Leseprobe_Wiener Operette
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Das kulturelle Gedächtnis der <strong>Wiener</strong> <strong>Operette</strong><br />
Kunstgattung, die in sich so große Unterschiede aufweist, dass es schwerfällt, allen<br />
einzelnen und äußerst unterschiedlichen <strong>Operette</strong>nproduktionen und -typen<br />
gleichermaßen gerecht zu werden. Daher ist es noch immer leichter, die <strong>Operette</strong><br />
insgesamt in das Reich der reinen Unterhaltung, des Amüsement zu verweisen<br />
und sie damit mit der Etikette eines Vorbehalts zu versehen, der weder einer<br />
gerechten Beurteilung ihrer unterschiedlichsten musikalischen Ausdrucksmittel,<br />
ihrer Formensprache, noch ihrer sozialhistorischen Einordnung dienlich sein<br />
kann. Solche Pauschalurteile sind noch immer sehr verbreitet und finden sich<br />
allemal auch bei ernsthaften Musik- und Kulturwissenschaftlern.<br />
Ein minderwertiges Kunstprodukt?<br />
So hatte zum Beispiel der Soziologe und Musikwissenschaftler Theodor W.<br />
Adorno zeit seines Lebens ein äußerst ambivalentes Verhältnis zu dem, was<br />
allgemein als „leichte Musik“ apostrophiert wird. Sein Urteil hatte vor allem<br />
in der Musikwissenschaft lange Zeit großes Gewicht. Daher sollte man seine<br />
Kritik ernst nehmen und sich gleichermaßen davor hüten, eine analytische<br />
Untersuchung des Genres <strong>Operette</strong> in dessen simple Verteidigung ausarten zu<br />
lassen, denn: „Wie stets der Schwachsinn den erstaunlichsten Scharfsinn aufbringt,<br />
sobald ein schlechtes Bestehendes zu verteidigen ist, haben die Sprecher<br />
der leichten Musik sich angestrengt, solche Standardisierung, das Urphänomen<br />
musikalischer Verdinglichung, des nackten Warencharakters, ästhetisch zu<br />
rechtfertigen und den Unterschied der gesteuerten Massenproduktion von der<br />
Kunst zu verwischen“. 13 Genügt es aber, die <strong>Operette</strong> einfach dem Bereich der<br />
„leichten Musik“ zuzuweisen, diese, Adorno folgend, pauschal als minderwertig<br />
abzutun, die „heute ausnahmslos schlecht ist, schlecht sein muß“ 14 und sich folglich<br />
auch mit der <strong>Operette</strong> nicht ernsthaft weiter auseinanderzusetzen? Ohne<br />
Zweifel gibt es und gab es schon immer auch in der Musik Qualitätsunterschiede,<br />
wie auch im Theater und in anderen Kunst- und Kulturbereichen. Dennoch<br />
lässt sich vom Standpunkt ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz feststellen, dass<br />
gerade die zu ihrer Zeit oder im Nachhinein oft als minderwertig apostrophierten<br />
Kunstprodukte in bestimmten Gesellschaftsschichten populärer waren und<br />
mehr Zuspruch erhielten als die sogenannte „hohe Kunst“. Wenn dem so ist,<br />
13 Adorno, Theodor W.: Leichte Musik, in: Adorno, Theodor W.: Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie<br />
(= Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften, Bd. 14. Hrsg. von Rolf Tiedemann unter<br />
Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz), Darmstadt: WBG 1998,<br />
S. 199–218, hier S. 204.<br />
14 Adorno, Theodor W.: Nachwort Musiksoziologie, in: Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie,<br />
S. 422–433, hier S. 429.<br />
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