EGTA-Journal 2021-12
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Hannah Wirmer
Warum instrumentaler
Gruppenunterricht?
Wird über die Vor- und Nachteile
von Einzel- oder Gruppenunterricht
gesprochen,
lässt sich häufig ein gewisser Radikalismus
beobachten. Es entsteht der Anschein,
als würden Argumente für die
eine Unterrichtsform automatisch als
Argumente gegen die andere gewertet.
Vor allem Verfechter*innen des Einzelunterrichts
erwecken in solchen Diskussionen
schnell den Eindruck, als wäre
eine Anerkennung von Möglichkeiten
des Gruppenunterrichts automatisch
mit einer Abwertung des Einzelunterrichtes
verbunden. Wenn ich im Folgenden
auch Vorteile des Gruppenunterricht
hervorhebe, so geht es mir nicht
darum, Vorteile des Einzelunterrichts abzuwerten.
Ich bin der Meinung, dass in
der außerschulischen Instrumentalausbildung
sowohl qualifizierter Einzelunterricht
als auch qualifizierter Gruppenunterricht
ermöglicht werden sollte und
Musikschullehrkräfte sich beim Erteilen
beider Unterrichtsformen wohlfühlen
sollten. Mir geht es im Folgenden um
die Bedingungen für qualifizierten
Gruppenunterricht.
Welches „Problemkind“, das
so viel Kopfzerbrechen bereitet,
ist gemeint? Ich
meine den Instrumentalunterricht,
in dem
Lernende mit zumeist
heterogenen Voraus-
setzungen (Lerntempi, physiologische
Dispositionen, Motivationslagen etc.)
unterrichtet werden.
Die Heterogenität hinsichtlich der Lernvoraussetzungen
von Gruppen ist eine
Herausforderung mit der Lehrkräfte an
allgemeinbildenden Schulen schon immer
umgehen mussten. Im Unterschied
zum Schulunterricht, der darauf ausgerichtet
ist, allen Schüler*innen einer
Klasse gleiche Inhalte in der möglichst
gleichen Zeit zu vermitteln, wird Instrumentalunterricht
im höchsten Maße individuell
gedacht. Jede*r lernt in seinem
oder ihrem Tempo, bekommt genau den
Unterricht, den er*sie braucht. Nur so sei
das Erlernen eines Instrumentes sinnvoll
möglich, so die feste Überzeugung vieler
Instrumentallehrer*innen. Überspitzt
formuliert wird also in der Schule das
Kind dem Unterricht und im Instrumentalunterricht
der Unterricht dem Kind
angepasst.
Ich denke allerdings, dass es nicht notwendig
sein muss, sich zwischen diesen
beiden Extremen zu entscheiden 5 . Ein
instrumentaler Gruppenunterricht, der
das gemeinsame Musikerleben und die
individuellen Lernwege nicht gegeneinander
ausspielt, könnte gemeinsames
Lernen ermöglichen, ohne den individuellen
Anspruch an den Instrumentalunterricht
aufzugeben. Darüber nachzudenken,
halte ich aus verschiedenen
Gründen erforderlich:
Erstens zeugt die große Nachfrage nach
einem breiten Angebot an Kinder- und
Jugendorchestern, Musikschulensembles
etc. von der Lust der Musikschüler*innen
am Zusammenspiel. (Ein wichtiges
Indiz dafür, dass nur ein kleiner Bruchteil
der Schüler*innen ihr Instrument lernt,
um später solistisch tätig zu sein.) Gemeinschaftliches
Musizieren scheint von
Seiten der Schüler*innen gewünscht zu
sein, gemeinsames Lernen hingegen
von Seiten der Lehrkräfte nicht.
Zweitens lautet die Aufgabe von Musikschulen
im Verband deutscher Musikschulen:
Musikunterricht für alle
anzubieten, d.h. nicht nur für jede sozioökonomische
Schicht, sondern auch
für Schüler*innen mit verschiedenen
Motivationslagen, Leistungsbedürfnissen
oder Interessen. Dies verdeutlichte
kürzlich Wolfhagen Sobirey in einem
Artikel in der Zeitschrift „Üben&Musizieren“.
6
Drittens gibt es verschiedene Gründe
aus denen Schüler*innen einen Gruppenunterricht
bevorzugen können: Es ist
die ihnen bekannte Lernform. Sie wollen
das Instrument gerne zusammen mit
Freunden lernen. Oder vielleicht empfinden
sie auch die starke Aufmerksamkeit,
die in einem Einzelunterricht auf sie gerichtet
wird, weniger angenehm als die
geteilte Aufmerksamkeit eines Gruppenunterrichts.
Viertens sind Lehrkräfte von dem Anspruch,
Gruppenunterricht zu erteilen,
immer wieder überfordert.
Dass es einige Kinder gibt, die sich z.B.
aus den genannten Gründen bewusst für
einen Gruppenunterricht entscheiden
5 Auch im Unterricht an allgemeinbildenden Schulen wird ein höheres Maß an individuellen Lernangeboten im Klassenverband
angestrebt.
6 Sobirey beschäftigt in diesem Text vor allem der Mangel an qualifizierten Bewerber*innen für die Musikschularbeit.
Neben fehlenden Festanstellungen und zu geringen Gehältern benennt er aber auch die arbeitsmarktferne Ausbildung von
Instrumentalpädagog*innen, ebenso wie die nach wie vor vorherrschende Hierarchie im Ansehen zwischen künstlerischer
Ausbildung und instrumentalpädagogischer Ausbildung (vgl. Sobirey, Wolfhagen: Mind the Gap! Gedanken zum Mangel an qualifizierten
BewerberInnen an Musikschulen. In: Üben&Musizieren 5/21, S. 43f.). (Im Folgenden: Sobirey 2021).
Ausgabe 11 • 12/2021
11