16 Im Gespräch mit Dr. med. Fabian Tschumi, Infektiologe «Ehrlich benennen, was wir wissen – und was wir nicht wissen» Dr. med. Fabian Tschumi arbeitete vor der Pandemie vor allem im Hintergrund. Doch dann stand der Infektiologe plötzlich im Zentrum. Ein Gespräch über seine neue Rolle, über Wissen und Nichtwissen und über seinen Umgang mit Coronaleugnern und Impfgegnern. So hatte sich Dr. med. Fabian Tschumi seine Tätigkeit bestimmt nicht vorgestellt, als er vor rund eineinhalb Jahren im Spital Bülach anfing. Sein Alltag drehte sich um die Behandlung und Abklärung von Patienten mit komplexen Infektionen, um die Überwachung von Hygienestandards und um Projekte zur Reduktion von Antibiotikaabgaben. Wegen Corona stand er plötzlich im Zentrum und musste permanent Rede und Antwort stehen. Spricht man ihn auf seine Rolle an, winkt er ab: «Ich habe höchsten Respekt vor allen Mitarbeitenden in direktem Patientenkontakt. Jeden Tag von neuem mit Herzblut Patientinnen und Patienten zu betreuen, wenn es um Leben und Tod geht, das ist eine grossartige Leistung. Ich habe nur beraten.» Entscheide mit weitreichenden Folgen Etwas zu bekämpfen, was erst erforscht wird und sich der Wissensstand deshalb permanent ändert, habe ihn vor grosse Herausforderungen gestellt: «So etwas habe ich in meinem Berufsleben noch nicht erlebt», sagt Tschumi. Er selbst sieht sich mehr als Übersetzer. Er diskutiere mit Fachkollegen, ordne Informationen ein und empfehle daraus Massnahmen. Daher sei es wichtig gewesen, dass das Spital schnell eine Taskforce einberufen habe. Der Austausch im Team sei zentral, damit alle den gleichen Wissensstand haben. Man müsse ehrlich und transparent benennen, was man wisse, aber genauso, welche Informationen noch nicht bekannt seien. Das Ziel war es, gestützt auf die vorhandenen Informationen, die richtigen Entscheide zu fällen. Soll man weniger operieren, um Platz für Covid-19-Patienten zu haben? Wer darf noch Besuch empfangen? Wo bekommt man dringend benötigtes Schutzmaterial zu fairen Preisen? Was passiert, wenn eine ganze Abteilung ausfällt? Es waren schwierige Entscheidungen, die nicht nur den medizinischen Bereich, sondern das gesamte Spital betrafen. Transparenz der Fakten Trotz allem Leid, das die Pandemie ausgelöst hat, sieht Dr. med. Fabian Tschumi auch positive Aspekte. In der ersten Welle habe er viel mehr Leute in der Natur angetroffen. «Viele Menschen haben sich zentrale Lebensfragen gestellt: Welche Verantwortung tragen wir als Gesellschaft für ältere Menschen? Wie wertvoll ist ein Menschenleben? Was macht uns glücklicher: Konsum, Gesundheit oder soziale Kontakte?» Auf die Frage, wie er als Infektiologe und Arzt mit Coronaleugnern und Impfgegnern umgehe, reagiert Tschumi gelassen. Es sei nicht neu, dass manche Leute Informationen nach anderen Prinzipien interpretierten. Obwohl er vom Impfen überzeugt sei, masse er sich nicht an, über andere Menschen zu urteilen. Entscheide sich jemand gegen das Impfen, dann trage diese Person selbst das Risiko. Als Arzt versuche er sein Bestes, um Menschen die bestmögliche Entscheidungsgrundlage zu bieten. «Meiner Meinung nach muss eine Gesellschaft kontroverse Einstellungen aushalten. Ich bin aber froh, dass ich kein Politiker bin, der sich zwischen der Wirtschaft und Menschenleben entscheiden muss.» Den ökologischen Fussabdruck überdenken Ob nach dieser Pandemie eine nächste drohe? Es habe schon viele und weitaus grössere Pandemien in der Menschheitsgeschichte gegeben – wie die Pest oder die spanische Grippe. Für Tschumi stellt sich vielmehr die Frage, ob die Pandemie nicht auch mit unserem Lebensstil zusammenhängt: «Immer mehr Menschen leben auf engem Raum und haben Kontakt zu Tieren, die sonst nur in der Wildnis leben. Ob die nächste Herausforderung in einer Pandemie oder in den Folgen der Klimaerwärmung liegt, weiss ich nicht. Ich persönlich verstehe die Coronapandemie als Fingerzeig, meinen ökologischen Fussabdruck nochmals genau anzuschauen und zu reduzieren.»
Wie Dr. med. Fabian Tschumi die Pandemie erlebt hat, sehen Sie in einem Video. Scannen Sie dazu den QR-Code.