WIRTSCHAFT+MARKT Frühjahr/Sommer 2022
Wirtschaft im Osten! Ergänzend zum W+M-Onlinemagazin mit dem W+M-Newsportal unter wirtschaft-markt.de erscheinen zweimal jährlich Printausgaben des Magazins. Die nächste Ausgabe erscheint am 30.10.2022.
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WIRTSCHAFT+MARKT
GESELLSCHAFT
Von der Bewahrung
der Zeit
VON RON H. UHDEN,
NIEDERLASSUNGSLEITER JUWELIER LEICHT BERLIN
Unsere Wahrnehmung der Zeit hat sich in den
letzen 200 Jahren spürbar verändert. Denn
war es im 18. Jahrhundert noch möglich, seine
Reisegeschwindigkeit zwischen zwei Städten
mit „Donnerstagvormittag bis Samstagfrüh“
anzugeben, änderte sich dies doch mit dem
Siegeszug der Eisenbahn. Präzise Zeitmesser
waren gefragt, da das Zeitfenster von Abfahrt
und Ankunft von da an immer kleiner wurde.
So verwundert der Wunsch über den Aufbau
einer autarken Taschenuhrenproduktion nicht.
Und dies wurde 1845 nicht im blühenden
barocken Dresden umgesetzt, sondern in der
von Armut geprägten Region Glashütte, über
eine kräftige Anschubfinanzierung durch die
Strukturförderung des Königlich Sächsischen
Ministeriums des Innern.
Prägend für die Gestaltung vieler Taschenuhren
jener Zeit war dementsprechend die Minuterie,
die Einteilung der Minuten, welche einen
Schienenstrang der aufkommenden Eisenbahn
imitierte. Auch heute zeigen viele Uhren dieses
Bild. Vornehmlich eher am Handgelenk und in
klassischen Modellen folgt so der Minutenzeiger
den Bahnschwellen. Quasi Bahnfahren in
Kleinstformat.
Doch dies sind Äußerlichkeiten einer Uhr.
Wie so oft im Leben, sind die inneren Werte
entscheidend.
Die UNESCO zählt das Uhrmacherhandwerk
mittlerweile zum immateriellen Kulturerbe der
Menschheit und erkennt damit seine kulturelle
Bedeutung an. Was nicht zuletzt der jahrzentelangen
Innovationskraft der sächsischen
Handwerker zu verdanken ist.
Aller Anfang ist ja bekanntlich schwer. Aber
mit Zielstrebigkeit, Präzision und Verlässlichkeit
haben es die Uhrmacher aus Glashütte
geschafft, bei den Schweizer Manufakturen
mitzuhalten – die ja bis dato die besten Uhren
der Welt herstellten. Die Zeitmesser aus Glashütte
sind über verschiedene Alleinstellungsmerkmale
leicht erkennbar.
So die Dreiviertelplatine: Diese bodenseitige
Deckplatte verdeckt zwar meist weniger als
drei Viertel der Werkoberfläche, sie umspannt
aber das Federhaus und das gesamte Räderwerk
bis hin zum Ankerrad als große Brücke
und verleiht dem Uhrwerk eine größere Stabilität.
Sie wird meist mit feinen Gravuren und
verschiedenen Glashütter Schliffen verziert.
Diese Wellenschliffe und Perlagen sind Blickfang
und Dekoration zugleich. Am Beginn
der Uhrmacherei aber auch notwendig, da
Taschen uhren in der Regel nicht gleichsam
dicht verschlossen waren.
So konnten feinste Staubflusen in die Uhr gelangen,
wurden aber durch diese wellenartigen
und rauhen Schliffe daran gehindert, tiefer in
das Werk vorzudringen und damit schlimmstenfalls
die Räder zu blockieren. Sonnenschliffe
werden meist auf das großflächige Sperrad und
oft auch auf das kleinere Kronrad aufgebracht.
Wenn sich der Lichteinfall ändert, wandern die
Reflexionen auf der Oberfläche scheinbar im
Kreis und erzeugen so eine fast hypnotische
Faszination.
Heute ist es technisch nicht mehr notwendig,
doch die faszinierende Ästhetik der Mechanik
kommt bei dieser Art der Dekoration von
Uhrwerkskomponenten so besonders zum
Ausdruck.
Fotos: Nomos Glashütte, Glashütte Original
W+M – FRÜHJAHR/SOMMER 2022