Eine Gruppe Jäger des Ju/’hoansi-Stammes unterwegs im Buschland Namibias. Die ersten Kinder Südafrikas Genetiker haben das Erbgut der Buschmänner entziffert. Es zeigt: Die Ureinwohner des südlichen Afrikas sind die älteste Abstammungslinie der Menschheit. Text: Stefanie Schramm <strong>bull</strong>etin 2/<strong>10</strong> Credit Suisse
Buschmänner <strong>Süden</strong> 11 Als das Ergebnis der Studie bekannt gegeben wurde, tanzte !Gubi. Seine Frau und eine seiner Töchter sangen. Mit ihren Händen schlugen sie den Takt. Und !Gubi tanzte dazu. An seinen Fussgelenken klapperten Rasseln – mit Samen gefüllte Nachtfalterkokons, auf Schnüre gezogen –, während er die Gestalten und Tiere nachahmte, welche die Frauen besangen. Der alte Mann ist es gewohnt, mit seiner Familie vor Fremden aufzutreten. Hin und wieder reist er zu Musikfestivals, aber das hier war etwas Besonderes. Gerade eben hatten die Forscher erklärt, was sie bei ihrer jüngsten Untersuchung herausgefunden hatten: !Gubis Volk ist der älteste Zweig im Stammbaum der Menschheit. «Ich bin sehr glücklich», sagt er, der schon an die 80 Jahre erlebt hat. «Es ist einer der stolzesten Tage meines Lebens.» Sein Volk, das sind die Buschmänner des südlichen Afrikas, auch San genannt. Sie leben, ursprünglich als Jäger und Sammler, in Botsuana, Namibia und Südafrika. Sie wissen, wie man in der Wüste, der Kalahari, überlebt. Sie lesen die Spuren ihrer Beutetiere – Antilopen, Springhasen, Steinböcke – mit grösster Genauigkeit. Und sie sprechen eine der kompliziertesten Sprachen der Welt, mit Klick- und Schnalzlauten, die wir nur mit Sonderzeichen schreiben können. !Gubi und seine Familie sowie drei weitere Buschmänner aus Namib ia waren im Februar in die Landeshauptstadt Windhoek gereist, um zu hören, was die Wissenschaftler in ihrem Blut gelesen hatten. Eine Forschergruppe um Stephan Schuster von der Pennsylvania State University in den USA und Vanessa Hayes von der University of New South Wales in Australien hatte ihr Erbgut untersucht. Ihre Ergebnisse veröffentlichte das Fachmagazin «Nature», was ein Erfolg in der Wissenschaftswelt ist. Doch die Gendaten könnten noch etwas weit Wichtigeres leisten: Sie könnten dem bedrohten Volk der San zu mehr Anerkennung verhelfen. Genetische Abspaltung der Buschmänner Fotos: Stephan C. Schuster «Wir wollten so nah wie möglich an den Ursprung des Menschen herankommen», sagt Schuster. Das ist den Forschern gelungen. «Wir wussten schon aus früheren Stichproben, dass wahrscheinlich eine ganz entscheidende Trennung zwischen den Buschmännern und allen anderen Menschen verläuft», erzählt der Genetiker. «Das hat sich jetzt bestätigt.» !Gubi ist der erste Buschmann, dessen Genom vollständig entziffert wurde. Zuvor war überhaupt nur von neun Menschen weltweit das komplette Erbgut sequenziert und veröffentlicht worden, darunter das des Nobelpreisträgers James Watson und des bekannten Biochemikers Craig Venter. Im Genom von !Gubi fanden die Wissenschaftler mehr als eine Million kleinster Abwandlungen, die noch bei keinem anderen Menschen festgestellt worden waren. Die San sind aber keineswegs Relikte aus der Vorzeit, sie sind moderne Menschen wie alle Afrikaner, Asiaten und Europäer. Die Varianten in ihrem Erbgut tauchten erst auf – das zeigen die Tests der Forscher –, nachdem ihre Abstammungslinie im Stammbaum des Menschen abgezweigt war. Das geschah wahrscheinlich vor etwa 35 000 Jahren, hat die Populationsgenetikerin Sarah Tishkoff herausgefunden. Dass sich diese Unterschiede so gut erhalten konnten, liegt daran, dass die Buschmänner sich kaum vermischt haben. Lange hielten die Kalahari-Wüste im Osten, die Etosha-Wüste im Norden und der Atlantik im Westen Fremde ab. Als dann zunächst Bantu-Stämme einwanderten und später Weisse ins Land drangen, diskriminierten beide Gruppen die San gleichermassen. «Einige Buschleute haben am Anfang geglaubt, wir wollten zeigen, dass sie Affen sind», Das Genom des Buschmannes !Gubi wurde vollständig entziffert. Er war damit weltweit erst der zehnte Mensch, dessen Erbgut voll ständig sequenziert wurde. erzählt Schuster. Stattdessen entdeckten die Forscher, dass von den Abwandlungen in !Gubis Erbgut nur sechs Prozent mit den entsprechenden Stellen im Genom des Schimpansen übereinstimmen. Bei Craig Venter sind es 87 Prozent dieser Positionen. Und die Untersuchung zeigte noch etwas: Die San sind auch untereinander sehr unterschiedlich. Das fanden die Wissenschaftler heraus, indem sie das Erbgut von drei anderen Buschmännern in Ausschnitten entzifferten. «Zwei Buschmänner unterscheiden sich mehr als ein Europäer und ein Asiate», sagt Schuster. «Das hilft uns zu verstehen, wie gross die genetische Diversität des Menschen wirklich ist.» Doch die Gendaten bringen nicht nur die Wissenschaft voran. Sie lenken auch die Aufmerksamkeit der Welt auf die San. «45 000 Internetseiten zitieren schon unsere Studie», erzählt Schuster. Vielleicht, so hofft der Forscher, helfe das, den Blick auf das kleine Volk zu verändern. Bis heute werden die Buschmänner herabgewürdigt, verdrängt aus ihren Jagdgründen, umgesiedelt in Reservate. Vor 2000 Jahren streiften noch bis zu 400 000 San durch das südliche Afrika, heute leben dort nur noch <strong>10</strong>0 000 Buschleute. An seine erste Begegnung mit !Gubi kann sich Stephan Schuster noch gut erinnern. «Das war nicht ganz einfach, natürlich waren wir uns sehr fremd.» Gefunden hatten die Wissenschaftler den Stammesältesten auf einer «Reise ins Blaue», wie Schuster sagt. Vor zwei Jahren war er mit seiner Kollegin Vanessa Hayes einfach losgefahren, quer durch Namibia, und hatte mit Leuten geredet, mit Pastoren, Priestern, Farmern. «Die kennen die San-Gemeinschaften vor Ort gut.» Nur noch wenige Sammler und Jäger Fünfmal reisten die Forscher ins Land der Buschmänner. Sie begegneten San, die in bitterer Armut auf den Müllhalden der Städte hausten; Buschleuten, die dabei waren, sesshafte Farmer zu werden; und einigen wenigen Ureinwohnern, die in Naturschutzgebieten > Credit Suisse <strong>bull</strong>etin 2/<strong>10</strong>