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Geschäftsbericht 2020

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16<br />

Im Gespräch mit Dr. med. Fabian Tschumi, Infektiologe<br />

«Ehrlich benennen, was<br />

wir wissen – und was wir<br />

nicht wissen»<br />

Dr. med. Fabian Tschumi arbeitete vor der<br />

Pandemie vor allem im Hintergrund. Doch dann<br />

stand der Infektiologe plötzlich im Zentrum. Ein<br />

Gespräch über seine neue Rolle, über Wissen<br />

und Nichtwissen und über seinen Umgang mit<br />

Coronaleugnern und Impfgegnern.<br />

So hatte sich Dr. med. Fabian Tschumi seine Tätigkeit<br />

bestimmt nicht vorgestellt, als er vor rund eineinhalb<br />

Jahren im Spital Bülach anfing. Sein Alltag drehte sich<br />

um die Behandlung und Abklärung von Patienten mit<br />

komplexen Infektionen, um die Überwachung von<br />

Hygienestandards und um Projekte zur Reduktion von<br />

Antibiotikaabgaben. Wegen Corona stand er plötzlich<br />

im Zentrum und musste permanent Rede und Antwort<br />

stehen. Spricht man ihn auf seine Rolle an, winkt<br />

er ab: «Ich habe höchsten Respekt vor allen Mitarbeitenden<br />

in direktem Patientenkontakt. Jeden Tag von<br />

neuem mit Herzblut Patientinnen und Patienten zu<br />

betreuen, wenn es um Leben und Tod geht, das ist<br />

eine grossartige Leistung. Ich habe nur beraten.»<br />

Entscheide mit weitreichenden Folgen<br />

Etwas zu bekämpfen, was erst erforscht wird und<br />

sich der Wissensstand deshalb permanent ändert,<br />

habe ihn vor grosse Herausforderungen gestellt: «So<br />

etwas habe ich in meinem Berufsleben noch nicht<br />

erlebt», sagt Tschumi. Er selbst sieht sich mehr als<br />

Übersetzer. Er diskutiere mit Fachkollegen, ordne<br />

Informationen ein und empfehle daraus Massnahmen.<br />

Daher sei es wichtig gewesen, dass das Spital schnell<br />

eine Taskforce einberufen habe. Der Austausch im<br />

Team sei zentral, damit alle den gleichen Wissensstand<br />

haben. Man müsse ehrlich und transparent benennen,<br />

was man wisse, aber genauso, welche Informationen<br />

noch nicht bekannt seien. Das Ziel war es, gestützt<br />

auf die vorhandenen Informationen, die richtigen<br />

Entscheide zu fällen. Soll man weniger operieren, um<br />

Platz für Covid-19-Patienten zu haben? Wer darf noch<br />

Besuch empfangen? Wo bekommt man dringend<br />

benötigtes Schutzmaterial zu fairen Preisen? Was<br />

passiert, wenn eine ganze Abteilung ausfällt?<br />

Es waren schwierige Entscheidungen, die nicht nur<br />

den medizinischen Bereich, sondern das gesamte<br />

Spital betrafen.<br />

Transparenz der Fakten<br />

Trotz allem Leid, das die Pandemie ausgelöst hat, sieht<br />

Dr. med. Fabian Tschumi auch positive Aspekte. In der<br />

ersten Welle habe er viel mehr Leute in der Natur<br />

angetroffen. «Viele Menschen haben sich zentrale<br />

Lebensfragen gestellt: Welche Verantwortung tragen<br />

wir als Gesellschaft für ältere Menschen? Wie wertvoll<br />

ist ein Menschenleben? Was macht uns glücklicher:<br />

Konsum, Gesundheit oder soziale Kontakte?»<br />

Auf die Frage, wie er als Infektiologe und Arzt mit<br />

Coronaleugnern und Impfgegnern umgehe, reagiert<br />

Tschumi gelassen. Es sei nicht neu, dass manche<br />

Leute Informationen nach anderen Prinzipien interpretierten.<br />

Obwohl er vom Impfen überzeugt sei, masse<br />

er sich nicht an, über andere Menschen zu urteilen.<br />

Entscheide sich jemand gegen das Impfen, dann trage<br />

diese Person selbst das Risiko. Als Arzt versuche er<br />

sein Bestes, um Menschen die bestmögliche Entscheidungsgrundlage<br />

zu bieten. «Meiner Meinung<br />

nach muss eine Gesellschaft kontroverse Einstellungen<br />

aushalten. Ich bin aber froh, dass ich kein Politiker<br />

bin, der sich zwischen der Wirtschaft und Menschenleben<br />

entscheiden muss.»<br />

Den ökologischen Fussabdruck überdenken<br />

Ob nach dieser Pandemie eine nächste drohe? Es<br />

habe schon viele und weitaus grössere Pandemien in<br />

der Menschheitsgeschichte gegeben – wie die Pest<br />

oder die spanische Grippe. Für Tschumi stellt sich<br />

vielmehr die Frage, ob die Pandemie nicht auch mit<br />

unserem Lebensstil zusammenhängt: «Immer mehr<br />

Menschen leben auf engem Raum und haben Kontakt<br />

zu Tieren, die sonst nur in der Wildnis leben. Ob die<br />

nächste Herausforderung in einer Pandemie oder in<br />

den Folgen der Klimaerwärmung liegt, weiss ich nicht.<br />

Ich persönlich verstehe die Coronapandemie als<br />

Fingerzeig, meinen ökologischen Fussabdruck nochmals<br />

genau anzuschauen und zu reduzieren.»

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