Kunstbulletin Januar/Februar 2020
Unsere Januar/Februar Ausgabe 2020, mit Beiträgen zu Sebastian Stadler, Hinrich Sachs, EDHEA, uvm.
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Courbet Dessinateur<br />
Vevey — Trotz des seit den Siebzigerjahren gestiegenen<br />
Interesses an der Zeichnung gehörte<br />
Gustave Courbet (1819–1877) bislang nicht zu<br />
den Maler/innen, deren Verständnis über dieses<br />
Medium vertieft worden ist. Grund ist, dass sich<br />
der erste Versuch 1984 im Kunsthaus Zürich<br />
und in der Kunsthalle Baden-Baden in einer<br />
Täuschung erschöpfte: Betitelt mit ‹Die Lust,<br />
die Welt aus Gegensätzen zu bauen› stellte der<br />
Spezialist Klaus Herding 208 Blätter als ‹Reiseskizzen›<br />
des Künstlers aus, die dieser angeblich<br />
erst mit Pinsel und Spachtel zu einem originären<br />
Blick zu verschmelzen und mitunter auf<br />
riesigen Leinwänden auszubreiten vermochte.<br />
Der sofort virulenten Kritik hielten bis zuletzt<br />
jedoch nur zwei dieser Zeichnungen stand; der<br />
Rest musste dem Gatten seiner Schwester Zoé<br />
und weiteren Figuren attribuiert werden.<br />
Eine dem Musée jurassien d’art et d’histoire<br />
in Delémont geschenkte, bislang unbekannte<br />
Landschaft von Courbet brachte den jungen<br />
Kunsthistoriker Niklaus Manuel Güdel indes<br />
2017 auf den Plan, sich dem Problem der Zeichnungen<br />
des Künstlers zu widmen. Gestützt von<br />
der eigens dazu gegründeten Société suisse<br />
pour l’étude de Gustave Courbet gelang es ihm<br />
zusammen mit seiner Mitarbeiterin Anne-<br />
Sophie Poirot, pünktlich zum 200. Geburtstag<br />
des Künstlers ein Kompendium von rund 250<br />
Blättern aus privaten und öffentlichen Kabinetten<br />
vorzulegen.<br />
Vor allem aber vermögen Güdel und Poirot in<br />
einer erst im Musée Gustave Courbet Ornans<br />
und nun im Musée Jenisch Vevey gezeigten<br />
Schau, mit Courbet erstmals auch einem<br />
breiterem Publikum eine Künstlerpersönlichkeit<br />
vor Augen zu führen, die auch im Medium<br />
der Zeichnung den Erscheinungen dieser Welt<br />
imaginativ, experimentell und mit unbändiger<br />
Sinnlichkeit begegnete. In Kohlenporträts von<br />
sich und seinem Freundeskreis erlaubte sich<br />
Courbet oft eine kühne, wie das Schicksal spiegelnde<br />
Disparität zwischen nicht nur satt, sondern<br />
dick aufgetragenem Schwarz und mit dem<br />
Ratzefummel erzielten Lichtern. In autonomen<br />
Naturstudien belud er das Papier teils in unterschiedlichen<br />
Techniken und mit Materialien,<br />
sodass er es da und dort regelrecht aufschürfte.<br />
Der Künstler vermochte jedoch auch, wie es<br />
nicht zuletzt Skizzenbücher verraten, mit wenigen<br />
oft atemberaubend langen und sicheren<br />
Linien einer Figur Körper und einer Landschaft<br />
Tektonik zu geben. KHO<br />
Gustave Courbet · Etude de paysage, gegen<br />
1874, Court. Musée Gustave Courbet, Ornans<br />
Gustave Courbet · L’Homme à la pipe, nach<br />
1849, Court. Collection Bonna, Genève<br />
→ Musée Jenisch, bis 2.2.; mit Publikation<br />
↗ www.museejenisch.ch<br />
HINWEISE // ST. GALLEN / VEVEY<br />
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