Arbeitsheft IK Training China 2014 Graz final-2
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Dorfmitglieder, Freunde, Kollegen, Schüler- und Studierendengemeinschaften. Eine
dritte Gruppe (shengren) umfasst eher lockere Bekanntschaften und Fremde.
Die Kultivierung von Beziehungen, ihre Nutzung und die Sicherung ihrer Stabilität
stellen für jedes Mitglied der chinesischen Gesellschaft eine unabdingbare
Voraussetzung für gesellschaftlichen Erfolg, damit auch eine permanente
Herausforderung dar. Um eine Vorstellung über die komplexe Struktur von guanxi zu
gewinnen, sei zunächst auf einige Charakteristika verwiesen, die als Konsens der
internationalen Forschung gelten (Y. Luo 2007: ):
— Guanxi sind übertragbar: Wenn A sich durch guanxi mit B auszeichnet, und
B ist ein Freund von C, dann kann A durch B bei C eingeführt werden, oder
umgekehrt C durch B bei A.
— Guanxi sind reziprok, gleichsam latente Austauschbeziehungen über Zeit
— Guanxi sind als Beziehungen Optionen auf Austausch (Tausch von
Gefälligkeiten).
— Guanxi sind im Ansatz auf den Nutzen von Personen in Situationen
gegründet und damit nicht unbedingt an affektiv-emotionale
Voraussetzungen gebunden.
— Guanxi sind kontextgebunden, das erschwert ihre jeweils adäquate
Nutzung in Austauschprozessen.
— Guanxi sind Langzeit orientierte Netzwerke ohne zeitliche Befristung, jede
Beziehung ist wie ein Kapitalstock zu sehen, der im Zeitablauf gebildet,
vermehrt, gehalten oder verloren wird.
— Guanxi sind personengebunden, nur in begrenztem Maße
institutionsbezogen.
Wie kompliziert die Handhabung von guanxi ist wird deutlich, wenn wir nach den
Rahmenbedingungen fragen, die Aufbau, Pflege und Sicherung der Nachhaltigkeit von
guanxi kennzeichnen. Im Kern basieren die angesprochenen Prozesse auf der
Kombination von mindestens drei vernetzten Prinzipien der interpersonalen
Kommunikation und Beziehungsarbeit, Prinzipien, die im chinesischen Kontext als
zentrale Gefühls-Dimensionen persönlicher Beziehungen verankert sind:
(a) das mit ganqing (Gefühl, feeling) umschriebene „Fühlen“ von Nähe, von guter
Atmosphäre, Zuneigung, auch Freundschaft/Hilfsbereitschaft;
(b) das mit renqing (human feeling) und
(c) mit bao (reciprocity) umschriebene „menschliche Gefühl“ gegenüber dem
Anderen, verbunden mit der Bereitschaft zum reziproken Austausch von Hilfe und
Gefälligkeiten (G. Gao/S. Ting-Toomey 1998, 24ff.).
Diese affektiv-emotionale Triade – oder kurz: Gefühls-Triade – aus ganqing, renqing
und bao ist in deutscher Sprache nur schwer so zu übersetzen, dass die darin
unterschiedlich verkapselten Bilder von „Gefühl(en)“ der chinesischen „Gefühlswelt“
entsprechen. Es sollte aber für unseren Zusammenhang klar geworden sein,
dass guanxi nur über die Verknüpfung der drei Prinzipien zu verstehen
und zu praktizieren sind und dass es personenbezogene, physische Nähe
voraussetzende und Austausch basierte Handlungsmuster zur Grundlage hat.
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