bull_10_02_Süden
Credit Suisse bulletin, 2010/02
Credit Suisse bulletin, 2010/02
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18 <strong>Süden</strong> Südwind<br />
Es gibt wohl kaum eine meteorologische Erscheinung, die so bekannt,<br />
geschätzt oder gefürchtet ist wie der Föhn. Jener seltsame warme<br />
Wind Mitteleuropas, der scheinbar aus dem Nichts auftaucht und im<br />
Winterhalbjahr innert Kürze die Temperaturen in die Höhe schnellen<br />
lässt. Die Wärme und die trockene Luft mögen angenehm sein, die<br />
starken Stürme, die plötzlich anschwellen, können für den Menschen<br />
zu einer beträchtlichen Gefahr werden. Beim «Jahrhundertföhn» vom<br />
7. bis 9. November 1982 wurden grossräumig sehr hohe Windgeschwindigkeiten<br />
gemessen: in Zürich <strong>10</strong>0 km/h, im Rhonetal 120 km/h, im<br />
Reusstal 160 km/h und auf dem Gotthard (2<strong>10</strong>0 m ü.M.) 185 km/h.<br />
Die Schäden beliefen sich auf 30 Millionen Franken.<br />
Der «Guggiföhn» vom Lauberhorn<br />
Immer wieder macht bei der Lauberhorn-Ski-Weltcup-Abfahrt auch<br />
der «Guggiföhn» von sich reden, wenn er plötzlich mit stürmischer<br />
Wucht hervorbricht und die Pläne der Organisatoren durcheinanderwirbelt.<br />
Der Guggiföhn ist ein lokales Phänomen. Er tritt vor allem bei<br />
starkem Südostwind auf, stürzt vom Jungfraujoch herunter, fegt in<br />
einem schmalen Kanal genau über das Gebiet Wixi-Lauberhorn<br />
hinweg und hebt dann über das Lauterbrunnental ab. Wenn der<br />
Wind in 3000 bis 4000 Metern Höhe aus südöstlichen Richtungen<br />
bläst, ist er jeweils besonders stark. Der Guggiföhn kann sehr stürmisch<br />
wehen und in Extremfällen Windgeschwindigkeiten von über<br />
200 km/h erreichen.<br />
Eine Luftströmung über die Alpen<br />
Als man um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Föhnforschung<br />
begann, kursierten verschiedene Theorien über die Entstehung dieses<br />
warmen Windes. Unter anderem wurde die Meinung vertreten,<br />
dass der Föhn seinen Ursprung in der Sahara habe, ein heisser Wind<br />
sei, der den glühenden Sandwüsten Afrikas entstammte. Schliesslich<br />
erkannte man den Zusammenhang zwischen den starken Niederschlägen<br />
auf der Alpensüdseite und dem warmen Wind auf der<br />
Alpennordseite, und damit wurde eindeutig klar: Der Föhn ist ein<br />
Produkt unserer Alpen.<br />
Überall, wo Luftmassen aus einer bestimmten Richtung strömen<br />
und auf Gebirgszüge treffen, können föhnartige Winde entstehen.<br />
Deshalb kommen föhnähnliche Winde auf der ganzen Welt unter<br />
verschiedenen Namen vor. Die grossräumigste Föhnerscheinung der<br />
Welt dürfte der Chinook auf der Ostseite der Rocky Mountains sein.<br />
In sehr kalten Wintern kann er in den Ebenen östlich der Rocky<br />
Wolkenbildung<br />
S<br />
Wolkenauflösung<br />
N<br />
3600 m<br />
3<strong>10</strong>0 m<br />
1300 m<br />
trockener Fallwind<br />
23 ºC<br />
18%<br />
relative Feuchte<br />
600 m<br />
<strong>10</strong>0 m<br />
20 ºC<br />
52%<br />
relative Feuchte<br />
Po-Ebene, Italien Alpen Alpenvorland<br />
Wenn sich die Schweiz auf der Vorderseite eines starken Tiefdruckwirbels<br />
befindet, entsteht über den Alpen eine starke Südströmung.<br />
Die Luftmassen, die von <strong>Süden</strong> nach Norden fliessen, müssen die<br />
Alpen überqueren. Bei diesem Aufstieg kühlt sich die Luft zuerst<br />
im Durchschnitt um etwa ein Grad pro <strong>10</strong>0 Meter Höhendifferenz ab.<br />
Mit zunehmender Abkühlung kann die Luft jedoch immer weniger<br />
Wasser aufnehmen. Deshalb beginnt das überschüssige Wasser in<br />
Form von Wolkentröpfchen zu konden sieren. Bei der Abkühlung der<br />
Luft wird jedoch nicht nur Wasser freigesetzt, sondern auch<br />
gespeicherte Sonnenenergie. Die Energie, die nötig war, um dieses<br />
Wasser zu verdunsten, wird wieder als Kondensationswärme an die<br />
Luft abgegeben. Deshalb kühlen sich die aufsteigenden Luftmassen<br />
vom Moment der Kondensation an nur noch ein halbes Grad pro<br />
<strong>10</strong>0 Meter ab (und nicht wie bisher ein Grad). Sobald die Luft den<br />
Gebirgskamm überströmt hat, beginnt sie abzusinken. Dabei<br />
erwärmt sie sich wieder um ein Grad pro <strong>10</strong>0 Meter und könnte jetzt<br />
viel mehr Wasser aufnehmen, das aber als Regen auf der Südseite<br />
schon gefallen ist. Deshalb lösen sich die Wolken auf der anderen<br />
Seite des Gebirges auf und die Luft gelangt als warmer trockener Wind<br />
in die Niederungen.<br />
Illustration: www.wetter.com<br />
<strong>bull</strong>etin 2/<strong>10</strong> Credit Suisse