52. Ausgabe
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DER BÄNNJERRÜCKBOTE – Ausgabe 52 – Juni 2021
Ehrenamt muss heute anders gedacht werden
Lydia Müller im Interview über 20 Jahre Freiwilligenagentur und Ehrenamt in Lautern
BÄNNJERRÜCKBOTE: Frau Müller, Sie leiten die Freiwilligenagentur
seit 20 Jahren. Hat sich das Ehrenamt in
den letzten zwei Jahrzehnten verändert?
Lydia Müller: Ja, das ist der Fall. Das klassische
Ehrenamt hat sich von einem eher dauerhaft angelegten
Engagement hin zu einem immer häufiger
projektorientierten, zeitlich begrenzten Ehrenamt
verändert. Die bis dahin funktionierende Struktur,
dass jemand beispielsweise im Alter von zehn Jahren
einem lokalen Verein beitritt, um dort bis zu seinem
Lebensende zu verbleiben, hat sich zusehends
aufgelöst. Dazu kommt, dass die Gesellschaft in den
letzten 20 Jahren erheblich mobiler wurde. Heute
ziehen die Menschen häufiger um, kennen sich in
der neuen Umgebung noch nicht aus und wissen
nicht, welchen Bedarf es dort im Bereich Ehrenamt
gibt. Aufgrund dieser Veränderungen hat man festgestellt,
dass Ehrenamt heute anders gedacht werden
muss. Deshalb kam der Wunsch auf, Freiwilligenagenturen
zu gründen. Unsere Freiwilligenagentur
in Kaiserslautern war die erste, die in Rheinland-
Pfalz gegründet wurde.
Das Ehrenamt hat sich verändert. Dennoch stelle ich
fest, dass neben aller Projektorientierung, die Menschen
auch heute noch Zugehörigkeit brauchen und
deshalb auch immer wieder längerfristige Engagements
suchen. Es bleibt daher wichtig, beides anzubieten:
Das Ehrenamt, das längerfristigen Bindung
bietet, aber auch diese kurzfristigen, projektbezogenen
Angebote, wie „z.B. die Lauterer Kehrwoche“
oder Projekttage, an denen sich übrigens auch Firmenteams
gerne beteiligen. Solche Angebote geben
Menschen, deren Berufs- oder Familienleben ein
intensiveres Engagement nicht hergibt, die Möglichkeit,
etwas für die Gemeinschaft zu tun.
BÄNNJERRÜCKBOTE: Haben Sie in den letzten Jahren ereignisbezogen
gestiegene Hilfsbereitschaft erlebt?
Müller: Es ist schon so, dass sich Menschen in besonderen
Situationen besonders angesprochen fühlen.
Ich konnte beobachten, dass Phasen im Leben
eines Menschen oft mit besonderen Phasen in der
Gesellschaft zusammengehen.
Viele Menschen haben das Bedürfnis, eine Wirkung
in der Gesellschaft zu erzielen. Ehrenamtliches Engagement
passt jedoch nicht immer und in jeder Situation
zum Lebensentwurf. Manchmal ist es aber
auch einfach so, dass sich Menschen nicht angesprochen
gefühlt haben. Tritt dann ein besonderes
gesellschaftliches Ereignis ein, macht es bei diesen
Menschen „Klick“, sie finden sich in der gestellten
Aufgabe wieder und bringen sich ein. Man konnte in
den letzten Jahren, die für unsere Gesellschaft voller
großer Herausforderungen waren, sehen, dass
die Menschen da sind, wenn sie gebraucht werden.
In der nahen Vergangenheit würde ich da das Jahr
2015/2016 nennen, als viele Flüchtlinge nach Kaiserslautern
kamen – da hat die Stadtgesellschaft
ganz super reagiert. So auch jetzt, in der Coronapandemie:
Die Not war da und die Leute haben geholfen!
Aber die Freiwilligenagenturen sind natürlich nicht
nur in Zeiten mit besonderen Herausforderungen
gefragt. Ein wesentlicher Punkt ist, dass wir in den
Freiwilligenagenturen Öffentlichkeit schaffen. Dass
durch unsere Arbeit freiwilliges Engagement immer
wieder sichtbar wird und in das Bewusstsein der Öffentlichkeit
rückt. Freiwilligen Agenturen haben überall
da, wo es sie gibt, mit ihrer Arbeit dazu beigetragen,
dass das Klima sich zum Positiven verändert
hat. Flapsig gesagt: Freiwillige Arbeit ist mittlerweile
deutlich „hipper“, als es zwischenzeitlich der Fall
war. Eine Weile hatte das Ehrenamt ein etwas ange-