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220_StadtBILD_November_2021

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Das Motiv (Altstadt mit Nikolaiturm und Peterskirche) auf unserer Titelseite finden Sie in unserem neuen Günter Hain Kalender 2022/23.


Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Vorwort<br />

Eine Stadt wie Görlitz ist ein lebendes Geschichtsbuch.<br />

Bald in jedem Haus, an jeder Ecke hat sich irgend etwas<br />

abgespielt, hat jemand von Bedeutung gewohnt oder<br />

gearbeitet. Mal waren Mensch oder Ereignis wichtiger,<br />

mal weniger bedeutend. Die Einschätzung hängt immer<br />

auch vom jeweiligen Betrachter und der Sicht einer<br />

Zeit ab. Wenn man will, dann braucht man nur ein<br />

wenig an der Fassade der heutigen Stadt zu kratzen,<br />

und schnell kommt ihre Geschichte zum Vorschein.<br />

Eine Stadt lebt von ihrer Vergangenheit, sie sollte auch<br />

mit ihrer Vergangenheit leben. Die Erinnerung an bekannte<br />

Familien und Persönlichkeiten, deren Ruhestätten<br />

sich auf Görlitzer Friedhöfen befinden, lassen<br />

einen wichtigen Teil unserer Stadtgeschichte lebendig<br />

werden.<br />

Auf dem Städtischen Friedhof Görlitz gibt es zahlreiche<br />

Grabanlagen aus verschiedenen Kriegen, insbesondere<br />

die des Ersten Weltkrieges ist eindrücklich. Einmalige<br />

Ereignisse in der Weltgeschichte hatten dazu geführt,<br />

dass zwischen 1916 und 1919 über 7.000 Soldaten<br />

und Offiziere des IV. Griechischen Armeekorps in Görlitz<br />

lebten. Viele von ihnen starben an den Folgen von<br />

Krankheiten, insbesondere der Spanischen Grippe. Im<br />

Laufe mehrerer Jahre ist eine interessante Gedenkanlage<br />

entstanden, in der noch sieben Grabmale erhalten<br />

sind, unter anderem das des Oberst Chatzopulos.<br />

Ein ganz kleiner Mann mit ganz großem Geist voller<br />

Görlitzer Stadtgeschichte ist am 4. Dezember 2020<br />

von uns gegangen. Zahlreiche Publikationen und Ausstellungen<br />

sowie seine Vortragstätigkeit haben ihn<br />

bekannt gemacht und weisen ihn als Kenner der Geschichte<br />

der Stadt aus. Nun soll Ernst Kretzschmar am<br />

13. <strong>November</strong>, dem Vortag des Volkstrauertages, auf<br />

dem Friedhof mit einer eigenen Gedenkplatte besonders<br />

gewürdigt werden. Evelin Mühle (EB Städtischer<br />

Friedhof Görlitz) wird die Platte bei Ihrer Friedhofsführung<br />

am 13. <strong>November</strong> einweihen.<br />

„Zu guter Letzt“, so lautet eine ungewöhnliche Ausstellung<br />

zum (Weiter)leben.<br />

Die Erinnerung an geliebte Menschen zu erhalten – das<br />

war und ist zu allen Zeiten ein wichtiges Bedürfnis für<br />

Familien und Freunde. Früher fertigte man dafür gern<br />

kleine Kunstwerke an. Der Städtische Friedhof Görlitz<br />

erwarb von einem Sammler eine solche Kollektion von<br />

etwa 280 Bildern und Stücken, die eine verschwundene<br />

Kultur des Umgangs mit Leben und Tod, Gedenken und<br />

Erinnern, Ermahnen wie Erfreuen bezeugen. Die angekauften<br />

Exponate stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert<br />

und hingen ursprünglich in Wohnungen oder<br />

fanden bei Trauerzeremonien Verwendung. Sie geben<br />

Einblick in ein kaum bekanntes und wenig erforschtes<br />

Gebiet der individuellen, privaten Trauerkultur. Die<br />

Formen des Erinnerns an Verstorbene waren dabei vielfältig.<br />

Und was ist heute? Wie trauern wir heute? Was<br />

kann heute helfen? Die Exponate werden in der Alten<br />

Feierhalle auf dem Städtischen Friedhof in einer Dauerausstellung<br />

präsentiet. Im Frühjahr oder Frühsommer<br />

2022 ist Eröffnung. Dann wird es zwischen Frühjahr<br />

und Herbst - die Halle ist nicht beheizbar - Führungen<br />

geben. Evelin Mühle und Matthias Wenzel jedenfalls<br />

haben dann eine ganze Menge zu erzählen. Um das<br />

alles Umzusetzen ist der EB Städtischer Friedhof Görlitz<br />

auf Spenden angewiesen. Mit Spendengeldern und<br />

Sponsoren investiert der Friedhof gezielt in die Ausstellung,<br />

die anders nicht realisierbar wäre.<br />

Auch unser <strong>StadtBILD</strong>-Verlag wird noch einmal ausführlich<br />

auf die Ausstellung „Zu guter Letzt“ aufmerksam<br />

machen.<br />

Ihr Team vom <strong>StadtBILD</strong>-Magazin<br />

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Einleitung<br />

3


Kriegsgräber in Görlitz –<br />

in Görlitz<br />

Friedhöfe sind aufgeschlagene Geschichtsbücher<br />

…<br />

Und so ist es nicht verwunderlich, dass<br />

besonders die Kriege ihre Spuren auf ihnen<br />

hinterlassen haben. Auf dem Städtischen<br />

Friedhof gibt es zahlreiche Grabanlagen<br />

aus verschiedenen Kriegen,<br />

Kampfhandlungen und politischen Auseinandersetzungen.<br />

Sie spiegeln die deutsche<br />

Geschichte wider und die der Stadt<br />

im Besonderen.<br />

Der Städtische Friedhof wurde 1847 angelegt,<br />

die ältesten Grabanlagen befinden<br />

sich um die Alte Feierhalle herum, direkt<br />

oberhalb des Nikolaikirchhofes. Mit der<br />

Bestattung von Gottlob Ludwig Demiani<br />

wurde im Dezember 1847 der Friedhof<br />

eröffnet. Schon wenige Jahre später, 1867<br />

und 1904 ließ die Stadt den im Preußisch-<br />

Österreichischen Krieg (1966) und im<br />

Deutsch-Französischen Krieg (1870/71)<br />

gefallenen und in Lazaretten verstorbenen<br />

Soldaten Denkmale errichten. Zuerst<br />

der große, helmgeschmückte, beeindruckende<br />

Obelisk aus Sandstein, später die<br />

Grabsteine für 144 Preußen, 9 Franzose, 4<br />

Sachsen und 34 Österreicher. Die Anlage<br />

befindet sich auf dem Alten Friedhofsteil,<br />

unweit der Grabstelle der Minna Herzlieb.<br />

Leider ist die Oberfläche des großen Obelisken<br />

in Teilen bereits stark verwittert.<br />

Die Spuren des 1. Weltkrieges sehen wir<br />

eindrucksvoll in einem Gräberfeld auf dem<br />

neuen Friedhofsteil. 471 Männer aus ganz<br />

Deutschland wurden hier bestattet. Den<br />

Mittelpunkt bildet die Denkmalanlage als<br />

4<br />

Geschichte


eine unvollständige Analyse<br />

Kriegsgräber in Görlitz<br />

monumentales Mahnmal. Es hat eine interessante<br />

Geschichte: bereits 1920 wurde<br />

begonnen, in Görlitzer Vereinen und der<br />

Bürgerschaft Geld zu sammeln für eine Gedenkanlage.<br />

Groß und mächtig sollte sie<br />

werden – aber das gesammelte Geld war<br />

durch die Inflation wertlos geworden. Militär-<br />

und Kriegervereine begannen nach<br />

Herstellung stabiler Finanzverhältnisse<br />

erneut zu sammeln. Die Görlitzer Architekten<br />

Kreidel und Pantke entwarfen die<br />

Pläne und die Firmen Maiwald (Bauunternehmer)<br />

und Däunert (Steinmetzarbeiten)<br />

realisierten das Projekt. Die Einweihung<br />

am 30. Mai 1926 beschäftigte die „Görlitzer<br />

Nachrichten“ mehrere Tage lang, ein<br />

großes Ereignis. Es existieren Fotos von<br />

Robert Scholz; sie zeigen junge Mädchen<br />

und Frauen in weißen Kleidern, daneben<br />

die Honoratioren der Stadt, im Hintergrund<br />

die fahnenschwenkenden Militärund<br />

Kriegervereine. … Nicht mehr lange<br />

bis 1933.<br />

Auch in die Zeit des 1. Weltkrieges gehört<br />

die besondere Geschichte der Griechen in<br />

Görlitz. Im September 1916 waren über<br />

7.000 Griechen in Eisenbahnwaggons in<br />

die Stadt gekommen. Das IV. Griechische<br />

Armeekorps sollte hier politisches Asyl<br />

erhalten und wurde herzlich willkommen<br />

geheißen. Interessante Begebenheiten<br />

müssen sich zugetragen haben, so kann<br />

man es zumindest den damaligen Zeitungen<br />

entnehmen. Seit der Wende haben<br />

sich griechische und deutsche Historiker<br />

und Militärforscher mit dieser einmaligen<br />

Nebengeschichte des 1. Weltkrieges beschäftigt.<br />

Zeitgleich mit dem Aufenthalt der Griechen<br />

von 1916 bis 1919 grassierte die Spanische<br />

Grippe in Görlitz, in Europa, in der<br />

Welt. 133 griechische Soldaten, Offiziere,<br />

Mannschaftsangehörige verloren ihr Leben<br />

und fanden auf dem Neuen Friedhof<br />

ihre letzte Ruhestätte. Irgendwann gerieten<br />

die Gräber in Vergessenheit. Im wahrsten<br />

Sinne war Gras darüber gewachsen.<br />

Erst in den 90er Jahren wurden bei Aufräumungsarbeiten<br />

am Rand des Grabfeldes<br />

die 7 Obelisken gefunden, die heute in der<br />

griechischen Grabanlage zu sehen sind.<br />

Seit dem Auffinden der historisch wertvollen<br />

Steine gab es unzählige Begegnungen<br />

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Geschichte<br />

5


Kriegsgräber in Görlitz –<br />

in Görlitz<br />

Beide Fotos: Grabanlage 1. Weltkrieg<br />

mit Griechen, Botschafter, Militärattachés,<br />

griechische Vereine, Mitglieder des Konsulats,<br />

Historiker, Presse, Fernsehen …<br />

Im Laufe mehrerer Jahre ist eine interessante<br />

Gedenkanlage entstanden, in der<br />

auch der 1918 verstorbene Oberst Chatzopulos<br />

seine letzte Ruhe fand.<br />

Aus dem 2. Weltkrieg gibt es 677 Gräber<br />

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6<br />

Geschichte


eine unvollständige Analyse<br />

Kriegsgräber in Görlitz<br />

auf dem Städtischen Friedhof. Außerdem<br />

Gräber auf den Friedhöfen in Rauschwalde,<br />

Weinhübel, Kunnerwitz, Ludwigsdorf,<br />

Tauchritz und auf dem Jüdischen Friedhof.<br />

Fast in jeder Gemeinde im Umland befinden<br />

sich Kriegsgräber auf dem Friedhof<br />

oder in Parkanlagen, wie in Königshain.<br />

In vielen Kirchen und auf Denkmalen werden<br />

außerdem die Toten der jeweiligen<br />

Ortschaft auf Tafeln genannt. Die für die<br />

Kriegsgräber im Land Sachsen zuständige<br />

Landesdirektion für Familie und Soziales<br />

in Chemnitz registriert auf 142 Friedhöfen<br />

11.139 Kriegstote. Hinter den nüchternen<br />

Zahlen stecken dramatische Geschehnisse,<br />

traurige Familienschicksale, junge tote<br />

Männer.<br />

Die größte städtische Anlage ist mit 606<br />

Kriegstoten (deutsche Soldaten) auf dem<br />

Neuen Friedhof. Erst 1995 erhielt sie ein<br />

großes Holzkreuz als gemeinsames Denkmal.<br />

Vor einigen Jahren betteten wir die<br />

Urne mit den Ascheresten der Emma<br />

Schön in eine Nebenreihe. Sie ist ein Opfer<br />

der Euthanasie, starb in Pirna-Sonnenstein<br />

und wurde ursprünglich von der Familie<br />

in einem ganz normalen Urnenreihengrab<br />

Grabmal des Oberst Chatzopulos<br />

bestattet. Erst im Zusammenhang mit der<br />

Einebnung des Grabfeldes kam ihre Geschichte<br />

ans Licht und wir konnten den<br />

Namen den anderen Kriegstoten zufügen.<br />

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Geschichte<br />

7


Kriegsgräber in Görlitz –<br />

in Görlitz<br />

Grabanlage 1. Weltkrieg<br />

Auch die Gräber verstorbener Zwangsarbeiter<br />

aus Polen und der damaligen Sowjetunion<br />

sind Zeugnisse eines traurigen<br />

Kapitels deutscher Geschichte. Wir finden<br />

sie auf dem Städtischen Friedhof und in<br />

Rauschwalde. Auf dem Jüdischen Friedhof<br />

ist den Opfern des Lagers Biesnitzer Grund<br />

eine Denkmalanlage gewidmet. Ein erster<br />

Gedenkstein stammt aus dem Jahr 1951,<br />

eine neue Anlage von 2015. Bei Friedhofsführungen<br />

auf dem Jüdischen Friedhof<br />

wird über sie berichtet.<br />

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8<br />

Geschichte


eine unvollständige Analyse<br />

Kriegsgräber in Görlitz<br />

Griechische Grabanlage<br />

Und dann gibt es noch viele kleine Denkmal-<br />

und Gedenkanlagen, an denen an<br />

Kriegsopfer erinnert wird. Teilweise sind<br />

es rührende Geschichten, die sich im Laufe<br />

der Jahre in einer Friedhofsverwaltung<br />

ansammeln. Geschichte/n über die Frauen<br />

vom Postplatz oder die Bautzenopfer, über<br />

gesammelte Grabplatten und besondere<br />

Erinnerungsorte. Wir erzählen sie bei unseren<br />

Friedhofsführungen.<br />

Seit vielen Jahren gibt es immer am Tag vor<br />

dem Volkstrauertag eine Friedhofsführung<br />

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Geschichte<br />

9


Kriegsgräber in Görlitz –<br />

in Görlitz<br />

zu den Kriegsgräbern des Städtischen<br />

Friedhofes. Sie heißt „Unvergessen“. Viele<br />

Jahre lang führten Dr. Kretzschmar mit mir<br />

zusammen, egal bei welchem Wetter. Gerade<br />

diese Führung war ihm immer wichtig.<br />

Selbst seit vielen Jahren Mitglied im<br />

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge<br />

e. V., war es ihm immer ein Anliegen, die<br />

Geschichte weiterzugeben. Immer war<br />

ihm gerade auch die Nennung der Frauen,<br />

der Mütter und Ehefrauen wichtig, die so<br />

viel erdulden mussten. Und immer war es<br />

auch Mahnung: Nie wieder Krieg!<br />

Am 4. Dezember 2020 ist Dr. Kretzschmar<br />

gestorben. Im Januar wurde seine Urne in<br />

einer Urnengemeinschaftsanlage beigesetzt,<br />

genauso wie er es sich gewünscht<br />

hatte. Die Grabanlage befindet sich nahe<br />

der Kriegsgräber des 1. Weltkrieges, ein<br />

Ort, der ihm wichtig war. Durch Spenden<br />

war es möglich, eine persönliche Gedenkplatte<br />

zu finanzieren. Sie soll bei der Führung<br />

am 13.11.<strong>2021</strong> eingeweiht werden.<br />

Grabstein eines gefallenen Soldaten<br />

„Unvergessen!“ - Friedhofsführung zum<br />

Volkstrauertag<br />

Sonnabend, 13. <strong>November</strong>, 14:00 Uhr<br />

Treff: Freitreppe am Krematorium<br />

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10<br />

Geschichte


eine unvollständige Analyse<br />

Kriegsgräber in Görlitz<br />

Dr. Ernst Kretzschmar (verstorben am 4. Dezember 2020) Foto: Städtischer Friedhof<br />

Es wird um Spenden für den Volksbund<br />

Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. gebeten.<br />

Evelin Mühle, EB Städtischer Friedhof GR,<br />

Schanze 11 b, 02826 Görlitz, 28.10.<strong>2021</strong><br />

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Geschichte<br />

11


1585 – Die Pest in Görlitz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Bildnis des Bartholomäus Scultetus, Holzschnitt von Wendel<br />

Scharffenbergk, Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

Bis vor zwei Jahren glaubten<br />

wir kaum an die Möglichkeit<br />

einer Pandemie. Hygiene und<br />

Fortschritt schienen solcherart<br />

Gefahren in weite Ferne<br />

gerückt zu haben. Doch Anfang<br />

2020 begannen von<br />

Wuhan in China aus SARS<br />

COVID 19-Erreger ihren Siegeszug<br />

rund um den Erdball.<br />

Trotz moderner Medizin verloren<br />

Millionen Menschen ihr<br />

Leben.<br />

In den Städten des Mittelalters<br />

gehörten Epidemien regelmäßig<br />

zum menschlichen Leben<br />

dazu. Die tödlichste – die<br />

Pest, auch als Schwarzer Tod<br />

bezeichnet – führte zwischen<br />

1347 bis 1353 zu etwa 125 Millionen<br />

Todesfällen in Europa.<br />

In manchen dicht besiedelten<br />

Landstrichen starben bis zu<br />

drei Viertel der Bevölkerung.<br />

Görlitz wurde von dieser Pestwelle<br />

nicht getroffen. Fatale<br />

Folge aber war trotzdem die<br />

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12 Geschichte


1585 – Die Pest in Görlitz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Landkarte der Oberlausitz von Bartholomäus Scultetus 1593, Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

Vertreibung der jüdischen Familien im<br />

Jahr 1348 aus der Stadt.<br />

Aus den Ratsannalen wissen wir von<br />

zahlreichen Pestwellen. Allein sechs Mal<br />

wurde die Stadt im 15. Jahrhundert heimgesucht,<br />

so 1425, 1431, 1454, 1464, 1484<br />

und 1496. Weitere folgten in den Jahren<br />

1508 und 1521. Allerdings ist nicht immer<br />

sicher, ob es der Schwarze Tod war, der<br />

in Görlitz wütete oder ob es sich um eine<br />

andere hochansteckende Krankheit wie<br />

Typhus handelte. Zudem erscheinen die<br />

verzeichneten Todeszahlen nicht immer<br />

realistisch. 1521 sollen 1.600 Menschen in<br />

der Stadt verstorben sein. Belege fehlen<br />

jedoch. Anders sieht es mit der Epidemie<br />

im Jahre 1585 aus. In diesem Jahr dokumentierte<br />

der Ratsherr, Mathematiker,<br />

Astronom und Landmesser Bartholomäus<br />

Scultetus (1549 – 1614) den Verlauf der<br />

Krankheit und verzeichnete die Todesfälle<br />

in den sogenannten Pestzetteln. Diese<br />

sind zwar in Görlitz leider nicht mehr<br />

überliefert, wurden aber von dem Historiker<br />

Richard Jecht im Jahr 1933 für einen<br />

Artikel im Neuen Lausitzischen Magazin<br />

ausgewertet. Dieser ist Grundlage der folgenden<br />

Betrachtungen.<br />

Bereits im Sommer 1585 waren Pestfälle<br />

in Bautzen bekannt geworden. Von dort<br />

hatte eine Händlerin die Krankheit nach<br />

Görlitz verschleppt. Erste Opfer waren am<br />

14. August Thorsara und Valten Stolle, ein<br />

Ehepaar. Sofort fällte der Görlitzer Rat die<br />

Geschichte<br />

13


1585 – Die Pest in Görlitz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Entscheidung, die Kirmes abzusagen. Boten<br />

wurden ins Umland und zu befreundeten<br />

Städten gesandt, um über den<br />

Ausbruch der Krankheit in Görlitz zu informieren.<br />

Bereits am 3. September wurde<br />

das Gymnasium geschlossen. Immerhin<br />

lernten hier fast 600 Knaben nicht nur<br />

aus Görlitz, sondern aus der gesamten<br />

Oberlausitz, dem angrenzenden Böhmen<br />

und Schlesien. Wenige Tage später wurde<br />

das Verbot erlassen, auswärtige Besucher<br />

im Haus aufzunehmen und die Badestuben<br />

wurden geschlossen. Hochzeiten<br />

blieben zwar erlaubt, aber die Benutzung<br />

des großen Tanzsaales im Salzhaus wurde<br />

verboten. So regulierte man die Anzahl<br />

der Gäste bei Festlichkeiten. Gleichzeitig<br />

erteilte der Rat den Befehl, dass die<br />

Stadtgutbesitzer weiterhin ihre Waren<br />

auf den städtischen Markt zu bringen hatten,<br />

um die Versorgung der Bevölkerung<br />

mit Lebensmitteln nicht zu gefährden.<br />

Mit unserem heutigen Wissen über Corona<br />

erscheinen uns diese Anweisungen<br />

als notwendig und äußerst vernünftig.<br />

Für die Angestellten der Stadtverwaltung,<br />

die mit den Kranken zu tun hatten,<br />

wurden zwei Stuben in der Bastei hinter<br />

dem Marstall errichtet. Hier mussten der<br />

Prädikant (Prediger) und der Bader hausen.<br />

Für Kranke, die nicht zu Hause gepflegt<br />

werden konnten, wurden auf der<br />

„Wüstge“, einem Gartengrundstück vor<br />

dem Finstertor, Hütten errichtet, „damit<br />

die Kranken umso besser versorget werden<br />

können“.<br />

Wohnhäuser, in denen sich Infizierte aufhielten,<br />

markierte der Rat mit weißen<br />

Brettchen, auf die schwarze Kreuze gezeichnet<br />

waren.<br />

Die Zunftältesten bestellte man ins Rathaus,<br />

um ihnen Instruktionen für das Verhalten<br />

in Krankheitszeiten zu geben. Dieses<br />

hatten sie an ihre Mitmeister weiter zu<br />

reichen.<br />

Am 8. Oktober fand die letzte Ratssitzung<br />

im Rathaus statt. Die meisten Mitglieder<br />

dieses Gremiums hatten jedoch die Stadt<br />

schon verlassen. Viele reiche Bürger besaßen<br />

ganze Dörfer oder zumindest Dorfanteile.<br />

In den Gutshäusern waren sie weit<br />

weg von der dichten Besiedelung der<br />

Stadt, wo die Gefahr einer Ansteckung<br />

ungleich höher war als auf dem Lande.<br />

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14 Geschichte


1585 – Die Pest in Görlitz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Ausschnitt aus der Stadtansicht 1565 von Joseph Metzker und Georg Scharffenbergk,<br />

Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

Das große Sterben nahm im September<br />

und Oktober 1585 Fahrt auf. Jetzt musste<br />

sogar der Weinkeller geschlossen werden,<br />

nachdem zwei Kellerjungen gestorben<br />

waren. Bei aller Vorsicht und Isolation der<br />

Kranken – auf die Gottesdienste wurde<br />

nicht verzichtet. So steckten sich weiterhin<br />

viele Menschen an. In mancher Wo-<br />

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Geschichte<br />

15


1585 – Die Pest in Görlitz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Finstertor in Görlitz, Zeichnung von Johann Gottfried Schultz, Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

che, wie Anfang Dezember, starben bis zu<br />

272 Bürger. Der Totengräber schaffte mit<br />

seinen Gehilfen die Arbeit kaum noch,<br />

obwohl er fürstlich entlohnt wurde. Die<br />

psychische Belastung nahm bei ihm derart<br />

zu, dass er über die Maßen dem Alko-<br />

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16<br />

Geschichte


1585 – Die Pest in Görlitz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

hol zusprach. So musste er „ins Gewölbe“,<br />

gemeint ist das Gefängnis im Rathaus,<br />

gesetzt werden. Vor Weihnachten predigte<br />

der Pfarrer von der Kanzel, dass die<br />

Kranken bitte daheimbleiben mögen und<br />

die Vorstädter sollten sich der Christnacht<br />

fernhalten. Denn in den Vorstädten, besonders<br />

in der Nikolaivorstadt, wütete die<br />

Pest heftig. Bartholomäus Scultetus hatte<br />

beobachtet, dass in den dicht besiedelten<br />

Wohngegenden die Sterberate extrem<br />

hoch war. Vor dem Nikolaitor lebten vor<br />

dem Unglück in 227 Häusern 1471 Menschen.<br />

Nun waren 171 bewohnte Häuser<br />

von der Pest betroffen. Darin starben 739<br />

Bürger. Das heißt etwa die Hälfte der Einwohner<br />

der Nikolaivorstadt war tot. Im<br />

Vergleich zum Untermarkt werden soziale<br />

Unterschiede deutlich. Hier gab es 16<br />

bewohnte Gebäude mit 118 Bewohnern.<br />

In zwei Häusern waren Tote zu beklagen.<br />

Nur zwei Menschen starben. Die Bewohner<br />

waren vermutlich aufs Land geflohen<br />

oder hatten Unterschlupf bei Freunden in<br />

anderen Städten gefunden. Unser Stadtplan<br />

zeigt die Todesraten der einzelnen<br />

Straßen und Viertel farbig an.<br />

Als einer der wenigen Stadträte war Bartholomäus<br />

Scultetus seinen Pflichten als<br />

Ratsherr in dieser schweren Zeit nachgekommen.<br />

Er führte die Ratsrechnungen,<br />

nur er führte die Protokolle. Aber auch<br />

seine Familie war von der Pest betroffen,<br />

sein Stiefbruder und sein Neffe starben.<br />

Scultetus selbst nahm die Gevatterstelle<br />

beim Sohn des Büttners Israel Beyer<br />

an. Balzer Beyers beide Eltern verstarben<br />

während der Epidemie.<br />

Im Januar 1586 ließ die Macht der Krankheit<br />

rasch nach, so dass bereits im Februar<br />

das Gymnasium wiedereröffnet werden<br />

konnte und langsam Normalität in<br />

die Stadt einzog.<br />

Von den 9.096 Einwohnern von Görlitz<br />

waren von August 1585 bis Januar 1586<br />

genau 2.455 gestorben. Ein Viertel der<br />

Bevölkerung erlag demnach in Görlitz<br />

der Pest, innerhalb der Stadtmauer jeder<br />

Fünfte, außerhalb jeder Vierte. Die einzigartige<br />

Zusammenstellung der Toten von<br />

Bartholomäus Scultetus verdient heute<br />

große Beachtung. Zum ersten Mal lassen<br />

sich die unmittelbaren Lebensumstände<br />

mit Todesraten kombinieren. Er erbrachte<br />

Geschichte<br />

17


1585 – Die Pest in Görlitz<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Vogelschauplan von Görlitz mit eingezeichneten Sterberaten, bearbeitet von Ines Haaser und<br />

Tino Liebchen<br />

(unbewusst) den Beweis. In den kleinen,<br />

dicht bewohnten Häuschen der Vorstädte<br />

war die Ansteckungsgefahr viel höher<br />

als in den Kaufmannspalästen rund um<br />

den Untermarkt oder in der Petersgasse.<br />

Ines Haaser<br />

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18<br />

Geschichte


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil III)<br />

Berzdorf<br />

Bericht des Kollegen Elektroingenieur<br />

Alwin Hamann<br />

Das Problem Arbeitskräfte war in diesen<br />

Tagen verhältnismäßig einfach zu lösen.<br />

Weit schwieriger war die Beschaffung der<br />

nötigen Hilfsmaterialien, denn mit dem<br />

guten Willen der Arbeiter und ihrem eigenen<br />

Handwerkszeug konnte man unmöglich<br />

das Wasser auspumpen. Einen<br />

kleinen Einblick über die besonderen<br />

Schwierigkeiten der Situation aus den<br />

März-Tagen 1946 vermittelt uns die Schilderung<br />

des Kollegen Elektroingenieur Alwin<br />

Hamann:<br />

„Als ich am 16. März von Oberingenieur<br />

Mauersberger vom BKW Hirschfelde<br />

den Auftrag erhielt, für den Aufschluß<br />

des Tagebaues Berzdorf die erforderliche<br />

Stromversorgung einschließlich der<br />

gesamten Materialbeschaffung sicherzustellen,<br />

stand ich vor einem großen<br />

Teich - sonst war weit und breit nichts.<br />

Um den Inbetriebnahmetermin für den<br />

ersten Pumpensatz, den 1. April 1946, zu<br />

sichern, benötigten wir noch eine Hochund<br />

Niederspannungsanlage nebst den<br />

erforderlichen Umspannern, Schaltgeräten,<br />

Kabeln usw..<br />

Die Zugverbindungen nach allen Richtungen<br />

waren unterbrochen. Kein Fahrrad,<br />

kein Auto konnte ich auftreiben. Also,<br />

wo du hin willst, zu Fuß. Aber wohin? Wer<br />

hilft mit?<br />

Mein erster Weg war nach der Energieversorgung<br />

Görlitz. Die Antwort: „Nee, mein<br />

lieber Freund, Elektromaterial können<br />

wir dir beim besten Willen nicht geben.<br />

Nischt zu machen, haben selber nischt!“<br />

Am nächsten Tag ging ich zur Energieversorgung<br />

Zittau. Ich hatte die Türklinke<br />

noch in der Hand, da rief Kollege Ottenroth<br />

schon: „Hau ab, ich weiß schon, was<br />

du willst, ich habe selber nichts!“. Aber<br />

ich wußte, daß seine Verbindungen mir<br />

zum Vorteil sein konnten. Er sagte dann<br />

auch: „Wenn du Mut hast, dann sage ich<br />

dir einen ehemaligen Rüstungsbetrieb in<br />

der Oberlausitz, wo einiges Material, was<br />

du dringend brauchst, noch vorhanden<br />

ist. Beeile dich aber, sonst kommst du zu<br />

spät!“<br />

Es war ein weiter Weg. Im Rucksack ein<br />

paar Kartoffeln und einen Kanten Brot. Bei<br />

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Geschichte<br />

19


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil III)<br />

Berzdorf<br />

meiner Ankunft erwartete mich niemand.<br />

Als ich den Verwalter endlich gefunden<br />

hatte, schrie er mich mit verglasten Augen<br />

an: „Raus, du hässlicher Uhu! Was willst du<br />

hier?“<br />

Als wir uns doch verständigen konnten,<br />

erfuhr ich, dass das Stammwerk in Taucha<br />

bei Leipzig ist, ohne dessen Genehmigung<br />

aber nichts herausgegeben werden<br />

durfte. Ein durch den Bürgermeister der<br />

Gemeinde Schönau-Berzdorf organisiertes<br />

Auto brachte uns nach einem Achsenbruch<br />

in der Nähe von Dresden, der notdürftig<br />

von einem Schmied geschweißt<br />

wurde, nach Taucha. Die Verhandlungen<br />

führten zum Erfolg, und mit zwei Mann<br />

begann kurze Zeit später die Demontage<br />

in Niederoderwitz. Besondere Schwierigkeiten<br />

entstanden durch den Abtransport<br />

der Transformatoren und übrigen Materialien.<br />

Am 27. März 1946 rollte der erste Materialtransport<br />

nach Berzdorf. Meine Aufgabe<br />

bestand darin, weitere Materialien<br />

aus dem ehemaligen Rüstungsbetrieb für<br />

den Aufbau unseres Werkes sicherzustellen.<br />

Alle anwesenden Arbeiter in Niederoderwitz<br />

nahmen die Arbeit nur unter der<br />

Bedingung auf, wenn sie jeden Tag Mittagessen<br />

bekommen. So bestand meine Aufgabe<br />

auch darin, zusätzlich Kartoffeln und<br />

anderes Essbares bei den Bauern zu erwerben,<br />

was für mich nicht immer leicht war.<br />

Hier im Werk waren meine ersten Mitarbeiter<br />

auf dem elektrotechnischen Gebiet<br />

der Kollege Atzenroth, der Kollege Eduard<br />

Klug sowie der Kollege Anton Gorol.<br />

Der mir vom Generaldirektor Müller gestellte<br />

Termin konnte nicht eingehalten<br />

werden, obwohl die Fa. F. C. Schmalfuß,<br />

Dresden, die notwendigen Rohrleitungen<br />

gelegt hatte. Am 5. April erfolgte die Einschaltung<br />

des 1,6-kV-Pumpensatzes. Aber<br />

im gleichen Moment erfolgte auch die<br />

Ausschaltung. Durchschlag am Hochspannungskabel<br />

zum Motor. Die Auswechslung<br />

gegen ein anderes Kabel, das erst bei<br />

einem Berzdorfer Bauern gefunden werden<br />

mußte, war mit einem erheblichen<br />

Zeitverlust verbunden. Nach Fertigstellung<br />

des Kabelanschlusses erfolgte am 11.<br />

April 1946 die endgültige Inbetriebnahme<br />

des ersten Pumpensatzes. Dem ersten<br />

Pumpensatz folgten weitere, die vom BKW<br />

Hirschfelde herangebracht wurden. Durch<br />

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20<br />

Geschichte


Zeitzeugen und Zeitdokumente erzählen<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Abb. 1 Wasser ist im Wesentlichen abgepumpt<br />

Zufall erfuhr ich, dass in Niederoderwitz<br />

im Betrieb Kosa ein Großumspanner, den<br />

wir dringend benötigten, zur Verfügung<br />

stand.<br />

Nach der schwierigen Beschaffung eines<br />

Tiefladers erfolgte der Transport mittels<br />

5 Zugmaschinen, die alle mehr oder weniger<br />

Kriegsschäden aufzuweisen hatten,<br />

sowie für alle Fälle zwei weitere Reservemaschinen<br />

über Zittau, Ostritz, nach dem<br />

BKW Berzdorf.“<br />

Abb. 2 Das erste Wasser erreicht den Mühlgraben<br />

(links der sowjetische Kapitän Penigin, rechts<br />

Oberingenieur Mauersberger von ASW Hirschfelde<br />

Kollege Günter Poser, später Leiter der<br />

Materialverwaltung, berichtet aus dem<br />

Jahre 1946<br />

Um alle notwendig werdenden Arbeiten<br />

durchführen zu können, beauftragte nunmehr<br />

der Zweckverband weitere Firmen<br />

mit speziellen Aufgaben. „Ich arbeitete als<br />

Hilfsarbeiter bei einem Demontagekom-<br />

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Erinnerungen<br />

21


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil III)<br />

Berzdorf<br />

Abb. 3 Zufahrtsweg zur Grube von Tauchritz aus<br />

am 17.03.1946<br />

mando am Güterbahnhof Görlitz. Dabei<br />

erfuhr ich erstmalig von dem Versuch, in<br />

der Nähe von Görlitz einen alten Tagebau<br />

wieder nutzbar zu machen; und das war<br />

Berzdorf.<br />

Bei der Fa. Stecker & Co., Görlitz, konnte<br />

ich am 9. April 1946 als Tiefbauarbeiter<br />

anfangen. Diese Firma hatte den Auftrag,<br />

das ehemalige Zufahrtsgleis am Siebgebäude<br />

wieder herzustellen. Wir 18 Mitarbeiter<br />

dieser Firma waren stolz, einen<br />

Unterstellraum mit rohen Tischen und<br />

Bänken „organisiert“ zu haben. Um den<br />

Kaffee, die Kraut- oder Mehlsuppe mittags<br />

aufwärmen zu können, wurde aus Ziegelsteinen<br />

vor unserer Bude ein Küchenherd<br />

gebaut. Jeder von uns hatte abwechselnd<br />

Küchendienst und für die nötige Feuerung<br />

zu sorgen. Überall und zu jeder Zeit<br />

wurde nach zusätzlicher Verpflegung gesucht.<br />

Das seinerzeit auch Brennmaterial<br />

„organisiert“ wurde, können alle alten<br />

Werkschutzkollegen bestätigen.<br />

Ganz Ausgekochte kamen am Sonntag<br />

mit Pferdegespann vorgefahren und erklärten<br />

dem Werkschutz, Schwellen für<br />

die und die Baufirmen abzuholen. Es<br />

klappte. Eine besonders große Schwierigkeit,<br />

die fast unüberwindlich erschien, war<br />

die Beschaffung der Brückenträger über<br />

die kleine Gaule im jetzigen Kraftwerksgelände.<br />

Eine Görlitzer Firma erklärte sich<br />

schließlich bereit, aus verbogenen Teilen<br />

der Dachkonstruktion des ehemaligen<br />

Fliegerhorstes Görlitz eine vorschriftsmäßige<br />

Brücke zu bauen. Durch die ständige<br />

Arbeit mit dem Schotter ging das letzte<br />

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22<br />

Geschichte


Zeitzeugen und Zeitdokumente erzählen<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Paar Kommiss-Schuhe entzwei. Was nun?<br />

Antrag auf Fussbekleidung war längst<br />

gestellt, aber …! Der für den ganzen Bauabschnitt<br />

verantwortliche Kollege Willim<br />

ging deshalb wieder auf „Organisationsfahrt“<br />

und mit Erfolg. 10 Paar Gummistiefel<br />

(!). Gummistiefel waren für uns nicht<br />

das Geeignete. Holzschuhe müssen her,<br />

aber wie? Ich kann mich noch sehr gut<br />

entsinnen, als eines Tages der Betriebsratsvorsitzende<br />

Willi Schmidt unserer Firma<br />

als Anerkennung zwei Paar Holzschuhe<br />

überreichte. Nachdem ich das Glück<br />

hatte, ein Paar zu erhalten, glaubte ich,<br />

das große Los gewonnen zu haben.“<br />

Erinnerungen von Helmut Kerger, von<br />

Lothar Walli aufgeschrieben<br />

Helmut Kerger war das älteste Mitglied<br />

des Vereins „Oberlausitzer Bergleute“ e.<br />

V., ein Kumpel der ersten Stunde. Bereits<br />

ab August 1946 war er bei der Wiederinbetriebnahme<br />

des Tagebaues Berzdorf<br />

dabei. Er hatte viele Episoden dieser Zeit<br />

in seinem Gedächtnis gespeichert und<br />

manchmal fand er auch die Zeit und den<br />

Abb. 4 Das Foto aus dem Fundus von Helmut<br />

Kerger zeigt die Eigenanfertigung eines Schraubenschlüssels<br />

nach einem der wenigen vorhandenen<br />

Muster. Gefertigt wurde nach dem Motto: Ausschneiden,<br />

bohren, Bohrung ausschneiden, feilen<br />

und schleifen.<br />

Mut, einige davon aufzuschreiben, so<br />

auch die folgenden:<br />

Die erste Werkstatt.<br />

„Nachdem die Zimmerleute, die im Hochbunker<br />

untergebracht waren, 1946 die<br />

von Hirschfelde umgesetzte Hauptwerkstatt<br />

errichtet hatten, kam in Berzdorf viel<br />

Arbeit auf die Werkstatt zu. Die Anzahl<br />

der Schlosser und Schmiede erhöhte sich<br />

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Geschichte<br />

23


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil III)<br />

Berzdorf<br />

schnell, nur reichten die Werkzeuge nicht<br />

aus. Was die Bagger und Loks, sowie die<br />

Werkzeugausgabe nicht hatten, war eben<br />

nicht da. Das galt von der kleinsten Ölkanne<br />

bis zum größten Schraubenschlüssel.<br />

Also selbst anfertigen. Günstig war<br />

dabei, dass Karbid, Gas und Sauerstoff<br />

aus Hirschfelde und Weinhübel und auch<br />

Brennstoff für das Schmiedefeuer genügend<br />

ankam. Das wichtigste aber war der<br />

Schrott und das nach der eiligen Demontage<br />

des Kraftwerkes liegengebliebene<br />

Restmaterial, von Feinblech bis Flachstahl<br />

und Rundeisen aller Stärken.“<br />

Jahresabschlussfeier 1947.<br />

„Ende 1947 kam es in der Zollschenke<br />

Hagenwerder zur Jahresabschluss- bzw.<br />

Weihnachtsfeier der Belegschaft des Tagebaues.<br />

Dazu hatte sich der Werkstattund<br />

Maschinenmeister etwas besonderes<br />

einfallen lassen. Er stattete eine Tombola<br />

für alle Belegschaftsangehörigen aus. Er<br />

ließ kleine Gartenwerkzeuge, wie Bohnenhacken,<br />

Kartoffelhacken und anderes<br />

mehr anfertigen. Kartoffelhacken in<br />

Abb. 5 Arbeitsbescheinigung für den Mai 1947 bei<br />

der Fa. Holzmann, Baustelle Berzdorf<br />

größerer Zahl, denn wer von den Leuten,<br />

die von Böhmen oder Schlesien kamen,<br />

hatte schon so etwas mitgebracht, was<br />

jetzt am meisten gebraucht wurde. Denn<br />

nichts war peinlicher, als wenn so eine<br />

geliehene Hacke beim Rammeln auf der<br />

Abraumkippe abhanden kam. Also waren<br />

die kleinen Dinge Goldwert. Der Meister<br />

legte aber Wert darauf, dass bei der Anfertigung<br />

der Dinge die sieben Lehrlinge<br />

der Werkstatt, von denen vier Jahrzehnte<br />

lang Werksangehörige waren, sich daran<br />

beteiligten.“<br />

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24<br />

Geschichte


Zeitzeugen und Zeitdokumente erzählen<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Abb. 6<br />

Abb. 7 Karbidlampen und Rohrbürste<br />

Im Nachlass von Helmut Kerger gefunden.<br />

Meister Riedel mit einem Teil seiner<br />

„Schwarzen“. (Werkstattleute und Maschinisten).<br />

1947 an der Werkstatt, vor der ersten<br />

900 mm spurigen Dampflok – Lok 10<br />

von der Firma Orenstein und Koppel.<br />

(Abb. 6). Vorn am Schornstein einer der<br />

ersten sieben Lehrlinge, dann Kesselschmied<br />

Menzel, Fiebig, Kulke, in der<br />

Laube der Dreher Junge. Unten Heizer<br />

Teuber, Leupold Walter, Horter, Gärtner<br />

und Leupold Gerhard. Ganz rechts Lokführer<br />

Liebe, und fast in der Mitte der<br />

Meister. Vorn die Masten für die neue<br />

Zuleitung zum alten Schalthaus. Rechts<br />

im Hintergrund die Rampe der kleinen<br />

Haspel zum Hochziehen einzelner Holzkipper<br />

zum Füllen der Bahnwaggons.<br />

1949 wurden diese Karbidlampen in der<br />

Grube Berzdorf an das Dampflokperso-<br />

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Geschichte<br />

25


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil III)<br />

Berzdorf<br />

nal des Fahrbetriebes zum persönlichen<br />

Gebrauch und Pflege ausgegeben. Unter<br />

den Lampen eine Rohrbürste (Rohre stoßen).<br />

An einer langen Stange mit Griff war<br />

die Bürste aufgeschraubt. Die Anzahl der<br />

Rohre vom Feuerraum bis zur Rauchkammer<br />

war bei den Loks verschieden. Beim<br />

Kessel der 15 t Henschel Lok waren es 108<br />

Rohre.<br />

Erinnerungen von Helmut Dierich, aufgezeichnet<br />

von Lothar Hoffmann 2012<br />

Helmut Dierich wurde am 25.8.1929 in<br />

Gallenau, Kreis Frankenstein, geboren.<br />

1943 begann die Lehre als Dreher bei<br />

der Firma Heckmann u. Lange in Breslau.<br />

Am 15. Januar 1945 wurde er zum Volkssturm<br />

eingezogen, 15 Jahre alt. Der Weg<br />

führte ihn über Görlitz nach Prag und<br />

das Kriegsende erlebte er in Leitmeritz,<br />

in sowjetischer Gefangenschaft, in einen<br />

Lager in Teplice. Von dort ging es weiter<br />

in ein Lager nach Dresden. Die Entlassung<br />

erfolgte am 28.8.1945. Nach Breslau ging<br />

es nicht mehr zurück und der Weg führte<br />

über Gaußig bei Bautzen nach Tauchritz.<br />

Abb. 8 Dampflok 545-2-22, die Lok von Helmut<br />

Dierich<br />

Er fand zuerst Arbeit in der Landwirtschaft<br />

bei dem Bauer Richter in Tauchritz. Er hatte<br />

sich 1946 sofort für den Aufschluss der<br />

Grube Berzdorf beworben, wurde jedoch<br />

wegen der Arbeit in der Landwirtschaft<br />

abgelehnt.<br />

Es gelang ihn jedoch eine Anstellung<br />

bei der Firma Holzmann für Beräumung<br />

des Kraftwerkes zu bekommen. Am<br />

6.7.1946 konnte er bei der Fa. Holzmann<br />

beginnen. Seine ersten Arbeiten für Fa.<br />

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26<br />

Geschichte


Zeitzeugen und Zeitdokumente erzählen<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Holzmann war das Holen von Teilen für<br />

Pumpen, Bagger aus Hirschfelde mit Pferdegespannen.<br />

Als Rückladung wurden<br />

Barackenteile des ehemaligen Gefangenlagers<br />

am Hochbunker nach Hirschfelde<br />

transportiert. Von April 1947 bis 30. April<br />

1949 arbeitete er als Lokheizer. Ab 2. Mai<br />

1949 erfolgte der Einsatz als Lokführer. Im<br />

Dezember 1953 erfolgte die Kesselwärterprüfung<br />

und im März 1956 erfolgte<br />

die Prüfung als E-Lokfahrer. In den nächsten<br />

Jahrzehnten erfolgte der Einsatz als<br />

Oberlokfahrer, Stellwerker und ab Ende<br />

der 70iger Jahre bis zur Rente war er als<br />

Zug-Dispatcher tätig.<br />

Erinnerungssplitter:<br />

Abb. 9 Ausweis Jungaktivist vom 1. Mai 1950<br />

von Helmut Dierich<br />

Die Eisenbahn fuhr nur bis Hagenwerder.<br />

Die Waggons wurden per Hand mit Stricken<br />

auf das Kraftwerksgelände gezogen.<br />

Ende 1946 kam die erste Dampflok und<br />

der 1. Dampfbagger. Küchenchef war ein<br />

Kollege Vogel. Dampfloks (Orenstein und<br />

Koppel) Anfang der 50iger Jahre schon<br />

mit Kompressor für Druckluft. Er hatte mal<br />

einen Auffahrunfall mit Dampflok und Gerichtsverhandlung<br />

in Dresden. 1950 Auszeichnung<br />

als Aktivist. In Tauchritz gab es<br />

eine FDJ Theatergruppe mit der sie auch in<br />

Nachbardörfern aufgetreten sind.<br />

„Der Bauhof“ Gustav Niepel erinnert<br />

sich:<br />

Die ersten Mitarbeiter waren die fünf Zimmerer<br />

Herbert Döring, Oswald Neu, Otto<br />

Theunert, Paul Engler und Gustav Niepel<br />

sowie der Stellmacher Herbert Kühn.<br />

Technische Voraussetzung, wie z. B. Maschinen,<br />

gab es nicht. Alles musste in<br />

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Geschichte<br />

27


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil III)<br />

Berzdorf<br />

Handarbeit ausgeführt werden. Lediglich<br />

dem Stellmacher stand eine Hobelbank<br />

für das Anstielen von Schaufeln und andere<br />

Kleinarbeit zur Verfügung. Viele Arbeiten<br />

wurden mit der Seitaxt erledigt.<br />

Abb. 10 Erste Verladerampe 1946<br />

Als Unterkunft diente uns eine etwa 70 bis<br />

80 m² große Holzbaracke hinter der Küche.<br />

1952 war der 1. Stock im Hochbunker<br />

unser Domizil. Die erste Aufgabe für uns<br />

Zimmerer war die Erstellung einer Verladerampe<br />

(Abb. 10), um die Kohle aus der Grube<br />

zu fördern. Die dafür benötigten Holzstämme<br />

mussten in schwerer Handarbeit<br />

mit dem Breitbeil und der Axt bearbeitet<br />

sowie mit der Schrotsäge zugeschnitten<br />

werden. Alles ging über menschliche Kraft,<br />

da modernere Techniken gänzlich fehlten;<br />

jedoch waren wir alle alte, erfahrene Zimmerer,<br />

die noch gelernt hatten mit dem<br />

Breitbeil zu arbeiten.<br />

Anfang der 50er Jahre sollte in Thräna eine<br />

Seilbahn demontiert und bei uns erstellt<br />

werden. Auch bei dieser Arbeit mussten<br />

wir Zimmerer tatkräftig mit anpacken.<br />

Andere Abteilungen stellten ebenfalls Arbeitskräfte<br />

für den Abbruch der Seilbahn<br />

in Thräna. Die Anforderungen an den Bauhof<br />

stiegen von Jahr zu Jahr, dies führte zu<br />

einer ständigen Erweiterung des Bauhofes<br />

in der folgenden Zeit.<br />

Das Kohlestoppeln<br />

Von Beginn an wurden die Kippstellen für<br />

den Abraum nach Restkohlen, Kohlestücke<br />

durchsucht. Schnell wurde erkannt das<br />

ein Verbot nicht möglich ist. Bei den beste-<br />

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28<br />

Geschichte


Zeitzeugen und Zeitdokumente erzählen<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

<strong>StadtBILD</strong>-Verlag<br />

eine Unternehmung der<br />

incaming media GmbH<br />

vertreten durch den Geschäftsführer<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Mitglied im Deutschen Fachjournalistenverband<br />

Carl-von-Ossietzky-Straße 45 | 02826 Görlitz<br />

Tel. 03581 87 87 87 | Fax: 03581 40 13 41<br />

E-Mail: info@stadtbild-verlag.de<br />

Shop: www.stadtbild-verlag.de<br />

Abb. 11 Kohlestoppeln auf der Langteichhalde<br />

Anfang der 50iger Jahre<br />

henden Problemen der Hausbrandversorgung<br />

war es auch eher volkswirtschaftlich<br />

nützlich. Nur es war nicht tragbar ein völlig<br />

wildes unkontrolliertes Kohlestoppeln<br />

zu gestatten. Es wurden durch den Betrieb<br />

Lesekarten mit der Gültigkeit von einen<br />

Tag und gegen Errichtung einer Anerkennungsgebühr<br />

( 50 Pfg. für Rentner 10 Pfg.)<br />

ausgegeben und eine unterschriftliche<br />

Bestätigung einer Belehrung verlangt. Die<br />

Verfahrensweisen wurden bei der Technischen<br />

Bezirksinspektion Senftenberg<br />

angezeigt. Die gesammelte Kohle wurde<br />

mit Leiterwagen in die Heimatorte transportiert<br />

und dabei durchaus große Entfernungen<br />

zurückgelegt (z.B. Deutsch Ossig/<br />

Weinhübel/Bernstadt). Das Foto von der<br />

Langteichhalde Anfang der 50iger Jahre<br />

zeigt die erheblichen Mühen die mit dem<br />

Stoppeln verbunden waren.<br />

Joachim Neumann und Klaus Krische<br />

Aus: Berzdorfer Hefte<br />

Die technologische Entwicklung<br />

Tagebau Berzdorf 1946-1955.<br />

Bankverbindung:<br />

IBAN: DE21 8504 0000 0302 1979 00<br />

BIC: COBADEFFXXX<br />

Geschäftszeiten:<br />

Mo. - Fr. von 9.00 bis 16.00 Uhr<br />

Druck:<br />

Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />

Erscheinungsweise: monatlich<br />

Redaktion & Inserate:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Kathrin Drochmann<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Bertram Oertel<br />

Layout:<br />

Kathrin Drochmann<br />

Lektorat:<br />

Wolfgang Reuter, Berlin<br />

Teile der Auflage werden kostenlos verteilt, um<br />

eine größere Verbreitungsdichte zu gewährleisten.<br />

Für eingesandte Texte & Fotos übernimmt der Herausgeber<br />

keine Haftung. Artikel, die namentlich<br />

gekennzeichnet sind, spiegeln nicht die Auffassung<br />

des Herausgebers wider. Anzeigen und redaktionelle<br />

Texte können nur nach schriftlicher Genehmigung<br />

des Herausgebers verwendet werden.<br />

Redaktionsschluss:<br />

Für die nächste Ausgabe (Dezember)<br />

ist am 20.11.<strong>2021</strong><br />

Geschichte<br />

29


Neues vom Lohn: Von der eAU bis zur identifikationsnummer<br />

ETL-Steuerberatung<br />

Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)<br />

Herbstzeit ist Erkältungszeit. Auch Arbeitnehmer werden einmal krank und müssen dann spätestens<br />

am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit ihrem Arbeitgeber einen „gelben Schein“ vorlegen.<br />

Dies soll ab 1. Juli 2022 für Arbeitnehmer, die gesetzlich krankenversichert sind, einfacher werden.<br />

Denn ab diesem Zeitpunkt können die Arbeitgeber die Daten über die Krankschreibung elektronisch<br />

von den Krankenkassen ihrer Versicherten abrufen. Der Arbeitnehmer erhält dann von seinem<br />

Arzt nur noch einen vereinfachten Papierausdruck für die eigenen Unterlagen.<br />

Doch zunächst entfällt die Informationspflicht des Arbeitnehmers gegenüber der Krankenkasse.<br />

Schon ab 1. Oktober <strong>2021</strong> erfolgt die Mitteilung über die Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkassen<br />

grundsätzlich digital durch die Ärzte. Arbeitnehmer sollten jedoch im 4. Quartal <strong>2021</strong> noch bei<br />

ihren Praxen nachfragen, ob diese bereits die Telematikinfrastruktur nutzen und die elektronische<br />

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) ausstellen, denn aufgrund von technischen Problemen<br />

wurde eine Übergangsreglung vereinbart. Bis 31. Dezember <strong>2021</strong> dürfen Praxen auch noch den<br />

altbewährten Krankenschein in Papierform ausstellen.<br />

Hinweis: Vorsicht ist bei nicht gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern geboten. Diese<br />

müssen bis auf weiteres ihre Krankenkasse und auch ihren Arbeitgeber nach dem alten Verfahren<br />

selbst informieren.<br />

Steuer-ID auch für Jahresmeldung <strong>2021</strong> von Mini-Jobbern notwendig<br />

Auch geringfügig Beschäftigte müssen ihren steuerlichen Pflichten nachkommen und Lohnsteuer<br />

bezahlen. Die Art der Besteuerung kann hierbei jedoch variieren. Wird die geringfügige Beschäftigung<br />

über die Minijob-Zentrale abgerechnet, fallen pauschal 2 % Lohnsteuer an, die der Arbeitgeber<br />

trägt. Eine Angabe in der Einkommensteuererklärung des Arbeitnehmers ist dann nicht mehr<br />

notwendig. Aber auch eine individuelle Besteuerung nach den Lohnsteuerabzugsmerkmalen des<br />

Arbeitnehmers ist möglich.<br />

Die Bundesregierung möchte sicherstellen, dass alle Steuern für Mini-Jobber korrekt angemeldet<br />

und entrichtet werden und hat daher neue, zusätzliche Angaben zur Lohnsteuer für die Entgeltmeldung<br />

von geringfügig Beschäftigen definiert.<br />

Demnach gilt ab 1. Januar <strong>2021</strong> eine erweiterte Meldepflicht, die aber erst zum 1. Januar 2022<br />

umgesetzt wird. Neu ist ein Datenbaustein „Steuer“, der dann die Steuernummer des Arbeitgebers,<br />

die Steueridentifikationsnummer des Beschäftigten und eine Kennziffer zur Art der Besteuerung<br />

(pauschal oder nach Lohnsteuerabzugsmerkmalen) enthält.<br />

Wichtig für alle Arbeitgeber: Bei bereits laufenden Beschäftigungsverhältnissen, die über den 31.<br />

Dezember <strong>2021</strong> hinaus bestehen bleiben, müssen diese Angaben bereits in der Jahresmeldung<br />

für das Kalenderjahr <strong>2021</strong> enthalten sein. Arbeitgeber sollten daher zeitnah prüfen, ob ihnen die<br />

Steueridentifikationsnummern ihrer Arbeitnehmer vorliegen und diese im Zweifel zeitnah anfordern.<br />

Sofern Sie Ihren Steuerberater mit der Lohnabrechnung beauftragt haben, benötigt dieser<br />

spätestens bis zum Jahresende die Steueridentifikationsnummern Ihrer Minijobber.<br />

30<br />

Autor: Ulf Hannemann, Freund & Partner GmbH (Stand: 15.09.<strong>2021</strong>)<br />

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