelmäßigen Erneuerung

durch Unterschriftsleistung.

Gleichwohl kann es

nicht schaden, von Zeit zu Zeit

den Inhalt der Verfügung zu

überdenken, insbesondere dann,

wenn sich die Lebensumstände

oder der Gesundheitszustand

geändert haben.

Wer ist Adressat der Patientenverfügung?

Bild: Peter Johann Kierzkowski

In erster Linie der Arzt und das

Pflegepersonal, die in der entsprechenden

Lebenssituation tätig

werden. Der Bevollmächtigte,

der Betreuer, das Betreuungsgericht,

Familienangehörige

und übrige Personen sind daran

genauso gebunden, da die Verfügung

allgemeinverbindlich ist.

Dieses führt dazu, dass die Beteiligten,

den vom Patienten niedergelegten

Willen umzusetzen

haben. Die getroffenen Anordnungen

müssen jedoch rechtlich

zulässig sein. Der Patient kann

zum Beispiel nicht anordnen,

dass ihm aktive Sterbehilfe geleistet

wird durch Maßnahmen,

die sein Leben beenden.

Kann man zum Errichten

einer Verfügung verpflichtet

werden oder kann diese Bedingung

für einen Vertragsabschluss

sein?

Der Gesetzgeber verbietet dies

ausdrücklich (§ 1901a Abs. 5

BGB). Dadurch soll vermieden

werden, dass der Patient unter

Druck gesetzt werden kann. Die

Aufnahme in ein Pflegeheim soll

nicht von einer Patientenverfügung

abhängig sein. Gleichwohl

ist es zwischenzeitlich bei

der Aufnahme in ein Pflegeheim

oder Krankenhaus üblich geworden,

die Frage nach der Patientenverfügung

zu stellen.

Die Vorsorgevollmacht und

die Patientenverfügung sollten

in zwei separaten Urkunden

niedergelegt werden. Es gibt

nämlich Situationen, in denen

Dritte bei Vorlage der Vorsorgevollmacht

nicht zu interessieren

hat, ob der Betroffene auch eine

Patientenverfügung errichtet

hat. Den Bankangestellten hat

dieses nämlich nicht zu interessieren,

genauso wenig den Vermieter,

demgegenüber das Mietverhältnis

gekündigt wird.

Setzt die Patientenverfügung

eine Vorsorgevollmacht voraus?

Gesetzlich ist das nicht vorgesehen.

Gleichwohl muss dazu

geraten werden, zumindest eine

Vorsorgevollmacht zu errichten,

nach der der Bevollmächtigte für

die Gesundheitsfürsorge zuständig

ist. Zum einen ist es für die

behandelnden Ärzte hilfreich,

einen konkreten Ansprechpartner

zu haben, zum anderen sind

Situationen denkbar, dass der

Patient Hilfe benötigt, damit

sein Wille umgesetzt wird. Das

ist etwa dann der Fall, wenn der

Arzt Maßnahmen treffen möchte,

die dem erklärten Willen des

Patienten zuwiderlaufen. In der

Patientenverfügung sollte der

Bevollmächtigte mit sämtlichen

Daten (Vorname, Name, Adresse,

Telefonnummer, E-Mail-Adresse)

erwähnt werden.

Wird die Patientenverfügung

erst wirksam, wenn der Sterbeprozess

unumkehrbar eingesetzt

hat?

Auch diese Frage war vor der

gesetzlichen Regelung sehr umstritten.

Der Gesetzgeber hat

klargestellt, dass die Wirksamkeit

der Erklärung weder von

der Art noch dem Stadium der

Erkrankung abhängt (§ 1901a

Abs. 3 BGB). Auch an dieser

Stelle wurde der Autonomie des

Patienten der Vorrang gegenüber

einer gesetzlichen Bevormundung

gegeben.

Wann wird die Patientenverfügung

wirksam?

Es liegt in der Natur der Sache,

dass die Verfügung erst dann

wirksam wird, wenn der Patient

nicht mehr einwilligungsfähig

ist. Solange der Patient seinen

Willen noch bilden und diesen

auch äußern kann, darf auf die

Verfügung nicht zurückgegriffen

werden. Der Wille muss nicht

unbedingt durch Worte geäußert

werden. Gesten reichen aus,

wenn sie eindeutig sind.

Sollte ein vorgedruckter Text

verwendet werden?

Das Internet ist voller Textvorschläge.

Diese sind nur zum

Teil gut, wenn sie insbesondere

die Vorgaben des Bundesgerichtshofs

(BGH) berücksichtigen.

Der BGH hat sich nämlich

wiederholt dazu geäußert, wie

konkret – bestimmt – eine Patientenverfügung

sein muss. Da

die Formulare oft nicht ergeben,

wann sie verfasst worden sind,

besteht die Gefahr, ein veraltetes

Formular zu benutzen, dessen

Inhalt nicht den Anforderungen

der Rechtsprechung entspricht.

Auf der Homepage des Bundesministers

der Justiz und für Verbraucherschutz

(www.bmjv.de)

befindet sich ein Formular, das

sehr ausführlich und inhaltlich

detailliert ist. Bei der Formulierung

der Patientenverfügung

stehen Rechtsanwältinnen und

Rechtsanwälte sowie Notarinnen

und Notare mit Rat und Tat

zur Verfügung.

Was muss eine Patientenverfügung

enthalten?

Das Gesetz, aber auch die

BGH-Rechtsprechung verlangen,

dass die Verfügung hinreichend

konkretisiert ist. Dann ist dem

Bestimmtheitserfordernis genüge

getan. Formulierungen, wie:

„Ich möchte in Würde sterben“

oder „Ich wünsche keine lebenserhaltenden

Maßnahmen“ reichen

nicht aus. Der BGH gibt vor,

wann dem Bestimmtheitsgrundsatz

genüge getan ist. In seiner

Entscheidung vom 14.11.2018

(XII ZB 107/18) heißt es: „…

eine Patientenverfügung, die

einerseits konkret die Behandlungssituationen

beschreibt, in

der die Verfügung gelten soll,

und andererseits die ärztlichen

Maßnahmen genau bezeichnet,

in die der Ersteller einwilligt

oder die er untersagt, etwa

durch Angaben zu Schmerz- und

Symptombehandlung, künstlichen

Ernährung und Flüssigkeitszufuhr,

Wiederbelebung,

künstlichen Beatmung, Antibiotikagabe

oder Dialyse,“ genügt

„dem Bestimmtheitsgrundsatz“.

Sodann heißt es in der gleichen

Entscheidung jedoch:

„Die Anforderungen an die Bestimmtheit

einer Patientenverfügung

dürfen dabei jedoch nicht

überspannt werden.“ Danach

kann von dem Betroffenen nicht

verlangt werden, dass er seine

eigene Biografie oder Fortschritte

in der Medizin vorausahnt.

Das bereits erwähnte Formular

des BMJV genügt diesen Anforderungen.

Was kann in der Patientenverfügung

geregelt werden?

Es muss sich um Untersuchungen

des Gesundheitszustandes,

Heilbehandlungen oder ärztliche

Eingriffe handeln, die nicht unmittelbar

bevorstehen dürfen.

Was bedeutet das und warum

gibt es diese Regelung? Ein

Patient, der sich aus ärztlicher

Sicht einer Operation sofort

oder möglichst bald unterziehen

sollte, kann in diese ärztliche

Maßnahme einwilligen,

da er einwilligungsfähig ist und

ganz konkret abwägen kann,

welche Maßnahme geplant ist

und welche Risiken diese birgt.

Eine Patientenverfügung soll

sich mithin nur auf Maßnahmen

beziehen, die in der Zukunft liegen

und noch nicht unmittelbar

bevorstehen. Die Maßnahmen,

die der Verfügende anordnet,

können in einem Handeln oder

aber in einem Unterlassen bestehen.

Ein Unterlassen bedeutet,

dass von vorneherein Maßnahmen

nicht ergriffen werden.

Das Handeln kann auch darin

bestehen, dass die bereits eingeleitete

Behandlung abgebrochen

wird, zum Beispiel durch

das Abstellen des Beatmungsgerätes

oder das Entfernen des

Schlauchs zur künstlichen Ernährung.

Diese Maßnahmen

stellen zunächst einmal aktives

Handeln dar, auch wenn daraus

ein Unterlassen der weiteren

Behandlung folgt. Der BGH hat

diesbezüglich ausgeführt, dass

passive Sterbehilfe auch durch

aktives Handeln erfolgen kann.

Deswegen sollte der Begriff der

passiven Sterbehilfe nicht mehr

verwendet werdet. Üblich ist es

zwischenzeitlich von einem Behandlungsabbruch

beziehungsweise

Behandlungsverzicht zu

sprechen.

Wo soll die Patientenverfügung

aufbewahrt werden?

Gibt es einen Vorsorgebevollmächtigten,

dann sollte dieser

die Patientenverfügung verwahren.

Ist dieses nicht gewünscht,

dann soll die Patientenverfügung

bei dem Verfügenden

aufbewahrt werden. Der Bevollmächtigte

oder andere Dritte

müssen wissen, wo sie sie im

Notfall finden. Es bietet sich

an, alle wichtigen Dokumente

in einem „Notfallordner“ zu

sammeln, der ins Auge sticht.

Die Patientenverfügung kann

zusammen mit einer Vorsorgevollmacht

zudem im Zentralen

Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer

(www.vorsorgeregister.de)

registriert werden. Die

Patientenverfügung wird jedoch

dort nicht hinterlegt. Es erfolgt

lediglich die Registrierung, dass

eine Patientenverfügung errichtet

worden ist.

■ Joseph Schnitzler, Rechtsanwalt

28 www.bickendorf.info Ausgabe 1/2021 | Nr. 113 29

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