XPLR Magazin 02/2021
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N 2<br />
Media <strong>Magazin</strong>e<br />
NEW WORK<br />
CASES<br />
Tipps und Learnings<br />
aus der<br />
Medienbranche<br />
VON CODE<br />
ZU CONTENT<br />
Neue Maßstäbe<br />
im Datenjournalismus<br />
WIE MEDIEN<br />
IN ZUKUNFT ARBEITEN
EDITORIAL<br />
ServuS<br />
wir sind:<br />
Wir zeigen Dir Menschen, die die Medienwelt von<br />
morgen gestalten, informieren Dich über<br />
relevante Trends und entdecken für Dich innovative<br />
Medienunternehmen aus Bayern.<br />
Kaum eine Entwicklung beschäftigt die Branche aktuell<br />
so sehr wie New Work. Im Zusammenspiel neuer<br />
Kommunikationstools, veränderter Arbeitsumfelder und Werte<br />
sowie zukunftsfähiger Führungskonzepte kommen Medienunternehmen<br />
an einer Frage nicht mehr vorbei:<br />
Wie werden wir in Zukunft arbeiten?<br />
Dabei kommt ordentlich Bewegung in die Medienlandschaft.<br />
Viele bayerische Firmen feilen bereits an<br />
Organisationskonzepten, denken ihre Unternehmenskultur neu<br />
oder setzen vielversprechende<br />
Schwerpunkte für die Arbeitswelt von morgen.<br />
Entdecke mutige Innovator:innen und inspirierende Cases<br />
im aktuellen <strong>XPLR</strong>: Media <strong>Magazin</strong>e.
NEW<br />
k ”<br />
Ç µ<br />
Innovation<br />
New Work Cases<br />
A<br />
WORK<br />
K l<br />
Alles digital?!<br />
Virtuelles<br />
Studio<br />
D<br />
Always on!<br />
Data<br />
Data<br />
Data<br />
NOW<br />
WAS IST<br />
NEW WORK<br />
FÜR DICH?<br />
5<br />
'<br />
Q<br />
Welcher<br />
New Work Typ<br />
bist Du?<br />
~<br />
€<br />
Meine Ideen:<br />
8<br />
stream me<br />
€<br />
"Horen ist das<br />
neue<br />
Sehen"<br />
3
INHALT<br />
„Im Kern geht es bei New<br />
Work nicht darum, Arbeit ‚neu‘<br />
zu machen, sondern besser.<br />
Und mit besser<br />
meine ich menschlicher.“<br />
Ines Thomas, Business Coach<br />
<strong>02</strong> WIE WERDEN WIR<br />
IN ZUKUNFT ARBEITEN?<br />
06 Q & A<br />
Welche Stoffe funktionieren im Streaming-Markt<br />
besonders gut? Ist Hören<br />
das neue Sehen? Und wie sieht gute<br />
Führungskultur aus? Media Innovators<br />
geben Antworten auf Fragen, die die<br />
Branche beschäftigen.<br />
12 HERO STORIES<br />
12 VON CODE ZU CONTENT<br />
BR Data setzt beim<br />
Bayerischen Rundfunk neue Maßstäbe<br />
im Datenjourna lismus.<br />
18 VERLAG HEUTE<br />
Literatur wieder zum Gesprächsstoff<br />
machen: Der Münchner Verlag &Töchter<br />
mischt die Publishing-Branche auf.<br />
24 ZUKUNFT IM BLICK<br />
Prime Video DACH-Chef Dr. Christoph<br />
Schneider sieht für den Streaming-<br />
Markt großes Wachstumspotenzial.<br />
30 INNOVATIONSSTUDIE 2<strong>02</strong>1<br />
<strong>XPLR</strong>: MEDIA zeigt, wie es um Medien-<br />
Innovationen am Standort Bayern steht.<br />
24<br />
NEUE<br />
34 GREEN SCREEN WAR GESTERN<br />
Die Produktionsfirma Hyperbowl revolutioniert<br />
die Bewegtbild-Produktion.<br />
40 HOW TO NEWSLETTER<br />
Sham Jaff beweist mit ihrem politischen<br />
Newsletter „what happened last week?“,<br />
dass das Format aktueller denn je ist.<br />
46 NEW<br />
PERSPECTIVES<br />
46 HELLO FROM EVERYWHERE<br />
Fotojournalistin Julia Leeb überschreitet<br />
Grenzen. Mit 360-Grad-Aufnahmen<br />
will sie zeigen, was außerhalb eines klassischen<br />
Fotos passiert.<br />
FORMATE, FEATURES<br />
UND THEMEN<br />
Dr. Christoph Schneider, DACH-<br />
Geschäftsführer von Amazon Prime<br />
Video, spricht über seine Strategie<br />
für den Streaming-Riesen.<br />
50 NEW WORK CASES<br />
Wie lässt sich New Work konkret<br />
umsetzen? Medienunternehmen<br />
wie Google, Burda oder Vogel Business<br />
Communi cations machen es vor.<br />
55 AN DIE ARBEIT!<br />
Business Coach Ines Thomas gibt<br />
Tipps, wie New Work in Medienunternehmen<br />
gelingt.<br />
56 WELCHER NEW-WORK-<br />
TYP BIST DU?<br />
Office-Hipster oder Flexi-Fan? Finde<br />
heraus, wie Du wirklich arbeitest!<br />
COVER: MARCUS MÜLLER, VERENA KATHREIN, JULIAN BAUMANN, ROBERT FISCHER, SHUTTERSTOCK<br />
FOTOS: ROBERT FISCHER, JANEK STROISCH, VERENA KATHREIN, GOOGLE LLC, PRIVAT<br />
4
34<br />
NEUE ÄRA DER<br />
CONTENTPRODUKTION<br />
Täuschend echt dank<br />
LED-Technologie: Hyperbowl<br />
löst den Greenscreen ab.<br />
40<br />
<strong>XPLR</strong>: MORE<br />
Entdecke Innovationen<br />
aus der bayerischen<br />
Medienlandschaft:<br />
xplr-media.com<br />
SIE HABEN POST<br />
In ihrem Newsletter<br />
macht Sham<br />
Jaff Nachrichten<br />
sichtbar, die in der<br />
internationalen Berichterstattung<br />
zu<br />
kurz kommen.<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber<br />
Medien.Bayern GmbH<br />
Rosenheimer Straße 145e<br />
81671 München<br />
Tel.: +49 (0)89 68 999 - 0<br />
Fax: +49 (0)89 68 999 - 199<br />
E-Mail: info@xplr-media.de<br />
Handelsregisternummer<br />
Amtsgericht München; HRB 134726<br />
USt.-IdNr.: DE 173127048<br />
Geschäftsführer (verantwortlich)<br />
Stefan Sutor (Vorsitzender) | Lina Timm<br />
50<br />
NEUE ARBEITSWELTEN<br />
Wie geht New Work? Wir<br />
haben hinter die Türen der<br />
Medienhäuser in Bayern<br />
geschaut.<br />
Redaktion: Katrin Reichwald,<br />
Nina Brandtner, Friederike Neubert,<br />
<strong>XPLR</strong>: MEDIA in Bavaria |<br />
Storyboard GmbH,<br />
Wiltrudenstraße 5, 80805 München<br />
Gestaltung: Storyboard GmbH<br />
Druck: Peschke Druck GmbH,<br />
Textstraße 4, 85599 Parsdorf<br />
Medien.Bayern GmbH, Oktober 2<strong>02</strong>1<br />
46<br />
GRENZEN<br />
AUFBRECHEN<br />
Julia Leeb ist als<br />
Reporterin vor<br />
allem in Krisengebieten<br />
unterwegs.<br />
5
Q&A<br />
WELCHE THEMEN<br />
TREIBEN DIE<br />
MEDIENBRANCHE<br />
UM? UND WO<br />
LIEGEN DIE<br />
POTENZIALE VON<br />
MORGEN? HIER GIBT<br />
ES ANTWORTEN.<br />
WIE WIRD EIN<br />
SERIENKONZEPT<br />
ZUM ERFOLG?<br />
Ohne Anke Greifeneder und Hannes<br />
Heyelmann wäre die deutsche<br />
Streaming- und Fernsehlandschaft um<br />
einige erfolgreiche Serien ärmer.<br />
Beide arbeiten bei WarnerMedia in<br />
München: Greifen eder ist Vice President<br />
Original Productions, Heyelmann<br />
Head of Programming EMEA. Darüber<br />
hinaus leitet er seit Kurzem die<br />
Kinofilmproduktion für Deutschland,<br />
Österreich und die Schweiz.<br />
Wann überzeugt Sie ein Serienkonzept?<br />
Greifeneder: Wenn die Geschichte<br />
gut ist und die Charaktere mich berühren.<br />
Ob Horror, Science-Fiction<br />
oder Krankenhaus-Serie und ob die<br />
Idee von hochdekorierten Autor:innen<br />
stammt oder nicht, ist da egal. Manche<br />
Themen liegen in der Luft, weil<br />
sie dem Zeitgeist entsprechen. Bei<br />
„Andere Eltern“ war das der Fall, einer<br />
Mockumentary über eine Gruppe<br />
von Eltern, die eine Kita gründen. Es<br />
kommt vor, dass drei Produktionsfirmen<br />
gleichzeitig ein Thema bei uns<br />
pitchen. Wenn man so einen Trend<br />
absehen kann, muss man das Thema<br />
als Erster besetzen oder ungewöhnlich<br />
umsetzen. Unser Ansatz ist, dass<br />
wir breite Themen spitz und spitze<br />
Themen breit erzählen.<br />
So wie in Ihrer jüngsten Serie, „The<br />
Mopes“ (Warner TV Comedy)? Da geht<br />
es um psychische Erkrankungen, aber<br />
anders, als man es aus Serien kennt.<br />
Greifeneder: Wir wollten psychischen<br />
Erkrankungen ein Gesicht geben, sie<br />
greifbarer machen. Deshalb spielt<br />
„The Mopes“-Hauptdarstellerin Nora<br />
Tschirner eine personifizierte mittelgradige<br />
Depression.<br />
„The Mopes“ ist eine Dramedy-Serie,<br />
eine Mischung aus Drama und Comedy.<br />
Was muss gute Comedy heute können?<br />
Greifeneder: Sie muss gar nichts, darf<br />
aber alles. Humor ist so mannigfaltig<br />
wie die Menschheit. Ich kann auch<br />
über „Die nackte Kanone“ lachen. Da<br />
weiß ich, was ich bekomme, nämlich<br />
fünf Gags pro Minute: Es geht nicht<br />
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A /
Q & A<br />
um die Weiterentwicklung der Figur,<br />
sondern um Situationskomik. Wir<br />
sehen uns mehr in der Tradition des<br />
Storytellings, wo Humor durch die<br />
Figuren entsteht. Damit hat man die<br />
Chance, mehr Nuancen zu zeigen.<br />
Wie entscheiden Sie, ob eine Serie verlängert<br />
wird?<br />
Heyelmann: Wir müssen das Gefühl<br />
haben, dass die nächste Staffel<br />
mindestens so gut wie die vorhergehende<br />
ist, und natürlich muss die<br />
aktuelle Staffel erfolgreich sein.<br />
Greifeneder: Grundsätzlich erzählen<br />
wir so, dass eine Staffel in sich abgeschlossen<br />
ist. Das hat den Vorteil,<br />
dass man nicht mit angezogener<br />
Handbremse fährt und Sachen für<br />
die nächste Staffel zurückhält. Wir<br />
melken keine erfolgreichen Projekte<br />
bis zum Ende, obwohl wir das<br />
manchmal gut machen könnten.<br />
Heyelmann: Bei „4 Blocks“ etwa.<br />
Greifeneder: Die Fans hätten sich sehr<br />
gefreut. Aber uns war wichtig, nach<br />
drei Staffeln einen anderen Blickwinkel<br />
zu zeigen, und das haben wir<br />
mit „Para – Wir sind King“ gemacht.<br />
„4 Blocks“ war sehr männerlastig,<br />
„Para“ porträtiert vier junge Frauen<br />
aus dem Wedding, die mit Geldsorgen<br />
und teilweise begrenzten<br />
Bildungschancen aufgewachsen<br />
sind und versuchen, sich ein besseres<br />
Leben zu erarbeiten.<br />
FOTOS: DANIEL DELANG<br />
Wie messen Sie Erfolg?<br />
Heyelmann: Neben den reinen<br />
Marktanteilen und Abrufzahlen<br />
schauen wir auf die Aufmerksamkeit,<br />
die eine Serie generiert, die Zufriedenheit<br />
unserer Plattformpartner wie<br />
Sky, Vodafone und Telekom, auf die<br />
Presseresonanz und Auszeichnungen<br />
– und zunehmend, ob ein Stoff auch<br />
international funktioniert. Unsere<br />
Serien „4 Blocks“, „Arthurs Gesetz“<br />
und „Andere Eltern“ sind bei HBO<br />
Max in Europa, wo der Service bald in<br />
Spanien und den Nordics startet, sowie<br />
in den USA zu sehen, „Para – Wir<br />
sind King“ und „The Mopes“ werden<br />
demnächst ebenfalls dort sowie in<br />
Lateinamerika verfügbar sein.<br />
Aus TNT wurde WarnerMedia: Das<br />
Rebranding erfolgte im Herbst 2<strong>02</strong>1,<br />
„Warner ist die bekanntere Marke,<br />
das wollen wir in Zukunft nutzen“, so<br />
Heyelmann.<br />
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A 7
Q & A<br />
IST HÖREN<br />
DAS NEUE<br />
SEHEN?<br />
In Zeiten von Sprachassistenten wie<br />
Alexa, Siri oder Cortana wird Sound<br />
Branding, die akustische Wiedererkennung<br />
von Marken, immer wichtiger.<br />
Einer, der das Feld schon früh besetzte,<br />
ist Michele Arnese. Der gebürtige<br />
Italiener gründete 2009 in München<br />
amp Sound Branding. Heute beschäftigt<br />
seine international erfolgreiche,<br />
mehrfach ausgezeichnete Agentur 30<br />
Mitarbeiter:innen.<br />
Sie bringen Marken zum Klingen – sind<br />
Bilder nicht mehr stark genug?<br />
Es ist heute für eine Marke sehr<br />
schwer, noch mit Bildern aufzufallen.<br />
Da haben wir eine Sättigung erreicht.<br />
Etwas anderes spielt noch eine Rolle:<br />
Das Gehör arbeitet viel schneller<br />
als unsere Augen. Wir können pro<br />
Sekunde drei bis vier Wörter bewusst<br />
lesen, beim Hören dringen in derselben<br />
Zeit rund elf Millionen akustische<br />
Bits ins Unterbewusstsein. Es liegt<br />
auf der Hand: Mit Sounds kann man<br />
viel mehr ausdrücken.<br />
Sie haben die SONIC DNA erfunden, ein<br />
von Ihnen geschützter Begriff. Was verbirgt<br />
sich dahinter?<br />
Zu Beginn eines Auftrags betrachten<br />
wir eine Marke wie eine Person aus<br />
unterschiedlichen Perspektiven. Wir<br />
FOTOS: SEBASTIAN ARLT (3), JULIAN BAUMANN<br />
8<br />
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A /
destillieren all ihre Eigenschaften<br />
heraus und überlegen, was deren<br />
jeweilige musikalische Entsprechung<br />
wäre. Zu fünf oder sechs wichtigen<br />
Hauptbegriffen der Marke finden<br />
wir sogenannte Sound Principles,<br />
musikalische Gebote, die am besten<br />
beschreiben, wie eine Marke klingen<br />
und nicht klingen soll. Im Grunde<br />
entwickeln wir für jedes Unternehmen<br />
ein klangliches Vokabular,<br />
mit dem wir dann seine akustische<br />
Identität kreieren.<br />
Früher gab es den Jingle am Ende eines<br />
Werbespots. Er hat mit Sound Branding<br />
vermutlich wenig zu tun, oder?<br />
Genau, vor 30 Jahren wurde in den<br />
letzten drei Sekunden des Werbespots<br />
das Soundlogo gespielt. Die<br />
Verbindung zwischen Sender und<br />
Empfänger wurde in diesem Moment<br />
geknüpft. Heute aber bewegen<br />
wir uns in einer akustischen Welt:<br />
Man spricht mit dem Sprachassistenten,<br />
Apps geben Meldungen durch,<br />
beim Pendeln hören wir Podcasts.<br />
Wir hören unendlich viele Sounds,<br />
jeden Tag. Das bedeutet unendlich<br />
viele Möglichkeiten, mit einer Marke<br />
in Berührung zu kommen.<br />
Wie nutzen Marken die Sound-Identität?<br />
Wir haben eine Software entwickelt,<br />
mit der unsere Kunden auf Sounds<br />
gemäß dem Storytelling zugreifen<br />
können, hier spielt KI eine Rolle.<br />
Wenn Mercedes-Benz einen neuen<br />
Film drehen möchte, kann das<br />
Kreativteam in unserem Archiv nach<br />
Tonalitäten innerhalb der Mercedes-<br />
DNA suchen. Ein anderes Beispiel:<br />
In den USA verbindet die Kosmetikmarke<br />
Dove Men+Care unsere<br />
Musik nicht nur mit der klassischen<br />
Werbung, sondern auch mit Content<br />
für soziales Engagement, zum<br />
Beispiel mit dem Film „Dads“ zum<br />
Thema Männer in Elternzeit. Der<br />
Dove-Sound schafft eine hohe Wiedererkennung,<br />
er demonstriert aber<br />
auch: Das Unternehmen engagiert<br />
sich mit seiner Marktmacht für etwas<br />
Sinnvolles und die Musik bildet eine<br />
starke emotionale Verbindung.<br />
WIE DIGITAL<br />
IST DAS THEATER<br />
DER ZUKUNFT?<br />
Als erstes deutsches Theater hat das Staatstheater Augsburg<br />
eine Stelle für Digitale Entwicklung geschaffen. Seit Herbst 2<strong>02</strong>0<br />
führt Tina Lorenz die Zuschauer:innen in den virtuellen Raum –<br />
mit VR-Brille, Twitch und viel Experimentierfreude.<br />
Was ist das Besondere an einem Theatererlebnis mit VR-Brille?<br />
Das Gefühl von Präsenz. Im Gegensatz zu einem Stream, der lediglich<br />
Ausschnitte eines Bühnenabends zeigt, taucht man mit VR-Brille komplett<br />
in eine andere Welt ein. Die Zuschauer:innen haben den Eindruck, Teil<br />
der Szene zu sein. Sie können den Schauspieler:innen auf Schritt und Tritt<br />
folgen oder die Perspektiven wechseln. Ein immersives Theatererlebnis ist<br />
unglaublich theaternah und es verlangt Konzentration.<br />
Welche Anforderung stellt eine immersive Aufführung an Schauspieler:innen<br />
und Regisseur:innen?<br />
Für die Künstler:innen bedeutet VR-Theater eine bisher unbekannte Art<br />
des Schauspielens. Sie sind bei der 360-Grad-Erfahrung mit der Kamera<br />
allein, kein:e Regisseur:in macht im Hintergrund Anmerkungen. Das ist<br />
zunächst beängstigend. Andererseits haben die Künstler:innen die Möglichkeit,<br />
den Raum nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Und genau das<br />
macht ja Theater aus, so wie man es auch von der Bühne kennt.<br />
Gibt es noch andere Digitalformate,<br />
die gut funktionieren?<br />
Ja, unser Twitch-Kanal, er hat<br />
mittlerweile 670 Follower:innen. Aufgrund<br />
hoher Inzidenzwerte kam es<br />
in Augsburg bereits Ende Oktober<br />
2<strong>02</strong>0 zum Shutdown. Genau da<br />
sollte die Premiere des Tanztheaters<br />
„Winterreise“ stattfinden. Wir mussten<br />
umdisponieren und landeten<br />
bei Twitch. Ähnlich wie Gamer, die<br />
ihre Live-Spiele nebenbei kommentieren,<br />
haben wir während des<br />
Livestreams der „Winterreise“ eine<br />
Art Watch-Party veranstaltet. Die<br />
Dramaturgin und ich haben Fragen<br />
aus dem Chat aufgegriffen und<br />
mit der Community diskutiert.<br />
Kommentare und Feedback<br />
sind hier sehr direkt und<br />
ungefiltert. Das Coole an<br />
Twitch ist, dass alles auf<br />
den Live-Moment und das<br />
gemeinschaftliche Erlebnis<br />
ausgelegt ist.<br />
VORHANG<br />
AUF FÜR VR:<br />
Das ganze Interview<br />
mit Tina Lorenz findest<br />
Du unter<br />
xplr-media.com/<br />
magazin<br />
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A
Q & A<br />
PASSEN NACH-<br />
HALTIGKEIT UND<br />
INFLUENCER-<br />
MARKETING<br />
ZUSAMMEN?<br />
Die Mediengestalterin Charlotte Schüler<br />
legt als Influencerin einen Fokus auf das<br />
Thema Nachhaltigkeit. Auf Instagram<br />
folgen ihr mittlerweile 45.000 Menschen.<br />
Außerdem gibt die Münchnerin<br />
Workshops und gründet gerade ein Fair<br />
Fashion Label.<br />
Wieso hast Du dich für das<br />
Thema Nachhaltigkeit entschieden?<br />
Meine Mutter hat schon früh<br />
auf Plastik verzichtet und vor<br />
acht Jahren einen eigenen<br />
Unverpackt-Laden in München<br />
eröffnet. Ich wollte ihr<br />
Geschäft auf Social Media<br />
unterstützen – meine Tipps<br />
für ein plastikfreies Leben<br />
kamen aber so gut an, dass<br />
ich mich nach meiner Ausbildung<br />
damit selbstständig<br />
machen konnte.<br />
Als Influencerin regt man doch<br />
eigentlich zum Konsum an.<br />
Widerspricht das nicht dem<br />
Nachhaltigkeitsgedanken?<br />
Ich teile ja nicht nur bezahlte<br />
Inhalte auf meinen<br />
Accounts, sondern auch<br />
Upcycling-Ideen, DIY-Projekte<br />
oder Secondhand-Outfits.<br />
Wenn ich konkrete Produkte<br />
vorstelle, sage ich nie: „Das<br />
müsst ihr unbedingt kaufen!“<br />
Ich will Möglichkeiten<br />
zeigen, den eigenen Alltag<br />
ohne viel Aufwand nachhaltiger<br />
zu gestalten.<br />
Kann man mit Social Media die<br />
Welt besser machen?<br />
Oft bekomme ich Nachrichten<br />
von Menschen, die mir<br />
folgen und dann zum ersten<br />
Mal im Unverpackt-Laden<br />
stehen. Jeder kann etwas ändern,<br />
ohne das ganze Leben<br />
umzukrempeln – man muss<br />
einfach nur anfangen! Diese<br />
Botschaft will ich verbreiten,<br />
ohne Öko-Shaming und erhobenen<br />
Zeigefinger.<br />
WAS MACHT GUTE<br />
FÜHRUNG HEUTE AUS?<br />
Beim Medienkonzern Sky verantwortet Julia Laurion das Leadership<br />
Development: Sie kümmert sich um die Entwicklung moderner Führung.<br />
Wie würden Sie eine gute, zeitgemäße<br />
Führung beschreiben?<br />
Eine zeitgemäße Führung zielt schon<br />
lange nicht mehr auf eine Kontrolle<br />
der Arbeitnehmer:innen ab. Früher<br />
hat der Chef eine Ansage gemacht,<br />
die nicht hinterfragt werden durfte.<br />
Das gilt heute als antiquiert. Gutes<br />
Führungsverhalten sollte vielmehr<br />
auf Vertrauen basieren und Mitarbeiter:innen<br />
befähigen, die gesetzten<br />
Ziele zu erreichen. Unsere Erfahrung<br />
zeigt, dass ein Team auch ohne reine<br />
Präsenzkultur hervorragend zusammenarbeiten<br />
kann.<br />
In Ihrer E-Mail-Signatur heißt es sinn-<br />
gemäß: „Viele Leute arbeiten flexibel.<br />
Falls Sie diese Nachricht außerhalb der<br />
Kernarbeitszeit erreicht, bitte denken<br />
Sie nicht, dass Sie sofort antworten<br />
müssen.“ Macht das einen Unterschied?<br />
Ich denke schon. Viele unserer<br />
Führungskräfte haben das in ihrer<br />
Signatur. Eine Arbeitsgruppe bei<br />
Sky beschäftigt sich mit der Frage,<br />
wie gut es den Leuten mit ihrer<br />
Arbeit geht, auch über die Pandemie<br />
hinaus. Kleine Maßnahmen wie<br />
eine nette E-Mail-Signatur können<br />
ein Signal sein. Ein anderes Beispiel:<br />
Die Länge unserer Standardtermine<br />
ist nicht mehr 30 und 60 Minuten,<br />
sondern 25 und 50 Minuten – um bei<br />
Meeting-Marathons kurze Pausen<br />
zum Durchatmen zu garantieren.<br />
Welche Qualifikationen müssen moderne<br />
Führungskräfte mitbringen?<br />
Führungskräfte bewegen sich immer<br />
stärker hin zum Coach, Entwickler,<br />
Feedback-Geber. Sie sind natürlich<br />
Expert:innen auf ihrem Ge-<br />
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A /
Q & A<br />
Chefredakteur Florian Festl vom Nachrichtenportal<br />
FOCUS Online will seinen<br />
Leser:innen konstruktiven Journalismus<br />
bieten und nutzt dafür den „ Constructive<br />
Score“: ein inhouse entwickeltes, auf<br />
künstlicher Intelligenz basierendes Tool.<br />
MACHT KI<br />
JOURNALISMUS<br />
KONSTRUKTIVER?<br />
Wann ist ein Artikel für FOCUS online<br />
konstruktiv?<br />
Wenn er über die reine Nachricht hinausgeht.<br />
Eine Perspektive aufzeigt.<br />
Die Nachricht erweitert, indem er<br />
eine Lösung für den Einzelnen oder<br />
auch Lösungswege für unsere Gesellschaft<br />
herausarbeitet. Rund um das<br />
Weltklima gibt es extrem negative<br />
Nachrichten, darüber berichten wir,<br />
sie sind ja nun mal Realität. Gleichzeitig<br />
erweitern wir den Blick auf die<br />
Lösungen, die wir jetzt möglichst<br />
radikal brauchen.<br />
Der „Constructive Score“ misst, wie<br />
lösungsorientiert ein Beitrag ist. Auf<br />
welche Daten stützt sich das Tool?<br />
Es gab für dieses KI-Tool eine lange<br />
Lernphase. An die Software wurden<br />
Inhalte verfüttert, die zuvor von<br />
Journalist:innen geratet wurden.<br />
Das heißt, menschliche Intelligenz<br />
hat bestimmt, wie konstruktiv ein<br />
Inhalt ist. Die Maschine hat daraufhin<br />
erkannt, welche Sprachmuster,<br />
welcher Wortschatz, welche grammatikalischen<br />
Eigenheiten zugrunde<br />
liegen, und bringt so Inhalt und Aussage<br />
zusammen. Seit wir dieses Tool<br />
nutzen, ist die Konstruktivität unserer<br />
Inhalte um zehn Prozent gestiegen.<br />
Das ist enorm.<br />
Wie finden das die Leser:innen?<br />
Die Verweildauer bei konstruktiven<br />
Inhalten ist etwa zweieinhalbmal so<br />
hoch wie bei üblichen Inhalten. Es<br />
gibt ein tiefes Interesse für die dargestellten<br />
Lösungen. Sie inspirieren<br />
die Menschen, geben ihnen etwas<br />
mit für ein echtes Gespräch.<br />
<strong>XPLR</strong>:<br />
KI-REPORT<br />
FOTOS: BITSTREAM MEDIA LAB, SIMON KOY<br />
biet, aber das Rollenprofil umfasst<br />
heute mehr denn je auch die „Soft<br />
Skills“: zuhören, Entwicklungsmöglichkeiten<br />
aufzeigen, vertrauen,<br />
Handlungsspielraum lassen. Eine<br />
gute Führungskraft muss an ihre<br />
Mitarbeiter:innen glauben. Auch<br />
heute noch verteidigen Führungskräfte<br />
ihre kleinen Fürstentümer. So<br />
etwas blockiert den Gesamterfolg<br />
des Unternehmens. Wir müssen<br />
weg vom Silodenken, hin zu echter<br />
Kollaboration.<br />
Arbeitskultur lässt sich nicht von heute<br />
auf morgen verändern, wo fängt man an?<br />
Unternehmen müssen sich ganz<br />
bewusst um ihre Arbeitskultur<br />
kümmern. Von allein beginnt kein<br />
Wandel. Es heißt immer „Selbstführung<br />
vor Führung“: Führungskräfte<br />
können lernen, einen guten Umgang<br />
mit sich selbst zu finden. So kann<br />
sich eine Grundsicherheit und auch<br />
eine Entspanntheit aufbauen. Das<br />
ist wichtig, um anderen vertrauen zu<br />
können und auch Fehler zu erlauben.<br />
Bei Sky haben wir ein verpflichtendes<br />
Trainingsprogramm für Führungskräfte,<br />
die neu in ihre Rolle starten.<br />
Wie wirkt sich eine zeitgemäße Führung<br />
auf das Innovationspotenzial eines<br />
Unternehmens aus?<br />
Innovationspotenzial und eine gute<br />
Führung gehören fest zusammen.<br />
Die kontrollbasierte Führung hat<br />
Innovation de facto verboten, weil<br />
man ja nichts hinterfragen und neu<br />
gestalten durfte. Wer versucht, in<br />
einer Null-Fehler-Kultur Innovationen<br />
voranzutreiben, wird scheitern.<br />
Mehr zum Thema KI im<br />
Journalismus findest Du<br />
unter xplr-media.com/<br />
ki-report<br />
Wer offen führt, potenziert das<br />
Innovationspotenzial durch all die<br />
Mitarbeiter:innen, die sich trauen,<br />
sich einzubringen. Als Chefin oder<br />
Chef kann ich einen Rahmen schaffen,<br />
etwa Zeit und Methoden bereitstellen,<br />
um Raum für Innovation zu<br />
schaffen. Deutschland ist für seine<br />
Qualität bekannt und diese Qualität<br />
hat nach einer Null-Fehler-Kultur verlangt.<br />
Sich davon zu lösen, ist nicht<br />
einfach, aber notwendig, um am Ball<br />
zu bleiben.<br />
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A<br />
11
HERO STORY<br />
<<br />
< ! D O C T Y P E H T M L ><br />
< H T M L X M L N S = “ H T T P : / / W W W . W 3 . O R G / 1 9 9 9 / X H<br />
< H E A D ><br />
< T I T L E ><br />
B R D A T A : D A T E N J O U R N A L I S M U S I M B R | B R . D<br />
< / T I T L E ><br />
< M E T A H T T P - E Q U I V = “ C O N T E N T - T Y P E “ C O N T E N<br />
< M E T A H T T P - E Q U I V = “ X - U A - C O M P A T I B L E “<br />
C O N T E N T =<br />
“ I E = E D G E<br />
“ / > < M E T A<br />
VON<br />
N A M E = “ R O B O T S “ C O N T E N T = “ I N D E X , F O L L O W “<br />
< M E T A N A M E = “ D E S C R I P T I O N “<br />
C O N T E N T = “ B R D A T A I S T D A S D A T E N J<br />
O U R N A L I S T I S C H E T E A M D E S B A Y E R I S C H E N<br />
R U N D F U N K S . W I R S I N D T E I L D E R<br />
R E D A K T I O N B R R E C H E R C H E / B R D A T A .<br />
U N S E R E R E C H E R C H E N S I N D<br />
M E I S T I N V E S T I G A T I V U N D I M M E R T E C H N I K - ,<br />
W I R S E T Z E N U N S E R E E R G E B N I S S E I N T V , R A D<br />
< M E T A N A M E = “ N E W S _ K E Y W O R D S “ C O N T E N T = “ B<br />
D A T E N J O U R N A L I S M U S ,<br />
R E C H E R C H E , D D J , D A T E N R E C H E R C H E “ / ><br />
< M E T A N A M E = “ D C T E R M S . T I T L E “ C O N T E N T = “ B R<br />
D A T E N J O U R N A L I S M U S I M B R “ L A N G = “ D E “ / > < M<br />
12
T M L “ X M L : L A N G = “ D E “ L A N G = “ D E “ ><br />
E<br />
T = “ T E X T / H T M L ; C H A R S E T = U T F - 8 “ / ><br />
CODE ZU<br />
/ ><br />
CONTENT<br />
BR DATA, DAS DATENJOURNALISTISCHE<br />
TEAM DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS, SPÜRT<br />
IN DATENSÄTZEN GESCHICHTEN AUF.<br />
UNVERZICHTBAR DABEI: PROGRAMMIER-SKILLS<br />
UND FACHÜBERGREIFENDE ZUSAMMENARBEIT.<br />
I O U N D O N L I N E U M . “ / ><br />
R D A T A ,<br />
TEXT<br />
STEFANIE LINDNER<br />
D A T A :<br />
E T A N A M E = “ D C T E R M S . C R E A T O R “<br />
13
HERO STORY<br />
0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1<br />
sondern auch Programmieren beherrschen.<br />
Zum einen, um auf einem professionellen<br />
Level mit Entwickler:innen zu<br />
sprechen. Zum anderen, um vernünftig<br />
mit größeren Datensätzen zu arbeiten.<br />
„Excel ist in den allermeisten Fällen nicht<br />
dazu geeignet, Datenanalysen auszuführen.<br />
Da sollte ich das Rüstzeug mitbringen,<br />
gewisse Sachen selbst zu machen“,<br />
erklärt Schöffel.<br />
Oft arbeitet BR Data mit öffentlich zugänglichen<br />
Datensätzen. Im Fall der<br />
Corona-Berichterstattung zum Beispiel<br />
Statistiken, quantitative Methoden<br />
und Datenarbeit. Das klingt im<br />
ersten Moment nach Wissenschaft<br />
und IT, ist aber für eine junge Disziplin im<br />
Journalismus unentbehrlich: Datenjournalist:innen<br />
sammeln und analysieren große<br />
Datenmengen und entwickeln daraus Geschichten.<br />
Ein Bereich, der seit Beginn der<br />
Covid-Pandemie einen deutlichen Schub<br />
erfahren hat. „Corona hat auf der ganzen<br />
Welt die Rolle von Datenexpert:innen aufgewertet,<br />
weil die Pandemie hauptsächlich<br />
in Daten zu fassen war“, sagt Robert<br />
Schöffel. 2015 hat er gemeinsam mit Ulrike<br />
Köppen beim Bayerischen Rundfunk BR<br />
Data aufgebaut, das erste Datenjournalismus-Team<br />
einer ARD-Anstalt.<br />
Coden ist für Journalist:innen<br />
Pflicht<br />
Schöffel und seine Kolleg:innen sind seitdem<br />
Geschichten auf der Spur, die sich<br />
bisher in einem Daten-Wirrwarr versteckten.<br />
Daraus entwickeln sie journalistische<br />
Thesen – und das in den verschiedensten<br />
Bereichen: Mit Datenschutz, Hacking-Vorfällen,<br />
sozialen Medien und künstlicher<br />
Intelligenz haben sich die Datenjournalist:innen<br />
bereits beschäftigt. „Wie funktionieren<br />
Algorithmen, wo diskriminieren<br />
sie oder liefern anderweitig unerwünschte<br />
Ergebnisse? Das ist ein Themenkomplex,<br />
der uns in Zukunft stark beschäftigen<br />
wird“, so Schöffel.<br />
Um im Team erfolgreich zu sein, müssen<br />
die Datenjournalist:innen des BR nicht<br />
nur das journalistische Handwerkszeug,<br />
mit den Daten des Robert Koch-Instituts<br />
(RKI), auf die jeder zugreifen kann.<br />
Nicht öffentliche Daten werden bei den<br />
entsprechenden Institutionen angefragt.<br />
Oder das Team erzeugt Datensätze<br />
selbst, indem es Daten in größerem<br />
Umfang aus Websites ausliest. Teilweise<br />
kommen auch Informanten oder Whistleblower<br />
mit vertraulichen Daten auf den<br />
BR zu.<br />
Thesen aus der Datenbasis<br />
Unabhängig davon, wie die Journalist:innen<br />
an die Datenbasis kommen: Der<br />
Datenfokus muss beim Themenzuschnitt<br />
von Anfang an berücksichtigt werden.<br />
„Wenn man eine These entwickelt und<br />
ganz am Ende sagt: ‚Jetzt hätte ich gern<br />
noch eine Datenbasis dazu, um die Relevanz<br />
zu erhöhen‘, klappt das meistens<br />
nicht“, stellt Schöffel klar.<br />
Wie lange das Team von BR Data an<br />
einem Thema arbeitet, ist völlig unterschiedlich:<br />
„Unsere Projekte reichen von<br />
kleineren, tagesaktuellen Geschichten bis<br />
Als Head of Statistics hat Oliver<br />
Schnuck die komplexen Analysen der<br />
BR-Data-Projekte im Blick.<br />
FOTO: MAX HOFSTETTER<br />
14<br />
0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1
0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1<br />
hin zu monatelangen, auch investigativen<br />
Recherchen, in denen zum Beispiel<br />
intensive Kenntnisse der Datenanalyse<br />
wichtig sind“, sagt Elisa Harlan, die seit<br />
2018 das BR-Data-Team verstärkt. Für ihr<br />
jüngstes Projekt beschäftigte sie sich mit<br />
der Frage, wie neutral künstliche Intelligenz<br />
in der Personalauswahl sein kann.<br />
„Die Recherche hat – mit Unterbrechungen<br />
– knapp zwei Jahre gedauert und wir<br />
haben uns währenddessen immer wieder<br />
motiviert weiterzumachen. Für diese Art<br />
von Recherchen braucht man definitiv<br />
einen langen Atem.“<br />
Datenjournalismus<br />
ist Teamwork<br />
„Wo diskriminieren Algorithmen,<br />
wo liefern sie unerwünschte Ergebnisse?<br />
Diese Themen werden<br />
uns in Zukunft stark beschäftigen.“<br />
ROBERT SCHÖFFEL<br />
Bei allen Projekten arbeitet BR Data eng<br />
mit dem AI + Automation Lab zusammen,<br />
das mittlerweile von Ulrike Köppen<br />
geleitet wird und Expertise im Bereich<br />
künstliche Intelligenz und Machine Learning<br />
einbringt. Und mit BR Recherche,<br />
dem investigativen Reporterteam des BR.<br />
„Je nach Projekt stellen wir aus diesen<br />
drei Teams – AI Lab, BR Recherche und<br />
BR Data – ein Projektteam zusammen“,<br />
erläutert Schöffel. Hinzu kommen BR-<br />
Kolleg:innen aus anderen Fachbereichen.<br />
Denn: Die Datenjournalist:innen bringen<br />
zwar Skills aus ihrem Bereich, aber<br />
oftmals kein Expertenwissen aus anderen<br />
Gebieten mit. „Deshalb holen wir uns<br />
Wissen dazu: von den jeweiligen Stellen<br />
im BR. Wenn es ein Wirtschaftsthema ist,<br />
0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 15
HERO STORY<br />
0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1<br />
Das Team von<br />
BR Data hat es<br />
sich zur Aufgabe<br />
gemacht, aus<br />
Daten spannende<br />
Geschichten zu<br />
ent wickeln.<br />
den, ist je nach Projekt unterschiedlich.<br />
Grundsätzlich stehen dem Team alle<br />
Plattformen von BR und ARD offen. Im Fall<br />
<strong>XPLR</strong>: REPORT<br />
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xplr-media.com/<br />
ki-report<br />
Robert Schöffel hat 2015<br />
BR Data mit aufgebaut<br />
und leitet heute das Team.<br />
sprechen wir dieses mit der Wirtschaftsredaktion<br />
ab. Wenn es ein politisches Thema<br />
ist, überlegen wir, ob und welche:n Politikreporter:in<br />
wir mit an Bord nehmen.“<br />
Damit die interdisziplinäre Teamarbeit<br />
funktioniert, müssen von Anfang an alle<br />
Partner an den Tisch geholt werden.<br />
„Wichtig ist, dass man immer komplett<br />
auf Augenhöhe ist“, betont Schöffel.<br />
Dabei sind von allen Kreativität und<br />
kontinuierliche Abstimmung gefragt – so<br />
wie zuletzt bei einem TV-Beitrag zur AfD<br />
im Superwahljahr: „Als das Projekt noch<br />
im Planungsstadium war, wurden wir angefragt,<br />
ob wir uns vorstellen können, Datenanalysen<br />
beizusteuern. Wir haben uns<br />
mit den Kolleg:innen darauf verständigt,<br />
dass wir uns Telegram anschauen, weil<br />
diese Plattform für die AfD eine wichtige<br />
Rolle spielt. Dann haben wir einen technischen<br />
Workflow entwickelt: Wie kommen<br />
wir an die Daten, wie werten wir sie aus?<br />
Die Ergebnisse haben wir zusammen<br />
mit den Kolleg:innen und unabhängigen<br />
externen Expert:innen am Ende eingeordnet<br />
und in den Film gebracht. Das war<br />
ein ständiges Absprechen – man muss<br />
immer wieder kommunizieren.“<br />
Auf welchen Kanälen die Rechercheergebnisse<br />
von BR Data veröffentlicht wer-<br />
der Analyse zur Social-Media- Präsenz der<br />
AfD war das Ergebnis der Zusammenarbeit<br />
nicht nur der 30- minütige Film,<br />
der im Ersten ausgestrahlt wurde. Auch<br />
mehrere Online-Artikel, Radiobeiträge,<br />
Podcasts und Webvideos für die sozialen<br />
Medien gaben Einblick in das Thema.<br />
Fachübergreifende<br />
Zusammenarbeit als Chance<br />
Unabhängig davon, wie die Arbeitsergebnisse<br />
aussehen und wo sie veröffentlicht<br />
werden: Für Robert Schöffel liegt<br />
das Potenzial von Datenjournalismus vor<br />
allem in der fachübergreifenden Zusammenarbeit:<br />
„Man kann unglaublich<br />
viel voneinander lernen. Die Investigativkolleg:innen<br />
sind zum Beispiel begeistert,<br />
wenn sie merken, was technisch<br />
überhaupt möglich ist, wenn man mit<br />
Entwickler:innen zusammenarbeitet.<br />
Andersherum finden Leute, die bei uns<br />
programmieren und entwickeln, es<br />
spannend, an investigativen Themen<br />
mitzuwirken.“ Auch Elisa Harlan empfindet<br />
die enge Abstimmung mit anderen<br />
Fachbereichen als klaren Vorteil: „Ich genieße<br />
es sehr, eigentlich immer im Team<br />
zu arbeiten – mit Kolleg:innen, die ihre<br />
Stärken zum Beispiel in der investigativen<br />
Recherche haben und extrem gut vernetzt<br />
sind, sowie mit unseren Programmierer:innen,<br />
die die Daten so analysieren,<br />
dass wir aus den Ergebnissen unsere<br />
Geschichten erzählen können.“<br />
FOTOS: PHILIPP KIMMELZWINGER, MARKUS KONVALIN, MAX HOFSTETTER<br />
16<br />
0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1
0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1<br />
Datenjournalist:innen<br />
Bei BR Data ist technisches Knowhow<br />
von Datenjournalist:innen<br />
genauso gefordert wie investigative<br />
Recherchearbeit. Als Journalist:innen<br />
arbeiten sie gleichzeitig eng<br />
mit BR Recherche zusammen.<br />
Oft bringen sie Expertenwissen in<br />
komplexen Themenfeldern wie<br />
Rechtsextremismus oder Cybersicherheit<br />
mit. Ihre journalistische<br />
Herausforderung: die Ergebnisse<br />
datenbasierter Analysen so aufzubereiten,<br />
dass sie für Nutzer:innen<br />
verständlich sind. Und auf jedem<br />
BR-Kanal von Radio bis Social Media<br />
funktionieren.<br />
Webdesigner:innen<br />
Für Datenvisualisierung und<br />
interaktives Storytelling kommen<br />
die Fähigkeiten der Web- und<br />
Frontend-Designer:innen ins Spiel.<br />
Digitale Inhalte stehen dabei im<br />
Vordergrund. Online lassen sich<br />
Daten am besten veranschaulichen<br />
– zum Beispiel als Infografik<br />
oder als interaktives Element auf<br />
einer Webseite.<br />
INSIDE BR DATA:<br />
SO IST DAS<br />
INTERDISZIPLINÄRE<br />
TEAM AUFGESTELLT<br />
Programmierer:innen<br />
Die Skills von Programmierer:innen<br />
sind gefragt, wenn es um<br />
komplexe Datenanalysen oder<br />
Automatisierung von Prozessen<br />
geht. Reine Front- oder Backend-<br />
Entwickler:innen gibt es bei<br />
BR Data nicht. Die Informatikexpert:innen<br />
sind breit aufgestellt,<br />
beherrschen Programmiersprachen<br />
von Python bis R und<br />
bringen journalistisches Interesse<br />
mit. Das Tech-Team ist mit dem AI<br />
+ Automation Lab des BR verzahnt,<br />
das mit automatisierten Methoden<br />
und Machine Learning an journalistischen<br />
Geschichten arbeitet.<br />
Seit 2018 ist Elisa Harlan<br />
Teil des BR-Data-Teams.<br />
Eine ihrer zeitintensivsten<br />
Recherchen drehte<br />
sich um das Thema:<br />
Wie neutral ist KI bei<br />
der Personalauswahl?<br />
0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 0 0 1 0 1 0 1 0 0 0 1 17
„WIR WOLLEN BÜCHER WIEDER ZUM GESPRÄCHSSTOFF MACHEN!“<br />
HERO STORY<br />
INTERVIEW AYLA AMSCHLINGER<br />
18
&<br />
VERLAG<br />
HEUTE<br />
TEXT<br />
AYLA AMSCHLINGER<br />
FOTOS<br />
MARTINA BORSCHE<br />
TÖCHTER<br />
FOTOS: GETTY IMAGES/SPIDERSTOCK, GETTY IMAGES/ YULIYA<br />
DER MÜNCHNER VERLAG &TÖCHTER DENKT DAS<br />
PUBLIZIEREN NEU UND WILL LITERATUR NICHT<br />
NUR ZWISCHEN BUCHDECKELN ERLEBBAR MACHEN.<br />
WIE DIGITALE LITERATURVERMITTLUNG BEI<br />
INSTAGRAM FUNKTIONIERT UND WARUM DIE ZUKUNFT<br />
DES BUCHES MULTIMEDIAL IST, HABEN DIE<br />
VERLE GERINNEN ELENA STRASSL, LYDIA HILEBRAND<br />
UND LAURA NERBEL IM GESPRÄCH VERRATEN.<br />
19
HERO STORY<br />
Verlagsmenschen sind Überzeugungstäter:innen.<br />
In München<br />
gibt es davon besonders<br />
viele: Mit über 140 Verlagen,<br />
die jährlich mehr als 8.000 neue Bücher<br />
produzieren und dabei rund 1,2 Milliarden<br />
Euro Umsatz erzielen, gehört die bayerische<br />
Landeshauptstadt zu den größten<br />
Verlagsstädten der Welt. Verlagshäuser<br />
wie C. H. Beck, Piper, Hanser oder Random<br />
House sind hier angesiedelt. In der<br />
Branche geht es kollegial zu, das große<br />
Geld lockt bei unzähligen zu prüfenden<br />
Manuskriptseiten nicht: Für die Arbeit<br />
lesen Lektor:innen häufig in ihrer Freizeit,<br />
Durchschnittsgehälter schneiden im<br />
Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen<br />
deutlich schlechter ab. Eine Prise Idealismus<br />
braucht es also, um Verleger:in zu<br />
werden. Und eine klare Vision dazu.<br />
Lydia Hilebrand (links) und Elena Straßl (oben)<br />
betreuen Presse und Podcast sowie<br />
Veranstaltungen und Vertrieb bei &Töchter.<br />
VERLAG MAL ANDERS<br />
Abgeschreckt hat das die fünf Freundinnen<br />
Laura Nerbel, Lydia Hilebrand, Jessica<br />
Taso, Sarah Zechel und Elena Straßl nicht.<br />
Seit 2019 hat München einen unabhängigen<br />
Verlag mehr. Mit &Töchter verwirklichten<br />
die Buchwissenschaftlerinnen ihren<br />
Studientraum: „Wir haben uns zuallererst<br />
aus Liebe zu den Büchern als Buchverlag<br />
gegründet, weil wir gerne Bücher produzieren<br />
und verkaufen wollten. Wir wussten<br />
aber von Anfang an: Ein ganz klassischer<br />
Buchverlag passt nicht zu uns. Es muss<br />
digitaler sein“, sagt Elena Straßl, die sich<br />
um Veranstaltungen und Vertrieb bei<br />
&Töchter kümmert.<br />
Digitale Konzepte, innovative Vermarktungsansätze<br />
und nachhaltige Buchproduktion<br />
– so will &Töchter den Zeitgeist<br />
treffen: „Der Zusatz hinter unserem Namen<br />
‚Verlag und mehr‘ steht dafür, dass<br />
wir uns mit anderen Mitteln präsentieren.<br />
Zum Beispiel mit einem Podcast und<br />
einer Veranstaltungsreihe“, erklärt Straßl.<br />
Mit diesen Angeboten trifft &Töchter auf<br />
einen Markt, in dem es immer schwieriger<br />
wird, Leser:innen zu erreichen. Die<br />
Konsumgewohnheiten haben sich in den<br />
letzten Jahren grundlegend verändert: Ein<br />
riesiges Angebot an Inhalten auf vielen<br />
verschiedenen Plattformen sorgt dafür,<br />
dass die Aufmerksamkeitsspanne nachlässt.<br />
Medien werden oft nebenbei konsumiert.<br />
Doch Lesen erfordert Aufmerksamkeit;<br />
eine Fähigkeit, die man kaum noch<br />
mit Entspannung oder Freizeit in Verbindung<br />
bringt. Das ist laut einer Umfrage<br />
der Gesellschaft für Konsumforschung<br />
der häufigste Grund, warum Menschen<br />
immer seltener zum Buch greifen. „Dass<br />
Leser:innen verloren gehen, ist ein sehr<br />
präsentes Thema in der Verlagsbranche,<br />
schon seit zehn Jahren. Man muss da aufpassen,<br />
dass sich nicht ein Gefühl von ‚Wir<br />
gegen den Rest der Welt‘ im Literaturbetrieb<br />
einstellt“, meint Elena Straßl.<br />
BOOKSTAGRAM:<br />
AUS ANALOG WIRD DIGITAL<br />
Gleichzeitig herrscht in den sozialen Medien<br />
reges Treiben: Wo früher Buchblogger:innen<br />
dem Feuilleton die Rezensionen<br />
streitig machten, posten nun Bookstagrammer:innen<br />
unter den Hashtags<br />
#instabooks und #bookstagram. Die<br />
Buch-Community organisiert sich, tauscht<br />
sich über Neuerscheinungen aus oder hält<br />
Treffen von Online-Buchclubs ab.<br />
Genau in diesen Entwicklungen steckt<br />
für &Töchter großes Potenzial: „Für Verlage<br />
ist es am wichtigsten, sich zu öffnen<br />
und auch mit anderen Medienformaten<br />
zusammenzuarbeiten“, davon ist Lektorin<br />
Laura Nerbel überzeugt. „Diese gewisse<br />
Kulturhoheit, die einen vermeintlich von<br />
anderen Medien abgrenzt, ist Quatsch.“<br />
20
„Für Verlage ist es am wichtigsten,<br />
sich zu öffnen und auch mit anderen Medienformaten<br />
zusammenzuarbeiten.“<br />
LAURA NERBEL<br />
Auf ihrem Instagram-Kanal @und.toechter<br />
legen die Verlegerinnen Wert auf Nahbarkeit<br />
und den persönlichen Austausch.<br />
Sie geben Einblick in ihren Arbeitsalltag,<br />
stellen Autor:innen vor oder organisieren<br />
Insta-Live-Talks mit anderen Literaturbegeisterten.<br />
„Als Verlag hat man endlich<br />
mal die Chance, durch Social Media die<br />
Endkund:innen und Leser:innen direkt<br />
anzusprechen. Sonst ist ja immer ein<br />
Buchladen dazwischengeschaltet”, so<br />
Lydia Hilebrand, PR- & Podcast-Beauftragte<br />
bei &Töchter. Neben der eigenen digitalen<br />
Präsenz setzt &Töchter auf gezieltes<br />
Influencer:innen-Marketing für seine<br />
Publikationen. Ihre Neuerscheinungen<br />
senden die Verlegerinnen an inhaltlich<br />
passende Bookstagrammer:innen, die die<br />
Bücher dann auf ihren Kanälen vorstellen<br />
und rezensieren.<br />
LYRIK IM BOXRING<br />
Bislang sind im<br />
&Töchter-Verlag<br />
erschienen:<br />
„Schwarz wird großgeschrieben“,<br />
hrsg.<br />
von Evein Obulor<br />
& Rosamag, „Great<br />
Green Thinking“ von<br />
Jennifer Hauwehde<br />
& Milena Zwerenz,<br />
„Glashauseffekt“ von<br />
Alexander Sperling<br />
und „About Shame“<br />
von Laura Späth.<br />
Nicht nur digital ist &Töchter umtriebig,<br />
wenn es darum geht, Literatur erlebbar<br />
zu machen. Mit ihrer Veranstaltungsreihe<br />
„rauschen&Töchter“ stellen die fünf Frauen<br />
Literatur-Events auf die Beine, die nur<br />
noch wenig mit der klassischen Wasserglas-Lesung<br />
zu tun haben – und erreichen<br />
so völlig neue Zielgruppen: „Eine<br />
unserer ersten Veranstaltungen fand in<br />
einem Boxstudio in München statt, mit<br />
über 90 Zuhörer:innen.<br />
Für eine Lesung mit hauptsächlich unbekannten<br />
Autor:innen ist das absolut<br />
nicht selbstverständlich. Auch das Team<br />
und die Mitglieder des Boxstudios waren<br />
dabei, alle im Trainingsanzug. Die saßen<br />
ganz ruhig da und haben den Lesungen<br />
zugehört. Das war für uns ein bestätigender<br />
Moment, dass unser Konzept funktioniert“,<br />
erzählt Lydia Hilebrand stolz.<br />
&Töchter-Lektorin Laura Nerbel liest Buchmanuskripte zwar<br />
noch in ausgedruckter Form. Sonst beinhaltet das<br />
Arbeiten im Verlag aber nur mehr wenige analoge Momente.
HERO STORY<br />
140<br />
Verlage sind mindestens in München<br />
angesiedelt, Tendenz steigend. Große<br />
Verlagshäuser wie Penguin Random<br />
House, Droemer Knaur, dtv oder<br />
C. H. Beck machen Bayern zu einem<br />
vielfältigen Publishing-Standort.<br />
25 %<br />
der Leser:innen greifen seit der Corona-<br />
Pandemie wieder häufiger zum Buch.<br />
Dennoch verzeichnet die Branche einen<br />
allgemeinen Schwund an Lesenden in<br />
allen Altersgruppen.<br />
238<br />
Bewerbungen gab es 2<strong>02</strong>0 für die<br />
Wildcard der Frankfurter Buchmesse.<br />
Durchgesetzt haben sich &Töchter, die<br />
ihren Verlag offiziell bei der Eröffnungsfeier<br />
vorstellen durften.<br />
„Als Verlag hat man endlich mal die<br />
Chance, durch Social Media die<br />
Endkund:innen und Leser:innen direkt<br />
anzusprechen. Sonst ist immer ein Buchladen<br />
dazwischengeschaltet.“<br />
LYDIA HILEBRAND<br />
22
„Wir wussten von Anfang an:<br />
Ein ganz klassischer Buchverlag passt nicht<br />
zu uns. Es muss digitaler sein.“ ELENA STRASSL<br />
FOTO: STUDIO SEIDEL<br />
DIGITALE BERATUNG FÜR DEN<br />
STATIONÄREN BUCHHANDEL<br />
Doch gerade der Veranstaltungsbereich<br />
hat durch die Corona-Pandemie einen<br />
harten Einschnitt erfahren. Geschlossene<br />
Buchläden und abgesagte Lesungen<br />
verlangten den notwendigen Digitalisierungsschub<br />
im Literaturbetrieb: Besonders<br />
kleine lokale Buchläden, deren<br />
Kerngeschäft sich bislang stark auf den<br />
direkten Kundenkontakt und die persönliche<br />
Beratung beschränkte, mussten<br />
digital nachrüsten. Oft aber mangelt es an<br />
Know-how, Zeit oder manchmal auch an<br />
Mut. &Töchter erkannte den Bedarf in der<br />
Branche – und entwickelte ein Geschäftsmodell:<br />
Mit „studio by &Töchter“ vermitteln<br />
die fünf Verlegerinnen ihre digitale<br />
Kompetenz an Buchhandlungen, geben<br />
Workshops für Mitarbeiter:innen oder setzen<br />
gemeinsam mit ihnen Newsletter und<br />
Online-Shops auf. „Am Ende des Tages<br />
geht es ja doch nur gemeinsam“, erklärt<br />
Laura Nerbel die Entscheidung, ins Beratungs-Business<br />
einzusteigen. „Das Vertrauen<br />
seitens des Buchhandels ist größer,<br />
als wenn jemand von außen kommt. Und<br />
gerade vertrieblich ist das ein komplizierteres<br />
Thema als in anderen Branchen.“<br />
GEMEINSAM DIE ZUKUNFT GESTALTEN<br />
Einen Grund, an der Zukunft des Buches<br />
zu zweifeln, gibt es nicht: Lesen hat im Corona-Jahr<br />
2<strong>02</strong>0 einen Aufschwung erlebt,<br />
25 Prozent der Leser:innen greifen wieder<br />
häufiger zum Buch, wie eine Befragung<br />
der Gesellschaft für Konsumforschung im<br />
Januar 2<strong>02</strong>1 ergab. Die Umsatzbilanz der<br />
Branche zeigt sich für Verlage stabil und<br />
krisensicher.<br />
<strong>XPLR</strong>: HOW<br />
TO PUBLISH<br />
Wie funktionieren digitale<br />
Buchvermarktung und<br />
nachhaltige Buchproduktion?<br />
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youtube.com/c/<br />
<strong>XPLR</strong>MEDIAinBavaria<br />
Um als Verlag weiterhin dauerhaft wettbewerbsfähig<br />
zu bleiben, ist es wichtig, den<br />
digitalen Wandel mitzugestalten und sich<br />
immer wieder neu auszuprobieren, da ist<br />
sich das &Töchter-Team sicher. Dass es<br />
mit seinen innovativen Ideen überzeugt,<br />
zeigen nicht nur mittlerweile vier veröffentlichte<br />
Publikationen und erfolgreiche<br />
Crowdfunding-Kampagnen für die Projekte,<br />
sondern auch eine Auszeichnung<br />
aus Fachkreisen: 2<strong>02</strong>0 gewann der junge<br />
Verlag eine Wildcard für die Frankfurter<br />
Buchmesse und setzte sich gegen 237<br />
Einreichungen durch.<br />
Dabei ist für die &Töchter-Verlegerinnen<br />
vor allem eines für den Literaturbetrieb<br />
entscheidend, um auch komplizierte<br />
Zeiten zu meistern: das Besinnen auf die<br />
gemeinsame Leidenschaft. „Man sollte<br />
Neues nicht verteufeln, sondern in Gemeinschaft<br />
tolle neue Sachen schaffen“,<br />
fordert Elena Straßl. „Denn das ist ja auch<br />
notwendig, um junge Leute wieder an die<br />
Literatur heranzuholen.“<br />
Verlag und mehr:<br />
Das ist &Töchter<br />
Verstaubtes Seitenrascheln war gestern. Seit<br />
2019 mischen die Verlegerinnen Laura Nerbel,<br />
Lydia Hilebrand, Jessica Taso, Sarah Zechel und<br />
Elena Straßl die deutsche Verlagsszene auf.<br />
Die Idee zur Gründung eines eigenen Verlags<br />
kam den fünf Münchnerinnen im gemeinsamen<br />
Buchwissenschaftsstudium. Dabei war<br />
von Anfang an klar: &Töchter soll als Verlag<br />
über das klassische Kerngeschäft des Bücherpublizierens<br />
hinausgehen.<br />
Neben bislang vier veröffentlichten Buchprojekten<br />
organisiert &Töchter regelmäßig unter<br />
„rauschen&Töchter“ Literatur-Events, hostet<br />
mit „plauschen&Töchter“ einen eigenen Podcast<br />
und bietet ein B2B-Geschäft für digitale<br />
Buchhandelsberatung an.<br />
Die fünf Verlegerinnen von &Töchter (von<br />
links nach rechts): Sarah Zechel, Lydia Hilebrand,<br />
Elena Straßl, Laura Nerbel und Jessica Taso.<br />
23
HERO STORY<br />
ZU<br />
KU<br />
NFT<br />
BLICK
!<br />
IM<br />
NEUE FORMATE,<br />
NEUE FEATURES,<br />
NEUE THEMEN:<br />
DEUTSCHLAND-<br />
CHEF CHRISTOPH<br />
SCHNEIDER SIEHT<br />
BEIM STREAMING-<br />
DIENST AMAZON<br />
PRIME VIDEO<br />
GROSSES WACHS-<br />
TUMSPOTENZIAL:<br />
„UNSERE DEUT-<br />
SCHEN ORIGI-<br />
NALS SIND EX-<br />
TREM WICHTIG<br />
FÜR DIE MARKE.“<br />
INTERVIEW<br />
CHRISTOPH HENN<br />
FOTOS<br />
ROBERT FISCHER<br />
25
HERO STORY<br />
Es gibt eine große Auswahl an Angeboten,<br />
im Free-TV und bei Streaming-<br />
Anbietern. Was macht Amazon Prime<br />
Video, um sich von der Konkurrenz<br />
abzuheben?<br />
Wir schauen nicht auf die Konkurrenz,<br />
sondern fokussieren uns auf die Kunden.<br />
Uns interessiert, was sie möchten und<br />
wie sie reagieren. Unsere Marktforschung<br />
und das Kundenfeedback zeigen, dass<br />
unsere große und breite Auswahl an<br />
Inhalten extrem wichtig ist. Unser Ziel ist<br />
es, für jede und jeden das Lieblingsprogramm<br />
anzubieten.<br />
Wie viel Zeit verbringen Sie vor dem<br />
Fernseher, Herr Schneider?<br />
Ich muss beruflich viel fernsehen, wobei<br />
meine Kinder sagen würden: Du darfst.<br />
Aber ich schaue auch privat mit der<br />
Familie. Und das querbeet, Streaming,<br />
Pay- und Free-TV.<br />
Damit Sie stets den Markt im Blick<br />
haben?<br />
Ja, es geht mir um Überblick und Inspiration.<br />
Aber ich muss nicht jedes Mal<br />
etwas Neues lernen, oft suche ich einfach<br />
Entertainment oder Entspannung mit<br />
der Familie.<br />
Wobei entspannt sich ein Bewegtbild-<br />
Profi wie Sie?<br />
Bei wirklich guten Sitcoms wie „Two and<br />
a Half Men“ und bei Sport. Aber ich bin<br />
auch offen für die Tanzsendungen, die<br />
meine Frau liebt, oder die Comedy- und<br />
Show-Formate, die meine Kinder gern<br />
gucken.<br />
„DEUTSCHLAND<br />
IST PFLICHT,<br />
DIE WELT<br />
IST DIE KÜR.“<br />
Über die Funktion Watch Party können<br />
Nutzer:innen beim Schauen von Inhalten<br />
chatten. Was versprechen Sie sich<br />
davon?<br />
Früher gab es das gemeinsame Seherlebnis<br />
in der Familie, das berühmte<br />
Lagerfeuer. Angesichts des gewachsenen<br />
Angebots und unterschiedlicher Interessen<br />
ist es heute schwierig, eine ganze<br />
Familie für eine Sendung vor den Fernseher<br />
zu bekommen. Dennoch wünschen<br />
sich viele ein gemeinsames Erlebnis. Das<br />
ermöglicht Watch Party, weil man an<br />
unterschiedlichen Orten mit Freunden<br />
gleichzeitig etwas anschauen und sich<br />
dazu austauschen kann.<br />
Gibt es weitere Funktionen innerhalb<br />
Ihres Angebots, die Sie für innovativ<br />
halten?<br />
Unsere Download-Funktion, mit der<br />
sich Inhalte für den Offline-Betrieb aufs<br />
Smartphone oder Tablet herunterladen<br />
lassen, war eine bedeutsame Innovation.<br />
Das haben in der Folge alle anderen<br />
Anbieter übernommen. Ein weiteres Feature,<br />
das Amazon Prime Video vielleicht<br />
zu einem kleinen Vorsprung verhilft, ist<br />
X-Ray. Die Zuschauer und Zuschauerinnen<br />
können mit X-Ray – zusätzlich zum<br />
Bewegtbild – Informationen einblenden<br />
lassen, zum Beispiel Namen und Viten<br />
der Schauspieler. Besonders reizvoll ist<br />
X-Ray im Sportbereich, wo man voraussichtlich<br />
ab dem kommenden Jahr<br />
jederzeit Analysen, Infos zu Spielern oder<br />
die letzte Torszene abrufen können wird.<br />
Unsere Analysen zeigen, dass diese Servicefunktion<br />
intensiv genutzt wird.<br />
DR. CHRISTOPH<br />
SCHNEIDER<br />
ist seit 2012 Geschäftsführer von<br />
Amazon Prime Video DACH/Benelux.<br />
Davor war er bei unterschiedlichen<br />
Medienunternehmen wie<br />
Hubert Burda Media, ProSiebenSat.1<br />
und der Video-on-Demand-Plattform<br />
Maxdome in leitenden Positionen<br />
tätig: „All diesen Stationen<br />
ist eines gemein: Der Kundenfokus<br />
steht über allem. Egal, ob ich eine<br />
Zeitschrift, einen Internetauftritt<br />
oder einen Streaming-Service mache:<br />
Die Inhalte müssen die Kunden<br />
faszinieren, sonst gibt es keinen<br />
Erfolg“, so Schneider.
„WIR WOLLEN BEI<br />
PERSONALISIERTEN<br />
PROGRAMMVOR-<br />
SCHLÄGEN BESSER<br />
WERDEN. DAS IST<br />
SCHWIERIGER, ALS<br />
MANCHE DENKEN.“<br />
Sport gewinnt in Ihrem Portfolio<br />
ohnehin an Bedeutung. In der Saison<br />
2<strong>02</strong>1/2<strong>02</strong>2 steigt Amazon Prime Video<br />
in die Übertragung der Champions<br />
League ein – warum?<br />
Wir fokussieren uns auf die Wünsche unserer<br />
Kunden. Im Film- und Serienbereich<br />
sind wir da schon sehr weit. Wir haben<br />
im Lauf der Zeit festgestellt, dass auch<br />
Sportdokumentationen unsere Kunden<br />
ansprechen – zunächst Formate über<br />
American Football, dann noch stärker Dokus<br />
über Fußballvereine wie Manchester<br />
City und Borussia Dortmund und schließlich<br />
über Bastian Schwein steiger. Deshalb<br />
waren wir froh, als wir den Zuschlag für<br />
die Champions League bekamen.<br />
Das Interview und Fotoshooting mit CEO Christoph<br />
Schneider fand in der Deutschlandzentrale von Amazon<br />
Prime Video in der Münchner Domagkstraße statt.<br />
Viel Energie haben Sie zuletzt auch<br />
in Sendungen wie die Comedy-Show<br />
LOL mit Michael Bully Herbig gesteckt.<br />
Welche Rolle spielen lokal produzierte<br />
Formate für Ihr Wachstum in Deutschland?<br />
Diese Formate, unsere deutschen Originals,<br />
sind extrem wichtig für die Marke.<br />
Damit differenzieren wir uns von anderen<br />
Anbietern. Unsere Zuschauer schätzen<br />
diese Inhalte besonders. LOL ist mit<br />
Abstand das erfolgreichste Format, das<br />
wir je in Deutschland gestartet haben.<br />
Auch davor funktionierten mehrere<br />
deutsche Originals hervorragend, etwa<br />
die Schweinsteiger-Doku oder die Serien<br />
27
HERO STORY<br />
„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und „Der<br />
Beischläfer“, dessen zweite Staffel bald<br />
startet. Künftig kommen noch viele<br />
weitere deutsche Originals: Wir starten<br />
im Herbst die zweite Staffel LOL sowie<br />
eine Dokumentation über den FC Bayern<br />
München, Ende des Jahres unseren ersten<br />
deutschen Original-Film „One Night<br />
Off“ und haben viele weitere Projekte wie<br />
die Fitzek-Verfilmung „Die Therapie“ und<br />
die Comedy-Serie „Love Addicts“ angekündigt.<br />
Auch ein Doku-Film über Robert<br />
Lewandowski kommt dazu.<br />
Sind lokale Inhalte auch für das internationale<br />
Geschäft von Bedeutung?<br />
Mein Credo ist: Deutschland ist Pflicht,<br />
die Welt ist die Kür. Wenn ein Format<br />
sehr authentisch ist, dann kann es auch<br />
in anderen Ländern funktionieren. Wir<br />
sind gerade auf einem guten Weg, mit<br />
großen deutschen Produktionen auch<br />
weltweit Publikum zu finden.<br />
Wie viel Wachstumspotenzial sehen<br />
Sie noch in Deutschland?<br />
Insgesamt ist die Haushaltsdurchdringung<br />
der Streaming-Dienste in Deutschland<br />
eine der geringsten in Europa. Es<br />
gibt also sehr viele Menschen, die noch<br />
keine Streaming-Dienste nutzen, und<br />
damit enormes Wachstumspotenzial.<br />
Wer Streaming einmal für sich entdeckt<br />
hat, nutzt im Schnitt zwei Dienste regelmäßig.<br />
Aber die Neugier muss erst<br />
geweckt werden. Neben den herausragenden<br />
Inhalten überzeugt die Nutzerfreundlichkeit:<br />
Beim Streaming kann<br />
man zum Wunschzeitpunkt aus einem<br />
riesigen Angebot wählen und zwischendurch<br />
pausieren. Wer das einmal probiert<br />
hat, will es meist nicht mehr missen.<br />
auch. Sie ist für uns Antrieb und Herausforderung<br />
zugleich. Wir wollen bei personalisierten<br />
Programmvorschlägen besser<br />
werden. Das ist schwieriger, als manche<br />
denken. Obwohl wir über viele Daten verfügen,<br />
ist es nicht leicht zu antizipieren,<br />
auf welche Inhalte der oder die Einzelne<br />
in einem bestimmten Moment Lust hat.<br />
Nicht nur bei Angeboten herrscht Vielfalt,<br />
sondern auch bei den Anbietern<br />
– von Netflix, Disney und Apple bis zu<br />
Warner Bros./HBO und NBC/Universal.<br />
Ist der Markt groß genug für all die<br />
Schwergewichte?<br />
Dieses Marktsegment ist riesengroß und<br />
ich sehe noch viel Wachstumspotenzial.<br />
Wie gesagt, nutzen aktuell Haushalte, die<br />
Streaming-Kunden sind, im Schnitt zwei<br />
Services gleichzeitig. Auch das kann noch<br />
wachsen angesichts von Monatsgebühren,<br />
die in München zwei Tassen Cappuccino<br />
entsprechen. Deutsche geben im<br />
internationalen Vergleich wenig für Mediennutzung<br />
aus, aber die Zahlungsbereitschaft<br />
ist in den vergangenen Jahren<br />
signifikant gestiegen. Daher glaube ich,<br />
<strong>XPLR</strong>: VIDEO<br />
Erlebe<br />
Christoph Schneider<br />
im Gespräch auf:<br />
@xplrmediainbavaria<br />
Kann dieses riesige Angebot nicht<br />
auch überfordern?<br />
Das glaube ich nicht. Die Generation<br />
meiner Kinder versteht gar nicht mehr,<br />
warum man Sendungen nur zu einer<br />
bestimmten Uhrzeit sehen oder nicht beliebig<br />
anhalten kann. Die Qual der Wahl<br />
beim Streaming kenne ich persönlich<br />
Da geht noch mehr: Christoph Schneider<br />
ist überzeugt, dass große deutsche<br />
Produktionen auch weltweit ihr Publikum<br />
finden können.<br />
28
„DIE ZAHLUNGS-<br />
BEREITSCHAFT FÜR<br />
STREAMING-SERVICES<br />
IST IN DEN VER-<br />
GANGENEN JAHREN<br />
SIGNIFIKANT GESTIEGEN.“<br />
dass es mehr Services geben wird – ob<br />
jeder langfristig ein guter Business-Case<br />
ist, wird man sehen.<br />
Sie unterscheiden sich von Wettbewerbern<br />
auch dadurch, dass Streaming<br />
nicht das Kerngeschäft von Amazon<br />
ist, sondern Teil des Kundenbindungsprogramms<br />
Amazon Prime. Wirkt sich<br />
das auf Ihre Arbeit aus?<br />
Prime ist ein Angebot mit zahlreichen<br />
Vorteilen, die über schnellen Versand<br />
und Musikstreaming auch Videostreaming<br />
mit Prime Video umfassen. Teil von<br />
Prime zu sein, wirkt für uns tagtäglich<br />
als Ansporn, das Angebot noch besser zu<br />
machen. Video ist neben den Versandvorteilen<br />
der mit Abstand wichtigste Vorteil<br />
von Prime und für viele der Grund, eine<br />
Mitgliedschaft abzuschließen. Prime-<br />
Kunden wiederum sind die treuesten<br />
Kunden von Amazon.<br />
Wären Milliardeninvestitionen wie<br />
kürzlich die Akquisition von MGM auch<br />
möglich, wenn Prime Video nicht Teil<br />
von Amazon wäre?<br />
Unser Ziel ist ganz klar, dass wir selbst<br />
profitabel sind. In Deutschland sind wir<br />
da auf einem sehr guten Weg. Im Videobereich<br />
geht es um viel Geld, weil die<br />
Inhalte teuer sind. Deshalb laufen die<br />
Businesspläne länger als zwei, drei Jahre.<br />
Was versprechen Sie sich von der<br />
MGM-Übernahme?<br />
Die Übernahme wird derzeit in den<br />
USA noch kartellamtlich geprüft. Der<br />
MGM-Katalog umfasst Tausende tolle<br />
Filme und Serien. Davon würden unsere<br />
Kunden profitieren. Darüber hinaus besitzt<br />
MGM viele wichtige IPs, also Rechte,<br />
etwa an „James Bond“. Das ist ein großer<br />
Schatz, aus dem man im Produktionsbereich<br />
einiges machen kann.<br />
Halten Sie vergleichbare Akquisi tionen<br />
auch in Deutschland für<br />
denkbar?<br />
Das vermag ich heute nicht zu sagen.<br />
Aber wir suchen immer nach tollen Programmen<br />
und Produkten und arbeiten<br />
mit allen Produktionsgesellschaften sehr<br />
gut zusammen.<br />
Sie tun das von München aus. Warum<br />
ist die Stadt der richtige Ort für den<br />
Deutschlandsitz von Amazon Prime<br />
Video?<br />
München ist neben Berlin für mich DIE<br />
Filmstadt Deutschlands. Hier sitzen sehr<br />
viele Filmstudios, Produktionsfirmen und<br />
Fernsehsender. Natürlich spielt es eine<br />
Rolle, dass auch Amazon seinen Hauptsitz<br />
in München hat, aber für uns stand<br />
nie zur Debatte, anderswo hinzugehen.<br />
Wir sind hier sehr glücklich und München<br />
ist auch ein wichtiger Produktionsstandort<br />
für unsere deutschen Originals.<br />
29
INNOVATIONSSTUDIE<br />
ILLUSTRATION: Pia Bublies<br />
2<strong>02</strong>1<br />
Wie innovativ ist der Medienstandort Bayern?<br />
Was treibt Innovation an und was hemmt sie? Um ein Bild der Innovationslage in Bayern zeichnen zu<br />
können, hat <strong>XPLR</strong>: MEDIA in Bavaria in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut GOLDMEDIA in einer umfassenden<br />
qualitativen und quantitativen Studie über 250 bayerische Medienunternehmen befragt.<br />
Die repräsentativen Ergebnisse zeigen, wie viel Pionierarbeit die Branche leistet und wo es noch Entwicklungsbedarf gibt.<br />
ZU DEN TEILNEHMENDEN UNTERNEHMEN<br />
63,8 %<br />
der Medienunternehmen<br />
sitzen in bayerischen Großstädten<br />
(> 100.000 Einwohner).<br />
30,3<br />
%<br />
der Unternehmen<br />
sind Startups oder<br />
junge Unternehmen<br />
in der<br />
Aufbauphase.<br />
36,2 %<br />
der Medienunternehmen<br />
sitzen in einer Kleinstadt<br />
oder mittelgroßen Stadt.<br />
257 Medienunternehmen<br />
aus 54 Städten<br />
in Bayern haben an<br />
der Befragung<br />
teilgenommen.<br />
Teilnehmende Branchen<br />
Verlage Marketing & Werbung<br />
Audio<br />
Publishing & Presse<br />
VR, XR, AR TV, Streaming & Film<br />
Software & Games<br />
6,8<br />
Zum Standort:<br />
Bayerische Medienunternehmen<br />
schätzen den Standort Bayern im<br />
Bundesvergleich als innovativ ein<br />
(6,8 auf einer Skala von 0 bis 10).<br />
Für 60 % der befragten<br />
Unternehmen haben<br />
Innovationen einen<br />
hohen oder sehr hohen<br />
Stellenwert.<br />
30
DIE ERGEBNISSE<br />
In diesen Bereichen<br />
entwickeln<br />
Medienunternehmen<br />
bereits Innovationen:<br />
38,5<br />
%<br />
Arbeitsprozesse<br />
bzw. eine neue<br />
Führungskultur<br />
Dienstleistungen<br />
oder Services<br />
52,9<br />
%<br />
52<br />
% Produkte<br />
2<strong>02</strong>6<br />
40,8 %<br />
In diesem Bereich planen<br />
Medienunternehmen Innovationen:<br />
Bis 2<strong>02</strong>6 planen 40,8 % der Unternehmen neue,<br />
innovative Geschäftsmodelle zu etablieren.<br />
Das sind Schlüsselfaktoren<br />
innovativer Unternehmenskultur:<br />
56,1<br />
%<br />
Eigenverantwortung<br />
bzw. Freiräume<br />
der Mitarbeiter:innen<br />
56,1<br />
%<br />
offenes Mindset<br />
52<br />
%<br />
Kreativität im Team<br />
fördern und leben<br />
So testen Medienunternehmen<br />
Innovationen:<br />
46,7 % testen innovative Produkte<br />
oder Dienstleistungen<br />
durch Kund:innenbefragungen<br />
46,7 %<br />
37 %<br />
37 % testen ihre Innovationen<br />
bei qualitativen Tests,<br />
36,2 % im Rahmen von<br />
Marktforschung.<br />
31
INNOVATIONSSTUDIE<br />
Der Bedarf an Fachkräften ist hoch:<br />
Knapp 90% der Medienunternehmen<br />
haben Bedarfe an Fachkräften<br />
verschiedener Spezialisierungen.<br />
88,4<br />
%<br />
46,3<br />
%<br />
Im Bereich IT / Software ist<br />
die Nachfrage am größten:<br />
Fast jedes zweite Unternehmen<br />
benötigt hier<br />
Fachkräfte.<br />
Das sind Treiber von Innovationen:<br />
Veränderte Mediennutzung<br />
60,6 %<br />
Neue Kund:innenbedürfnisse<br />
51,6 %<br />
Neue Kanäle bzw. Plattformen<br />
39,4 %<br />
Digitale Technologien / KI<br />
35 %<br />
Der Stellenwert von Innovationen:<br />
72 % der befragten Unternehmen sprechen<br />
Innovationen einen hohen bis sehr hohen<br />
Stellenwert zu.<br />
72 %<br />
Das hemmt Innovationen:<br />
auf einer Skala von 1 (gar nicht) - 5 (sehr stark)<br />
1 2 3 4 5<br />
4,1<br />
Fehlendes methodisches Wissen / fehlende Strukturen<br />
3,7<br />
Fehlende kreative Ideen<br />
<strong>XPLR</strong>:<br />
MORE<br />
Die gesamte Studie<br />
gibt es unter:<br />
xplr-media.com/<br />
studien<br />
32
DIE LEARNINGS<br />
Der Medienstandort Bayern punktet durch<br />
eine gute Infrastruktur, viele finanzstarke<br />
Tech- und Software-Unternehmen, institutionelle<br />
Investoren und Förderstrukturen. Die<br />
Voraussetzungen für Innovationen sind<br />
gegeben.<br />
Das veränderte Mediennutzungsverhalten<br />
ist der größte Treiber für innovative<br />
Lösungen. Technologischer Fortschritt<br />
erhöht den Veränderungsdruck auf<br />
klassische Medien-Bereiche.<br />
3<br />
Innovation braucht ein breites<br />
Kreativitäts-Ökosystem. Der Wunsch nach<br />
Plattformen für Wissensaustausch sowie<br />
Vernetzung zwischen Unternehmen ist in<br />
Bayern hoch.<br />
Der Medienstandort Bayern hat ein starkes<br />
Förder-Ökosystem. Einzelne Unternehmen<br />
wünschen sich ein gezielteres Matching von<br />
Förderbedarfen und -angeboten sowie eine<br />
bessere Auffindbarkeit der Angebote.<br />
4<br />
€<br />
5<br />
Medienunternehmen<br />
in Bayern sehen den<br />
digitalen Shift des<br />
Business-Models als<br />
Kernherausforderung<br />
der Zukunft.<br />
Innovation betrifft<br />
die gesamte<br />
Unternehmenskultur.<br />
6<br />
7<br />
Digitale Projekte<br />
brauchen klare<br />
Zuständigkeiten in<br />
Unternehmen.<br />
33
HERO STORY
BOWL<br />
DAS PRODUKTIONSSTUDIO<br />
HYPERBOWL KREIERT VIRTUELLE<br />
BILDWELTEN AUF DEM LED<br />
SCREEN – UND REVOLUTIONIERT<br />
DAMIT DEN BEWEGTBILD-MARKT.<br />
TEXT<br />
KATHRIN HOLLMER<br />
FOTOS<br />
JANEK STROISCH<br />
35
HERO STORY<br />
Welten wechseln in<br />
Hochgeschwindigkeit.<br />
Mit Blick auf die<br />
LED-Wand spielen die<br />
beiden Programmierer<br />
die Kulisse für<br />
den nächsten Dreh<br />
ein. Wo eben noch<br />
eine einsame Landstraße<br />
verlief (Foto<br />
oben), stehen plötzlich<br />
Wolkenkratzer.<br />
FOTO: MARCUS MÜLLER<br />
36
In der Halle C5 der Messe München<br />
geht die Sonne auf und Sekunden<br />
später wieder unter: Auf<br />
den konkav geformten LED-Bildschirmen<br />
der Hyperbowl kann<br />
man der Natur erstaunlich rasant auf die<br />
Sprünge helfen. Die rund 500 Quadratmeter<br />
große LED-Fläche kann sich in die<br />
Skyline einer fiktiven Stadt verwandeln,<br />
genauso wie in einen dichten Nadelwald<br />
oder eine Mondlandschaft.<br />
In der Hyperbowl, einem virtuellen<br />
360-Grad-Filmstudio, werden über eine<br />
Echtzeit-3D-Software virtuelle Welten<br />
dargestellt und reale Schauplätze aus der<br />
ganzen Welt eingeblendet. Die Technologie<br />
kommt aus Hollywood. Zum ersten<br />
Mal wurde sie für die Serie „The Mandalorian“<br />
eingesetzt. Im Frühjahr 2<strong>02</strong>0, als<br />
der Lockdown auch die Filmbranche<br />
zum Stillstand brachte, haben<br />
das Hamburger Planungsbüro<br />
für audiovisuelle Medien TFN<br />
und die Frankfurter Kreativstudios<br />
ACHT und NSYNK<br />
das erste europäische Studio<br />
dieser Art in München gebaut.<br />
Die drei Firmen arbeiten schon<br />
seit Jahren zusammen, planen<br />
und begleiten digitale Messeauftritte<br />
von Autoherstellern.<br />
„Bayern ist der perfekte Standort<br />
für unser Studio“, sagt<br />
Frank Foerster, CEO von Hyperbowl<br />
und TFN. Die meisten<br />
Julian F. Krüger,<br />
Director of Virtual<br />
Production, arbeitet<br />
an der Schnittstelle<br />
zwischen Produktionsfirmen<br />
und<br />
Studio.<br />
deutschen Automobilhersteller, die zu<br />
den wichtigsten Kunden von Hyperbowl<br />
gehören, haben in Süddeutschland ihren<br />
Firmensitz, und in der Messe München,<br />
die pandemiebedingt nicht ausgelastet<br />
war, gab es genug Platz für das Konstrukt<br />
aus 2.000 LED-Modulen. Allein das LED-<br />
Dach wiegt 16 Tonnen.<br />
Technologie aus dem<br />
Games-Bereich<br />
Gegenüber der LED-Wand sitzen zwei<br />
Programmierer vor mehreren Laptops<br />
und Bildschirmen und spielen das virtuelle<br />
Set für die kommenden Dreharbeiten<br />
ein: eine Landstraße für den<br />
Werbespot eines Autoherstellers.<br />
Hinter der Hyperbowl steckt eine Spiel-<br />
Engine, eine Plattform, auf der normalerweise<br />
Computerspiele basieren. Sie wird<br />
von Programmierer:innen über Computer<br />
gesteuert. Diese können die interaktiven<br />
Hintergründe und Objekte jederzeit<br />
ändern und verschieben und so im Nu<br />
unterschiedliche virtuelle Welten erschaffen.<br />
Durch ein Tracking-System passen<br />
sich die Hintergründe in Echtzeit an die<br />
„Wir leisten<br />
PIONIERARBEIT.“<br />
FRANK FOERSTER<br />
Bewegung der Kamera an: Während das<br />
Auto im Werbespot gefilmt wird, zieht<br />
der Wald an ihm vorbei – und es sieht<br />
aus, als würde es daran vorbeifahren. Die<br />
Kameraleute der Produktionsfirmen und<br />
die Schauspieler:innen bewegen sich<br />
während des Drehs in der virtuellen Umgebung<br />
statt wie bisher üblich vor einem<br />
Greenscreen. „In der Hyperbowl interagieren<br />
Schauspielerinnen und Schauspieler<br />
viel besser in den Szenen, weil sie sehen,<br />
was passiert, und nicht einfach in einem<br />
grünen Nichts stehen“, sagt Foerster.<br />
Berechenbar und<br />
nachhaltig<br />
Das Drehen in der Hyperbowl<br />
hat viele Vorteile, der offensichtlichste<br />
ist die Planungssicherheit:<br />
Im virtuellen Studio<br />
ist man unabhängig von<br />
Jahreszeiten und Wetter – oder<br />
pandemiebedingten Reiserestriktionen.<br />
„Ich bestimme,<br />
wie viele Wolken am Himmel<br />
sind oder ob es neblig ist“,<br />
sagt Frank Foerster. „Theoretisch<br />
kann man 24 Stunden<br />
lang dieselbe Szene im selben<br />
Tageslicht drehen und sie<br />
jederzeit reproduzieren, neu<br />
oder weiterdrehen.“ Speziell<br />
bei langen Dreharbeiten, etwa<br />
für Serien, ist das praktisch.<br />
Für die perfekte Illusion wird<br />
der Boden meistens real gebaut,<br />
man könnte ihn aber<br />
37
HERO STORY<br />
auch in der Postproduktion virtuell einspielen.<br />
Für den kommenden Werbespot<br />
des Automobilherstellers verlegen zwei<br />
Männer Gummi-Asphalt auf dem Boden<br />
– passend zur Landstraße. Als Requisiten<br />
stehen Säcke mit Schotter und Felsen aus<br />
Plastik bereit. Der Aufwand für den<br />
Setbau, schätzt Julian F. Krüger,<br />
Director of Virtual Production bei<br />
Hyperbowl, reduziert sich durch die<br />
Technologie um bis zu 90 Prozent<br />
– verglichen mit einem regulären<br />
Filmset. „In der Regel spart das<br />
Hyperbowl-Verfahren Geld ein“,<br />
ergänzt Foerster, „wie viel, unterscheidet<br />
sich von Dreh zu Dreh. Es<br />
geht aber nicht immer nur um die<br />
Kosten: Es gibt auch Motive, die sich<br />
in der Realität nicht drehen lassen.“<br />
Für Dreharbeiten reisen Schauspieler:innen<br />
und Filmteams oft um<br />
die ganze Welt – die Hyperbowl-<br />
Technologie macht viele Reisen<br />
überflüssig und Filmproduktionen<br />
damit nachhaltiger. Zwar brauchen<br />
die LEDs und Rechner viel Strom<br />
– im Serverraum, dem „Gehirn“<br />
der Hyperbowl, berechnen zehn<br />
Computer die virtuellen Umgebungen<br />
in Echtzeit –, doch die Messe<br />
München hat bereits 2<strong>02</strong>0 komplett<br />
auf rein regenerativ erzeugten<br />
Strom umgestellt.<br />
Neue Storytelling-Welten<br />
„Die Hyperbowl eröffnet<br />
ganz neue Möglichkeiten im<br />
STORYTELLING.“<br />
Abgesehen von den Vorteilen in der<br />
Praxis, sind in der Hyperbowl auch der<br />
Kreativität keine Grenzen mehr gesetzt.<br />
Julian F. Krüger ist als Director of Virtual<br />
Production das kreative Bindeglied<br />
zwischen Studio und Produktionsfirmen.<br />
„Sehr oft werden beim Filmskript viele<br />
Ideen gestrichen, einfach weil der Aufwand<br />
zu groß ist“, sagt er. „Hier ist man<br />
plötzlich völlig frei. Die Hyperbowl eröffnet<br />
ganz neue kreative Möglichkeiten<br />
im Storytelling.“ Im virtuellen Studio kann<br />
man an Orten drehen, die normalerweise<br />
nicht zugänglich sind, kann abstrakte<br />
Welten entstehen lassen oder reale Umgebungen<br />
täuschend echt abbilden: In<br />
die Halle wurden schon der Sternenhimmel<br />
in der Wüste, der Nordpol und<br />
eine Mondlandschaft geholt. Um sich in<br />
dem neuartigen Studio zu orientieren,<br />
sagt Foerster, brauchen die Kreativen<br />
meist einen halben Tag am Set. „Dann<br />
beginnen sie, mit den zusätzlichen<br />
Möglichkeiten neue Ideen zu spinnen.“<br />
Etwas länger dauert die Umgewöhnung<br />
bei der Drehplanung. „Einer der<br />
beliebtesten Sätze bei jedem Filmdreh<br />
ist: Den Hintergrund entscheiden wir in<br />
der Postproduktion“, so Frank Foerster.<br />
„Für einen Dreh in einem virtuellen Set<br />
müssen die Hintergründe allerdings mit<br />
angemessener Vorlaufzeit vorbereitet<br />
werden, diese Entscheidungen also<br />
früher getroffen werden. Dafür sieht der<br />
Kunde am Set direkt das Resultat und<br />
kann trotzdem noch Änderungen vornehmen.“<br />
Meistens erstellt Hyperbowl die virtuellen<br />
Welten gemeinsam mit den<br />
Produktionsfirmen, für die die Tech-<br />
JULIAN F. KRÜGER<br />
<strong>XPLR</strong>: VIDEO<br />
Du willst die<br />
Hyperbowl in Aktion<br />
sehen? Jetzt auf:<br />
@xplrmediainbavaria<br />
38
FOTO: MARCUS MÜLLER<br />
CEO Frank Foerster (unten) hat<br />
mit Hyperbowl eine neue Ära der<br />
Contentproduktion eingeleitet.<br />
Die 500 Quadratmeter große,<br />
hochauflösende LED-Fläche ist<br />
die erste ihrer Art in Europa.<br />
nologie noch neu ist. Vor Ort können<br />
die Kund:innen mit dem selbst programmierten<br />
Steuerungs-Tool „Hyper<br />
Control“ in die Szenen eingreifen, die<br />
virtuelle Szene verschieben, Tageszeit<br />
und Licht bestimmen. Bei jedem Dreh<br />
sind Programmierer:innen dabei, die das<br />
Ganze technisch unterstützen. Einer von<br />
ihnen ist Dennis Boleslawski, der eigentlich<br />
Computerspiele programmiert. In<br />
virtuellen Filmstudios braucht man zunehmend<br />
Entwickler:innen wie ihn. „Wir<br />
produzieren nicht nur Filme, sondern<br />
programmieren auch die Software um<br />
und entwickeln ganzheitlich diese Produktionsweise<br />
weiter“, sagt Boleslawski.<br />
„Um die Technologie nach vorn zu bringen,<br />
kooperieren wir auch mit Kamera-,<br />
LED- und Software-Herstellern.“<br />
als 30 Produktionen durchgeführt, überwiegend<br />
Werbefilme, aber auch Keynotes<br />
und Live-Produktpremieren für Unternehmen.<br />
Die Kunden kommen aus der<br />
ganzen Welt, darunter Audi, Mercedes<br />
Benz, Volkswagen, Visa, Aldi und Amazon.<br />
Für eine virtuelle Veranstaltung in Baden-<br />
Württemberg ließ Foerster eine mobile<br />
Mini-Hyperbowl bauen, demnächst könnten<br />
zwei Serien im Studio gedreht werden.<br />
Gegen Ende des Jahres, dem traditionellen<br />
Umsatzhoch in der Werbebranche,<br />
ist die Hyperbowl bereits besonders gut<br />
gebucht. Trotzdem wird das Studio bald<br />
umziehen, zunächst innerhalb der Messe<br />
und zum Jahreswechsel 2<strong>02</strong>2 in Bayern,<br />
weil die Messe nicht dauerhaft eine Halle<br />
reservieren kann. Foerster hofft dafür auf<br />
Unterstützung aus der Politik. „Wir leisten<br />
Pionierarbeit“, sagt er. „Wir wollen auch in<br />
Zukunft Maßstäbe setzen und die Technologie<br />
in Europa voranbringen.“<br />
Maßstäbe in Europa setzen<br />
Bisher hat das Hyperbowl-Team mehr<br />
5,5 Meter hoch<br />
und 40 Meter<br />
lang: Die Leinwand<br />
(hier von<br />
hinten) besteht<br />
aus 2.000 LED-<br />
Modulen.<br />
39
HERO STORY<br />
INTERVIEW<br />
LISA PRILLER-GEBHARDT<br />
FOTOS<br />
VERENA KATHREIN<br />
„what happened<br />
last week?“<br />
NÜRNBERG, BAYERN<br />
SHAM JAFF ERKANNTE FRÜH, DASS NEWSLETTER<br />
WEIT MEHR SIND ALS WERBEMITTEL. SEIT<br />
2014 VERSCHICKT SIE WÖCHENTLICH KURATIERTE<br />
NACHRICHTEN AUS LÄNDERN, DIE IN DER<br />
HERKÖMMLICHEN BERICHTERSTATTUNG ZU KURZ<br />
KOMMEN. IM INTERVIEW VERRÄT SIE, WARUM<br />
DER AUSTAUSCH MIT DER COMMUNITY SO<br />
WICHTIG IST UND WAS EINEN ERFOLGREICHEN<br />
NEWSLETTER AUSMACHT.<br />
40
Absenderin<br />
Sham Jaff kam im Alter von<br />
acht Jahren aus Kurdistan im<br />
Norden Iraks über Syrien nach<br />
Nürnberg. Sie hat Politikwissenschaften<br />
studiert, 2<strong>02</strong>0<br />
ihr Traineeship bei Siemens<br />
beendet und beschlossen, sich<br />
ausschließlich ihrer journalistischen<br />
Arbeit zu widmen. Für<br />
ihren Podcast „19<strong>02</strong>20 – Ein<br />
Jahr nach Hanau“ wurde sie<br />
2<strong>02</strong>1 mit dem Grimme Online<br />
Award Information ausgezeichnet.<br />
„Meine Leser:innen fühlen<br />
sich von Mainstream-<br />
Medien nicht abgeholt.“
HERO STORY<br />
42
Sham, was hat dich auf die Idee gebracht,<br />
einen Newsletter zu starten?<br />
Meine jüngere Schwester Aya wollte ständig von mir hören, was in<br />
der Welt passiert. An der Uni bin ich weiter in die Rolle der Weltpolitik-Erklärerin<br />
hineingewachsen, denn auch Kommiliton:innen<br />
hatten Fragen dazu, was gerade in Ghana passiert oder wie die<br />
aktuelle Politik in Taiwan ist; also zu Themen und Regionen, mit<br />
denen wir uns akademisch eher weniger beschäftigt hatten. Ich<br />
habe mich immer gewundert, wieso. So habe ich angefangen,<br />
Freund:innen und Bekannte schriftlich mit News zu versorgen.<br />
„Wir ertrinken<br />
in einer Flut von<br />
Nachrichten.<br />
Die Menschen<br />
haben ein starkes<br />
Bedürfnis nach<br />
Kuratierung und<br />
Einordnung.“<br />
Du hast bereits auf das Medium Newsletter gesetzt, als es in<br />
erster Linie für Werbezwecke verwendet wurde und es noch<br />
keinen Hype um dieses journalistische Format gab. Welches<br />
Potenzial hast du gesehen?<br />
Als ich 2014 mit „what happened last week?“ anfing, wurde ich<br />
belächelt, denn Newsletter galten als „old school“. Doch für mich<br />
sind sie nach wie vor ein sehr intimer, direkter Zugang zu meinen<br />
Leser:innen. Ich empfinde es als großen Vertrauensvorschuss,<br />
wenn sie mir ihre E-Mail-Adresse geben. Der Hype um das Medium<br />
rührt meiner Meinung nach daher, dass die Menschen ein<br />
starkes Bedürfnis nach Kuratierung haben. Alle Medien kämpfen<br />
um Aufmerksamkeit, was dazu führt, dass wir in einer schieren<br />
Flut von Nachrichten ertrinken. Es ist der Mehrwert meines<br />
Newsletters, dass ich mir Gedanken mache, welche Nachrichten<br />
für meine Zielgruppe relevant sind. Damit komme ich diesem<br />
großen Wunsch nach Einordnung entgegen.<br />
Welche Zielgruppe erreichst du?<br />
Die Mehrheit meiner 14.000 Abonnent:innen ist weiß und hat<br />
einen akademischen Hintergrund. Sie kommen überwiegend aus<br />
westlichen Ländern, jedoch sind unter den 100 Ländern, in denen<br />
mein Newsletter gelesen wird, auch Staaten wie Französisch-<br />
Guayana oder Bangladesch. Letztens habe ich mit ein paar<br />
älteren Herren aus Ghana in einem Leser:innen-Interview gesprochen.<br />
Alle meine Leser:innen eint das Gefühl, sie wüssten nicht<br />
genug darüber, was sonst noch in der Welt passiert. Sie fühlen<br />
sich von den Mainstream-Medien nicht abgeholt.<br />
SHAM JAFF<br />
Hat sich die Themensetzung seit dem Start 2014 verändert?<br />
Früher galt mein Fokus mehr der gesamten Welt, heute sind es<br />
die Kontinente Südamerika, Asien und Afrika. Einfach weil die<br />
Themen dieser Kulturen in den Medien unterrepräsentiert sind.<br />
Ich beschäftige mich vor allem mit sozialer Gerechtigkeit beziehungsweise<br />
Ungerechtigkeit sowie dem Klimawandel.
HERO STORY<br />
„Ich möchte nicht<br />
nur den Konsum von<br />
Nachrichten fördern,<br />
sondern auch die<br />
Diskussion darüber.“<br />
SHAM JAFF<br />
Welche Quellen nutzt du?<br />
Ich nutze quasi alle Zeitungen, deren Sprache ich verstehe – in<br />
Deutsch, Englisch, Arabisch, Kurdisch, Spanisch und Französisch.<br />
Darunter sind Titel wie die „South China Morning Post“ oder die<br />
„Prensa Libre“ aus Guatemala. Aber auch Berichte der Vereinten<br />
Nationen oder des World Economic Forum fließen mit ein. Eine<br />
weitere wichtige Quelle sind freie Journalist:innen aus aller Welt.<br />
Ich habe über die Zeit für mich selbst eine kleine Liste erstellt.<br />
In Zeiten von Fake News – wie prüfst du<br />
die Echtheit der Nachrichten?<br />
Gerade wenn es um politische Konflikte geht, sind eine Menge<br />
Falschinformationen in Umlauf. Da wird auf beiden Seiten viel<br />
Propaganda betrieben. Deshalb lasse ich mir da lieber Zeit, ehe<br />
ich berichte. Ich recherchiere dann selbst und spreche auch mit<br />
Journalist:innen vor Ort, um nicht zur Verbreitung von Falschinformationen<br />
beizutragen.<br />
Du ermunterst Leser:innen zu kommentieren,<br />
beispielsweise, wenn sie die Lage anders sehen.<br />
Warum ist dir diese Interaktion so wichtig?<br />
Weil auch ich blinde Flecken habe. Ich kann nicht – wie ein<br />
großes Medienhaus – auf ein internationales Journalist:innen-<br />
Netzwerk zurückgreifen. Ich bin froh, wenn mich Menschen<br />
auf weitere Aspekte aufmerksam machen. Außerdem möchte<br />
ich nicht von oben herab über mir fremde Kulturen sprechen.<br />
Unterstützung<br />
für Medien-Innovationen<br />
Die freie Journalistin Sham Jaff finanziert ihren<br />
politischen Newsletter „what happened last week“<br />
(whathappenedlastweek.com) hauptsächlich<br />
über Spenden der Leser:innen sowie über ihre<br />
wöchentliche Kolumne beim Podcast „Wochendämmerung“.<br />
Sie ist darüber hinaus Teil des<br />
aktuellen Batches des Media Startup Fellowship,<br />
eines Förderprogramms des Media Lab Bayern,<br />
das Macher:innen unterstützt, innovative, digitale<br />
Medienprodukte zu entwickeln. Neben einer Fördersumme<br />
von bis zu 50.000 Euro beinhaltet das<br />
Fellowship Coachings, Kontakte zu Medienunternehmen<br />
und einen Co-Working Space.<br />
Du hast vor Kurzem die erste Community innerhalb<br />
deines Newsletters gegründet: die Curious Group. Mit<br />
welchem Thema beschäftigt sich die Community?<br />
Hier steht die zentrale Frage „Was machen wir mit der Polizei?“<br />
im Mittelpunkt. Nicht erst seit dem gewaltsamen Tod von George<br />
Floyd oder dem rechtsterroristischen Attentat in Hanau wird<br />
immer klarer, dass es nicht nur deutschlandweit, sondern auch<br />
international wenig Kontrollinstanzen gibt. In der Curious Group<br />
sind etwa 30 Personen, die sich zu diesem Thema per Zoom<br />
austauschen und sich gegenseitig informieren. Das kommt<br />
meinem Anliegen sehr entgegen, nicht nur den Konsum von<br />
Nachrichten zu fördern, sondern auch die Diskussion darüber.<br />
Du bist mit deinem Newsletter Teil des aktuellen Media-Lab-<br />
Förderprogamms, das die Entwicklung innovativer Medienprodukte<br />
finanziell unterstützt. Wofür nutzt du die Förderung?<br />
Ich würde gern die Idee des Newsletters ausweiten. Es geht um<br />
die Frage, welche neuen Formate möglich sind, um diese unterrepräsentierten<br />
Themen einem weit größeren Personenkreis zu<br />
erschließen. Vielleicht über Podcast-Serien oder andere Formate.<br />
Es geht auch um die Frage, ob der Newsletter Grundlage für ein<br />
Medienunternehmen sein könnte.<br />
44
How to<br />
newsletter<br />
Vorab klar<br />
definieren:<br />
Inhalt + Optik<br />
„Auch die Frage: ‚Welches Bedürfnis decke<br />
ich mit dem Newsletter ab?‘ muss im<br />
Vorfeld beantwortet werden.“<br />
Was macht einen guten Newsletter aus?<br />
Der wichtigste Punkt ist das Thema. Dieses muss klar identifiziert<br />
werden. „Wie kann ich mit meinem Newsletter dazu beitragen,<br />
etwas besser zu machen?“ Man sollte sich auch kritisch<br />
hinterfragen: „Bin ich tatsächlich die richtige Person, die das<br />
Thema behandeln kann?“ In einem zweiten Schritt muss geklärt<br />
werden, wie man erzählen will und den Inhalt strukturiert.<br />
Auch das Layout ist ein wichtiger Part.<br />
Inhalt und Verpackung müssen also zum Lesen einladen?<br />
Genau! Dazu gehört, dass man Themen skippen kann: Niemand<br />
sollte den kompletten Newsletter lesen müssen. Bei „what happened<br />
last week?“ ist man – ohne die beigefügten Links – in zehn<br />
bis 15 Minuten durch.<br />
Nicht länger als<br />
15 Minuten<br />
„Das drückt auch den Respekt<br />
vor den Leser:innen aus.“<br />
Wie gelingt es dir, Leser:innen zu gewinnen?<br />
Bei mir läuft das in erster Linie über Mundpropaganda. Meine<br />
Leser:innen finden den Newsletter wertvoll und kommunizieren<br />
das in ihrem Bekannten- und Freundeskreis. Sie fungieren als<br />
Multiplikator:innen.<br />
Wie lange sitzt du an einem Newsletter?<br />
Es ist tatsächlich ein Teilzeitjob, denn es ist ja nicht nur mit der<br />
Analyse und der Zusammenfassung dessen getan, was in der vorherigen<br />
Woche passiert ist. Ich erstelle zusätzlich jede Woche eine<br />
Spotify-Playlist mit den neuesten Songs aus den Kulturen und<br />
Regionen, die im Newsletter vorkommen. Außerdem habe ich<br />
eine wöchentliche Kolumne beim Politik-Podcast „Die Wochendämmerung“<br />
mit Katrin Rönicke und Holger Klein. Darin<br />
beleuchte ich eines der behandelten Themen oder manchmal<br />
auch neue. Zusätzlich beantworte ich alle E-Mail-Anfragen der<br />
Leser:innen.<br />
Passende<br />
Vertriebsstrategie<br />
finden<br />
„Auch Werbung und gutes SEO<br />
helfen, den Kreis zu erweitern.“<br />
Inhalte crosspromoten<br />
„Neben Playlist und Podcast möchte<br />
ich künftig noch Workshops und<br />
Online-Veranstaltungen anbieten.“<br />
45
HELLO FROM EVERYWHERE<br />
JULIA LEEB:<br />
„Die 360-Grad-Technik<br />
gibt dem Journalismus<br />
die Glaubwürdigkeit<br />
zurück.“<br />
INTERVIEW<br />
JULIA HÄGELE<br />
FOTOS<br />
JULIA LEEB<br />
Frau Leeb, sind Sie ein furchtloser<br />
Mensch?<br />
Nein. Angst ist menschlich und kann ein<br />
guter Ratgeber sein. Angst kann aber<br />
auch lähmen, deshalb ist es Ermessenssache,<br />
inwieweit man bereit ist, die Ängste<br />
zu durchwandern. Ich verlasse mich oft<br />
auf meine Intuition. Meine Themen liegen<br />
häufig hinter der Angst.<br />
Sie haben politische Unruhen im Kongo,<br />
in Ägypten, Libyen, Syrien, Afghanistan,<br />
im Südsudan und Iran dokumentiert –<br />
was treibt Sie an instabile Orte?<br />
Wir sehen nur die Menschen, die online<br />
sind oder in den Medien gezeigt werden.<br />
Aber die Welt ist groß – ich will sie verstehen,<br />
mit eigenen Augen sehen und<br />
diejenigen zeigen, die nicht von selbst<br />
sichtbar sind.<br />
Haben Sie das Gefühl, dass die Welt<br />
durch die Digitalisierung zusammengewachsen<br />
ist?<br />
Es sind eigentlich immer die Gleichen, die zusammenwachsen.<br />
Aktivisten, die in einer Diktatur leben, können<br />
nicht einfach mal ein Selfie hochladen oder ihre Meinung<br />
auf Facebook posten. Wir sehen sie nicht und trotzdem<br />
sind sie da. Es ist ein Trugschluss zu denken, dass die Welt<br />
überall so tickt wie bei uns.<br />
Für Ihre Arbeit nutzen Sie oft XR-Technologie – wie<br />
genau?<br />
Ich arbeite mit einer 360-Grad-Kamera. So können sich die<br />
Leser:innen und Zuschauer:innen selbst ein Bild davon machen,<br />
wie es vor Ort ist. Es ist wichtig, dass sie sehen, dass<br />
ich nichts verstecke. Im Prinzip hilft die 360-Grad-Technik,<br />
dem Journalismus seine Glaubwürdigkeit zurückzugeben.<br />
Mich hat immer interessiert: Was ist außerhalb des Fotos<br />
passiert? 360-Grad-Aufnahmen sind die Antwort darauf.<br />
Jedes Medium, das wir kennen, hat einen Rahmen – sei es<br />
der Bildschirm des Computers, das Ölgemälde oder die<br />
Zeitung. 360 Grad ist die Befreiung aus der Umrandung,<br />
das ist die Revolution. Im Kongo sehe ich zum Beispiel eine<br />
Frau vor mir, die mit mir spricht. Doch ich kann mich drehen,<br />
sehe Männer mit Kalaschnikows herumlaufen, viele<br />
Kinder ohne Schuhe. Unten sehe ich den Lehmboden. Das<br />
erzählt mehr als ein klassisches Foto der Frau.<br />
FOTO: PRIVAT<br />
46
HERO STORY<br />
DIE FOTOJOURNALISTIN UND FILMEMACHERIN<br />
JULIA LEEB DOKUMENTIERT KRIEGSGESCHEHEN UND<br />
REVOLUTIONEN. SIE HAT ES SICH ZUR AUFGABE<br />
GEMACHT, MENSCHEN HINTER DEN KONFLIKTEN EINE BÜHNE<br />
ZU GEBEN, UND MÖCHTE MIT 360-GRAD-AUFNAHMEN<br />
DIE GRENZEN EINES KLASSISCHEN FOTOS AUFBRECHEN.<br />
47
HELLO FROM EVERYWHERE<br />
Julia Leeb<br />
Menschlichkeit in<br />
Zeiten der Angst<br />
Reportagen über die Kriegsgebiete<br />
und Revolutionen unserer Welt<br />
Suhrkamp<br />
Julia Leeb wurde in<br />
München geboren.<br />
Heute lebt sie abwechselnd<br />
dort und<br />
in Potsdam. 2<strong>02</strong>1<br />
erschienen ihre Reportagen<br />
„Menschlichkeit<br />
in Zeiten der Angst“<br />
im Suhrkamp Verlag.<br />
Sie sagten in einem Interview, Mama Masika sei die Person,<br />
die Sie in Ihrem Leben am meisten beeindruckt hat.<br />
Wer ist sie?<br />
Mama Masika aus dem Kongo hat das Schlimmste erlebt, was<br />
man als Mensch und als Frau erleben kann. Sie wurde mehrfach<br />
vergewaltigt und musste zusehen, wie ihre Kinder vergewaltigt<br />
wurden und ihr Mann umgebracht wurde. Eine Vergewaltigung<br />
ist nicht nur eine körperliche Misshandlung, sondern auch eine<br />
seelische Vernichtungstat. Mama Masika hätte allen Grund gehabt,<br />
für den Rest ihres Lebens zu hassen, sich zu rächen oder wie<br />
viele andere Frauen Autoaggressionen aufzubauen. Aber sie hat<br />
sich entschieden, sich dem Guten zuzuwenden, und ein Heim für<br />
Tausende Vergewaltigungsopfer gebaut, die dort sicher und stark<br />
sein können. Mama Masika hat ein Tabu gebrochen: Sie hat begonnen,<br />
die Täter zu stigmatisieren und nicht die Opfer.<br />
„Für Frauen ist der Krieg nicht vorbei, wenn die letzte Bombe<br />
gefallen ist“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Warum interessieren<br />
Sie vor allem die Frauen in Kriegsgebieten?<br />
Extremsituationen verstärken die guten und schlechten Seiten<br />
aller Menschen. Im Krieg gibt es Leute, die töten, und Leute, die<br />
heilen und trösten, die lehren, Geschichten erzählen, Zuversicht<br />
spenden, die vergeben können. Letztere denken ans Große und<br />
Ganze. Und meiner Erfahrung nach gehören zu dieser Gruppe viele<br />
Frauen. Sie haben bei Verhandlungen meist nichts zu melden,<br />
das ist für mich nicht nachvollziehbar. Es sind meist die Täter, die<br />
das Sagen haben. Die, die zerstört haben, und nicht die, die aufrechterhalten.<br />
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, diese Menschen<br />
ins Licht zu stellen und die echten Held:innen zu zeigen.<br />
Zu Ihren Vorbildern zählt unter anderem die Fotografin Anja<br />
Niedringhaus. Sie kam bei der gleichen Arbeit, die Sie tun,<br />
um. Ist die Angst vor dem Tod in Ihrer Arbeit präsent?<br />
Julia Leeb<br />
dokumentiert<br />
Schicksale wie<br />
das von Mama<br />
Masika. Sie<br />
hat im Kongo<br />
ein Heim für<br />
Vergewaltigungsopfer<br />
gegründet<br />
– und dabei<br />
übermenschliche<br />
Kräfte<br />
bewiesen.<br />
Jeder will überleben, das haben Menschen so an sich. Man muss<br />
einen Weg finden, mit der Angst umzugehen, sonst ist man gehemmt.<br />
Ich hätte nie gedacht, dass Anja<br />
Niedringhaus etwas passiert. Sie wurde<br />
2014 einen Tag vor der afghanischen Präsidentschaftswahl<br />
umgebracht. Die Wahl<br />
galt nicht als sehr gefährlich. Das zeigt,<br />
dass dieser Beruf unkontrollierbar ist, egal,<br />
wie lange man ihn ausübt und wie gut<br />
man sich auskennt.<br />
Sie schreiben auch, Sie reisen nicht,<br />
um vom Krieg zu erzählen, sondern um<br />
davon zu erzählen, was der Krieg mit<br />
den Menschen macht. Was haben alle<br />
Konflikte gemein?<br />
Was man sagen kann, ist, dass die meisten<br />
Kriege mit Ressourcen und Macht zu tun<br />
haben. Menschen sind überall wunderbar<br />
und brutal, sie können vergeben und vernichten,<br />
verunsichern und trösten. Dem<br />
Geheimnis Mensch komme ich einfach<br />
nicht auf die Schliche.<br />
Kennen Sie auch kreative Krisen,<br />
Prokrastination und Passivität?<br />
In meinem Kopf zumindest geht es immer<br />
voran, ich habe tausend Ideen und<br />
viele Projekte. Das ist manchmal ein Fluch,<br />
aber meistens ein Geschenk. Was mich<br />
frustriert, ist, wenn Projekte an der Bürokratie<br />
scheitern. Ich arbeite aber international<br />
mit tollen Leuten zusammen, die<br />
fast immer einen Weg finden.<br />
Wie gehen Sie mit Widerständen um?<br />
Mein ganzes Leben wurde mir gesagt:<br />
„Das geht nicht.“ Ich kann keine 360-Grad-<br />
Filme machen, ich kann dort nicht hinfahren,<br />
weil es keine Infrastruktur gibt oder<br />
weil ich eine Frau bin. Wenn ich darauf<br />
gehört hätte, würde ich heute noch warten.<br />
Ich wollte zum Beispiel in die Nuba-<br />
Berge im Sudan. Das geht nicht, es gibt<br />
keine Flüge, hieß es. Ein Frachtflugzeug<br />
brachte aber Medikamente in die Region.<br />
Und dann ging es eben doch.<br />
Sie haben unzählige Länder bereist.<br />
Wie würden Sie Heimat für sich beschreiben?<br />
W<br />
48
HERO STORY<br />
Bild links: 2013 in Nordkorea<br />
– Julia Leeb fotografierte<br />
meist heimlich. Oben: 2017<br />
im Sudan – eine Soldatin<br />
der Volksbefreiungsbewegung<br />
Nord beim Training.<br />
Unten: Februar 2011 in<br />
Kairo – ein Soldat vor dem<br />
Informationsministerium.<br />
Heimat ist für mich an Menschen, Kultur und<br />
Natur gebunden. Ich mag die Jahreszeiten<br />
und die Alpen. Ich habe in Madrid studiert,<br />
dort hat man mich „Heidi“ genannt, weil ich<br />
mal gesagt habe, dass ich die Berge vermisse.<br />
Ihr Buch ist Ihrer Familie gewidmet. Halten<br />
Sie unterwegs Kontakt mit ihr?<br />
Nein, sie weiß nicht Bescheid. Meine Familie<br />
ist mein emotionales Fundament, ich kann<br />
sie nicht mit reinziehen. Sie könnte mir ja gar<br />
nicht helfen, wenn etwas passieren würde.<br />
Ich tauche unter und bin von einem auf den<br />
anderen Tag einfach weg. Da gibt es natürlich<br />
viel Unverständnis, aber irgendwann<br />
haben alle es akzeptiert.<br />
Erinnern Sie sich an Ihre erste Kamera?<br />
Meine Schwester und ich bekamen einen<br />
kleinen analogen Fotoapparat geschenkt, in<br />
den man einen Film einlegen musste. Man<br />
hat damals ja noch zwei Wochen gewartet,<br />
bis der Film entwickelt war – ein richtiges<br />
Ereignis. Seither faszinieren mich Bilder und<br />
das, was sie erzählen.<br />
„Meine Familie ist mein emotionales<br />
Fundament. Sie weiß nicht<br />
Bescheid, wenn ich unterwegs bin – ich<br />
kann sie nicht mit reinziehen.“<br />
JULIA LEEB<br />
49
NEW WORK CASES<br />
E<br />
X<br />
N<br />
E<br />
P<br />
L<br />
O<br />
R<br />
E<br />
W<br />
NEW WORK HAT VIELE GESICHTER.<br />
DAS KÖNNEN RAUMKONZEPTE SEIN,<br />
TECHNOLOGISCHE ENTWICKLUNGEN,<br />
ABER AUCH ANGEBOTE FÜR DAS WOHL-<br />
BEFINDEN DER MITARBEITER:INNEN. WIR<br />
HABEN HINTER DIE TÜREN DER MEDIEN-<br />
HÄUSER IN BAYERN GESCHAUT UND<br />
INSPIRIERENDE CASES GESAMMELT, DIE<br />
UNSERE ARBEITSWELT BEREITS JETZT IM<br />
KLEINEN UND GROSSEN VERÄNDERN.<br />
FOTOS: SHUTTERSTOCK/GULART, SHUTTERSTOCK/DINKOOBRAZ, STOCKSY/ALESSANDRA DESOLE, NICK FRANK, FLORIAN GENEROTZKY/LAIF (3)<br />
50
David+Martin –<br />
den Markenkern erlebbar machen<br />
740 Quadratmeter Altbau in der Münchner Innenstadt, rund 50<br />
Arbeitsplätze und eine Bar im Büro – damit hebt sich die Kreativagentur<br />
David+Martin beträchtlich von der Konkurrenz ab.<br />
„Mein Mitgründer David Stephan und ich haben eine große<br />
Leidenschaft für Genuss und Gastronomie“, erklärt Martin Eggert.<br />
„Wir wollten für unsere Agentur ursprünglich eine Bar oder ein<br />
Café mieten.“ Als sie keine passenden Räume finden, beschließen<br />
sie, die Bar zu bauen. Mit allem Drum und Dran: Kristallgläsern,<br />
dimmbarem Licht, guten Musikboxen. Ein Ort, um abends zusammenzukommen<br />
und ausgelassen zu sein. „Die Bar macht einfach<br />
Bock, unserem Team, aber auch unseren Kunden“, so Martin<br />
Eggert. Hier wird die Unternehmenskultur der Agentur erlebbar,<br />
die viele Kunden aus dem Food-and-Beverage-Bereich betreut.<br />
Auch in den anderen Räumen steht bei David+Martin der Wohlfühlfaktor<br />
im Vordergrund. Details wie eine riesige Hummerstatue<br />
laden zum Schmunzeln, Social Rooms mit bunten Sesseln zum<br />
Verweilen ein. „Wir sind ein Jugendtreff für Erwachsene“, fasst<br />
Eggert zusammen, „wir wollen Spaß haben, nur dann können wir<br />
gute Leistungen bringen.“ Sie haben mit ihrem Konzept Erfolg:<br />
Im Corona-Jahr 2<strong>02</strong>0 verdoppelte sich sowohl die Zahl ihrer Mitarbeiter:innen<br />
als auch der Umsatz.<br />
W<br />
O<br />
R<br />
K<br />
51
NEW WORK CASES<br />
Burda Verlag –<br />
das Wohlbefinden der<br />
Mitarbeiter:innen im Fokus<br />
Seit dem Corona-Jahr 2<strong>02</strong>0 haben alle Mitarbeiter:innen<br />
von Hubert Burda Media die Möglichkeit, sich<br />
mit Fragen rund um ihre mentale Gesundheit an das<br />
Fürstenberg Institut zu wenden. Sie können bei dem<br />
in München ansässigen Institut einen Termin für ein<br />
persönliches oder virtuelles Beratungsgespräch vereinbaren.<br />
Zuständig für das Angebot ist Stefanie Walz,<br />
Referentin für Betriebliches Gesundheitsmanagement<br />
bei Burda: „Die externe Beratung ermöglicht es, in<br />
angenehmer Atmosphäre mit ausgebildeten Coaches<br />
oder Psycholog:innen zu sprechen.“ Das Unternehmen<br />
erfährt dabei nicht, wer die Beratung in Anspruch<br />
nimmt, und auch Familienangehörige können den<br />
Service frei nutzen. Die Zahl der Beratungsgespräche<br />
ist nicht limitiert. „Die Beratung kann verhindern, dass<br />
Probleme ‚verschleppt‘ werden und später zu ernsthaften<br />
Erkrankungen oder Arbeitsausfällen führen“,<br />
sagt Walz. Über solche und weitere Gesundheitsangebote<br />
werden die Mitarbeiter:innen übrigens regelmäßig<br />
im internen Newsletter „TakeCare“ informiert:<br />
So können sie via Microsoft Teams am kostenlosen<br />
„LunchBreak Yoga“ teilnehmen oder bei der „Aktiven<br />
Pause“ am Arbeitsplatz mitmachen, um Verspannungen<br />
im Schulter-Nacken-Bereich zu lösen.<br />
Vogel Communications Group –<br />
Raum für Begegnung schaffen<br />
Weniger ein Büro, mehr ein Campus: spannungsräume fördern die Work-<br />
So versteht die Vogel Communications<br />
Group ihren Sitz in Würzburg unterstützen ein kollaboratives und<br />
Life-Balance, offene Arbeitsflächen<br />
mit rund 500 Arbeitsplätzen. Denn projektorientiertes Arbeiten. Sehr<br />
sie profitiert dort von anderen<br />
beliebt sind die Sonnenterrasse und<br />
Unternehmen: Die Hochschule für -wiese mit Liegestühlen, aber auch<br />
Angewandte Wissenschaften lässt die Boxen für konzentriertes, ruhiges<br />
sich zum Beispiel mit einem KI-Studiengang<br />
auf dem etwa 10.000 Qua-<br />
weitere Veränderungen kümmert<br />
Arbeiten. Damit nicht genug: Um<br />
dratmeter großen Gelände nieder, sich zukünftig die firmeninterne<br />
und auch Start-ups mieten sich regelmäßig<br />
in der Vogel Gründerwerk-<br />
Projektgruppe „Neue Arbeitswelten“.<br />
statt ein. Der führende Anbieter für<br />
Fachmedien, digitale Plattformen<br />
und Fachkommunikation hat neben<br />
der Zusammenarbeit mit anderen<br />
auch die Weiterentwicklung seines<br />
eigenen Unternehmens im Blick.<br />
Für mehr Flexibilität, Austausch und<br />
das Wohl der Mitarbeiter:innen hat<br />
die Vogel Communications Group<br />
New-Work-Konzepte umgesetzt.<br />
„Wir haben unsere Unternehmensund<br />
Arbeitskultur tiefgreifend weiterentwickelt“,<br />
erklärt Dr. Gunther<br />
Schunk, Director Public Relations.<br />
Und das sieht dann so aus: Ent-<br />
FOTO: ZDF/FRANK DICKS<br />
52
Ruffinihaus –<br />
vernetzt im Creative<br />
Hub arbeiten<br />
Mitten in Münchens Innenstadt finden<br />
im Ruffinihaus Kulturschaffende und<br />
junge Medienunternehmen ein Zuhause<br />
und machen das Gebäude zum<br />
Innovations-Hotspot. Das Ruffinihaus<br />
am Rindermarkt beherbergte eigentlich<br />
Verwaltungsbüros der Stadt. Bis es<br />
2017 saniert werden musste. Seit 2<strong>02</strong>0<br />
kann das Kompetenzteam Kultur- und<br />
Kreativwirtschaft der Stadt München<br />
die erste Etage des Ruffinihauses als<br />
Creative Hub zwischennutzen. Für<br />
zwei Jahre arbeiten dort 50 Kreative<br />
in 27 individuell eingerichteten Büros.<br />
„Es geht darum, zu zeigen, was für ein<br />
transformatorisches Potenzial in der<br />
Branche steckt“, sagt Projektleiterin<br />
Christina Schepper-Bonnet. Im Ruffinihaus<br />
sollen sich die Kreativen nicht<br />
nur untereinander vernetzen, sondern<br />
auch mit der Wirtschaft – um „eine<br />
wirkliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe<br />
zu bewirken.“<br />
FOTOS: ARCHIV HUBERT BURDA MEDIA/SABRINA C. MAIER, J. UNTCH/VCG (3)<br />
53
NEW WORK CASES<br />
Google – hybrid produktiv<br />
zusammenarbeiten<br />
Sie heißen „Campfire“, „Team Pods“, oder<br />
„Camp Charleston“ und sind Teil eines neuen<br />
hybriden Arbeitsmodells, das den Mitarbeiter:innen<br />
in den Google-Büros weltweit mehr<br />
Flexibilität verschaffen soll. „Als Unternehmen<br />
sind wir nach wie vor der Meinung, dass die<br />
persönliche Zusammenarbeit der Schlüssel<br />
zum Aufbau einer Gemeinschaft, zur Förderung<br />
von Innovationen, zur Unterstützung der<br />
Kreativität und zur Lösung komplexer Probleme<br />
ist. Bei Googles zukünftigem Arbeitsplatz<br />
wird es darum gehen, Google zum effektivsten,<br />
kreativsten und angenehmsten Ort zum<br />
Arbeiten zu machen“, erklärt Cornelia Florig,<br />
Market HR Cluster Lead Germany & Austria<br />
bei Google.<br />
Eine Herausforderung, die viele Medienunternehmen<br />
aktuell umtreibt: Wie schafft<br />
man in einer hybriden Arbeitssituation eine<br />
produktive Meeting-Atmosphäre? Vernetzte<br />
Outdoor-Arbeitsplätze, virtuelle Whiteboards<br />
und runde Meeting-Boxen mit großen integrierten<br />
Screens sorgen bei Google dafür, dass<br />
die Mitarbeiter:innen künftig unabhängig<br />
vom physischen Arbeitsort reibungslos kommunizieren<br />
können. Und die Überlegungen<br />
zu neuen Arbeitskonzepten haben gerade<br />
erst begonnen, so Cornelia Florig: „Als datengetriebenes<br />
Unternehmen gehen wir mit<br />
Innovationsgeist an Pilotprojekte heran und<br />
führen währenddessen genaue Beurteilungen<br />
durch, damit wir uns auf der Grundlage der<br />
gewonnenen Erkenntnisse anpassen können.<br />
Ein wichtiger Faktor ist dabei das regelmäßige<br />
Feedback unserer Kolleg:innen. Nur so<br />
können wir Entscheidungen über unseren<br />
künftigen Arbeitsplatz vollumfänglich fällen.”<br />
<strong>XPLR</strong>: MORE<br />
Noch mehr gute<br />
Beispiele für Medienunternehmen<br />
und New Work<br />
findest Du auf<br />
xplr-media.com<br />
<strong>XPLR</strong>: MEDIA in Bavaria –<br />
Räume flexibel nutzen<br />
Bis 2<strong>02</strong>0 bildete der Eventspace der Medien.Bayern<br />
GmbH das Herz der Firmenräumlichkeiten in<br />
München. Das Unternehmen, zu dem neben <strong>XPLR</strong>:<br />
MEDIA in Bavaria unter anderem die Medientage<br />
München gehören, nutzte ihn regelmäßig für Veranstaltungsformate<br />
mit bis zu 100 Teilnehmer:innen.<br />
Um digitale Veranstaltungen professionell produzieren<br />
zu können und ein gutes Nutzererlebnis zu<br />
schaffen, wurde der Eventspace nach Ausbruch der<br />
Pandemie kurzerhand umfunktioniert: Stühle und<br />
Konferenztische wichen einem professionellen Studio-Setting<br />
zum Streamen von Online-Events. Auch<br />
in Zukunft wird das modular aufgebaute Studio bestehen<br />
bleiben und der Eventspace flexibel für analoge<br />
oder digitale Events genutzt. „Die Coronapandemie<br />
hat uns gezeigt, dass wir flexibel sein müssen<br />
und vor Veränderung nicht zurückschrecken dürfen.<br />
Mit unserem Studio haben wir das umgesetzt. Raumkonzepte<br />
neu zu denken, ist ein wichtiger Schritt auf<br />
dem Weg in die Arbeitswelt von morgen“, sagt Stefan<br />
Sutor, Geschäftsführer der Medien.Bayern GmbH.<br />
FOTOS: GOOGLE LLC (2), SEBASTIAN WIDMANN PHOTOGRAPHY, ASTRID ACKERMANN<br />
54
Unsere Arbeitswelt ist im Umbruch: Firmen organisieren sich neu und<br />
Anforderungen an Mitarbeiter:innen ändern sich. Business Coach Ines<br />
Thomas gibt Tipps, wie New Work in Medienunternehmen gelingt.<br />
Frau Thomas, wie ändert sich die<br />
Firmenkultur deutscher Medienhäuser<br />
mit New Work?<br />
INTERVIEW<br />
MICHÈLE LOETZNER<br />
„NEW WORK<br />
BEDEUTET,<br />
ARBEIT<br />
MENSCHLICHER<br />
ZU MACHEN.“<br />
New Work ist als Buzzword ein Sammelbegriff<br />
für all die grundlegenden Veränderungen,<br />
die durch Digitalisierung und<br />
gesellschaftlichen Wandel die Anforderungen<br />
an Führung und Organisation neu<br />
definieren. Aus meiner Sicht geht es bei<br />
New Work nicht darum, Arbeit „neu“ zu<br />
machen, sondern besser. Und mit<br />
besser meine ich: menschlicher.<br />
Was bedeutet das für<br />
Medienunternehmen?<br />
Unternehmen müssen Arbeitsumfelder<br />
schaffen, in denen Menschen sich mit<br />
ihrer Individualität und ihren Talenten<br />
angstfrei einbringen können. Die Herausforderung<br />
ist, die passende Interpretation<br />
für die New-Work-Bedürfnisse der<br />
Mitarbeitenden zu finden: Für welchen<br />
Mitarbeitertypus will ich als Unternehmen<br />
attraktiv sein? Welche Ansprüche haben<br />
diese Menschen an Zusammenarbeit,<br />
Strukturen, Führung? Welche Aspekte<br />
von New Work sind für unsere Kultur und<br />
strategischen Ziele geeignet? Hier kann es<br />
naturgemäß keine Lösung geben, die für<br />
alle passt. Medienunternehmen haben dabei<br />
die besondere Herausforderung, dass<br />
sich ihr Geschäftsmodell in sehr hoher<br />
Geschwindigkeit ändert und sie deshalb<br />
Arbeitsumfelder brauchen, in denen sich<br />
„traditionelle“ und „neue“ Medienwelt<br />
parallel gut entwickeln können.<br />
Nicht nur Unternehmen müssen sich<br />
anpassen, auch Mitarbeiter:innen. Welche<br />
neuen Skills werden in Zeiten von<br />
New Work erwartet?<br />
Arbeitsumfelder, die mehr Autonomie,<br />
Flexibilität und Sinnorientierung ermöglichen,<br />
bedeuten im Umkehrschluss, dass<br />
die Mitarbeitenden bereit sein sollten, Verantwortung<br />
zu übernehmen, aktiv zu gestalten<br />
und sich selbst weiterzuentwickeln.<br />
„Auch selbst organisierte,<br />
sehr autarke Teams<br />
brauchen einen klaren<br />
Rahmen, in dem<br />
sie ihren Job machen.“<br />
Das kann Druck verursachen. Woher<br />
wissen Arbeitnehmer:innen, welcher<br />
Arbeitstyp sie sind und was sie brauchen,<br />
um sich in einem Arbeitsumfeld<br />
wohlzufühlen?<br />
Eine Indikator-Frage ist: „Wann bin ich bei<br />
meiner Arbeit im Flow?“ Also, in welchen<br />
Momenten und Kontexten bin ich mit<br />
Leichtigkeit produktiv und kreativ und<br />
habe einen selbstverständlichen Zugang<br />
zu meinen Fähigkeiten? Über so eine<br />
bewusste Reflexion lassen sich förderliche<br />
Faktoren im Umfeld leichter erkennen.<br />
Wie wichtig sind Strukturen bei New-<br />
Work-Modellen?<br />
Auch selbst organisierte, sehr autarke<br />
Teams brauchen einen klaren Rahmen, in<br />
dem sie ihren Job machen. Diesen Orientierungsrahmen<br />
zu schaffen, ist weiterhin<br />
eine wichtige Aufgabe der Führungskraft.<br />
Gerade bei Remote und Hybrid Work<br />
braucht es ein gemeinsames Verständnis<br />
davon, wie die Kommunikation und<br />
Zusammenarbeit im Team organisiert<br />
wird. Teams sollten sich Meeting-Routinen<br />
und verbindliche Regeln geben: Egal, ob<br />
Mail, Video-Call, Chat. Es muss klar sein:<br />
Welches Medium nutzen wir wofür? Welche<br />
Themen gehören ins Daily-Stand-up-<br />
Meeting – und welche Fragen klären wir<br />
besser im 1:1-Gespräch? Um sich vor Burnout<br />
und Überlastung durch eine „Always<br />
on“-Mentalität zu schützen, sollten wir vor<br />
allem im Homeoffice bewusst Grenzen<br />
ziehen und Auszeiten nehmen.<br />
Welche Funktionen erfüllen Büros zukünftig?<br />
Eine Entwicklung ist, dass sich das Büro<br />
vom Arbeitsort zum Begegnungsort<br />
wandelt. Ein zeitgemäßes Raumkonzept<br />
schafft ein gutes Umfeld, in dem Menschen<br />
einander begegnen, um an ihren<br />
Themen im Austausch gut arbeiten zu<br />
können. Das physische Büro sollte die erwünschte<br />
Unternehmenskultur spiegeln<br />
und stärken. Wie soll es sich anfühlen, bei<br />
uns, mit uns zu arbeiten? Wie wird dieses<br />
Gefühl im Raum erlebbar? Ich bin immer<br />
wieder fasziniert, wie intensiv Raumstrukturen<br />
und -atmosphären Unternehmenskulturen<br />
reflektieren und prägen.<br />
55
ENTSCHEIDUNGSBAUM<br />
W<br />
START<br />
Ich bin da flexibel<br />
DAS BESTE AM<br />
HOMEOFFICE<br />
IST ...<br />
E<br />
R<br />
BIN<br />
MY<br />
DESK IS<br />
MY<br />
CASTLE<br />
Wer braucht<br />
2<strong>02</strong>1 noch<br />
einen<br />
Schreibtisch?<br />
Ich teile vieles,<br />
aber nicht meinen<br />
Arbeitsplatz<br />
Mein Smartoffice<br />
mit dem perfekten<br />
Multiroom-Sound<br />
DIESER TAB<br />
IST BEI<br />
MIR IMMER<br />
OFFEN<br />
I<br />
C<br />
H<br />
?<br />
56<br />
BUSINESS-<br />
LUNCH ODER<br />
JOGGING-<br />
HOSE? IMMER<br />
ERREICHBAR<br />
ODER<br />
NINE TO FIVE:<br />
FINDE HERAUS,<br />
WELCHER<br />
NEW-WORK-TYP<br />
DU BIST.<br />
DIE<br />
MITTAGS-<br />
PAUSE ...<br />
Findet in der Kantine statt,<br />
da weiß ich, was ich bekomme<br />
ILLUSTRATION: JONATHAN CALUGI<br />
Ist für<br />
Business-<br />
Lunches<br />
gebucht!<br />
Bietet sich<br />
an, um die<br />
neuesten<br />
Food-Hotspots<br />
auszuchecken<br />
MEIN<br />
SLACK-<br />
STATUS<br />
LAUTET:<br />
„Bitte nur per Mail<br />
kontaktieren“<br />
Der<br />
Nachrichten-<br />
Ticker!
Mein Outfit:<br />
oben Business,<br />
unten<br />
Party!<br />
Die tägliche Dosis<br />
Matcha-Latte nach<br />
der Yoga-<br />
Morgenroutine<br />
WENN<br />
ICH<br />
MORGENS<br />
AUFWACHE<br />
Scrolle ich<br />
zuerst durch<br />
meinen Social<br />
Media Feed<br />
Streame ich noch schnell<br />
eine Folge der neuen<br />
Hype-Serie!<br />
Checke ich<br />
die wichtigsten<br />
Branchen-<br />
Newsletter<br />
VIDEO-<br />
KONFE -<br />
RENZEN<br />
Finden<br />
bei mir<br />
prinzipiell<br />
ohne<br />
Kamera<br />
statt!<br />
Machen<br />
meinen<br />
Business-<br />
Alltag<br />
effektiver!<br />
FLEXI-<br />
FAN<br />
LinkedIn, die<br />
Reichweite baut sich<br />
schließlich nicht von<br />
allein auf!<br />
Vor lauter Tabs<br />
sehe ich den<br />
Browser nicht<br />
mehr<br />
Sorgen dafür,<br />
dass in Venedig<br />
wieder Delfine<br />
schwimmen<br />
ALWAYS-<br />
ON<br />
SO<br />
ME ...<br />
Mein Kaffee<br />
hat gerade<br />
die Tastatur<br />
geflutet<br />
IM BÜRO<br />
FINDET<br />
MAN<br />
MICH ...<br />
Beim Chef, die<br />
Beförderung<br />
kommt schließlich<br />
nicht von allein<br />
OFFICE-<br />
HIPSTER<br />
„Heute<br />
16 Uhr Biergarten,<br />
wer<br />
ist dabei?<br />
„Call-Marathon,<br />
antworte asap!“<br />
Die Chance auf<br />
mehr Kreativität und<br />
Flexibilität<br />
NEW<br />
WORK<br />
IST FÜR<br />
MICH ...<br />
Hinter<br />
verschlossenen<br />
Türen!<br />
New<br />
what?<br />
Im Writers’ Room,<br />
die catchieste<br />
Headline draften<br />
TRADITIONALIST:IN<br />
AUFLÖSUNG
HERO STORY<br />
WELCHER NEW-WORK-TYP BIST DU?<br />
A<br />
U<br />
F<br />
L<br />
Ö<br />
S<br />
U<br />
N<br />
G<br />
:<br />
FLEXI-FAN<br />
Während andere im<br />
Home office verzweifeln,<br />
geht der Flexi-Fan hier<br />
richtig auf. Für ihn ist es<br />
der beste Weg, sein Privatleben<br />
und die Medienarbeit<br />
unter einen Hut zu<br />
bekommen. Oben schick<br />
fürs nächste Zoom-Meeting,<br />
darf es untenrum<br />
auch mal die Jogginghose<br />
sein. Es wird getextet und<br />
gekocht, Videos geschnitten<br />
und die Wäsche aufgehängt. Wenn ein Boss<br />
denkt, hier geht Arbeitszeit verloren, irrt er sich<br />
gründlich: Der Flexi-Fan geht in seiner neu gewonnenen<br />
Freiheit so auf, dass seine Kreativität<br />
und sein Output ungeahnte Höhen erreichen.<br />
<strong>XPLR</strong>: Die wichtigsten Infos aus der Medienbranche<br />
bekommt der Flexi-Fan in unserem<br />
Newsletter – selbstverständlich to go.<br />
OFFICE-HIPSTER<br />
Selbstverwirklichung und die richtige Work-<br />
Life-Balance sind die Go-to-Keywords des<br />
Office-Hipsters. Bevor er morgens in die Gänge<br />
kommt, checkt er seine Social Feeds und hört<br />
in seinem Lieblings-Medienpodcast nach, was<br />
in nächster Zeit Thema wird. Der Office-Hipster<br />
braucht die Abwechslung zwischen Büro und<br />
mobilem Arbeiten. Für die Extraportion<br />
Kreativität geht er in den Writer’s Room oder versucht<br />
sich an alternativen Arbeitsmethoden wie<br />
Design-Thinking.<br />
<strong>XPLR</strong>: Wo sich die Branche trifft, erfährt der Office-Hipster<br />
in unserem Eventkalender.<br />
ALWAYS-ON<br />
Über Slack, Twitter und LinkedIn, auf Smartphone,<br />
Smartwatch und Laptop – Always-ons<br />
lieben es, immer und überall erreichbar zu sein.<br />
Sie sind geborene Vernetzer:innen, die sich am<br />
liebsten mit Kolleg:innen auf Messen, im Büro<br />
oder in Zoom-Calls austauschen. Mobiles Arbeiten<br />
ist für sie unverzichtbar und sie treiben mit<br />
ihrem Ehrgeiz und ihrer Begeisterung Innovationen<br />
in der Medienbranche voran.<br />
<strong>XPLR</strong>: Mit unserer Media Map behält der Alwayson<br />
die bayerische Medienbranche beim Vernetzen<br />
im Blick.<br />
TRADITIONALIST:IN<br />
Traditionalist:innen<br />
schätzen Routinetermine<br />
wie die<br />
morgendliche Themenkonferenz, die Struktur<br />
ins Arbeitsleben bringen. Dank ihrer sorgfältigen<br />
und effizienten Art ist auf sie immer Verlass.<br />
Während sich ihre Kolleg:innen voreilig auf neue<br />
Technologien und Gadgets stürzen, hinterfragen<br />
Traditionalist:innen gerne mal den neuesten<br />
New-Work-Trend, bis sie sich sicher sind, dass er<br />
sie in ihrer Arbeit weiterbringt. Mit Desk-Sharing<br />
können sie schon allein deshalb nichts anfangen,<br />
weil jemand ihre personalisierte Tasse benutzen<br />
könnte.<br />
<strong>XPLR</strong>: Branchenwissen, übersichtlich aufbereitet,<br />
bekommen Traditionalist:innen in unseren<br />
Reports – gern auch ausgedruckt.<br />
58
Du machst irgendwas mit<br />
Medien und Innovation ist für Dich<br />
mehr als ein Buzzword?<br />
MAGAZIN<br />
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”<br />
µ<br />
REPORTS<br />
& STUDIEN<br />
k<br />
¸<br />
MEDIA<br />
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LETTER<br />
e<br />
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<strong>XPLR</strong>-MEDIA.COM<br />
59
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xplr-media.com