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WeltBlick 1/2022

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»Ein Krieg gegen die<br />

MENSCHLICHKEIT«<br />

Aus Russland geflohen: Erzbischof Dietrich Brauer<br />

Dietrich Brauer setzte sich für den Frieden ein – und musste anschließend<br />

mit seiner Familie aus Russland fliehen. Der 39-Jährige ist Erzbischof<br />

der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland (ELKR). Er<br />

stammt aus einer russlanddeutschen Familie und hält sich gegenwärtig<br />

in Deutschland auf. Im Interview spricht er über den Krieg in der<br />

Ukraine und die Situation und Rolle der Kirchen in dieser Situation.<br />

INTERVIEW: MAGDALENA SMETANA<br />

Als wir kurz nach dem Ausbruch des Ukraine-<br />

Kriegs miteinander per Zoom gesprochen haben,<br />

sagten Sie: »Jetzt ist die Grenze überschritten,<br />

jetzt kann ich nicht mehr schweigen.« Was genau<br />

war der Moment, der Sie zum Umdenken brachte?<br />

DIETRICH BRAUER: Am 24. Februar um 6 Uhr<br />

bin ich in einer neuen Welt aufgewacht. Zwei<br />

Tage vorher wären wir noch bereit gewesen,<br />

Gespräche zu führen und uns anzupassen oder<br />

uns neu zu orientieren. Aber an diesem Morgen<br />

habe ich gespürt: Das geht nicht mehr. Ich<br />

hoffte, dass es ein Fake ist. Aber dann nahm ich<br />

mit den Kollegen in der Ukraine und Geschwistern<br />

in den Partnerkirchen Kontakt auf, und es<br />

war klar: Jetzt gibt es kein ABER mehr.<br />

Welches ABER meinen Sie?<br />

DIETRICH BRAUER: Unsere Kirche hat immer<br />

wieder nach Lösungen gesucht. Ich in meiner<br />

Position habe versucht, Brücken zu bauen, zu<br />

vermitteln und Verständnis für beide Seiten aufzubringen.<br />

Ich war vorsichtig, auch als die Krim<br />

Russland angeschlossen wurde und gegenüber<br />

den Geschehnissen im Donbas. Auch da haben<br />

wir auf Dialog gesetzt und gemeinsam überlegt,<br />

wie wir die Gemeinden unterstützen können.<br />

Jetzt war aber die Grenze erreicht.<br />

DIETRICH BRAUER: Ja, es kam noch schlimmer.<br />

Das ist unvorstellbar. Wir durften in Russland<br />

nicht vom Krieg sprechen, nicht für den Frieden<br />

beten und keinen Kontakt zu unseren ukrainischen<br />

Geschwistern aufnehmen.<br />

Sie haben am Sonntag nach dem Ausbruch des<br />

Krieges im Gottesdienst klare Worte gefunden.<br />

Wie waren die Reaktionen?<br />

DIETRICH BRAUER: Ich hatte befürchtet, die<br />

Menschen würden es entweder nicht glauben<br />

oder kleinreden oder die Schuld bei beiden Parteien<br />

suchen. Aber ich war positiv überrascht,<br />

wie gut die Predigt ankam. Ich war nicht politisch,<br />

aber ich war klar. Ich sprach vom Krieg<br />

und vom Gefühl der Ohnmacht, das viele<br />

gespürt, aber keine Worte dafür hatten. Es ist wie<br />

ein enger Raum, aus dem kein Entkommen ist.<br />

Viele weinten, sprachen über ihre Ängste, und es<br />

war eine große Dankbarkeit da.<br />

38 <strong>WeltBlick</strong> 1/<strong>2022</strong>

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