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222_StadtBILD_Januar_2022

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Ratsarchiv Görlitz, Foto: © <strong>StadtBILD</strong>-Verlag (Archiv)


Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Vorwort<br />

Mit diesem Gedicht „Ein neues Buch, ein neues Jahr“, das<br />

aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Theodor Fontane<br />

stammt, möchten wir Ihnen ein gesundes, erfolgreiches<br />

Jahr <strong>2022</strong> wünschen!<br />

Ein neues Buch, ein neues Jahr<br />

Theodor Fontane (1819-1898)<br />

Und wieder hier draußen...<br />

Und wieder hier draußen ein neues Jahr –<br />

Was werden die Tage bringen?!<br />

Wird‘s werden, wie es immer war,<br />

Halb scheitern, halb gelingen?<br />

Wird‘s fördern das, worauf ich gebaut,<br />

Oder vollends es verderben?<br />

Gleichviel, was es im Kessel braut,<br />

Nur wünsch‘ ich nicht zu sterben.<br />

Ich möchte noch wieder im Vaterland<br />

Die Gläser klingen lassen<br />

Und wieder noch des Freundes Hand<br />

Im Einverständnis fassen.<br />

Ich möchte noch wirken und schaffen und tun<br />

Und atmen eine Weile,<br />

Denn um im Grabe auszuruhn,<br />

Hat‘s nimmer Not noch Eile.<br />

Ich möchte leben, bis all dies Glühn<br />

Rücklässt einen leuchtenden Funken<br />

Und nicht vergeht wie die Flamm‘ im Kamin,<br />

Die eben zu Asche gesunken.<br />

Wann immer das alte Jahr vergangen ist und ein neues<br />

beginnt, resümiert der Mensch über die Erfahrungen und<br />

Erlebnisse des vergangenen und baut Erwartungen und<br />

Hoffnungen gegenüber dem neuen Jahr auf. Fontanes<br />

Gedicht setzt sich mit eben diesen Fragen auseinander.<br />

Doch ist sein geführter Monolog weitreichender. Denn<br />

mit zunehmendem Alter wird nicht nur ein Fazit über<br />

ein vergangenes Jahres gezogen, sondern das gesamte<br />

Leben versucht zu überblicken. Die schönen ebenso wie<br />

die schlechten Zeiten. Und es stellt sich am Lebensabend<br />

des Weiteren die Frage, wie viel Zeit auf Erden noch verbleiben<br />

wird und wie diese Lebenszeit verlaufen wird.<br />

Wie auch schon 2020 stand 2021 ganz im Zeichen der<br />

globalen Coronapandemie. Zwar startete zum Jahreswechsel<br />

2020/2021 die Impfkampagne in Deutschland,<br />

jedoch sind die Inzidenzen über elf Monate später auf<br />

Rekordniveau, und Deutschland steckt mitten in der<br />

vierten Coronawelle. Noch immer kämpfen wir mit den<br />

menschlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie,<br />

Corona hat uns fest im Griff. Und doch haben die<br />

vergangenen Monate auch gezeigt, was wir alle gemeinsam<br />

leisten können, wenn wir ein Ziel vor Augen haben<br />

und alle Hand in Hand arbeiten. Wenn wir Rücksicht<br />

aufeinander nehmen und unsere eigenen Bedürfnisse<br />

zurückstellen, um die Schwächeren zu schützen.<br />

Lassen Sie uns deswegen das neue Jahr mit einem Dank<br />

beginnen: für den unermüdlichen Einsatz aller Kräfte im<br />

Gesundheitswesen, in den Kindergärten und Schulen, im<br />

Einzelhandel, im Handwerk und in der Industrie. Danke<br />

für das Durchhaltevermögen in der Gastronomie, der<br />

Veranstaltungsbranche und in den Kulturstätten. Der<br />

Dank gilt auch allen anderen, die unermüdlich im Einsatz<br />

sind; und lassen Sie uns auch den Kindern Danke sagen,<br />

die in den vergangenen Monaten unglaublich viele Zugeständnisse<br />

machen mussten.<br />

Unser ganz persönlicher Dank gilt Ihnen, liebe Leserinnen<br />

und liebe Leser, für Ihre Anregungen und Ihre Treue<br />

auch in Krisenzeiten.<br />

Lassen Sie uns die Strapazen der Vergangenheit für einen<br />

Moment vergessen, die Sorgen mit dem alten Jahr<br />

verabschieden und voller Hoffnung auf <strong>2022</strong> blicken.<br />

Bleiben Sie zuversichtlich!<br />

Ihr Team vom <strong>StadtBILD</strong>-Magazin<br />

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Einleitung<br />

3


Aus Schlesien in die Welt.<br />

Charlotte E. Pauly<br />

Charlotte E. Pauly (1886–1981), Einfahrt Boguslawitz, Grafit, Feder in Tusche, Pinsel in Wasserfarben,<br />

1930er Jahre, Kulturhistorisches Museum Görlitz (Foto: K. Wenzel)<br />

„Charlotte E. Paulys sprödes und kraftvolles<br />

Werk muss man anschauen, keine noch so<br />

engagierte Lebensbeschreibung könnte<br />

seinen Reiz erklären.“ So schrieb der Berliner<br />

Grafiker Dieter Goltzsche über eine bedeutende<br />

Künstlerin des 20. Jahrhunderts,<br />

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4<br />

Geschichte


Die Künstlerin Charlotte E. Pauly (1886–1981)<br />

Pauly<br />

Charlotte E. Pauly (1886–1981), Meer nach Sonnenuntergang, Pinsel in Wasserfarben, um 1930,<br />

Kulturhistorisches Museum Görlitz (Foto: K. Wenzel)<br />

die wie kaum eine andere Erlebtes in ihren<br />

Werken reflektiert hat. Geboren und aufgewachsen<br />

auf dem elterlichen Gut Stampen/<br />

Stępin in Niederschlesien, studierte Charlotte<br />

E. Pauly zunächst Kunstgeschichte an der<br />

Universität Heidelberg und promovierte<br />

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Geschichte<br />

5


Aus Schlesien in die Welt.<br />

Charlotte E. Pauly<br />

Charlotte E. Pauly (1886–1981), Alte Putzfrau<br />

(Ungarn), Radierung, 1972, Kulturhistorisches<br />

Museum Görlitz (Foto: K. Wenzel)<br />

1914 als eine der ersten Frauen in Deutschland<br />

in diesem Fach. Danach verließ sie den<br />

wissenschaftlichen Weg, entschloss sich,<br />

Malerin zu werden, und studierte bei Bernhard<br />

Pankok an der Kunstgewerbeschule<br />

Stuttgart. Nach einigen Jahren in Niederschlesien<br />

unternahm sie 1925/26 und<br />

1928/29 ausgedehnte Reisen nach Marokko<br />

und Spanien, wo sie Schülerin des Malers<br />

Daniel Vázquez Díaz wurde. Anschließend<br />

lebte sie bis 1932 in der portugiesischen Hafenstadt<br />

Nazaré. Hier entstanden expressive<br />

Zeichnungen der Küstenlandschaft, von<br />

Fischern und Badenden. Von Portugal aus<br />

brach sie schließlich zu einer ausgedehnten<br />

Reise durch Griechenland, Syrien, Libanon,<br />

Palästina, den Irak und Persien auf. Diese<br />

Länder zu bereisen, war zu dieser Zeit eine<br />

Besonderheit. Dass Pauly dieses Abenteuer<br />

als Frau allein unternahm, zeugt davon, wie<br />

frei von Ängsten und offen für Begegnungen<br />

sie durchs Leben gegangen ist.<br />

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland<br />

musste Charlotte E. Pauly die Repressalien<br />

der Nationalsozialisten erdulden. Ihre<br />

Kunstwerke wurden als entartet diffamiert<br />

und durften nicht mehr ausgestellt werden.<br />

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6<br />

Geschichte


Die Künstlerin Charlotte E. Pauly (1886–1981)<br />

Pauly<br />

Charlotte E. Pauly (1886–1981), Melonenfrauen, Grafit, Pinsel in Wasserfarben, 1960er Jahre,<br />

Kulturhistorisches Museum Görlitz (Foto: K. Wenzel)<br />

Das bekam die Künstlerin deutlich zu spüren,<br />

als sie sich 1937 an Sigfried Asche, den<br />

damaligen Direktor der Städtischen Kunstsammlungen<br />

Görlitz, mit der Bitte um eine<br />

Ausstellungsmöglichkeit wandte. Da die<br />

Reichskulturkammer im gleichen Jahr sogenannte<br />

entartete Kunst in den Görlitzer<br />

Museumsbeständen hatte beschlagnahmen<br />

lassen, fürchtete der damalige Direktor<br />

wohl, dass eine Charlotte E. Pauly-Ausstellung<br />

politisch nicht opportun sei und<br />

lehnte ihre Anfrage daher ab. Während der<br />

NS-Zeit lebte die Künstlerin zurückgezogen<br />

in Agnetendorf/Jagniątków im Riesengebir-<br />

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Geschichte<br />

7


Aus Schlesien in die Welt.<br />

Charlotte E. Pauly<br />

ge in direkter Nachbarschaft des Schriftstellers<br />

Gerhart Hauptmann, der sie in dieser<br />

schwierigen Zeit unterstützte. Als sie Schlesien<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen<br />

musste, konnte sie mit dem sowjetischen<br />

Sonderzug mitreisen, der den Leichnam<br />

und den Nachlass Gerhart Hauptmanns in<br />

die Sowjetische Besatzungszone brachte.<br />

Fortan lebte Charlotte E. Pauly im Ost-Berliner<br />

Stadtteil Friedrichshagen und wurde<br />

seit den späten 1950er Jahren als Künstlerin<br />

langsam wiederentdeckt – allerdings nicht<br />

von der Kulturpolitik des SED-Regimes,<br />

sondern von jungen Künstlerinnen und<br />

Künstlern, die nach Freiräumen und anderen<br />

Erfahrungen suchten, als jenen des<br />

streng reglementierten DDR-Kunstbetriebs.<br />

Die Grafiker Dieter Goltzsche und Herbert<br />

Tucholski regten Charlotte E. Pauly dazu<br />

an, ihre Zeichnungen aus den 1920er und<br />

1930er Jahren in Druckgrafiken weiterzuverarbeiten.<br />

Dafür eignete sie sich die anspruchsvollen<br />

Techniken der Lithografie<br />

und der Aquatinta-Radierung an. In ihren<br />

Grafiken ließ sie noch einmal die Erinnerungen<br />

an ihre Zeit in Portugal, Nordafrika und<br />

dem Nahen Osten aufleben und übersetzte<br />

sie in dynamisch-expressive Formen. Auch<br />

konnte sie anschauliche Geschichten aus<br />

diesen Gegenden erzählen, die für junge<br />

Künstlerinnen und Künstler der DDR wie<br />

unerreichbare Länder aus Märchen wirkten.<br />

Mit ihren Kunstwerken, ihrer Biografie und<br />

ihrer unangepassten Lebensweise erreichte<br />

Charlotte E. Pauly daher seit den 1970er<br />

Jahren eine geradezu mythische Bekanntheit<br />

in der Kunstszene der DDR. Sie konnte<br />

ihre Werke nun auch in Museen und Galerien<br />

des Landes ausstellen und erfuhr dafür<br />

viel Zuspruch. Ihre Reisen führten sie zwar<br />

nicht mehr auf die Iberische Halbinsel oder<br />

in den Nahen Osten, aber nach Ungarn und<br />

Bulgarien. Manchmal war sie, wie Dieter<br />

Goltzsche erzählt, von einem Tag auf den<br />

anderen einfach verschwunden und kam<br />

erst Wochen später von einer spontanen<br />

Reise zurück. Wie bereits in den 1920er<br />

und 30er Jahren verarbeitete sie ihre Reiseerlebnisse<br />

wieder in Zeichnungen, die als<br />

Vorlagen für Druckgrafiken dienten. Dabei<br />

entwickelte sie ein besonderes Interesse an<br />

Menschen, die ihr unterwegs begegneten,<br />

und porträtierte Putzfrauen in Ungarn oder<br />

Melonenverkäuferinnen in Bulgarien.<br />

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8<br />

Geschichte


Die Künstlerin Charlotte E. Pauly (1886–1981)<br />

Pauly<br />

Charlotte E. Pauly (1886–1981), Schwertertanz in Damaskus, Aquatinta-Radierung, 1960er Jahre,<br />

Kulturhistorisches Museum Görlitz (Foto: K. Wenzel)<br />

Auch in der Görlitzer „Galerie am Schönhof“<br />

gab es in den 1980er Jahren eine Ausstellung<br />

von Druckgrafiken Charlotte E. Paulys.<br />

Ins Graphische Kabinett des Kulturhistorischen<br />

Museums fanden ihre Werke jedoch<br />

erst in jüngster Zeit Eingang: Der Berliner<br />

Grafiker Dieter Goltzsche schenkte dem<br />

Graphischen Kabinett im Jahr 2019 130<br />

Werke von Charlotte E. Pauly. Zu dieser<br />

Schenkung gehören Zeichnungen aus den<br />

1920er und 30er Jahren, Druckgrafiken der<br />

1960er und 70er Jahre, aber auch ein Heft<br />

mit Erinnerungen an ihre schlesische Heimat<br />

sowie ein Typoskript ihrer Übersetzungen<br />

von Werken des spanischen Schriftstellers<br />

Federico García Lorca. Eine Auswahl aus<br />

dieser Schenkung ist noch bis zum 20. März<br />

<strong>2022</strong> im Ausstellungsraum des Graphischen<br />

Kabinetts im Barockhaus Neißstraße 30 zu<br />

erleben. Gleichzeitig holt das Kulturhistorische<br />

Museum damit die Ausstellung nach,<br />

um die Charlotte E. Pauly 1937 gebeten hatte,<br />

die aber damals aus politischen Gründen<br />

nicht zustande kam.<br />

Kai Wenzel<br />

Geschichte<br />

9


Zur Geschichte des Görlitzer Bürgerbräuhauses<br />

Neißstraße Nr. 27<br />

Dass in Görlitz seit den ältesten Zeiten Bier<br />

gebraut wurde, haben wir in den letzten<br />

Jahren bei der Beschreibung der Görlitzer<br />

Bierbrauerei und Brauhöfe wiederholt bewiesen.<br />

Heute soll uns an dieser Stelle ein<br />

Brauhof beschäftigen, in dem mehr als fünf<br />

Jahrhunderte hindurch die Braugerechtigkeit<br />

ausgeübt wurde und der somit der älteste<br />

Görlitzer Brauhof war.<br />

Das Haus Neißstraße Nr. 27 gehörte um<br />

1400 einem gewissen Langehans, von dem<br />

leider nichts Näheres bekannt ist. Vielleicht<br />

ist es derselbe Nickel Langehans, dem 1409<br />

von Otto Helwig „ein Melzhaus und ein<br />

Haus dazu und eine Mauer am Remeteicht“<br />

aufgelassen wird. Es würde mit dem „Nebenhaus“<br />

übereinstimmen, das 1549 von<br />

Nr. 27 abgetrennt und selbständig wird. Sicher<br />

ist, dass 1405 die „alte Langehannussin<br />

mit ihren Kindern“ einen Vertrag abschließt<br />

mit dem neuen Nachbarn im Hause Nr. 26,<br />

der sich gleichfalls um ein Melzhaus und<br />

eine Mauer sowie einen Wasserzufluss und<br />

eine Flutrinne dreht. Dieses Nachbarhaus<br />

Nr. 26 besaß um 1400 Hempel Schulz. Es<br />

war gleichfalls ein sechsbieriger Brauhof.<br />

1415 tauscht er ihn mit Michel Schleiffe gegen<br />

dessen dreibierigen im Nikolaiviertel,<br />

wobei Schleiffe 100 Mark zuzahlen musste.<br />

Die Familie Schleiffe spielte, wie auch die<br />

Besitzer des Hauses Neißegasse 29, Lauterbach,<br />

eine große Rolle in Görlitz; sie hatten<br />

großen Grundbesitz und saßen im Rate.<br />

Nachkommen beider Familien, Martin Lauterbach<br />

und Martin Schleiffe, wurden ein<br />

halbes Jahrhundert später 1468 in der Pulververschwörung<br />

enthauptet.<br />

Diese drei Familien, Langehans, Schleiffe<br />

und Lauterbach, besaßen die Häuser Nr. 26,<br />

27 und 29. Um 1428 wechselt das Haus Nr.<br />

27 seinen Besitzer. Es tritt als solcher Peter<br />

Walther von Leschwitz auf, gibt es aber bald<br />

an seinen Sohn, Meister Paulus Walther, weiter.<br />

Bereits 1432 kommt es an dessen Bruder<br />

Georg Walther, und aus einer Erbteilung<br />

geht hervor, dass Paul Walther (vielleicht<br />

im Kampf gegen die Hussiten) sein Leben<br />

lassen musste. Etwa 15 Jahre behält Georg<br />

Walther den Bierhof, dann tritt er ihn 1449<br />

an den Mann seiner Schwester Barbara, Peter<br />

Tschirwitz, ab, der im Rate saß. Um 1480<br />

besitzt das Haus Hieronimus Heune, dessen<br />

Söhne Gregor, Hieronimus, Christoph und<br />

Hans es 1490 an Nikolaus Tilicke verkau-<br />

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10<br />

Geschichte


Zur Geschichte des Görlitzer Bürgerbräuhauses<br />

Neißstraße Nr. 27<br />

Barockhaus Neißstraße 27 in der Görlitzer Altstadt. Das repräsentative Haus wurde nach dem Stadtbrand<br />

neu aufgebaut, zuvor befand sich hier das älteste Brauhaus der Stadt (Braurechte seit 1225).<br />

fen, wobei es „Haus und Hof in der Neißegassen“<br />

bezeichnet wird. Niklas Tilicke soll<br />

(nach Schäffers Genealogischen Tabellen)<br />

um 1496 in Glogau an der Pest verstorben<br />

sein. Er war verheiratet mit Menzel Emerichs<br />

Tochter Hedwig. Ihr Bruder Paul Emerich<br />

erwirbt dieses Haus von den Tilickschen Erben<br />

im Jahre 1507. Er besaß außerdem das<br />

„Haus im Winkel“ Obermarkt 15, ein Vorwerk<br />

im alten Konsulsdorf und einen Teil<br />

von Heidersdorf. All diesen Grundbesitz mit<br />

Ausnahme von Heidersdorf erwarb von ihm<br />

1519 der Ratsherr und spätere Bürgermeister<br />

Georg Rösler, ein Freund des streng katholischen<br />

Stadtschreibers Johannes Haß.<br />

Rösler, der in der Niederwerfung des Tuchmacheraufstandes<br />

1527 eine Rolle spielte,<br />

wird von dem Anführer desselben, Alexander<br />

Bolze, als „Thrann“ bezeichnet. Sein<br />

Sohn Jakob Rösler, der Bürgermeister der<br />

schweren Pönfallzeit (1547), saß in Prag längere<br />

Zeit gefangen. Zu Georg Röslers Zeiten<br />

brach der große Stadtbrand vom Jahre<br />

1525 aus, der im Hause Neißegasse 20 beim<br />

Bäckermeister Peselt aufging, ungeheuren<br />

Schaden machte und grenzenloses Weh<br />

über die Stadt brachte. Welch ungeheure<br />

Katastrophe suchte die Stadt in dieser einen<br />

Nacht vom 12. zum 13. Juni 1525 heim. 34<br />

Brauhöfe, darunter auch unser Haus Nr. 27,<br />

fielen unter 180 eingeäscherten Häusern<br />

den Flammen zum Opfer, unzählige Gerber-<br />

und Tuchmacherfamilien wurden bettelarm<br />

und brotlos, unermesslich war der<br />

angerichtete Schaden. Jahre, Jahrzehnte<br />

vergingen, ehe die wüssten Stätten wieder<br />

aufgebaut waren, allerdings herrlicher denn<br />

je entstanden sie im Stile der Frührenaissance<br />

aus Schutt und Asche. Nach Georg<br />

Röslers Tode kam 1534 seine Witwe und bei-<br />

Geschichte<br />

11


Zur Geschichte des Görlitzer Bürgerbräuhauses<br />

Neißstraße Nr. 27<br />

der jüngster Sohn Franz Rösler in den Besitz<br />

des Brauhofes. Unstimmigkeiten zwischen<br />

beiden veranlassten 1549 die Mutter, dem<br />

Sohne „einzuräeumen das neben Heuslin<br />

mit zweien gewelben ubereinander samt<br />

der Stuben und Stüblein uf der löuben und<br />

das hirmitte die reinthure zugemauert wurde,<br />

dadurch ein theil von dem andern friede<br />

und rhue haben mag“, mit der Zusatzbestimmung,<br />

dass nach dem Tode der Mutter<br />

dem Sohne Franz das große und das kleine<br />

Haus zufallen sollten. Von diesem Zeitpunkt<br />

ab tritt der abgetrennte Teil als Nr. 28 (Hyp.<br />

Nr. 352) in den Geschossbüchern auf. Rösler,<br />

der den gesamten Besitz 1550 antritt,<br />

verkauft den abgetrennten Teil alsbald an<br />

den D. Theusner. Er selbst behält den Brauhof<br />

Nr. 27 bis etwa 1566, dann veräußert er<br />

ihn an den Handelsmann Christoph Rotsch<br />

aus Tiefenfurt, nordöstlich von Görlitz, der<br />

1555 Bürgerrecht genommen hatte. 23<br />

Jahre vergingen, die Pest hatte 1585 monatelang<br />

in der Stadt geherrscht und Tausende<br />

von Opfern gefordert, dann wechselte<br />

das Haus abermals seinen Besitzer. Es tritt<br />

Merten Schreier auf, der seinen Bierhof in<br />

der Steingasse gegen den Rotscheschen<br />

eintauscht. Schreiers Witwe Elisabeth, geb.<br />

Riesling, verheiratet sich in zweiter Ehe mit<br />

dem Stadtrichter und Herrn aus Pfaffendorf<br />

Franz Beyer. Sie stirbt im Alter von 95 Jahren<br />

und vererbt das Haus ihrem Enkel Johann<br />

Friedrich Schittler. Da dessen gleichnamiger<br />

Sohn, der Mühlenverwalter Johannes Friedrich<br />

Schittler, jung stirbt, fällt das Haus an<br />

dessen Kinder. Der Preis beträgt 4700 Mark.<br />

Unter ihrem Besitz wird das Haus, gleich anderen<br />

Häusern der Neißegasse, abermals in<br />

dem großen Brande von 1726 ein Raub der<br />

Flammen. Im gleichen Hause wie vor 200<br />

Jahren bricht durch die Unachtsamkeit eines<br />

Hausknechtes, der unter der hölzernen<br />

Darre ein zu großes Feuer im Ofen angemacht<br />

hat, am 30. April ein Feuer aus, das<br />

der Altstadt abermals zum Verhängnis werden<br />

soll. Auch das Haus Nr. 27 wurde wiederum<br />

ein Raub der Flammen, und die Schittlerschen<br />

Erben gingen daran, die Ruine zu<br />

verkaufen. Der landvogteiliche Rentschöffer<br />

Gottlob Mitsching erwarb es Anfang November<br />

1726 und ließ es alsbald wieder aufbauen.<br />

An diesen Neubau erinnert das noch<br />

jetzt vorhandene Wappen Mitschings. Seine<br />

Kreditoren verkaufen den Brauhof dann<br />

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12<br />

Geschichte


Zur Geschichte des Görlitzer Bürgerbräuhauses<br />

Neißstraße Nr. 27<br />

Die Görlitzer Braupfanne um 1710. Abbildung aus: Topographie der Stadt Görlitz, von Dr. Richard Jecht<br />

1763 an Maria Theodora Riech, geb. Adolph,<br />

später verehelichte Fiebig um 5200 Mark,<br />

die ihn wiederum ihrer Schwester Maria<br />

Elisabeth, verehelichte Gutspächter Schneider<br />

in Rauscha, vererbt. Im Jahre 1793 kauft<br />

dann der Vorwerksmann im Wilhelmshof<br />

Christian Gottlob Huscher den Brauhof, ihm<br />

folgt seine Frau, geb. Kiesewetter, im Besitz.<br />

Frau Kaufmann Binder veräußert den Bierhof<br />

1836 an den Brauer Gottfried Müller für<br />

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Geschichte<br />

13


Zur Geschichte des Görlitzer Bürgerbräuhauses<br />

Neißstraße Nr. 27<br />

Biergeiger und bierausträgerinnen in Görlitz. Abbildung aus: Topographie der Stadt Görlitz,<br />

von Dr. Richard Jecht<br />

9000 Mark. Er baut sofort ein Stockwerk als<br />

Getreideboden auf und reißt ein Jahr darauf<br />

das Hinterhaus bis auf die Darre ab, wie er<br />

auch sonst kleinere bauliche Veränderungen<br />

vornimmt. Um eine größere Tiefe nach<br />

der Gartenseite zu gewinnen, lässt er Pfeiler<br />

mit darüber geschlagenen Bogen anbringen<br />

und auf sämtliche Gebäude Blitzableiter<br />

legen. 1845 führt er im Garten einen<br />

Fachwerkbau auf, der als Pferdestall, Raum<br />

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14<br />

Geschichte


Zur Geschichte des Görlitzer Bürgerbräuhauses<br />

Neißstraße Nr. 27<br />

für die Malzquetsche und einen Malzboden<br />

gedacht ist, 1857 lässt er die alte hölzerne<br />

Altane abbrechen und verkauft 1858 den<br />

Brauhof um 15500 Reichstaler seinem Sohn<br />

Carl Louis Müller. Auch dieser lässt weitere<br />

Veränderungen und Verbesserungen anbringen,<br />

so das Göpelwerk im Garten des<br />

Hinterhauses bedachen, 1860 ein Schaufenster<br />

neben der Haustür ausbrechen,<br />

einen neuen Keller bzw. Gefäßschuppen<br />

massiv und gewölbt bauen und mit Dachboden<br />

und Pultdach versehen. 1863 führt<br />

er ein gewölbtes Gärhaus auf. In der Front<br />

umfasst es 5 Fenster.<br />

Aus der Brauerei von Louis Müller wurde<br />

eine GmbH und schließlich 1918 eine Aktiengesellschaft<br />

mit dem Namen „Bürgerbräu“.<br />

Nach dem Tode des letzten Direktors<br />

Hetzar im Jahre 1937 übernahm die Görlitzer<br />

Landskronbrauerei das Haus. Jahrhunderte<br />

sanken in die Ewigkeit, aus der<br />

kleinen mittelalterlichen Stadt mit ihren<br />

Mauern und Befestigungen wurde unsere<br />

schöne Gartenstadt, die sich immer mehr<br />

und mehr ausbreitet und den Mauergürtel<br />

längst schon sprengte. Wie vor Jahrhunderten<br />

grüßt in erhabener Größe die alte Stadtkirche<br />

St. Peter vom ehemaligen Burgberg<br />

herüber, verträumt spendet wie zu Urväters<br />

Zeiten die schlichte Röhrbütte im Winkel<br />

des Hainwaldes ihre kühle Gabe, und über<br />

die steile Neißegasse pendelt wie vor Zeiten<br />

aller Verkehr von Ost nach West und umgekehrt.<br />

Geschlechter kamen und gingen;<br />

tiefstem Niedergang folgte blühender Aufstieg.<br />

Krieg, Feuers- und Wassersnot suchten<br />

die Stadt heim, Altes fiel und Neues stieg<br />

empor. Alles erlebten die Häuser der alten<br />

Neißegasse mit, oft aus unmittelbarer Nähe.<br />

Und nun ist wieder ein neuer Abschnitt<br />

angebrochen für den alten, ehrwürdigen<br />

Brauhof Nr. 27. Verschwunden sind Braupfanne,<br />

Gärhaus und Malzdarre, versunken<br />

längst das alte Theater im Nachbarbau, verklungen<br />

die Melodien der mittelalterlichen<br />

Bierfiedler. Künstler und Bauhandwerk sind<br />

dabei, dem jahrhundertealten Brauhofe ein<br />

neues Gesicht zu geben.<br />

Quelle: Die Heimat, 1938<br />

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Geschichte<br />

15


Märkte und Krämer<br />

und Krämer<br />

Möchte man heutzutage über einen „historischen<br />

Markt“ vor dem Rathause bummeln,<br />

gerät man oft dort in ein arges Gedränge vor<br />

den buntbemalten Buden mit Sommerblumen<br />

und frischen Hühnereiern, mit duftendem<br />

Landbrot und antiquarischem Trödelkram.<br />

Denn sonst hat es unsereins mit dem<br />

Einkaufen eilig. Unsere Supermärkte, Warenhäuser<br />

und Spezialverkaufsstellen an den<br />

Hauptgeschäftsstraßen und in den Neubauvierteln<br />

besitzen nur noch wenig von dem<br />

Reiz, den Handel und Wandel rund um den<br />

Untermarkt einmal hatten. Dabei war der<br />

Untermarkt tatsachlich für Jahrhunderte das<br />

Zentrum für Märkte und Krämer in Görlitz: An<br />

der Südseite der „Zeile“ hatten schon im Mittelalter<br />

die wenigen Würz- und Seidenkrämer<br />

ihre Stände. Sie galten als ranghöchste Gruppe<br />

der Kleinhändler, bei ihnen bekam man<br />

kostbare Stoffe, seltene Gewürze, Pelzwaren,<br />

Bücher und Kunstgegenstände, die nur für<br />

die zahlungskräftigen Bürger erschwinglich<br />

waren. Zahlreicher und weniger vornehm<br />

waren die Spitz- oder Kleinkrämer. Nach den<br />

Pudritzen, den überbauten Gängen der Fachwerk-<br />

und Holzhäuser, nannte man sie auch<br />

die Pudritzkrämer. Sie mussten sich mit der<br />

Nordseite der „Zeile“ begnügen. Unter den<br />

Hirschläuben verkauften auch die Beutler<br />

ihre Lederwaren: Tabaksbeutel, Lederhosen,<br />

Handschuhe, Bruchbänder und Hosenträger.<br />

Marienplatz – Markttreiben mit Dickem Turm,<br />

Foto: Robert Scholz<br />

An festen Plätzen hatten verschiedene Handwerke<br />

Ihre „Bänke“, immer eine begrenzte<br />

Zahl. Die Schuhbänke und Brotbänke fand<br />

man anfangs auf dem Heringsmarkt, dem<br />

nördlichen Untermarkt, die Küchenbänke<br />

und Fleischbänke an der Fleischergasse.<br />

Später, bis ins vorige Jahrhundert, zimmerte<br />

man sich hölzerne Verkaufsbuden. Sie zogen<br />

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16<br />

Geschichte


Geschichten aus Alt-Görlitz<br />

Märkte und Krämer<br />

Jahrmarkt Hugo-Keller-Straße,<br />

Foto: Robert Scholz<br />

sich um die „Zeile“, die Dreifaltigkeitskirche<br />

und das Salzhaus und lehnten sich auch an<br />

die Stadtmauer. In den engen, dämmrigen<br />

Gewölben und Buden der Krämer stapelten<br />

sich Fässer, Kisten und Säcke, die verschiedensten<br />

Gerüche vermengten sich, und vor<br />

den Eingängen warben die Auslagen zum<br />

Kauf. Schaufenster kannte man noch nicht,<br />

oft dienten die heruntergeklappten Fensterladen<br />

als Verkaufstische. Jeder Krämer hatte<br />

sein Auskommen. Über alle Maßen liebten<br />

die alten Görlitzer die drei Jahrmärkte. Je<br />

nach der Jahreszeit unterschied man den<br />

„kalten“ Jahrmarkt, den „warmen“ Jahrmarkt<br />

und den Kirmes-Jahrmarkt. Da kamen Hunderte<br />

von Händlern mit ihren Wagen von<br />

weither. Buden, Bänke und Tische säumten<br />

die Gasse und zogen sich in die Hausgewölbe.<br />

Im dichten Gedränge kam man kaum<br />

vorwärts. Für eine Woche waren viele Leute<br />

rein aus dem Häuschen. Oft bekamen die<br />

Kinder sogar schulfrei, denn den Lehrern<br />

hörten sie vor Spannung sowieso kaum noch<br />

zu. Nur hier bekamen die Frauen die neuen<br />

Modeartikel zu sehen, nur hier erfuhren die<br />

Männer von technischen Neuerungen wie<br />

den Schwefelhölzchen. Pfefferküchler und<br />

Töpfer hatten ihr gutes Geschäft, aber auch<br />

Possenreißer und Bänkelsänger stellten sich<br />

ein, und manchmal stellten Menagerien ihre<br />

fremdartigen Tiere vor. Etwas stiller ging es<br />

auf den Weihnachtsmärkten zu, die auch lange<br />

Jahre auf dem Untermarkt Heimatrecht<br />

hatten. Auch den Wochenmarkt am Donnerstag<br />

mochten die Görlitzer nicht missen.<br />

Handwerker, Stadtgärtner und Bauern hatten<br />

vielerlei anzubieten. Gegenüber vom „Goldenen<br />

Baum“, zwischen Neptunbrunnen und<br />

Waage, spielte sich der Fischmarkt ab, bis zur<br />

Weihnachtszeit bekam man lebende Fische.<br />

Den Butter- und Eiermarkt fanden die sparsa-<br />

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Geschichte<br />

17


Märkte und Krämer<br />

und Krämer<br />

Getreidesäcke standen aufgebunden bereit,<br />

damit jeder Käufer die Güte prüfen konnte.<br />

Etwa viermal im Jahre gab es den Viehmarkt,<br />

da kam es vor, dass an die tausend Pferde<br />

Marienplatz, Foto: Robert Scholz<br />

men, wählerischen Hausfrauen und Dienstmädchen<br />

dann auf dem Fischmarkt vor der<br />

heutigen Musikschule, den Flachsmarkt an<br />

der heutigen Jacob-Böhme-Straße, den Geflügelmarkt<br />

an der unteren Elisabethstraße<br />

bis zur Bergstraße. Für den Heu- und Strohmarkt<br />

war der Nikolaigraben freigehalten, für<br />

den Holzmarkt der Nikolaiturm, für den Obstmarkt<br />

und die Böttcher der Klosterplatz. Die<br />

Topfmärkte siedelten sich auf dem heutigen<br />

Lutherplatz an. Auf dem Obermarkt spielte<br />

sich der Getreidemarkt ab. Bauern aus dem<br />

weiten Umkreis, sogar aus Böhmen, waren<br />

mit ihren Pferdefuhrwerken gekommen. Die<br />

Marienplatz mit Elisabethstraße,<br />

Foto: Robert Scholz<br />

und Rinder, Kälber und Schweine aufgetrieben<br />

wurden. Gasthöfe und Geschäfte rund<br />

um die Marktplätze bekamen ihren guten<br />

Teil von den Markttagen. In zufriedener Bierrunde<br />

sah man Händler und Kunden im „Goldenen<br />

Baum“ am Untermarkt (er besteht seit<br />

1538), in der „Goldenen Sonne“, Demianiplatz<br />

54 (früher „Drei Krebse“) oder im Ratskeller<br />

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18<br />

Geschichte


Geschichten aus Alt-Görlitz<br />

Märkte und Krämer<br />

beieinander. Vor hundert Jahren reihten sich<br />

um den Obermarkt drei Hotels („Goldene<br />

Krone“, „Preußischer Hof“, „Weißes Roß“), zwei<br />

Weinstuben und die Speisegaststätte Pfennigwerth,<br />

wo sich Getreidehändler und Bauern<br />

trafen. Auch im Kolonialwarengeschäft<br />

von Hecker, im Zigarrenladen von Franke, im<br />

Eisen- und Kurzwarengeschäft Krumpelt, in<br />

der Nagelschmiede am Reichenbacher Turm<br />

und in der Großdestillation Friedlander gab<br />

man sich die Klinke in die Hand. Aus der Drogerie<br />

Schluckwerder nahm man Farben, aus<br />

dem Leinen- und Kleiderwarengeschäft von<br />

Eduard Schulze Schürzen und Hemden mit.<br />

Und alles hatte man in einem kurzen Rundgang<br />

um den Platz geschafft. Erst ab 1880<br />

wuchsen die neuen Geschäftsstraßen und<br />

Wohnviertel. Die Ladengeschäfte waren geräumig,<br />

hell, sauber und schließlich sogar geheizt,<br />

das gefiel den Kunden wie eben alles<br />

Neue. Mit den Märkten ging es abwärts. Nur<br />

die Jahrmärkte hielten sich noch einige Zeit.<br />

Es bleibt der Wochenmarkt. Seit 1864 hat er<br />

sich an der Elisabethstraße behauptet.<br />

Quelle:<br />

Geschichten aus Alt-Görlitz<br />

Marienplatz mit Elisabethstraße,<br />

Foto: Robert Scholz<br />

Generell, nicht nur in Görlitz, schwindet die<br />

Zahl an Wochenmarkthändlern. Auch Markthändler<br />

werden älter und geben auf, wenn<br />

sie keine Nachfolger finden. In Ostdeutschland<br />

hatten sich viele nach der politischen<br />

Wende, als der Jobverlust um sich griff,<br />

selbstständig gemacht - mitunter mit einem<br />

Marktstand. Eine Generation, die nun aber in<br />

Rente geht. Auch rechnet sich für viele Händler<br />

in der heutigen Zeit der Aufwand nicht<br />

mehr, weil die Auflagen steigen.<br />

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Geschichte<br />

19


Der Wiederaufbau der Energieversorgung der Stadtwerke Görlitz<br />

(Fortsetzung)<br />

Positiv wirkte sich später aus, dass durch<br />

die zurück gekehrten Dorfbewohner die<br />

Arbeitskolonnen verpflegt wurden und<br />

die Kommandanturen mit Brot, Fleisch,<br />

Fett, Zucker und teils mit warmen Speisen<br />

Unterstützung gaben. Später übernahmen<br />

die zurück gekehrten Einwohner mit<br />

ihren Bürgermeistern gänzlich die Unterbringung<br />

und Verpflegung der Monteure.<br />

Um ein schnelleres Tempo bei der Instandsetzung<br />

zu erreichen, leisteten Bauern<br />

und örtliche Handwerker unter Anleitung<br />

der städtischen Monteure eine wertvolle<br />

Hilfe bei dem Heranschaffen und der<br />

Auswechslung der umgebrochenen und<br />

beschädigten Leitungsmasten. Das Werkzeug<br />

war meist von zu Hause mitgebracht<br />

oder irgendwo ausgeliehen. Den bewährten<br />

Monteuren wurden neu hinzutretende<br />

Schlosser und Arbeiter zugeteilt,<br />

und es konnten neue Reparaturkolonnen<br />

gebildet werden. Diese wurden dann auf<br />

nachfolgend genannte Leitungsstrecken<br />

aufgeteilt:<br />

1. nördlich von Zodel, Deschka und Zentendorf,<br />

2. südlich nach Wendisch-Ossig und Thielitz,<br />

3. westlich nach Markersdorf,<br />

4. nach Deutsch-Paulsdorf, Friedersdorf<br />

und Reichenbach, sowie<br />

5. nach Königshain und<br />

6. östlich nach Leopoldshain, Stangenhain,<br />

Sohr-Neundorf bis Särcha.<br />

Zeitgleich wurden die Leitungen nach<br />

Kunnersdorf, Krauscha und Kaltwasser<br />

wieder instand gesetzt. Von Reichenbach<br />

wurden die zum größten Teil zerstörten<br />

Strecken über Dittmansdorf nach Seifersdorf<br />

und Jänkendorf, von Rothenburg<br />

über Bremenhain, Spree, Hähnichen bis<br />

nach Rietschen und Liebel neu vorgetrieben,<br />

bis der nördliche Ring von Horka<br />

nach Uhsmannsdorf und von Niesky<br />

über Sproitz über Mücka bis Kreba und<br />

Tschernske wieder hergestellt und geschlossen<br />

war. Größere Abzweigleitungen<br />

nach Wiesa, Ödernitz, Biehain, Trebus und<br />

Kosel auf der einen Seite des Ringes und<br />

nach Petershain, Thiemendorf, Diehsa und<br />

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20<br />

Geschichte


nach dem 7. Mai 1945<br />

Energieversorgung<br />

Radisch auf der anderen Seite sind instand<br />

gesetzt worden und versorgten endlich<br />

wieder auch die abseits gelegenen Ortschaften<br />

der Landbezirke.<br />

Neben der Instandsetzung der Versorgungsleitungen<br />

gingen die Instandsetzung<br />

und Reparaturen in den ländlichen<br />

Umspannhäusern meist parallel dazu weiter.<br />

Diese hatten oft zerschossene Dächer<br />

und zertrümmerte Schalttafeln. Die Reparatur<br />

und Ersatzteilbeschaffung gestaltete<br />

sich schwierig.<br />

Zum Versorgungsgebiet der städtischen<br />

Werke für die Stadt und die Landkreise Rothenburg<br />

und Niesky gehörten in der Stadt<br />

76 und auf dem Lande 168 Umspannstationen.<br />

Der größte Teil liegt dabei im nördlichen<br />

Versorgungsgebiet und musste<br />

daher als Voraussetzung für die ländliche<br />

Energieversorgung sofort instand gesetzt<br />

werden. Um das Tempo bei der Instandsetzung<br />

insbesondere an den örtlichen<br />

Transformatoren-Stationen zu beschleunigen,<br />

wurde durch ortsansässige Elektromeister<br />

unter planvoller Arbeitslenkung<br />

und Materialbeschaffung durch die Stadtwerke<br />

mit dem Wiederaufbau der Ortsnetze<br />

begonnen. Nach der vordringlichsten<br />

Versorgung der ländlichen Handwerksbetriebe<br />

mit Elektroenergie, weil diese die<br />

Instandsetzung der landwirtschaftlichen<br />

Maschinen die für die Ernte gebraucht<br />

wurden, vornehmen mussten, sowie der<br />

landwirtschaftlichen Güter, die sich inzwischen<br />

schon auf das Dreschen des Getreides<br />

einstellten. Gleichzeitig mussten die<br />

Mühlen mit Strom versorgt werden, denn<br />

die Bevölkerung wartete auf Brot.<br />

Alsdann ging es um die Wiederinstandsetzung<br />

der Stadtbeleuchtung. Auch hier<br />

war eine unglaubliche Arbeitsleistung erforderlich,<br />

um die meist beschädigten Anschlusskästen,<br />

Schaltgeräte und Aufzugsvorrichtungen<br />

der Lampen zu reparieren.<br />

Es war auch notwendig, die fehlenden<br />

meist während des Krieges abgenommenen<br />

und verschollenen Lampen wenigsten<br />

teilweise zu beschaffen und wieder<br />

anzubringen.<br />

In den ersten Tagen nach Kriegsende dachte<br />

noch keiner an die düsteren Prophezeiungen,<br />

dass uns ein verlorener Krieg<br />

die Gebiete östlich von Neiße und Oder<br />

kosten würde, sondern man hielt die An-<br />

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Geschichte<br />

21


Der Wiederaufbau der Energieversorgung der Stadtwerke Görlitz<br />

deutungen über das Abkommen von Jalta<br />

für Propaganda des Nazi-Regimes. Daher<br />

fanden sich alle aufbauwilligen Kräfte zunächst<br />

wieder im Neißewerk am östlichen<br />

Neißeufer ein, wo sich auch alle Werkstätten,<br />

Lager, Büros und Verwaltungsräume<br />

befanden.<br />

In unmittelbarer Nähe des E-Werkes an<br />

der Neiße, begann die Rote Armee eine<br />

Notbrücke über die Neiße zu bauen, und<br />

daran knüpfte jeder die Hoffnung eines<br />

besseren Verkehrs auch für Zivilpersonen,<br />

darunter die Kontakte mit den eigenen<br />

Angehörigen im östlichen Stadtteil. Diese<br />

Hoffnung aber versank bald, denn mit der<br />

Fertigstellung der Brücke hatten die polnische<br />

Armee und die polnischen Verwaltungsbeamten<br />

den westlichen Rand ihres<br />

Besatzungsgebietes erreicht und durchgesetzt<br />

und ihren Schlagbaum am östlichen<br />

Brückenkopf errichtet. Brückenkontrolle<br />

und jegliches Übergangsverbot folgten<br />

ziemlich rasch aufeinander.<br />

Anfangs war es noch möglich gewesen,<br />

einiges Material, Werkzeuge und Messgeräte<br />

vom E- Werk nach der Westseite<br />

mitzunehmen, aber nunmehr verboten<br />

dies die neuen Grenzverhältnisse. Damit<br />

verlagerte sich der Arbeitseinsatz ziemlich<br />

rasch vom Neißewerk auf die Außenstelle<br />

in der Görlitzer Steinstraße 13. Dort<br />

befanden sich der Kundendienst, die Tarifabteilung,<br />

die Werbung und die Ausstellungsräume.<br />

Das reichhaltige Lager<br />

für Transformatoren, Kabelmaterial, das<br />

Material-, Werkzeug- und Zählerlager, die<br />

gesamten Werkstätten mit den Zählerprüfeinrichtungen,<br />

Garagen, Büros, Archiv und<br />

Geschäftsausstattung gingen nach Kriegsende<br />

auf der Ostseite der Neiße verloren.<br />

Nur die kaufmännische Abteilung hatte<br />

rechtzeitig ihre Büros auf die Westseite der<br />

Stadt verlegt und damit einige unersetzliche<br />

Schreib-, Rechen- und Buchungsmaschinen<br />

sowie einige wichtige Akten,<br />

Verträge und Karteien mitgenommen. Die<br />

gesamten technischen Unterlagen, Zeichnungen,<br />

Pläne, Verzeichnisse, Preislisten,<br />

Broschüren, Literatur usw. sind verloren<br />

gegangen. Damit waren die städtischen<br />

Werke nicht besser gestellt als jeder ausgebombte<br />

Betrieb.<br />

Mit der Neuerstellung und Neuaufnahme<br />

dieser Unterlagen sowie Neubeschaffung<br />

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22<br />

Geschichte


nach dem 7. Mai 1945<br />

Energieversorgung<br />

von Landkarten, Messtischblättern, Plänen<br />

und Literatur wurde daher schon im Jahre<br />

1945 begonnen.<br />

Altstadtwerk, jetzt Turbinenhaus und Restaurant<br />

Vierradenmühle.<br />

Anmerkung:<br />

Es war also dringend erforderlich, Netz-,<br />

Übersichts- und Schaltpläne neu anzufertigen.<br />

Ein erster grober Übersichtsschaltplan<br />

ließ sich aus den in den Umspannwerken und<br />

Schalthäusern vorhandenen Plänen zusammenstellen<br />

(u. a. Schalthaus Brautwiesenplatz<br />

und Demianiplatz, Gleichrichterwerk<br />

Verrätergasse, Gobbinwerk, Altstadtwerk,<br />

Schaltwerk Reichenbach, Niesky und Freileitungsschaltwerk<br />

Ebersbach). Erst ab dem<br />

Jahre 1948 konnte das gesamte 10-KV-Netz<br />

geographisch neu aufgenommen werden<br />

und auf eine mit Messtischblättern zusammengefügte<br />

Karte übertragen werden. Zu<br />

all diesen Problemen kam hinzu, dass insbesondere<br />

es an den 10-KV-Leitungen und dem<br />

Ortsnetz seit etwa 1942 keine Erweiterungen<br />

und Wartungsarbeiten mehr gegeben hat.<br />

Zur Materialreserve für die Kriegsproduktion<br />

wurden Hoch- und Niederspannungsfreileitungen<br />

aus Kupferseilen gegen Eisenseile<br />

ausgewechselt. Im Norden der Kreise Rothenburg<br />

Niesky waren die Leitungen durch<br />

Kriegshandlungen erheblich zerstört, es gab<br />

fast keine Leitungsmaste mehr.<br />

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Geschichte<br />

23


Der Wiederaufbau der Energieversorgung der Stadtwerke Görlitz<br />

Um aber technisch diese Abschaltungen<br />

Gebietsweise vornehmen zu können,<br />

musste das gesamte 10-KV-Netzt mit damals<br />

34 km Länge und 56 Schaltstellen sowie<br />

das Dreh- und Gleichstrom- , Niederspannungskabelnetz<br />

in einer Länge von<br />

250 km, was ursprünglich vermascht war,<br />

aufgetrennt werden. Diese Maßnahmen<br />

waren notwendig, da das dem Gleichstromverteilerkabelnetz<br />

übergeordnete<br />

vermaschte Gleichstromspeisekabelnetz<br />

nicht getrennt werden durfte. Daher war<br />

es erforderlich in 5 Gleichstromschaltstellen<br />

ein Doppelsammelschienensystem<br />

einzubauen und 180 Stromkästen, welche<br />

mit einer Granitplatte mit einem Gewicht<br />

von 95 kg abgedeckt sind, ein- bis zweimal<br />

täglich aufzunehmen, um die erforderliche<br />

Trennung der Leitung vornehmen zu<br />

können. Der Einbau der Doppelsammelschienen<br />

sowie die Umschaltungen im<br />

Niederspannungskabelnetz mussten unter<br />

Spannung durchgeführt werden, um<br />

durch Stromausfall keine Störungen im<br />

Aufbau des Versorgungsgebietes hervorzurufen.<br />

Diese Arbeiten konnten nur von 3<br />

Monteuren in kürzester Zeit bei sehr niedriger<br />

Entlohnung, die kaum ausreichte für<br />

notwendige Nahrung zu sorgen, realisiert<br />

wurden. Nach den Aufräumungsarbeiten<br />

und der Wiederherstellung der zerstörten<br />

Verbindungen wurde am 25.10.1945 das<br />

Altstadtwasserkraftwerk (an der Altstadtbrücke)<br />

mit einer Leistung von 135-155<br />

kW wieder in Betrieb genommen.<br />

Gleichzeitig nahmen sich die Stadtwerke<br />

des von Baron Kittlitz verlassenen, kleinen<br />

Wasserkraftwerkes in Bremenhain bei Lodenau<br />

an der Neiße an, welches durch den<br />

Krieg stark gelitten hatte. Die Stromversorgung<br />

wurde hier am 19.2.1945 eingestellt,<br />

seitdem schon seit dem 4.2.1945 jeglicher<br />

Telefonverkehr unterbrochen war und<br />

der Ort Lodenau, von allen Einwohnern<br />

geräumt werden musste. Dieses Werk<br />

war an das 10-KV-Stadtwerkenetz angeschlossen,<br />

versorgte aber selbst nur einige<br />

ländliche Orte über eine 3-KV-Leitung.<br />

Einige Einwohner von Lodenau die auch<br />

über dieses Netz versorgt wurden, halfen<br />

sich zunächst selbst. Besondere Verdienste<br />

erwarb der spätere Maschinenwärter<br />

Knebel dieses Werkes, indem er auf eigene<br />

Initiative in unmittelbarer Nähe des Was-<br />

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24<br />

Geschichte


nach dem 7. Mai 1945<br />

Energieversorgung<br />

serkraftwerkes vergrabene Mienen suchte<br />

und entfernte. Dabei hat er eine Hand eingebüßt.<br />

Nachdem ab dem 30.6.1945 das<br />

Gelände entmint war, wurde unter Leitung<br />

des Lodenauer Elektromeisters Kirst die<br />

Reinigung und Widerherstellung des Werkes<br />

vorgenommen. Am 18.7.1945 konnte<br />

die Stromversorgung aus diesem Wasserkraftwerk<br />

wieder aufgenommen werden.<br />

Anmerkung:<br />

Der Betrieb des Wasserkraftwerkes musste<br />

aber des öfteren unterbrochen werden, da<br />

Angehörige der Roten Armee mit Tellerminen<br />

und Granaten im Bereich des Kraftwerkes<br />

Fische fingen und es dadurch zu Erschütterungen<br />

der Fundamente des Kraftwerkes<br />

kam. Durch eine Beschwerde bei den sowjetischen<br />

Dienststellen konnte gegen dieses<br />

Vorgehen Abhilfe geschaffen werden.<br />

Eine weitere unumgängliche Aufgabe<br />

bestand nun darin, eigene Transportmittel<br />

anzuschaffen, eine Fahrzeugwerkstatt<br />

aufzubauen und eine Transportkolonne zu<br />

etablieren, um Geräte und Baumaterialen<br />

transportieren zu können. Man fand ein<br />

LKW-Wrack, welches wieder fahrbereit gemacht<br />

werden konnte. Auf ähnliche Weise<br />

wurden aus Trümmern einige Fahrräder, 3<br />

PKWs und 6 LKWs instand gesetzt, von denen<br />

immer 1-2 Fahrzeuge fahrbereit waren.<br />

Desweiteren wurde eine neue Schlosserwerkstatt<br />

eingerichtet. Diese wurde<br />

ausgestattet mit geborgten Werkzeugmaschinen,<br />

Flaschenzügen, Steigeisen, Zangen<br />

und verschiedenen anderen Werkzeugen.<br />

Verschiedene Hilfsmittel sind von<br />

Hand selbst angefertigt worden. Dadurch<br />

konnten Schlosser und Arbeiter mit den<br />

inzwischen fahrbereiten LKWs notwendige<br />

Hilfstransporte und auch Reparaturen<br />

für die Landbevölkerung vornehmen, damit<br />

diese die notwendigen Reparaturen<br />

an Maschinen und Geräten für die Herbstbestellung<br />

1945 realisieren konnten und<br />

damit einsatzbereit machten.<br />

Eine besondere Herausforderung ergab<br />

sich für die Zählerabteilung (Zählerwerkstatt),<br />

die sich im Neißewerk befand und<br />

leider aufgegeben werden musste. Diese<br />

Kollegen wurden zunächst zur Beseitigung<br />

kleinerer Störungen im Stadtnetz<br />

eingesetzt. Obwohl diese Kollegen mit<br />

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Geschichte<br />

25


Der Wiederaufbau der Energieversorgung der Stadtwerke Görlitz<br />

Ausweispapieren der Kommandantur nur<br />

für Arbeiten des E-Werkes ausgestattet<br />

waren, kam es oft vor, dass diese von sowjetischen<br />

Soldaten für andere Arbeiten<br />

eingesetzt wurden und damit für Arbeiten<br />

des E-Werkes nicht zur Verfügung standen.<br />

Einige Straßen in Görlitz wurden von der<br />

Roten Armee und ihren Angehörigen besetzt.<br />

Das waren unter anderem der obere<br />

Teil der Bahnhofstraße, Seydewitz- Straße<br />

(Carl-von-Ossietzki-Straße), Goethe-Straße<br />

und weitere. Besonders in diesem Gebiet<br />

kamen die Messeinrichtungen (Zähler)<br />

durch Überbelastung und unsachgemäße<br />

Eingriffe zu Schaden. Im Zuge der späteren<br />

Besetzung von weiteren Straßen durch<br />

die Rote Armee wurden in diesen Grundstücken<br />

vorsorglich die Zähler ausgebaut.<br />

Als dann aber Mitte Juni 1945 das Neißewerk<br />

nicht mehr zugänglich war, ergaben<br />

sich erst die größten Schwierigkeiten<br />

für die Zählerwerkstatt. Der Verlust der<br />

Zählerwerkstatt mit ihren Prüf- und Messeinrichtungen<br />

für Gleich-, Wechsel- und<br />

Drehstrom machte eine Überprüfung und<br />

Reparatur der Zählereinrichtungen fast<br />

unmöglich. Bevor neue Zähler eingebaut<br />

wurden, konnten selbige nur grob auf<br />

Anlauf überprüft werden. Wechsel- und<br />

Drehstromzähler wurden auf Spannungsspulenunterbrechung<br />

der einzelnen Triebsysteme<br />

und eventuell auf Leerlauf geprüft.<br />

Der Landeinsatz gestaltete sich jedoch<br />

schwieriger. Die Eisenbahn fuhr noch<br />

nicht. Autos gab es weder privat noch in<br />

den Kommunalbetrieben, Fahrradfahren<br />

war wegen Beschlagnahme riskant. Erst<br />

nach Wochen erfolgte der Einsatz mittels<br />

LKW. Als Ende Juli 1945 die Eisenbahn<br />

wieder fuhr, erfolgte der Einsatz der Zählerabteilung<br />

bei den Vertragsabnehmern<br />

wie bei den Elektrizitätsgenossenschaften<br />

der Ortschaften und Vertragshändlern. Im<br />

Gebiet Niesky wurden durch die Kriegseinwirkungen<br />

besonders große Schäden<br />

an den Messeinrichtungen festgestellt,<br />

zum Teil waren diese ganz verschwunden.<br />

Im Herbst 1945 konnte in den Räumen<br />

des Gaswerkes Görlitz wieder eine eigene<br />

Zählerabteilung eingerichtet werden.<br />

Für diese Werkstatt gelang es, weitere<br />

Prüfgeräte teils auch als Leihgaben anzuschaffen.<br />

Ende des Jahres 1946 wurde eine<br />

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26<br />

Geschichte


nach dem 7. Mai 1945<br />

Energieversorgung<br />

Isolationsprüfeinrichtung bis 2000 Volt für<br />

Gleich-, Wechsel- und Drehstromzähler<br />

fertiggestellt.<br />

Da sich nunmehr die Abtrennung der<br />

Ostseite an das polnische Gebiet abzeichnete,<br />

ging man nun dazu über, 1946 die<br />

Stromverteilung den nunmehr unveränderlichen<br />

Versorgungsverhältnissen anzupassen,<br />

die sich aus der Zerschneidung in<br />

Görlitz Ost und West ergeben hatten. Die<br />

verlaufende 40-KV-Leitung von Hirschfelde,<br />

die bei Deutsch Ossig von deutscher<br />

Seite über die Neiße auf polnisches Gebiet<br />

verlief, wurde angezapft und ab Deutsch<br />

Ossig neu auf der deutschen Seite zum<br />

Umspannwerk am Wasserwerk verlegt.<br />

Gleichermaßen wurde eine 40-KV-Leitung<br />

auf Holzportalmasten von Deutsch Ossig<br />

zum Umspannwerk Niesky über 34 km neu<br />

gebaut, so dass das Umspannwerk Niesky<br />

die Überlandversorgung im Norden wieder<br />

aufnehmen konnte. Dadurch konnte<br />

eine wesentliche Spannungsverbesserung<br />

erreicht werden. Gleichermaßen entstand<br />

1947 eine neue 10-KV-Leitung parallel zur<br />

B 99 vom Wasserkraftwerk Deutsch Ossig<br />

zum Umspannwerk im Wasserwerk. Das<br />

Umverlegung der 40-KV-Leitung auf deutscher<br />

Seite bei Deutsch Ossig zum Umspannwerk<br />

Weinhübel/Wasserwerk und Errichtung einer<br />

Abzweigung 10-KV-Leitung auf Holzportalmasten<br />

zum Umspannwerk Niesky.<br />

Wasserkraftwerk Deutsch Ossig hatte eine<br />

Leistung von 375 KW.<br />

Das bisherige Hilfsumspannwerk Wein-<br />

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Geschichte<br />

27


Der Wiederaufbau der Energieversorgung der Stadtwerke Görlitz<br />

Lageplan Umspannwerk im Wasserwerk um 1951 (Abb.: Archiv Hans Steifa Schönau Berzdorf)<br />

hübel am Wasserwerk wurde nun durch<br />

Umbau und Erweiterung zum Hauptumspannwerk<br />

für Görlitz. Als weitere Maßnahmen<br />

konnte das 3-KV-Stromnetz von<br />

Lodenau nach Steinbach auf 10-KV umgebaut<br />

und direkt an das stadteigene<br />

Landnetz mit angeschlossen werden. Die<br />

Betriebsfernsprechleitungen konnten wieder<br />

hergestellt und erweitert werden.<br />

Mit zunehmend besserer Materialversorgung<br />

und deren Beschaffungsmöglichkeiten<br />

wurden die Arbeiten an den Netzen,<br />

deren Erweiterung zügig fortgeführt.<br />

Durch die Einführung der Investitionsplanung<br />

gab es Verzögerungen und Unterbrechungen,<br />

so dass in Görlitz in Bezug<br />

auf Zweckmäßigkeit und Umfang der Verteilungseinrichtungen<br />

der Vorkriegsstand<br />

noch nicht erreicht werden konnte.<br />

Nun bestand eine wichtige Aufgabe darin,<br />

die Arbeits- und Lebensbedingungen<br />

der Beschäftigten zu verbessern. Das Zusammenführen<br />

vieler Spezialkräfte und<br />

Arbeiter machte es nötig, für eine einheitliche<br />

Verpflegung zu sorgen, denn vielen<br />

Beschäftigten war die Beschaffung von<br />

Lebensmitteln und deren Zubereitung<br />

unmöglich. Zuteilungen über amtliche<br />

Stellen gab es nicht. Findige Köpfe des<br />

Unternehmens gründeteten 1945 eine<br />

Werksküche. Am Anfang wurden in unregelmäßigen<br />

Abständen warme Getränke<br />

und Suppen verabreicht. Zwischenzeitlich<br />

konnten im Herbst 1945 Gemüse und Kartoffeln<br />

beschafft werden. Daraus hat sich<br />

dann im Laufe der Zeit eine Werksküche<br />

entwickelt, die von den Beschäftigten<br />

gern in Anspruch genommen wurde, die<br />

28<br />

Geschichte


nach dem 7. Mai 1945<br />

Energieversorgung<br />

auch jetzt noch besteht (1975) und für wenig<br />

Geld eine regelmäßige Mittagsmahlzeit<br />

zur Verfügung stellen kann.<br />

In dieser Zeit war das Bestreben der Stadtwerker<br />

stets, die Energieversorgung für<br />

die Bürger der Stadt zu sichern. Gemeinschaftssinn<br />

und Verantwortung für die<br />

Bürger unserer Stadt waren deren oberste<br />

Maxime, denn viele der arbeitenden<br />

Männer hatten nicht mehr im Besitz, als<br />

das was sie am eigenen Leibe trugen, weil<br />

sie oft selbst Flüchtlinge oder Heimkehrer<br />

waren. Vielen konnte durch Kleidungsspenden<br />

und Wohnungszuweisungen geholfen<br />

werden. Es wurden aber auch Geldbeträge<br />

zur Unterstützung bereitgestellt.<br />

Das Gemeinschaftsgefühl hat die Stadtwerker<br />

stets in den schwierigsten Zeiten<br />

der letzten Vergangenheit zusammengehalten<br />

und im Einsatz immer zum frohen<br />

Schaffen im Sinne des Wiederaufbaus und<br />

der Allgemeinheit angespornt.<br />

Die fortschrittlichen Kräfte, die aus den<br />

Kreisen der Belegschaft als Betriebsleiter<br />

und Betriebsrat hervorgegangen waren,<br />

sind stets bemüht gewesen, die Stadtwerke<br />

zu dem zu machen, was die Stadtwerke<br />

sein sollten, nämlich ein Werk im Dienste<br />

der Allgemeinheit. Diesem Anspruch sind<br />

die Stadtwerke bis heute (2021) stets treu<br />

geblieben.<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

Wolfgang Stiller<br />

Erratum: In unserer Dezemberausgabe <strong>StadtBILD</strong>, mit<br />

dem Titel „Verdienstvoller Mediziner Karl Gustav Kahlbaum“,<br />

muss es auf der Seite 47 Kolumne 1, Zeile 8<br />

richtig heißen. Innerhalb Deutschlands brachte sich Dr.<br />

Kahlbaum als Wegweiser der modernen Psychiatrie…<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

<strong>StadtBILD</strong>-Verlag<br />

eine Unternehmung der<br />

incaming media GmbH<br />

vertreten durch den Geschäftsführer<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Mitglied im Deutschen Fachjournalistenverband<br />

Carl-von-Ossietzky-Straße 45 | 02826 Görlitz<br />

Tel. 03581 87 87 87 | Fax: 03581 40 13 41<br />

E-Mail: info@stadtbild-verlag.de<br />

Shop: www.stadtbild-verlag.de<br />

Bankverbindung:<br />

IBAN: DE21 8504 0000 0302 1979 00<br />

BIC: COBADEFFXXX<br />

Geschäftszeiten:<br />

Mo. - Fr. von 9.00 bis 16.00 Uhr<br />

Druck:<br />

Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />

Erscheinungsweise: monatlich<br />

Redaktion & Inserate:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Kathrin Drochmann<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Bertram Oertel<br />

Layout:<br />

Kathrin Drochmann<br />

Lektorat:<br />

Wolfgang Reuter, Berlin<br />

Teile der Auflage werden kostenlos verteilt, um<br />

eine größere Verbreitungsdichte zu gewährleisten.<br />

Für eingesandte Texte & Fotos übernimmt der Herausgeber<br />

keine Haftung. Artikel, die namentlich<br />

gekennzeichnet sind, spiegeln nicht die Auffassung<br />

des Herausgebers wider. Anzeigen und redaktionelle<br />

Texte können nur nach schriftlicher Genehmigung<br />

des Herausgebers verwendet werden.<br />

Redaktionsschluss:<br />

Für die nächste Ausgabe (Februar)<br />

ist am 15.01.<strong>2022</strong><br />

Geschichte<br />

29


Höhere Mindestlöhne ab <strong>2022</strong> beachten<br />

ETL-Steuerberatung<br />

Sie sind nicht nur Unternehmer, sondern auch Arbeitgeber? Dann müssen Sie den ab<br />

dem 1. <strong>Januar</strong> <strong>2022</strong> geltenden höheren Mindestlohn von 9,82 Euro brutto pro Zeitstunde<br />

(ab dem 1. Juli <strong>2022</strong> 10,45 Euro) oder einen zum 1. <strong>Januar</strong> <strong>2022</strong> gestiegenen Branchentariflohn<br />

beachten. Insbesondere wenn Sie Mini-Jobber beschäftigen, die monatlich 450 Euro<br />

verdienen und deren Stundenlohn derzeit unter dem ab 2021 geltenden Mindestlohn liegt,<br />

besteht Handlungsbedarf.<br />

Damit die Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro nicht überschritten wird, müssen Sie die<br />

Verträge mit Ihren Mini-Jobbern anpassen. Ansonsten wird der Mini-Job zum sozialversicherungspflichtigen<br />

Beschäftigungsverhältnis. Zudem verstoßen Sie gegen das Mindestlohngesetz<br />

oder einen Branchentarifvertrag. Und es reicht auch nicht aus, 450 Euro pro Monat<br />

zu vereinbaren und dann „auf Abruf“ die Stunden abzuleisten.<br />

Eine „Arbeit auf Abruf“ ist zwar in vielen Branchen durchaus üblich, sie hat aber auch ihre<br />

Tücken. Achten Sie daher stets darauf, dass eine Wochenarbeitszeit vertraglich geregelt ist.<br />

Denn im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) wird geregelt, dass zum Schutz der Arbeitnehmer<br />

eine Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche als vereinbart gilt, wenn die wöchentliche<br />

Arbeitszeit vertraglich nicht festgelegt ist. Haben Arbeitgeber und Mini-Jobber keine<br />

konkrete Wochenarbeitszeit vereinbart, besteht daher dringender Handlungsbedarf. Regelmäßig<br />

ergibt sich ein durchschnittlicher Monatsverdienst von mehr als 450 Euro, wenn<br />

eine Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche unterstellt wird (20 Stunden x 13 Wochen / 3<br />

Monate x 9,82 Euro = 851,07 Euro ab 1. <strong>Januar</strong> <strong>2022</strong> bzw. sogar 905,67 Euro ab 1. Juli <strong>2022</strong>).<br />

Nutzen Sie daher die verbleibende Zeit, um entsprechende Änderungsvereinbarungen abzuschließen.<br />

Bitte beachten Sie, dass Sie in einem Mini-Job nicht mehr als 45,5 Stunden pro<br />

Monat (45,82 x 9,82 Euro = 450,00 Euro) vereinbaren, ab Juli <strong>2022</strong> sogar nur noch 43 Stunden<br />

(43,06 x 10,45 Euro = 450,00 Euro). Angesichts dieser relativ geringen Monatsstundenzahl<br />

könnte in dem einen oder anderen Fall auch eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit im<br />

sogenannten Übergangsbereich die bessere Alternative sein. Ob und wenn ja ab wann die<br />

Minijob-Grenze tatsächlich von 450 Euro auf die im Rahmen der Sondierungsgespräche der<br />

potenziellen Koalitionspartner genannten 520 Euro angehoben wird, ist derzeit ungewiss.<br />

30<br />

Autor: Ulf Hannemann, Freund & Partner GmbH (Stand: 04.11.2021)<br />

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