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219_StadtBILD_Oktober_2021

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Vorwort<br />

Der Monat <strong>Oktober</strong> ist bekannt als der Erntemonat<br />

und dient der Vorbereitung auf die lange<br />

Winterzeit. Deshalb wird er seit alters mit einem<br />

Erntedankfest beendet. Die Älteren erinnern<br />

sich sicher noch ans Einlagern der Kartoffeln<br />

und das mühselige Einschaufeln der Kohlen in<br />

den Keller oder noch schlimmer das Schleppen<br />

der schweren Kohlesäcke auf den Dachboden.<br />

Aber auch die Doppelfenster mussten in vielen<br />

alten Häusern von außen eingehängt werden<br />

und mit Stroh oder Zeitungspapier abgedichtet<br />

werden, um die Häuser winterfest zu machen.<br />

So ist es nicht verwunderlich, dass die Vereinten<br />

Nationen den 1. Montag im <strong>Oktober</strong> zum<br />

Welttag des Wohn- und Siedlungswesens erklärten.<br />

Wir haben diesem Umstand in der vorliegenden<br />

Ausgabe Rechnung getragen und<br />

den Schwerpunkt auf die Bedeutung, den Erhalt<br />

sowie den Schutz wertvoller Bauten durch<br />

die Denkmalpflege gelegt. Für Görlitz ist in diesem<br />

Zusammenhang der 22. <strong>Oktober</strong> <strong>2021</strong> von<br />

besonderer Bedeutung, da an diesem Tag die<br />

unermüdliche Arbeit der Evangelischen Kulturstiftung<br />

Görlitz durch das Deutsche Nationalkomitee<br />

für Denkmalschutz (DNK) gewürdigt<br />

wird und Frau Margot Kempgen in Berlin mit<br />

dem höchsten Preis für überdurchschnittliches<br />

Engagement in Deutschland, der silbernen<br />

Halbkugel, ausgezeichnet wird. Die Geschichte<br />

der Denkmalpflege ist in dem früher durch<br />

viele einzelne Länder zersplitterten Deutschland<br />

außerordentlich spannend. Standen sich<br />

doch seit jeher wirtschaftliche Interessen und<br />

die Verantwortung für den Erhalt wertvoller<br />

Kulturgüter oft diametral gegenüber. Besondere<br />

Bedeutung hat deshalb in der vorliegenden<br />

Ausgabe die Geschichte der Denkmalpflege in<br />

Görlitz und im Staat Preußen, zu dem Görlitz ja<br />

130 Jahre gehörte.<br />

Auf großes Interesse dürfte auch die leider<br />

weitgehend in Vergessenheit geratene Geschichte<br />

des Herzogtums Görlitz stoßen. Sind<br />

doch praktisch fast alle Bauten und Denkmale<br />

aus dieser Zeit verschwunden.<br />

Schon in früheren Ausgaben hat sich unser<br />

leider verstorbener Dr. Ernst Kretzschmar mit<br />

der Geschichte einzelner Plätze und Straßen<br />

in Görlitz beschäftigt. Deshalb haben wir auch<br />

den Beitrag unseres Lesers Eberhard Feja mit<br />

aufgenommen, der sich ausgiebig mit der jüngeren<br />

Geschichte der Görlitzer Emmerichstraße<br />

befasst hat.<br />

Görlitz wurde vor 950 Jahren erstmals in einer<br />

Urkunde erwähnt. Grund genug, dieses Ereignis<br />

mit einer würdigen Feier und einem Volksfest<br />

zu gedenken. Doch bis auf ein paar einzelne<br />

Veranstaltungen in den Museen fielen diese<br />

Gedenkfeiern in Görlitz weitgehend aus, was<br />

nicht nur Pandemie bedingt war. Schade, denn<br />

so wurde wieder eine Möglichkeit der Werbung<br />

für unsere schöne Stadt vertan. Doch dies soll<br />

uns nicht entmutigen, wir werden Ihnen weiterhin<br />

interessante und historische Themen<br />

bringen, die Görlitz und unsere Region betreffen.<br />

Genießen Sie, liebe Leser, den goldenen Herbst<br />

im Stadtpark oder in der herrlichen Umgebung<br />

mit einem Gläschen Wein und dem vorliegenden<br />

<strong>StadtBILD</strong> Magazin.<br />

Ihr Team vom <strong>StadtBILD</strong>-Magazin<br />

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Einleitung<br />

3


950 Jahre Görlitz, das bedeutet auch<br />

über 100 Jahre Denkmalpflege Zukunft<br />

in unserer Stadt.<br />

Geschichte der Denkmalpflege<br />

Ein konkreter Zeitpunkt, ein Startschuss für<br />

erstes denkmalpflegerisches Handeln in<br />

Görlitz lässt sich nicht beziffern. Was zählt<br />

man dazu – erste staatliche Gesetzgebungen,<br />

kommunale Ordnungen oder sensible<br />

Architekten und ehrenamtliches Engagement?<br />

All das gab und gibt es, ploppte<br />

aber zu unterschiedlichen Zeiten auf.<br />

Ein außergewöhnliches Beispiel vorausschauenden<br />

denkmalpflegerischen Handelns<br />

zeigt sich am Schönhof (Brüderstraße<br />

8). Das bis ins Mittelalter zurückgehende<br />

Gebäudeensemble, das uns vor allem wegen<br />

seines Umbaus von 1526 durch Wendel<br />

Roskopf d. Ä. bekannt ist, sollte 1908<br />

durch die damaligen Eigentümer abgebrochen<br />

werden. Zu verschlissen und runtergekommen<br />

war das als Brauhaus genutzte<br />

Gebäude. Allerdings gelang es der Stadt<br />

Görlitz mithilfe preußischer Fördermittel,<br />

den Bau bereits ein Jahr später zu erwerben<br />

und so einen der frühsten Renaissancebauten<br />

Deutschlands zu erhalten. Dem<br />

Gebäude wurde also durch hohes Engagement<br />

wichtiger Akteure die Rettung<br />

zuteil. Der Schönhof wurde somit in seiner<br />

Bedeutung zunächst ohne staatliches Eingreifen<br />

erkannt, hier agierte die Stadtgemeinschaft.<br />

Da Görlitz durch die Teilung der Oberlausitz<br />

1815 an Preußen fiel, ist für uns ein<br />

Blick in die Geschichte der staatlichen<br />

preußischen Denkmalpflege entscheidend.<br />

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

setzte sich kein Geringerer als Karl<br />

Friedrich Schinkel für die Etablierung einer<br />

staatlichen Denkmalpflege ein. Durch<br />

seine Position als Oberlandesbaudirektor<br />

stellte er hierfür wichtige Weichen. Im Übrigen<br />

setzte er sich in Görlitz für den Erhalt<br />

des ehemaligen Franziskanerklosters ein,<br />

das dann doch 1856 durch den Schulbau<br />

(heute Haus Augustum des Augustum-Annen-Gymnasiums)<br />

ersetzt wurde.<br />

König Friedrich Wilhelm IV. beauftragte<br />

den Kultusminister Friedrich Eichhorn<br />

(1779 – 1856) damit, die Organisation der<br />

Denkmalpflege in Preußen zu erarbeiten,<br />

womit, und das ist in einigen Bundesländern<br />

und Kommunen nach wie vor der<br />

Fall, die Denkmalpflege im Kulturressort<br />

angesiedelt war. Als erster „Konservator“<br />

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4<br />

Geschichte


Zeit, ein kleines Resümee zu ziehen.<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Peterstraße 4, Zustand um 1900<br />

Foto: Städtische Kunstsammlungen<br />

(lat.: „Bewahrer der Denkmäler“)<br />

wurde der SchinkelSchüler<br />

Ferdinand von<br />

Quast 1843 durch den König<br />

berufen. Er entwickelte eine<br />

bis heute gültige Methodik<br />

zum denkmalpflegerischen<br />

Umgang mit Baudenkmalen.<br />

Nach dem Motto, man<br />

muss das kennen, was man<br />

schützen will, entwickelte er<br />

Erfassungsbögen, mit denen<br />

er die Bedeutung historische<br />

Bausubstanz katalogisierte.<br />

Beflissentlich bereiste er Preußen<br />

und verschaffte erstmals<br />

einen Überblick über wertvolle<br />

und wichtige Kulturdenkmale.<br />

Freilich war der Begriff<br />

des Denkmals damals noch<br />

ein anderer – im Fokus seiner<br />

Begutachtung standen vor allem<br />

öffentliche und kunstvolle<br />

Bauten wie Klöster, Kirchen,<br />

Burgen und ähnliches.<br />

Aber auch für die praktische<br />

Denkmalpflege setzte er Maß-<br />

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Geschichte<br />

5


950 Jahre Görlitz, das bedeutet auch<br />

über 100 Jahre Denkmalpflege Zukunft<br />

in unserer Stadt.<br />

Peterstraße 4, Fassade nach der Sanierung 1958<br />

Foto: Städtische Kunstsammlungen<br />

stäbe, die heute noch Gültigkeit<br />

haben: so sprach er sich<br />

für Bewahrung der originalen<br />

Bausubstanz, zurückhaltende<br />

Rekonstruktion und eine klare<br />

Differenzierung von altem<br />

und neuem aus. Dies mag für<br />

uns heute selbstverständlich<br />

sein, war im 19. Jahrhundert<br />

aber noch nicht selbstverständlich.<br />

Der französische<br />

Architekt und Kunsttheoretiker<br />

Eugène Viollet-le-Duc<br />

(1814 – 1879) beispielsweise<br />

hatte eine völlig gegenteilige<br />

Auffassung: er ergänzte und<br />

rekonstruierte seine Denkmale.<br />

Als bekanntes Beispiel ist<br />

seine Restaurierung der Kirche<br />

Notre-Dame de Paris zu<br />

nennen, die er um unzählige<br />

Figuren und Fialen ergänzte,<br />

aber auch mittelalterliche<br />

Maßwerkfenster in einen früheren<br />

Bauzustand zurückversetze.<br />

Die Leitlinien Quasts können<br />

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6<br />

Geschichte


Zeit, ein kleines Resümee zu ziehen.<br />

950 Jahre Zukunft<br />

sich final mit der Etablierung der modernen<br />

Denkmalpflege unter dem Kunsthistoriker<br />

Georg Dehio (1850 – 1932) durchsetzen.<br />

Noch heute prägt sein Leitspruch<br />

„Konservieren, nicht Restaurieren“ denkmalpflegerisches<br />

Handeln.<br />

Eine Ausdifferenzierung der preußischen<br />

Denkmalpflege erlebte Quast (gestorben<br />

1877) nicht mehr. Als erste preußische<br />

Provinz führte Schlesien einen Provinzialkonservator<br />

ein. Als Leiter der sog. Provinzialkommission<br />

zur Erhaltung und Erforschung<br />

der vorhandenen Kunstdenkmäler<br />

hatte von 1905 bis 1932 der Architekt Ludwig<br />

Burgemeister (1863 – 1932) diesen<br />

Posten inne. Bereits von 1886 bis 1894<br />

wurde ein Verzeichnis der Kunstdenkmäler<br />

Schlesiens erarbeitet und publiziert.<br />

1911 erfährt die preußische Denkmalpflege<br />

eine wesentliche Neuerung: Zum<br />

Ressort der kunsthistorisch-technischen<br />

Denkmalpflege fügt sich ein juristisch-administrativer<br />

Bereich hinzu. Deutlich macht<br />

sich das auch am Namen – aus der „Zentralkommission<br />

zur Erforschung und Erhaltung<br />

der Baudenkmäler“ wird kurz das „Staatsdenkmalamt“.<br />

Deutlich wird eins: durch die Zuordnung<br />

der Denkmalpflege zur Kultur blieb sie in<br />

föderaler Struktur.<br />

Bestrebungen eines einheitlichen, das<br />

gesamte Kaiserreich abdeckenden Denkmalschutzgesetzes<br />

bereitete der 1. Weltkrieg<br />

ein Ende. In der Weimarer Republik<br />

schließlich wurde das Gesetz zum Schutze<br />

von Kunst-, Kultur- und Naturdenkmalen<br />

entwickelt, das die Ländergesetzgebungen<br />

ablösen sollte, jedoch erst durch die Nationalsozialisten<br />

reichsweit Anwendung fand.<br />

Nach dem 2. Weltkrieg griff man zunächst<br />

auf die Ländergesetzgebungen zurück.<br />

Erst ab 1952 wurde durch die Verwaltungsreform<br />

in der ehemaligen DDR die Verordnung<br />

zur Erhaltung und Pflege der nationalen<br />

Kulturdenkmale erlassen, in der BRD<br />

behielt man die Ländergesetzgebungen.<br />

Problematisch war allerdings, dass nicht<br />

alle Bundesländer eine denkmalschützende<br />

Gesetzgebung hatten, bzw. für neu<br />

geschaffene Bundesländer neue Gesetzgebungen<br />

entwickelt werden mussten.<br />

Dieses Vakuum sorgte schließlich dafür,<br />

dass große Bestände historischer Bausubstanz<br />

den Abrissbirnen zum Opfer fielen.<br />

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Geschichte<br />

7


950 Jahre Görlitz, das bedeutet auch<br />

über 100 Jahre Denkmalpflege Zukunft<br />

in unserer Stadt.<br />

Diese Verlusterfahrungen, dass eben die<br />

Substanz, die den Krieg überstanden hatte,<br />

nun ebenfalls verloren ging, führten zu einer<br />

enormen Bürgerbewegung.<br />

Unter dem Motto „Eine Zukunft für unsere<br />

Vergangenheit“ mündete diese Bewegung<br />

1975 schließlich im Europäischen Denkmalschutzjahr.<br />

Im Anschluss wurden für<br />

alle Bundesländer Gesetzgebungen erarbeitet,<br />

die DDR führte im selben Jahr das<br />

Denkmalpflegegesetz ein.<br />

Unsere modernen Denkmalschutzgesetze<br />

sind daher keineswegs eine Direktive, sie<br />

kamen aus der Bevölkerung für die Bevölkerung.<br />

Denkmalpflege in Görlitz<br />

Aus der bewegten Geschichte der Profession<br />

lässt sich, wie bei allen Gesetzgebungen,<br />

ableiten, dass Denkmalschutz<br />

und Denkmalpflege eben keine statischen<br />

Begriffe sind. Galt es zu Quasts Zeiten, nur<br />

das Schöne und Besondere zu erforschen<br />

und zu schützen, ist heute die Grundidee<br />

des Denkmalschutzes die historische Zeugniskraft<br />

unserer gebauten Vergangenheit,<br />

nicht umsonst etabliert sich immer mehr<br />

der Begriff des kulturellen Erbes.<br />

Ein spannender Aspekt unserer Görlitzer<br />

Denkmallandschaft ist nicht nur die Tatsache,<br />

dass wir rund 3.200 Kulturdenkmale<br />

haben, sondern, dass die Denkmale selbst<br />

die Geschichte der Denkmalpflege erzählen.<br />

Viele kennen noch den Zustand der Görlitzer<br />

Altstadt und Gründerzeitquartiere<br />

vor 1989. Jahrelanger unterlassener Bauunterhalt<br />

und Überbevölkerung ließen die<br />

Gebäude verfallen. Dieser Zustand zwang<br />

zu radikalen Maßnahmen – dem Abbruch<br />

ganzer Straßenzüge. Als bekanntestes<br />

Beispiel ist hier der Verlust des Quartieres<br />

zwischen Büttnerstraße, Langenstraße und<br />

Helle Gasse zu nennen.<br />

Strukturelle Probleme in der Altstadt ist<br />

allerdings nicht allein auf die DDR-Zeit zurückzuführen.<br />

Bereits im 19. Jahrhundert zogen die Bevölkerungsschichten,<br />

die es sich leisten<br />

konnten, in die damals hochmodernen<br />

Gründerzeitviertel, sie verfügten schließlich<br />

über Wasser- und Gasanschluss. Ab ca.<br />

1910 wurden diese Quartiere ans Abwasser<br />

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8<br />

Geschichte


Zeit, ein kleines Resümee zu ziehen.<br />

950 Jahre Zukunft<br />

angeschlossen, Strom und Gas folgten.<br />

Für uns heute kaum vorstellbar – die Altstadt<br />

war der Wohnort der Unterprivilegierten,<br />

eng, dreckig, der Hort für Krankheiten,<br />

und dies war reichsweit eher die Regel als<br />

die Ausnahme. Mit der großen Choleraepidemie<br />

von Hamburg 1892 kam es zu einem<br />

Umdenken von Stadtplanern, das dank der<br />

Reformbewegung auf fruchtbaren Boden<br />

fiel. Für neue Städte und Stadtteile galten<br />

von nun an Maßstäbe wie Licht, Luft, Hygiene,<br />

Platz. Aber für die Altstädte gab es<br />

Planungen zu lebenswerten Umstrukturierungen.<br />

Aus dieser Zeit stammt auch der<br />

Begriff „Sanierung“, der auf das lateinische<br />

sānitās (Gesundheit) zurückzuführen ist.<br />

Quartiere und Häuser werden also auf gesundheitserhaltend<br />

oder gar gesundheitsförderlich<br />

umgebaut. Freilich hat sich der<br />

Begriff seitdem verselbstständigt und wird<br />

allgemeinhin für jegliche Baumaßnahmen<br />

verwendet.<br />

In Görlitz wurden solche städtischen Sanierungen<br />

bereits in den 1950er Jahren in<br />

den Quartieren entlang der Petersstraße<br />

durchgeführt. Hierzu wurden Hinterhäuser<br />

abgerissen, Dächer geschlossen, neue<br />

Decken eingezogen, Fenster getauscht. Zu<br />

beobachten ist aber auch, welchen Zeitspuren<br />

der Gebäude Denkmalwertigkeit zuteil<br />

wurde und welchen nicht.<br />

Das Scultetushaus (Peterstraße 4) erhielt bei<br />

einer Umbauphase 1880 eine gründerzeitliche<br />

Fassade, die die barocke Zier (um 1720)<br />

integrierte. 1958 maß man dieser Umbauphase<br />

keine denkmalrelevante Bedeutung<br />

bei, sodass man sie, damals immerhin fast<br />

80 Jahre alt, kurzerhand abschlug. Von da<br />

an war das Gebäude mit seiner purifizierten<br />

Form sichtbar. Auch in der letzten größeren<br />

Renovierungsmaßnahme (1995/96) befand<br />

man diesen Umgang mit der Fassade<br />

ebenfalls als nicht denkmalwürdig, sodass<br />

es hier zu barockisierenden, aber fiktiven<br />

Ergänzungen kam: Kapitelle, Gesimse und<br />

Brüstungsspiegel wurden hinzugefügt.<br />

Nun erscheint uns das Haus als barocke<br />

Fassade, ist großteils aber erst 25 Jahre alt.<br />

Spannend lässt sich die Geschichte der Görlitzer<br />

Denkmalpflege an diesem einen Objekt<br />

erzählen. Es wäre eine lohnenswerte<br />

Anstrengung, sich tiefergehend mit der Restaurierungsgeschichte<br />

unserer Denkmale<br />

zu beschäftigen.<br />

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Geschichte<br />

9


950 Jahre Görlitz, das bedeutet auch<br />

über 100 Jahre Denkmalpflege Zukunft<br />

in unserer Stadt.<br />

Peterstraße 4, Zustand 2020, Foto: UDB Görlitz<br />

Aktuelles<br />

Erst kürzlich war auch den überregionalen<br />

Medien zu entnehmen, dass das Deutsche<br />

Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK)<br />

den höchsten Preis für überdurchschnittliches<br />

Engagement, was in Deutschland<br />

vergeben wird, die silberne Halbkugel, am<br />

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10<br />

Geschichte


Zeit, ein kleines Resümee zu ziehen.<br />

950 Jahre Zukunft<br />

22.10.<strong>2021</strong> in Berlin an die Evangelische<br />

Kulturstiftung Görlitz vergeben wird.<br />

Als Eigentümerin betreut die Stiftung<br />

gleich mehrere hochgradige Denkmale:<br />

den Nikolaifriedhof, die Nikolaikirche und<br />

das Heilige Grab. Für eine kleine Stiftung<br />

bedeutet dies stets ein Ringen um Fördermittel,<br />

begleitet durch den Wettlauf gegen<br />

Zeit und Substanzverlust. Diese jahrelangen<br />

Bemühungen und der ungebrochene<br />

Enthusiasmus werden nun von höchster<br />

Stelle honoriert. Auch uns als behördliche<br />

Denkmalpflege erfüllt diese Auszeichnung<br />

mit Stolz und Freude, zeigt sie doch auch,<br />

dass wir mit unserer Arbeit die Kulturstiftung<br />

gut betreut haben und dies selbstverständlich<br />

weiterhin werden.<br />

Solchen mutigen und engagierten Denkmaleigentümern<br />

ist es zu verdanken, dass<br />

wir keine großen weiteren Denkmalverluste<br />

seit den Wendejahren zu beklagen<br />

haben.<br />

Wer dennoch meint, dass sich alles „eingepegelt“<br />

habe, der irrt. Noch etliche Gebäude<br />

harren ihrer Wiederbelebung; oft sind<br />

ungeklärte Eigentumsverhältnisse, Spekulantentum<br />

oder fehlende Wertschätzung<br />

unseres gebauten Erbes die Hauptgründe<br />

für noch unsanierte Objekte.<br />

Als Mahnung sollten wir daher alle die<br />

Zwangsabbrüche der Vergangenheit verstehen.<br />

Aber auch bereits renovierte Gebäude<br />

brauchen beflissene Eigentümer und stetige<br />

Zuwendung. In dem Wort Denkmalpflege<br />

steckt eben der Begriff der „Pflege“<br />

– unser kulturelles Erbe ist pfleglich zu behandeln,<br />

man muss sich um unsere Denkmale<br />

kümmern.<br />

Allein durch behördliches Agieren ist dies<br />

alles nicht zu meistern. Denkmalpflege<br />

fängt beim Hausmeister an und hört beim<br />

Planer noch lange nicht auf. Wenn wir als<br />

Stadtgesellschaft weiterhin stolz auf unser<br />

bauliches Erbes sein wollen, es an die<br />

nächsten Generationen übergeben wollen,<br />

sind wir alle gefragt. Und vielleicht, vielleicht<br />

wird dieses Engagement dann auch<br />

wieder belohnt, warum nicht etwa mit einem<br />

UNESCO-Welterbetitel?<br />

Tobias Panke<br />

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Geschichte<br />

11


Das Herzogtum Görlitz 1377 bis 1396 –<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Annenkapelle, Foto: Ines Haaser<br />

In der Geschichte unserer Stadt ist die Zeit,<br />

als Görlitz Residenz eines Herzogs war, so<br />

gut wie vergessen. Noch in der Konsolidierung<br />

begriffen, verschwand das Herzogtum<br />

von den Landkarten. Aber vor allem<br />

die Görlitzer Geschichtsschreibung diffamierte<br />

den jungen Herzog als leichtsinnig<br />

und unsittlich. In das Bild vom selbstbestimmten<br />

und mächtigen Görlitz mochte<br />

es lange Zeit nicht passen, dass der Rat der<br />

Stadt von einem Herzog abhängig war. Die<br />

Möglichkeiten und Chancen, die sich in jener<br />

Zeit dem aufstrebenden Görlitz boten,<br />

blieben wenig beachtet.<br />

Fast wäre Görlitz ein zweites Prag an der<br />

Neiße geworden! Doch die Jahre von<br />

Görlitz als herzogliche Residenz für den<br />

jüngsten Sohn Kaiser Karls IV. (1316 – 1378)<br />

waren gezählt. Im Alter von nicht einmal<br />

26 Jahren verstarb Johann von Görlitz<br />

(1370 – 1396) im Kloster Neuzelle und das<br />

Herzogtum hörte auf zu existieren.<br />

Das Görlitzer Land als Teil der Oberlausitz<br />

gehörte zur Krone Böhmens. Herrscher war<br />

der berühmte Karl IV. aus dem Geschlecht<br />

der Luxemburger. Äußerst erfolgreich<br />

betrieb der König Hausmachtpolitik. Luxemburg<br />

im Westen des Reiches, Böhmen,<br />

Schlesien, beide Lausitzen und sogar ab<br />

1373 die Mark Brandenburg gehörten zum<br />

unmittelbaren Herrschaftsbereich Karls IV.<br />

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12 Geschichte


eine Chance für die aufstrebende Stadt?<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Chor der Dreifaltigkeitskirche, ehemals Klosterkirche der Franziskaner, Foto: Ines Haaser<br />

Raffinierte Heiratspolitik sollte weitere Territorien<br />

sichern. Für seinen jüngsten (überlebenden)<br />

Sohn Johann, den er mit seiner<br />

vierten Ehefrau Elisabeth von Pommern<br />

hatte, schuf er kurzerhand für dessen wirtschaftlichen<br />

Unterhalt das Herzogtum<br />

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Geschichte<br />

13


Das Herzogtum Görlitz 1377 bis 1396 –<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Görlitz. Zu diesem Zeitpunkt war Johann<br />

noch keine sieben Jahre alt.<br />

Im Januar 1377 erreichte die Stadt Görlitz<br />

ein königlicher Brief aus Prag. Darin teilte<br />

ihnen Karl IV. mit, dass ein Herzogtum<br />

gegründet sei mit Görlitz als Zentrum und<br />

reichen Ländereien im Görlitzer Land,<br />

Teilen der östlichen Niederlausitz mit<br />

Spremberg, Guben und Fürstenberg sowie<br />

der Neumark in der Mark Brandenburg.<br />

Schon wenige Tage danach eilte<br />

eine Abordnung des Görlitzer Rates in<br />

die Hauptstadt, um ihrem neuen Landesherrn<br />

zu huldigen. Im Gegenzug wurden<br />

der Stadt alle bisherigen Privilegien und<br />

Rechte bestätigt. Nur zwei Monate später<br />

besuchte der kleine Johann mit seinen<br />

königlichen Eltern die Stadt Görlitz auf<br />

dem Weg nach Tangermünde, dem äußersten<br />

Zipfel des Machtgebietes Karls IV.<br />

Gewohnt wurde im Schloss, das Karl seit<br />

1369 in Görlitz hatte errichten lassen. Das<br />

Baugrundstück reichte von der heutigen<br />

Annenkapelle bis zum Frauenturm. Genaue<br />

Kenntnisse fehlen uns zwar, doch<br />

ist anzunehmen, dass die Residenz mit<br />

allem Luxus und den Bequemlichkeiten<br />

der Zeit ausgestattet gewesen ist. Obwohl<br />

die Erziehung Johanns von Görlitz auch<br />

nach dem Tod Karls IV. 1378 zumeist am<br />

Prager Hof stattfand, sind zahlreiche Aufenthalte<br />

in Görlitz belegt. Allein vier Turniere<br />

lassen sich für die Jahre 1381, 1388<br />

und 1389 nachweisen. Sie dienten der Bildung<br />

des jungen Herzogs, aber auch der<br />

Konsolidierung des herzoglichen Hofes<br />

und seiner Macht. So manch Adliger aus<br />

der Oberlausitz, Schlesien und Böhmen<br />

mag hierbei sein Können unter Beweis<br />

gestellt oder die Gunst einer hochgestellten<br />

Dame erworben haben. Aus den<br />

überlieferten Ratsrechnungen erfahren<br />

wir von den Aufwendungen für den Hof<br />

und Lieferungen von Lebensmitteln an<br />

die Küche. Neben Fleisch aller Art, verschiedenen<br />

Mehlen und Obst wurden<br />

auch Honig, Rosinen, Feigen und der mit<br />

Gold aufzuwiegende Safran bereitgestellt,<br />

aus dem der Küchenmeister Rymko<br />

feinste Speisen zubereitete. Ebenso sind<br />

Geschenke für Johann und seine wichtigsten<br />

Berater gelistet. Geschichtsschreiber<br />

späterer Zeiten klagen über die enormen<br />

Kosten für die herzoglichen Aufenthalte,<br />

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14 Geschichte


eine Chance für die aufstrebende Stadt?<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Grabstein des Jone von Dubá in der<br />

Dreifaltigkeitskirche, Zeichnung von<br />

Johann Gottfried Schultz,<br />

Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

Geschichte<br />

die neben den Steuern die Stadtkasse belasteten.<br />

Allerdings hat nie jemand eine<br />

Gegenrechnung aufgestellt. Wieviel Geld<br />

blieb wohl in den Taschen der Görlitzer<br />

Kaufleute hängen, wenn der Herzog mit<br />

seinem Hof hier weilte? Wie groß war der<br />

Umsatz an edlen Stoffen, Kleidern und<br />

Stiefeln, Schmuckstücken und Bechern<br />

aus Edelmetallen? Freilich bat der ewig<br />

geldklamme Johann vor allem im Erwachsenenalter<br />

oftmals die Stadt Görlitz um<br />

zusätzliche Darlehen. Und der Rat wusste<br />

geschickt die Finanznot des Herzogs<br />

gegen die Erlangung weiterer Privilegien<br />

wie die Waage oder die Verbesserung des<br />

Weinregals auszunutzen. Sie verlangten<br />

im Gegenzug Steuerfreiheit für mehrere<br />

Jahre bis zur Ablösung des Darlehens.<br />

1395 überredeten die Görlitzer ihren Herzog<br />

zu einer Urkunde, mit der sie berechtigt<br />

wurden, mit ihren jüdischen Mitbürgern<br />

machen zu können was sie wollten.<br />

Das führte zur Vertreibung der letzten wenigen<br />

in Görlitz lebenden jüdischen Familien.<br />

Dabei waren sie erst 1383/84 auf Betreiben<br />

des Oberlausitzer Landvogtes und<br />

Hofmeisters des jungen Herzogs, Beneš<br />

Berka von Dubá, hier angesiedelt worden.<br />

Sie sollten als Geldverleiher den Bedarf<br />

des Adels und einiger Bürger decken.<br />

Nun mussten sie die Stadt verlassen. Ihre<br />

Immobilien fielen an den Herzog, der bestimmte,<br />

wer sie erhalten sollte. Erst 1847<br />

wurde jüdischen Familien wieder erlaubt,<br />

in Görlitz ihren Wohnsitz zu nehmen.<br />

Die zwei Jahrzehnte, als Görlitz Residenzstadt<br />

war, müssen wir uns angefüllt mit<br />

massiver Bautätigkeit vorstellen. Neben<br />

Umbau- und Ausbesserungsarbeiten am<br />

Schloss wurde vor allem an der Kirche St.<br />

Peter und Paul und der Klosterkirche ge-<br />

15


Das Herzogtum Görlitz 1377 bis 1396 –<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Maria in der Hoffnung, Skulptur aus Kalkstein,<br />

Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

arbeitet. Hier wurde 1385 der neue Chorraum,<br />

der erste spätgotische Sakralbau in<br />

Görlitz, eingeweiht. Das Geld dafür kam<br />

Ausschnitt aus der Stickerei des Kreuzes auf<br />

einem Priestergewand,<br />

Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

von den Bürgern, aber auch von Adligen<br />

wie dem Landvogt, der sich vor allem für<br />

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16<br />

Geschichte


eine Chance für die aufstrebende Stadt?<br />

950 Jahre Zukunft<br />

die Kirche der Franziskaner engagierte.<br />

Sein früh verstorbener Sohn Jone von<br />

Dubá wurde hier nah dem Altar begraben.<br />

Noch heute findet sich sein Grabstein, der<br />

älteste von Görlitz, in der Kirche. Auch<br />

Ausstattungsstücke, die der Prager Hofkunst<br />

entstammten, wie eine Maria in der<br />

Hoffnung oder ein gesticktes Kreuz eines<br />

Priestergewandes, haben die Zeiten überlebt<br />

und werden im Kulturhistorischen<br />

Museum als Leihgaben der Evangelischen<br />

Innenstadtgemeinde ausgestellt.<br />

Am Rathaus wurde ebenso fleißig gebaut.<br />

Ein großer hölzernen Tanzsaal wurde<br />

sicherlich auch vom Herzog für seine<br />

Festlichkeiten genutzt. Unsere Phantasie<br />

erlaubt uns eine vage Vorstellung von jenen<br />

Jahren, in denen prächtig gekleidete<br />

Damen und Herren durch die Stadt in die<br />

Kirchen eilten, auswärtige Kirchenleute<br />

Audienz beim Herzog erhielten und Boten<br />

aus Prag und Luxemburg regelmäßig<br />

Briefe nach Görlitz brachten. Weilte<br />

Johann nicht in seiner Residenz, war es<br />

allerdings still im Schloss. Eine Art Notbesatzung<br />

kümmerte sich um das Gebäude.<br />

Erst wenn der Herzog für einige Wochen<br />

Epitaph für Elisabeth von Görlitz,<br />

Umrisszeichnung nach dem Original in Trier,<br />

Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

das Schloss besuchte, brachte er seine<br />

Diener, Schreiber und Hofbeamten mit. So<br />

manche Görlitzerin oder Görlitzer mag in<br />

jenen Tagen gut bezahlte Arbeit am herzoglichen<br />

Hof gefunden haben.<br />

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Geschichte<br />

17


Das Herzogtum Görlitz 1377 bis 1396 –<br />

950 Jahre Zukunft<br />

1388 heiratete Herzog Johann von Görlitz<br />

Katharina (um 1372 – vor 1400), eine Tochter<br />

des schwedischen Königs und Mecklenburger<br />

Herzogs. 1390 wurde ihnen ihr<br />

einziges Kind geboren – Elisabeth von Görlitz.<br />

Dieses Mädchen wurde zwei Mal verheiratet,<br />

immer mit dem Wunsch, weitere<br />

Gebiete für die Luxemburger zu gewinnen.<br />

Doch Elisabeth blieb kinderlos und starb<br />

1451 als Letzte ihres adligen Geschlechtes<br />

in Trier. Von ihrem Epitaph in der ehemaligen<br />

Jesuitenkirche ließ kurz nach 1900<br />

eine dankbare Schülerin der Luisenschule<br />

(heute Joliot-Curie-Gymnasium) eine Kopie<br />

anfertigen, die im Hof des Gebäudes<br />

angebracht wurde. Hier erzählt das Epitaph<br />

dem Kundigen noch immer vom Görlitzer<br />

Herzogtum.<br />

Herzog Johann von Görlitz verstarb bereits<br />

im Jahr 1396 unter ungeklärten Umständen<br />

im Kloster Neuzelle. Ob Gift bei seinem<br />

Tod im Spiel war, konnte nicht mehr ermittelt<br />

werden.<br />

Das Herzogtum hörte auf zu existieren. Allerdings<br />

weilte im Görlitzer Schloss noch<br />

1408 Sophie, die Gemahlin des böhmischen<br />

Königs Wenzel IV. (1361 – 1419). Bald<br />

Bildnis Kaiser Sigismund,<br />

Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

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18<br />

Geschichte


eine Chance für die aufstrebende Stadt?<br />

950 Jahre Zukunft<br />

Ansicht des Görlitzer Frauentores mit dem von Kaiser Sigismund verliehenen Wappen, Zeichnung von<br />

Johann Friedrich Thieme, Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz<br />

danach scheint das Gebäude vernachlässigt<br />

und später verfallen zu sein. 1474<br />

geht das Grundstück mit der Ruine an die<br />

Stadt Görlitz zurück, so dass es kurz nach<br />

1500 von dem reichen Bürger Hans Frenzel<br />

(1463 – 1526) erworben werden konnte.<br />

Bei Bauarbeiten für Frenzels Privatkapelle<br />

wurden „gewaltige Grundmauern und Keller“<br />

gefunden.<br />

Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit<br />

der Stadt Görlitz haben ihre Wurzeln auch<br />

in den Jahren vor 1400, als die Stadt Mittelpunkt<br />

eines Herzogtums war. Der Görlitzer<br />

Rat aus Mitgliedern der Stadtelite war<br />

fester und verlässlicher Partner des Herzogs.<br />

In Streitfragen zum Beispiel mit den<br />

Zünften stellte sich der Herzog wiederum<br />

stets auf die Seite des Rates. Das Gleiche<br />

galt bei Fragen der Gerichtszugehörigkeit<br />

des Adels. Görlitz profitierte ungemein<br />

von dieser engen Vertrauensstellung zu<br />

einem Mitglied des Herrschergeschlechtes<br />

der Luxemburger. Der ältere Bruder von<br />

Johann, Sigismund, später deutscher König<br />

und Kaiser des Hl. Römischen Reiches<br />

(1368 – 1437) setzte diese enge Zusammenarbeit<br />

mit der Stadt fort. Er bedankte<br />

sich mit der Verleihung des Görlitzer Stadtwappens,<br />

das noch heute am Frauenturm<br />

angebracht ist.<br />

Ines Haaser<br />

Geschichte<br />

19


1989 - Eine Reise mit Hindernissen – von der alten in die neue Welt<br />

Erinnerungen<br />

(Fortsetzung)<br />

Es gab noch einen zweiten Onkel, der in der<br />

Stadt Hawley wohnte. Wir besuchten ihn<br />

und seine Frau in ihrem schönen flachen<br />

Holzhaus, der amerikanische Traum. Sein<br />

Hobby: er baute ganz tolle Holztruhen und<br />

super Schaukelpferde, wunderschön! Seine<br />

Frau verzierte die Pferde mit ganz gekonnten<br />

Malereien (die Augen, den Schweif etc.). Die<br />

Holztruhen bemalte sie mit wunderschönen<br />

Rosenmustern, man kann absolut von Super-<br />

Volkskunst sprechen, wir waren wieder sehr<br />

beeindruckt. Wir haben in dieser Zeit überwältigend<br />

viel neue Eindrücke zu verkraften<br />

gehabt, doch eines Nachts rief uns der Onkel<br />

an den Femseher und wir konnten es kaum<br />

glauben: Minister Genscher stand in Prag auf<br />

dem Balkon und verkündete die Ausreisegenehmigung<br />

der Deutschen aus der Botschaft<br />

in Prag. Der Onkel sagte, nun wird alles gut!<br />

Wir waren ergriffen und hofften es auch. Es ist<br />

schon komisch, in Amerika den Umschwung<br />

in Deutschland mitzuerleben.<br />

Nach einer sehr herzlichen Verabschiedung,<br />

bei der jeder ahnte, wer weiß, ob wir uns<br />

wiedersehen, ging es zurück nach Bismarck.<br />

In den letzten Tagen besuchten wir noch ein<br />

Hölzerne Schaukelpferde<br />

Eisenbahnmuseum, an einer Kasse gaben wir<br />

noch etwas Ostgeld aus, für das Museum als<br />

Anschauung, die Germanboys waren hier! ln<br />

einer Autozulassungsstelle waren wir auch<br />

noch. Hier gab es etwas Einmaliges, die einzelnen<br />

Staaten sind hier auf dem Nummernschild<br />

als Umrisse farbig geprägt, es sieht<br />

einfach toll aus. Unsere Zeit ging nun hier in<br />

Amerika zu Ende. Vieles war einmalig. Zum<br />

Beispiel, für mich als Flieger, besonders interressant<br />

in kleineren Orten war parallel zur<br />

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20<br />

Erinnerungen


Oder wie wir 1989 von Görlitz nach North Dakota gereist sind!<br />

Erinnerungen<br />

Bonanzavilla USA, August 1989<br />

Hauptstraße gleich eine Landebahn für kleinere<br />

Flugzeuge! In Deutschland undenkbar!<br />

Die letzten Tage im August waren bald vorbei<br />

und die Heimreise stand bevor. Am letzten<br />

Tag waren es noch 43 Grad, doch am nächsten<br />

Morgen war Raureif auf den Autos, ja so<br />

schnell kam hier der Herbst! Der Abschied<br />

war schwer und herzlich zugleich.<br />

Die ganze Familie hatte für jeden noch ein<br />

Album von unserem Amerika-Aufenthalt<br />

angefertigt, wir waren sehr gerührt! Dann<br />

ging es zum Flughafen Bismarck in Minnesota<br />

in eine Maschine der Northwest Airlines,<br />

die brachte uns nach Minneapolis, und von<br />

dort nach New York, La Guardia und von dort<br />

mit der Taxe zum Kennedy Airport. Die Fahrt<br />

mit dem Taxi war auch noch eine besondere<br />

Sache, denn unsere Finanzen waren fast verbraucht.<br />

Die Taxe kostete 15 D-Mark, wir hatten aber<br />

nur noch 13 D-Mark. Doch der Taxi-Fahrer<br />

war ein Pole und kannte Görlitz. Ok, und<br />

guten Flug, ja Reisen ist schon mächtig aufregend.<br />

Übrigens, sollten Sie mal in Amerika<br />

auf die Toilette müssen, suchen Sie nicht<br />

nach „Toilette oder PP oder 00“, nein das gibt<br />

es nicht in Amerika, dort zählt nur das Zauberwort<br />

„Restroom“ und das im wahrsten<br />

Sinne des Wortes !<br />

Wir flogen abends ab und kamen ohne<br />

Zwischenstopp vormittags in Wien an. Hier<br />

klappte alles planmäßig, und wir stellten auf<br />

dem Franz-Joseph-Bahnhof unsere Koffer ab.<br />

Etwas Wien ansehen, und dann in den Zug,<br />

Richtung Prag-Dresden. Der Zug fuhr pünktlich<br />

ab, und wieder hatten wir eine Etappe<br />

unserer Amerikareise erfolgreich abgeschlossen.<br />

Wir hatten Liegewagen gebucht, denn<br />

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Erinnerungen<br />

21


1989 - Eine Reise mit Hindernissen – von der alten in die neue Welt<br />

Erinnerungen<br />

man ist doch schon ganz schön gefordert<br />

über die lange Zeit des Wachseins. Nachts um<br />

3.00 Uhr wurden wir aus dem Schlaf gerissen.<br />

Passkontrolle! Wir waren wieder in dem Bereich<br />

der grünen Ordnungshüter angekommen.<br />

Wo kommen Sie her? Müde unsere<br />

Antwort: Amerika! Koffer öffnen – was haben<br />

sie versteckt? Wir, nichts! lch wagte mir noch<br />

zu sagen: „Wir kommen zurück aus Amerika,<br />

man hätte ja auch in Österreich bleiben können<br />

und dann nach Westdeutschland machen<br />

können, wie es damals viele gemacht<br />

haben“. Nach kurzem Überlegen sagten die<br />

Grenzer: „Schließen sie die Koffer, alles o.k.“.<br />

So reisten wir wieder in die DDR ein. Es war<br />

ein schönes Gefühl, wieder in der Heimat zu<br />

sein, wir wissen es zu schätzen, obwohl es<br />

sehr gut ist, die Welt kennenzulernen.<br />

Alles lief planmäßig, denn damals konnte<br />

man sich auf die Züge (DR) noch verlassen,<br />

und wir kamen gut in Görlitz an. Diese Reise<br />

war ein einmaliges Erlebnis, mir hat es den<br />

Blick auf vieles im Leben erweitert, und ich<br />

sehe heute einige Dinge mit anderen Augen<br />

als damals, denn man lernt auch Menschen<br />

in verschiedenen Situationen des Lebens<br />

kennen und einschätzen.<br />

Dieses Jahr 1989 hatte mit den Menschen<br />

noch viel vor. Und wer hätte damals an den<br />

Fall der Mauer gedacht? Ich bin froh, das alles<br />

erlebt zu haben und denke gem an meine<br />

Verwandten in Amerika zurück, an den Mississippi,<br />

an den riesigen Freizeitpark und die<br />

netten Menschen, denn überall auf der Welt<br />

gibt es gute, fleißige Menschen. Deshalb<br />

Danke an alle, die uns diese Reise ermöglicht<br />

haben. Wir haben später eine DVD von unserer<br />

Reise angefertigt und unseren Verwandten<br />

nach den Staaten geschickt, wir glauben<br />

die Freude war sehr groß !<br />

Sollten Sie, liebe Leser, irgendwann einmal<br />

im Leben die Möglichkeit haben, Amerika zu<br />

besuchen, tun Sie es, es ist einmalig.<br />

In der Hoffnung, dass Ihnen der Reisebericht<br />

gefallen hat, und sie etwas die Probleme der<br />

damaligen Reisemöglichkeiten erkennen<br />

konnten, möchte ich mich herzlich verabschieden<br />

und Sie grüßen, als Ihr<br />

Hans-Rüdiger Eulitz<br />

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22<br />

Erinnerungen


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Nachdem meine Eltern nach dem 2. Weltkrieg<br />

aus Schlesien aussiedeln mussten,<br />

gelang es meinem Vater, eine Anstellung<br />

im Görlitzer Waggonbau zu bekommen. Zunächst<br />

kamen sie in Görlitz–Rauschwalde unter,<br />

später in einer eigenen Wohnung auf der<br />

Bahnhofstraße. Meine eigenen Erinnerungen<br />

beginnen aber erst nach einem weiteren<br />

Umzug auf die Emmerichstraße 30 in Görlitz.<br />

Heute bin ich 71 Jahre alt und möchte über<br />

die Veränderungen auf einer der längsten<br />

Straßen von Görlitz berichten.<br />

Häuser rechts und links der Emmerichstraße<br />

haben villenartige Fronten.<br />

Emmerichstraße 80<br />

Emmerichstraße 1<br />

Anfangen werde ich ganz unten an der Promenadenstraße.<br />

(Dr.-Kahlbaum-Allee): Die<br />

Als Kind ist mir nicht bewusst gewesen, dass<br />

die Nummern 1 und 80 zur Emmerichstraße<br />

gehören. Den unteren Teil der Straße habe<br />

ich nicht so sehr gut in Erinnerung, hier sind<br />

wir nur hingelangt, wenn wir, meine Eltern<br />

mit meinem Bruder, ins Freisebad wollten.<br />

Im Hof Nr. 1 befanden sich damals Garagen,<br />

die wohl abgerissen worden sind, um für<br />

die Mieter des Hauses Stellplätze zu schaffen.<br />

Mein Vater stellte hier sein Motorrad ein.<br />

Über die Häuser 2-8 gibt es nicht allzuviel<br />

zu berichten. Ich kann mich daran erinnern,<br />

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Geschichte<br />

23


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Ennerichstraße<br />

Bekleidung immer vorrätig. Dieses Geschäft<br />

wurde aber schon bald geschlossen. In den<br />

Häusern 8+9 befanden sich damals schon<br />

Durchgänge für Fahrzeuge. In den weiter<br />

oben gelegenen Häuser waren nur noch kleine<br />

Eingangstüren. Kleine Höfe machten Platz<br />

für Gärtnereien, die sich entlang der Querstraße<br />

befanden.<br />

Emmerichstraße 9<br />

dass sich in Nr. 8 eine Annahmestelle für<br />

schmutzige Wäsche für die Großwäscherei<br />

auf der Brückenstraße befand. In Nr. 9 war<br />

ein kleiner Laden links neben der großen Eingangstür.<br />

Dort war ein kleines Sortiment an<br />

Emmerichstraße 79<br />

Gegenüber Nr. 79, eine Pilgerstätte mit großem<br />

Saal im ersten Obergeschoss, gelegen<br />

an der Via Regia, ist da schon eher zu erwähnen.<br />

Hier befindet sich heute ein bekanntes<br />

Tanzstudio. Folgen wir weiter den Betrachtungen,<br />

so bemerken wir auf der rechten<br />

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24<br />

Geschichte


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Seite wunderschöne Wohnbauten, die etwas<br />

zurückgesetzt sind. Versehen mit Vorgärten,<br />

die heute noch zum größten Teil gepflegt<br />

werden, sie lassen hier die Straße breiter erscheinen.<br />

In Nr. 73, der ehemaligen Gaststätte<br />

„Parkbierstuben“, auch als Wahllokal und<br />

für Verkehrsteilnehmerschulungen genutzt,<br />

befindet sich heute eine Hauptvertretung<br />

der AXA Versicherungsgruppe.<br />

Emmerichstraße 68<br />

Das letzte Haus mit Vorgarten und einer Autodurchfahrt<br />

besitzt ein großes Eisentor, welches<br />

heut noch vorhanden ist. Im Hinterhaus<br />

befand sich die Maschinen-Fabrik von Herrn<br />

Witte. Heut hat hier in einigen Hallen der Görlitzer<br />

Karnevalclub seine Trainings- Räume.<br />

Emmerichstraße 73<br />

Geschichte<br />

25


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Ennerichstraße<br />

Schöne Klinkerbauten lockern das Bild der<br />

Emmerichstraße auf, hier sind die Nr. 77, 71,<br />

+ 69 auf der rechten und Nr. 16 auf der linken<br />

Seite sehenswert. Ein größeres Lebensmittelgeschäft<br />

mit Milchverkauf (lose) befand sich<br />

oberhalb der Parkbierstuben, leider ist davon<br />

in jetziger Zeit nichts mehr zu sehen.<br />

Emmerichstraße 77<br />

Emmerichstraße 16<br />

Emmerichstraße 69<br />

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26<br />

Geschichte


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Wendet man sich wieder der linken Straßenseite<br />

zu, erkennen wir in Nr.17 einen Foto-<br />

Service. Hier befand sich damals ein Reformhaus,<br />

das aber auch ein kleines Sortiment an<br />

Lebensmitteln führte. Von dem daneben vorhandenen<br />

Frisiersalon ist heute auch nichts<br />

mehr zu sehen. An vielen Stellen sind schon<br />

damals nötige Wohnungen entstanden. Die<br />

Häuser Sohrstraße 8+9 haben Fronten zur<br />

Emmerichstraße, deshalb möchte ich auch<br />

an diese Eckgeschäfte erinnern. In Nr. 8 war<br />

damals ein Laden für Haushaltsgegenstände<br />

(?) und in Nr. 9 eine kleine Bäckerei. Dieses<br />

Gebäude ist leider dem Verfall preisgegeben.<br />

Sohrstraße 8<br />

Sohrstraße 9<br />

Etwas weiter nach oben zur Thälmannstraße<br />

(James-von-Moltke-Straße) befand sich<br />

in Nr. 65 eine Glaserei und daneben auch<br />

in der Nr. 65 ein Gemüsehändler (Lippert ?).<br />

Später zog hier ein Altstoffhandel ein.<br />

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Geschichte<br />

27


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Ennerichstraße<br />

Der Eingang befindet sich auf der Moltkestraße<br />

Thälmannstraße 35<br />

Nun haben wir die Kreuzung Emmerichstraße/Thälmannstraße<br />

erreicht, auch hier<br />

befanden sich in den Eckhäusern Geschäfte.<br />

So befand sich in Nr. 63 die Bäckerei „Rusche“<br />

wo es leckere Kuchenränder gab, die wir oft<br />

als Kinder vor dem Weg zur Schule an der<br />

kleinen Tür zur Backstube unentgeltlich bekamen.<br />

Nach der politischen Wende in unserem<br />

Land zog ein Hochzeitsausstatter in den<br />

Eckladen. Heute steht er leer.<br />

Auf der gegenüberliegenden Ecke war die<br />

Fleischerei „Ernst“, an die ich mich noch gut<br />

erinnere. Nun fehlt uns noch das Gebäude<br />

Thälmannstraße Nr. 35. Im Eckgeschäft hat<br />

„Frau Hänsel“ Schreibwaren und Schulbedarf<br />

vertrieben. Sie musste hier später ausziehen,<br />

der Konsum wollte sich vergrößern, er benötigte<br />

Lagerräume. Auf der Seite zur Emmerichstraße<br />

befand sich der einzige „Konsum“<br />

in der Gegend.<br />

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28<br />

Geschichte


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Gegenüber, weit zurückgesetzt, ist das Haus<br />

Nr. 22. Dazu gehörte auch ein großer Garten,<br />

von einer Bruchsteinmauer begrenzt, der<br />

weit nach oben bis zum Haus Nr. 25 reicht.<br />

Dieses Anwesen bedarf einer baldigen Sanierung,<br />

der alte Baumbestand überwuchert<br />

das unansehnliche Gelände leider nur im<br />

Sommer.<br />

Jetzt möchte ich mich zunächst den Häusern<br />

25-31 widmen. In Nr. 27 befand sich, über<br />

Emmerichstraße 22<br />

Emmerichstraße 27<br />

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Geschichte<br />

29


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Ennerichstraße<br />

worden. Bekannt schon in der DDR in der<br />

Nationalmannschaft, später im gesamten<br />

Deutschland, ist er jetzt Co-Trainer in DD.<br />

Durch die große Einfahrt gelangte man in einen<br />

Hausgarten und im Hinterhaus zu einem<br />

Emmerichstraße 29<br />

Emmerichstraße 28<br />

einige Stufen erreichbar, der Lebensmittelladen<br />

von „Fam. Klemp“. Vor dem Geschäft und<br />

im Sommer bis in die Hausdurchfahrt wurden<br />

Ost und Gemüse angeboten. Im Hinterhaus<br />

befand sich damals eine Glasschleiferei.<br />

Hier konnten wir als Kinder von der Tür aus<br />

den Schleifern bei der Arbeit zusehen und<br />

auch manche Schale ’die im Abfall landete`<br />

mit nach Hause nehmen. Einmal lagen Glasfederhalter<br />

im Abfall. Die Arbeiter schliffen<br />

uns die Federn ab, sodass wir Blasröhrchen<br />

zum Verschießen von Holunderbeeren hatten.<br />

Die Nr. 28 sollte jeder Fußballbegeisterte<br />

kennen. Hier ist „Heiko Scholz“ geboren<br />

Malerbetrieb. In Nr. 29 hatte im Hinterhaus<br />

ebenso ein Maler seine Werkstatt<br />

In Nr. 30 wohnte ich mit meinen Eltern und<br />

zwei Brüdern, bis ich mit 22 Jahren heiratete.<br />

Die Verbindungen zur Emmerichstraße sind<br />

aber die ganzen Jahre nicht wesentlich abgebrochen.<br />

Oft besuchte uns zu Zeiten der DDR<br />

(als wir noch Kinder waren) der Abschnittsbevollmächtigte.<br />

Unsere Mutter hatte wie-<br />

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30<br />

Geschichte


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

dermal den Wohnungsschlüssel in der Korridortür<br />

steckenlassen, wir wohnten Parterre,<br />

da wäre es zu gefährlich, aber bestohlen wurden<br />

wir in den ganzen Jahren nicht, eher lag<br />

noch etwas in der angrenzenden Küche.<br />

Emmerichstraße 30<br />

Emmerichstraße 31<br />

meist zu Weihnachten den selbst gekneteten<br />

Stollenteig zum Formen und Ausbacken<br />

hierher. Nach langem Leerstand des Hauses<br />

wurden Wohnungen eingebaut.<br />

Nachdem meine Eltern eine Wohnung in<br />

Görlitz-Königshufen bezogen, stand unser<br />

ehemaliges Zuhause mehrere Jahre leer, bis<br />

eine Videothek die Räume nutzte. Auch dieses<br />

Haus wurde inzwischen saniert und es<br />

zogen wieder Mieter ein.<br />

Im Eckhaus zur Theodor-Körner-Straße befand<br />

sich die Bäckerei von „Lätsch“. Die Backstube<br />

war im Keller des Hauses, wir brachten<br />

Emmerichstraße 58<br />

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Geschichte<br />

31


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Ennerichstraße<br />

Wenn ich mich wieder der rechten Straßenseite<br />

widme, fällt das ehemalige große Geschäft<br />

der HO ins Auge. Schon lange ist es<br />

kein schöner Anblick mehr. Im Hinterhaus<br />

befindet sich die Tischlerei „Holz“.<br />

etwas. Zu der Bebauung gibt es natürlich<br />

auch etwas zu berichten. Die eigentliche<br />

Molkerei befand sich im sogenannten Hof in<br />

der Mitte. Rechts ganz hinten, angrenzend an<br />

eine KFZ Elektrowerkstatt, war die Betriebunterhaltung<br />

untergebracht, davor ein großer<br />

Obstgarten. Später wurde auf diesem Gelände<br />

ein neues Molkereigebäude errichtet. Das<br />

Mittelhaus ist nach der Wende zu einer Pension<br />

umgebaut worden.<br />

Emmerichstraße 57<br />

Ein Haus weiter nach oben befand sich einst<br />

eine Drogerie. Obwohl schon lange Wohnungen<br />

eingebaut wurden, sind an der Fassade<br />

noch die Angebote zu lesen.<br />

Nun muss ich einige Sätze der ehemaligen<br />

Molkerei der Stadt Görlitz widmen. In den<br />

50er und 60er Jahren brachten die Bauern<br />

die Milch in Kannen zur Ablieferung. An manchen<br />

Tagen bildeten sich lange Schlangen an<br />

Fahrzeugen bis weit in die Theodor-Körner-<br />

Straße hinein. Später kamen die Tanklastzüge<br />

auf, da entspannte sich diese Situation<br />

Emmerichstraße 54<br />

Vorn an der Straße das kleine Häuschen mit<br />

Laden gehörte auch zur Molkerei. Hier konnte<br />

man täglich einkaufen, heutzutage würde<br />

man das Fabrikverkauf nennen. Auch Samstag<br />

und Sonntag bildeten sich Schlangen,<br />

um Milch in mitgebrachten Kannen, Butter,<br />

Käse und Buttermilch zu erstehen.<br />

32<br />

Neues Molkereigebäude<br />

Emmerichstraße 53, links daneben 52<br />

Geschichte


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Das Nebenhaus Nr. 53 hatte gleich neben der<br />

Eingangstür ein Ladengeschäft, das schon zu<br />

meiner Zeit nie geöffnet war. Es diente wohl<br />

nur als Ausstellung für eine Schneiderei, die<br />

sich im ersten Stock des Hauses befand. (Hübner).<br />

Nun gelange ich bei meinen Betrachtungen<br />

zur Einmündung der Th.-Körner-Str. Auch<br />

noch auf der Emmerichstraße Nr. 52 gab es<br />

einen Laden, der sehr lange leer stand. Als der<br />

Konsum am unteren Ende dieses Straßenabschnittes<br />

sich vergrößerte, ist Frau Hänsel mit<br />

ihren Papierwaren hier eingezogen.<br />

Emmerichstraße 52<br />

Gegenüber an der Ecke in Haus Nr. 32 befand<br />

sich eine Heißmangel. Hier wurde auch vor<br />

allem Weißwäsche gewaschen und schrankfertig<br />

ausgegeben. Nach der Wende wurde<br />

dieses Geschäft Vom ARCADID Büroservice<br />

genutzt.<br />

Das Mittelstück der Emmerichstraße war geprägt<br />

durch den VEB-Verkehrsbetriebe. Die<br />

Stadt- und auch die Überlandbusse wurden<br />

hier von Hand gewaschen und gewartet. In<br />

den 50er Jahren konnte der Görlitzer Reitund<br />

Pferdesportverein die große Halle an<br />

der kleinen Konsulstraße nutzen, ehe der<br />

Kraftverkehr diese Halle (ALDI) als Garagen<br />

übernahm. Die angrenzenden Werkstätten<br />

zur Theodor-Körner-Str. sind zugunsten eines<br />

Parkplatzes abgerissen worden. Eine gewaltige<br />

Explosion im Heizhaus der Molkerei<br />

hat wohl auch das Gebäude der Sportgemeinschaft,<br />

Post Görlitz, stark beschädigt. Es<br />

musste abgerissen und durch einen Neubau,<br />

jetzt der Telekom gehörend, ersetzt werden.<br />

Emmerichstraße 32<br />

Emmerichstraße 52<br />

An der Ecke zur Konsulstr. befand sich bis<br />

zur Wende der einzige Münzfernsprecher in<br />

unserer Gegend. Auch eine Grünfläche war<br />

früher schon hier, heut sind Parkplatzflächen<br />

dazu gekommen.<br />

Gegenüber auf der spitzen Ecke, das Haus<br />

Konsulstr. Nr. 29, beherbergte einen kleinen<br />

„Tante-Emma-Laden“, der neben Gemüse Lebensmittel<br />

und Kolonialwaren verkaufte. Im<br />

oberen Teil der Emmerichstraße befanden<br />

sich nicht mehr so viel Geschäfte.<br />

Geschichte<br />

33


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Ennerichstraße<br />

Einige Meter weiter oben gab es auf der<br />

linken Seite ebenfalls eine Fleischerei, „Grosche“<br />

ihr Name.<br />

Beginnen möchte ich bei der Konsulstr. mit<br />

dem Haus Nr. 42. Über 2 Stufen war die Fleischerei<br />

„Leuschner“ erreichbar.<br />

Emmerichstraße 36-39<br />

Emmerichstraße 41<br />

Dazwischen befanden sich keine Geschäfte.<br />

Die Häuser 36-39 sind nach der Wende schön<br />

saniert worden und befinden sich in einem<br />

guten Zustand.<br />

Beidseitig der Emmerichstraße gehören die<br />

oberen Häuser mit ihren Eingängen zur Augustastraße.<br />

In Nr. 16 befand sich damals ein<br />

Lebensmittelgeschäft der Handelsorganisation<br />

HO. Nun von unten gesehen – auf der<br />

rechten Straßenseite an der Ecke Konsulstraße.<br />

In der Nr. 43, war der Frisiersalon von<br />

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34<br />

Geschichte


Wie hat sich die Emmerichstraße in den letzten 65 Jahren verändert?<br />

Nach langem Leerstand hat sich im oberen<br />

Gebäude Augustastr. Nr. 15 eine Zeit lang<br />

ein Rundfunkgeschäft befunden. Die Emmerichstraße<br />

gestaltete sich in den 50er bis 70er<br />

Jahren zu einer wirklichen Einkaufsmeile mit<br />

allen nur erdenklichen Angeboten.<br />

„Herrn Hübner“. Er hatte einen guten Ruf und<br />

immer viele Kunden.<br />

Straßenfront rechts von oben.<br />

Auf der rechten Seite war ein schmales Hinterhaus,<br />

welches abgerissen wurde. Durch<br />

die Häuserlücke kann man heute die Reste<br />

einer Glaserei von der Konsulstraße sehen.<br />

Im oberen Teil möchte ich noch auf einen<br />

kleinen Herrenfrisör von „Herrn Oloncik“ hinweisen,<br />

zu dem mein jüngerer Bruder und<br />

ich zum Haareschneiden gegangen sind.<br />

Straßenfront links von oben.<br />

Der untere Teil präsentiert sich heute schon<br />

in einem recht ordentlichen Zustand, was<br />

man vom mittleren und oberen Teil nur bedingt<br />

sagen kann. Um die Emmerichstraße<br />

wieder in eine ansehnliche Wohngegend zu<br />

verwandeln, wird es bestimmt noch viele<br />

Anstrengungen kosten, aber man sieht Fortschritte,<br />

auch wenn der Prozess sehr lange<br />

dauern wird.<br />

Eberhard Feja, Görlitz<br />

Geschichte<br />

35


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil II)<br />

Berzdorf<br />

Die technologische Entwicklung im Abraumbetrieb<br />

Im Rahmen der Weiterentwicklung zum<br />

Großtagebau erfolgte 1953 die Veränderung<br />

der Aufschwenkrichtung des Vorschnittes<br />

und der Abraumschnitte 1 und 2<br />

in südlicher Richtung mit dem Drehpunkt<br />

im Süden. Der Übersichtplan auf der hinteren<br />

Umschlag Innenseite zeigt die Betriebssituation<br />

1954.<br />

1954 konnten die umfangreichen technologischen<br />

Umbauten und Anpassungen<br />

im Wesentlichen abgeschlossen werden.<br />

Die im Abraumbetrieb erreichten Entwicklungsstände,<br />

Drehpunkt im nordwestlichen<br />

Bereich, gestatteten einen Weiterbetrieb<br />

über einen längeren Zeitraum ohne<br />

größere Umbauten.<br />

Abb. 1 Tagebauansicht 1955 von links nach rechts<br />

oben: Bagger 5, Bagger 1, ganz rechts Bagger 8<br />

(nicht zu sehen), Einsatz nur im Hochschnitt und<br />

Vorschnitt mit Löffel- und Greiferbagger<br />

Technologisch-gerätetechnische Grundausstattung Abraumbetrieb Zeitraum 1953 -1955:<br />

- Eimerkettenbagger 377 E 450 (H), Bagger 8 Vorschnitt + 203 m NN, Hochschnitt<br />

Buckauf, Schnitthöhe 14 m, 500 V Drehstrom, auf Schienen<br />

- Eimerkettenbagger 456 E 300 (T), Bagger 1 1. Schnitt + 203 m NN<br />

LMG, Schnitttiefe 13 m, 1000 V Gleichstrom, auf Schienen<br />

- Eimerkettenbagger 457 E 300 (T), Bagger 5 2. Schnitt + 191 m NN<br />

LMG, Schnitttiefe 19 m, 1000 V Gleichstrom, auf Schienen<br />

- Absetzer 995 As 250 (H/T) Langteichhalde + 221 m NN<br />

Schütthöhe 14 m, 1000 V Gleichstrom, auf Schienen<br />

Hilfsgeräte/Abraum:<br />

Diese Geräte wurden zum Teil für bestimmte Arbeiten und Zeiträume angemietet.<br />

- Dieselgreiferbagger 846 Uv 750, Buckau, Bagger 9, auf Raupen<br />

Vorschnitt/Schlauchbaggerung + 217 m NN, Einsatzzeit 1952 – 1964<br />

- Dampflöffelbagger 844 Ld 2000 Menck & Hanbrock, Bagger 12, auf Schienen<br />

Vorschnitt/Schlauchbaggerung auf + 203 m NN, Einsatzzeit 1954 – 1957<br />

- Dampfgreiferbagger 821 Ud 750, Menck & Hanbrock, Bagger 2, auf Raupen<br />

Beräumung der Restabraummulden von der AE + 171 m NN, Einsatzzeit 1948 – 1957<br />

-Dampfgreiferbagger 823 Ud 750, Menck & Hanbrock, Bagger 6, auf Raupen<br />

Beräumung der Restabraummulden von der AE + 171 m NN, Einsatzzeit 1952 – 1957<br />

36<br />

Geschichte


Braunkohlenwerk Berzdorf im Zeitrau 1953-1955<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Auch im Abraumbetrieb vollzog sich die<br />

Umstellung auf 16 m³ Großraumwagen.<br />

Aus den Werken Spreetal, Laubusch und<br />

Finkenherd konnten die ersten 16 m³-<br />

Abraumwagen umgesetzt werden.<br />

Abb. 3 Vordergrund Fußweg in den Tagebau, Bild<br />

Mitte Schacht 1, Bildseite rechts Rückstoß für die<br />

Abraumzüge und Kohlezüge von + 170 m NN,<br />

Abraumschnitte entwickeln sich nach Südwest<br />

Abb. 2 Abraumzug beim Abkippen auf der Langteichhalde,<br />

bereits mit 16 m³ Abraumwagen<br />

Die Verkippung der Abraummassen erfolgte<br />

auf einer Absetzerkippe Langteichhalde<br />

+ 221m NN und jeweils 2 Handkippen<br />

auf der Langteichhalde und der<br />

Teichhalde auf der + 210 – 221 m NN. Die<br />

Teichkippe befand sich südlich der Straße<br />

Tauchritz – Schönau. Im April 1955 wurde<br />

der 995 A 300 auf die Teichhalde über Gleise<br />

transportiert. Der Einsatz erfolgte auf<br />

der Arbeitsebene + 225 ü NN.<br />

Lediglich die Umsetzung des Absetzers<br />

995 As 250 von der Langteichhalde zur<br />

Teichhalde war für 1955 zu planen und<br />

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Geschichte<br />

37


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil II)<br />

Berzdorf<br />

Abb. 4 Bagger 1<br />

Baggerung im TS 2. AS + 203 m NN<br />

zu realisieren. Zu diesem Zeitpunkt war<br />

der Kippraum auf der Langteichhalde erschöpft.<br />

Grubenbetrieb<br />

Nun musste eine weitere Mechanisierung<br />

des Grubenbetriebes unbedingt in Angriff<br />

genommen werden.<br />

Am 15. 4. 1953 nahm der erste Bagger seine<br />

Arbeit zur Kohlegewinnung auf. Der<br />

Abb. 5 rechte Gleise zeigen die Zufahrten<br />

Vorschnitt und 1. AS, linke Gleise Zufahrten zu<br />

den Kippen<br />

Schaufelradbagger 92 SchRs 300 – 288<br />

m³/h – 500 V Drehstrom (Bagger 11) – wurde<br />

aus dem Tagebau Völpke umgesetzt<br />

und am 15.4.1953 in Betrieb gesetzt; spätere<br />

Bezeichnung 33 Sch Rs 150. Einsatzzeit<br />

von 1953 – 1960 im Grubenbetrieb.<br />

In seiner Betriebszeit wurden durch ihn<br />

1.834.354 t Kohle gefördert.<br />

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38<br />

Geschichte


Braunkohlenwerk Berzdorf im Zeitrau 1950-1952<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Abb. 6 und 7 Bagger 92 SchRs 300 (DDR Nr. 33) bei der Baggerung und Verladung von Kohle<br />

Abb. 8 Bagger 92 SchRs 300 bei der Baggerung<br />

auf der + 170 m NN. Hintergrund Bagger 5 und 1<br />

Auf der Zwischenebene Greiferbagger beim<br />

Beräumen einer Restabraummulde<br />

Abb. 9 Elektrolöffelbagger Nr. 7 Weserhütte<br />

Beräumung von Rutschungsmassen auf der<br />

+ 161 m NN<br />

Im Grubenbetrieb sind zwei Elektrolöffelbagger im Einsatz:<br />

845 Ue 400 , Weserhütte, 380 V Drehstrom, auf Raupen, auf den Sohlen +155 und +161 m NN<br />

822 Ue 1000 , M. & H., 500 V Drehstrom, auf Raupen, auf den Sohlen +150 und +161 m NN<br />

Geschichte<br />

39


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil II)<br />

Berzdorf<br />

Abb. 10 links Schacht 1 auf der AE + 171 m NN<br />

vordere Bildhälfte Aufbau 900 mm Spur Gleisanlage<br />

von der + 171 m NN zum nächsten<br />

Kohleschnitt + 161 m NN<br />

Der Abbau der Kohle erfolgte über drei Abbausohlen.<br />

Von der Abbausohle +150/155<br />

m NN durch einen Löffelbagger und von<br />

der Abbausohle + 161/171 durch den<br />

Schaufelradbagger bei einer Stoßhöhe von<br />

max. 10 m. Bis 1953 waren in der Förderung<br />

Dieselloks und Muldenkipper auf 600<br />

mm Spur im Einsatz. Im II. Halbjahr 1953<br />

erfolgte der Umbau auf 900 mm Spur. Zum<br />

Abb. 11 4 Verwaltungsbaracke mit Dienstfahrzeugen<br />

Hintergrund Seilbahnanlage<br />

Einsatz kamen nun Dieselloks (120 – 150<br />

PS) und 5,3 m³ Eisenkastenkipper.<br />

Ab 1955 erfolgte die Umstellung auf<br />

Dampflokzüge ( 120 – 180 PS Maschinen).<br />

Die Kohle wurde auf der + 171 m NN in den<br />

Umladebunker zur Seilbahnanlage verstürzt.<br />

Über mehrere Rückstöße konnte an<br />

der „Nordböschung“ eine gleistechnische<br />

Notausfahrt zur + 190 m NN genutzt werden.<br />

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40<br />

Geschichte


Braunkohlenwerk Berzdorf im Zeitrau 1950-1952<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Abb. 12 Seilbahnanlage zum Hochbunker aus der<br />

Sicht vom Eulitz Haus<br />

Die Kohleförderung, die weiterhin über die<br />

Seilbahnanlage (Abb. 11 und 12) realisiert<br />

wurde, hätte im Havariefall über diese Gleise,<br />

die die Arbeitsebene + 160 m NN der<br />

Grube mit dem zweiten Abraumschnitt<br />

(+ 190 m NN) verband, zumindest teilweise<br />

abgesichert werden können. Gruben- bzw.<br />

Mittelabraum, der durch Hilfsgeräte nicht<br />

den Abraumschnitten zugesetzt werden<br />

konnte, wurde ebenfalls über die neue<br />

Abb. 13 Blick in den Tagebau 1954; Vordergrund<br />

Gleisverbindung Grube AE + 160 m NN nach +<br />

190 m NN Bildmitte Schacht 1 und Gleise zur<br />

Verladeeinrichtung Seilbahn. Rutschung von der<br />

Arbeitsebene 2 AS beginnend über alle Kohleschnitte.<br />

Gleisverbindung abgefördert.<br />

Die Verwendung der Klarkohle zur Naßpreßsteinproduktion<br />

wurde weitergeführt.<br />

Entwässerung<br />

Die zusitzenden Wässer wurden mit Kreiselpumpen<br />

gehoben und der nördlich des<br />

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Geschichte<br />

41


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil II)<br />

Berzdorf<br />

Tagebaus gelegenen Pließnitz zugeführt.<br />

Die Pumpenkapazität lag bei 18 m³ bis 23<br />

m³/min bei Förderhöhen von 70 – 90 m. Im<br />

Zeitraum von 1953 – 1955 wurden insgesamt<br />

ca. 17,7 Mio m³ Wasser gehoben.<br />

Im Jahr 1953 erfolgte der Bau einer 2. Pumpenkammer<br />

in Ziegelmauerwerk auf der<br />

Sohle + 135 m NN. Die Pumpenkapazität<br />

Untertage betrug 30 – 33 m³/min. Ventilatoren<br />

mit einer Leistung von 20.000 m³/<br />

Std bzw.8000 m³/Std sorgten in Verbindung<br />

mit Wetterbohrlöchern und Wetterschächten<br />

für die nötige Frischluftzufuhr.<br />

Die Strecken wurden mit 2 Parallelstrecken<br />

und mit Verbindungsstrecken aufgefahren.<br />

Die immer größer werdenden Entfernungen<br />

zu dem Förderschacht machte ab<br />

1955 den Einsatz von Akku–Lokomotiven<br />

erforderlich. Der Abzug des Wassers aus<br />

dem Deckgebirge erfolgte durch Fall- und<br />

Steckfilter im Raster von 50 – 100 m je nach<br />

Erfordernis. Der Wasserzufluß im Regelfall<br />

betrug 1955 ca. 12,5 m³/min.<br />

Technische Maßnahmen<br />

Im Rahmen der Entwicklung zum Großtagebau<br />

wurde 1953 mit dem Bau einer<br />

größeren Umspann- und 5 Gleichrichterstation<br />

begonnen. Die Inbetriebnahme<br />

der leistungsstarken Umspann- und<br />

Gleichrichterstation erfolgte 1955. Ab 1954<br />

erfolgte die Einführung der elektrischen<br />

Zugbeleuchtung und die Umstellung auf<br />

elektrische Signaltechnik.<br />

Die Meisterung der täglichen komplizierten<br />

Produktionsaufgaben stand zwar<br />

im Mittelpunkt der Arbeit der Berzdorfer<br />

Kumpel, aber auch die Untersuchung zur<br />

technologischen Entwicklung gewann zunehmend<br />

an Bedeutung. Hierfür gab es<br />

mit den zeitlichen und leistungsmäßigen<br />

Festlegungen zur Inbetriebnahme des<br />

Kraftwerkes ein konkretes Ziel. Eine weitere<br />

Ausgangsbasis für die langfristige technologische<br />

Untersuchung, auch als Grundlage<br />

für die umfangreichen Investitionen,<br />

war natürlich in erster Linie die konkrete<br />

Tagebauentwicklung mit Abschluss des 1.<br />

Fünfjahrplanes (1951 – 1955).<br />

Die Investitionsvorhaben für das Jahr 1955<br />

erstreckten sich in der Hauptsache auf vorbereitende<br />

Maßnahmen für die Einschnittbaggerung<br />

(Grubenzufahrt für die weitere<br />

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42<br />

Geschichte


Braunkohlenwerk Berzdorf im Zeitrau 1950-1952<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Tagebauentwicklung), der Herstellung der<br />

Kippenzufahrt zu der zukünftigen Außenkippe<br />

Deutsch-Ossig Süd und der Gerätebeschaffung.<br />

Die Abraummassen vom<br />

Abtrag der alten ASW Kippe wurden zur<br />

Schüttung des Hochwasserschutzdammes<br />

und zum Herstellen des Bahndammes zur<br />

Außenkippe westlich der Reichsbahn Zittau<br />

– Görlitz eingesetzt. Für die Dammschüttung<br />

östlich der Reichsbahnstrecke wurden<br />

die erforderlichen Massen aus einer 2<br />

km entfernten Kiesgrube bei DeutschOssig<br />

mittels Dampflokomotiven und 1,5 m³ Muldenkippern<br />

auf 600er Spur herangefahren.<br />

Mit der Erschließung des Kippengeländes<br />

DeutschOssig wurde 1955 an der westlichen<br />

Grenze der Kippe mittels Greiferbagger<br />

ein 5 m hoher Damm geschüttet, als<br />

Ausgangspunkt für eine ersten Pflugkippe.<br />

Weiter Maßnahmen für 1955 (Auszüge aus<br />

Investionsplan für 1955):<br />

• Restabschnitt der Gauleverlegung und<br />

Schaffung eines Vorflutgrabens für die Sicherung<br />

des Einschnittes<br />

• Wegeverlegung Wirtschaftsweg Hagenwerder<br />

nach Berzdorf und Deutsch- Ossig<br />

nach Jauernick<br />

• Bau der Pließnitzbrücke<br />

• Vorbereitungen für den Einsatz Bagger<br />

587 D 400 aus dem Tagebau Schipkau<br />

• Beschaffung von 4 E –Loks mit dem<br />

Dienstgewicht 75 t und 25 m³ Abraumwagen<br />

• Beschaffung eines Pflugrückers, einer<br />

Gleisrückmaschine und einer Planierraupe<br />

Die Ergebnisse der Produktion im Zeitraum 1953 – 1955:<br />

Jahr 1953 1954 1955<br />

Abraum (m³) 2.223.400 2.603.942 2.659.794<br />

Bagger 1 671.700 525.300 682.347<br />

Bagger 5 362.200 563.600 626.995<br />

Bagger 8 785.600 822.400 1.004.329<br />

Kohle (t) 440.319 509.904 568.589<br />

von Hand (t) 83.342<br />

Bagger. 5 (t) 19.900 31.500 5.131<br />

Bagger 33 (alt 11) (t) 199.862 345.265 392.889<br />

Bagger 822 Ld 1000 (t) 48.260 80.712 52.929<br />

Naßpreßsteine (t) 18. 700 20. 200 k.A<br />

Belegschaft 1 038 1 042 k.A.<br />

Mit Bagger 8 erreicht erstmals ein Gerät die<br />

1 Millionengrenze in der Abraumbaggerung.<br />

Die 20200 t sind die höchste Jahresleistung<br />

in der Naßpreßsteinproduktion.<br />

In der Kohleförderung wurde 1954 und<br />

1955 erstmals die halbe Millionenmarke<br />

überfahren. Im Bereich Tauchritz / Hagenwerder<br />

konnten 10 Wohnungen übergeben<br />

werden und im Weinhübel wurden 20<br />

Wohnungen im Rohbau fertiggestellt.<br />

Geschichte<br />

43


Tagebau Berzdorf 1946 - 1955 (Teil II)<br />

Berzdorf<br />

Abb. 14 Bild Mitte (1) Johannes Eulitz am 1. Mai<br />

1952, links vom ihm Rolf Schimmel, viele Jahre<br />

Kaufmännischer Leiter. Davor Volkstanzgruppe<br />

des Braunkohlenwerkes<br />

Die bergrechtlich verantwortliche Personen<br />

der ersten Jahre<br />

Bereits im Jahr 1946 beginnt Johannes Eulitz<br />

seine Tätigkeit in der Grube Berzdorf.<br />

Die Anzeige als Anlage zum Betriebsplan<br />

an die Technische Bezirksinspektion liegen<br />

leider erst ab 1950 vor und auch von dem<br />

Zeitpunkt nur unvollständig. Bereits 1950<br />

wird Johannes Eulitz als Obersteiger für<br />

den Grubenbetrieb bestellt. Ab 1953 als<br />

stellv. Betriebsleiter und Hauptingenieur.<br />

Er muß so wichtig gewesen sein, dass man<br />

um ihn zu halten ein kleines Einfamilienhaus<br />

errichtete. Das Haus lief unter dem<br />

Namen „Eulitz Haus“ bis zu seinen Abriß<br />

2010.<br />

Als Betriebsleiter der Grube Berzdorf ab<br />

1947 arbeitete Dr. Ing. Ludwig Erlbeck. Er<br />

war bis 1957, zuletzt als Werkleiter in Berzdorf<br />

verantwortlich. In den Betriebsplänen<br />

steht jeweils der Zusatz „verantwortlich<br />

für den Gesamtbetrieb“. In diesen 1. Jahrzehnt<br />

sicherlich eine sehr schwere Aufgabe,<br />

in die wir uns mit heutigen Maßstäben<br />

nicht mehr hinein versetzen können. 1957<br />

wurde Dr. Erlbeck Direktor der Bergingenieurschule<br />

Senftenberg und war danach<br />

an der Bergakademie in Freiberg. Von den<br />

verantwortlichen Personen des 1. Jahrzehnts<br />

gibt es nur ganz wenige Fotos.<br />

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44<br />

Geschichte


Braunkohlenwerk Berzdorf im Zeitrau 1950-1952<br />

Tagebau Berzdorf<br />

Impressum:<br />

Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />

<strong>StadtBILD</strong>-Verlag<br />

eine Unternehmung der<br />

incaming media GmbH<br />

vertreten durch den Geschäftsführer<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Mitglied im Deutschen Fachjournalistenverband<br />

Carl-von-Ossietzky-Straße 45 | 02826 Görlitz<br />

Tel. 03581 87 87 87 | Fax: 03581 40 13 41<br />

E-Mail: info@stadtbild-verlag.de<br />

Shop: www.stadtbild-verlag.de<br />

Abb. 15 Dr. Erlbeck (Mitte) mit den Verantwortlichen<br />

für das Ferienlager in Großschönau im<br />

August 1953.<br />

Bankverbindung:<br />

IBAN: DE21 8504 0000 0302 1979 00<br />

BIC: COBADEFFXXX<br />

Geschäftszeiten:<br />

Mo. - Fr. von 9.00 bis 16.00 Uhr<br />

Druck:<br />

Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />

Erscheinungsweise: monatlich<br />

Redaktion & Inserate:<br />

Andreas Ch. de Morales Roque<br />

Kathrin Drochmann<br />

Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />

Bertram Oertel<br />

Layout:<br />

Kathrin Drochmann<br />

Lektorat:<br />

Wolfgang Reuter, Berlin<br />

Abb. 16 1. Mai 1955 Umzug 2. v. l. Johannes<br />

Eulitz Bild Mitte (1) Dr. Erlbeck<br />

Joachim Neumann und Klaus Krische<br />

Aus: Berzdorfer Hefte<br />

Die technologische Entwicklung<br />

Tagebau Berzdorf<br />

1946-1955.<br />

Teile der Auflage werden kostenlos verteilt, um<br />

eine größere Verbreitungsdichte zu gewährleisten.<br />

Für eingesandte Texte & Fotos übernimmt der Herausgeber<br />

keine Haftung. Artikel, die namentlich<br />

gekennzeichnet sind, spiegeln nicht die Auffassung<br />

des Herausgebers wider. Anzeigen und redaktionelle<br />

Texte können nur nach schriftlicher Genehmigung<br />

des Herausgebers verwendet werden.<br />

Redaktionsschluss:<br />

Für die nächste Ausgabe (November)<br />

ist am 20.10.<strong>2021</strong><br />

Geschichte<br />

45


46<br />

Betriebliche Gesundheitsförderung ist steuerlich begünstigt<br />

ETL-Steuerberatung<br />

Neues Anwendungsschreiben der Finanzverwaltung klärt offene Fragen<br />

Nur mit gesunden Mitarbeitern ist ein Unternehmen leistungsfähig. Deshalb boomt die betriebliche Gesundheitsförderung.<br />

Aufwendungen dafür sind als Betriebsausgaben abziehbar und beim Arbeitnehmer kein Arbeitslohn, wenn das Arbeitgeberinteresse<br />

überwiegt.<br />

Dies ist beispielsweise der Fall bei:<br />

– Aufwendungen für Gesundheits-Check-ups und Vorsorgeuntersuchungen,<br />

– Schutzimpfungen entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission,<br />

– Leistungen zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen, z. B. Aufenthalts- und Erholungsräume,<br />

– Aufwendungen für Sport- und Übungsgeräte im betriebseigenen Fitnessraum<br />

Tipp: Ob das eigenbetriebliche Interesse überwiegt, ist für jeden Einzelfall zu prüfen und zu belegen. Daher sollte deren Notwendigkeit<br />

durch den medizinischen Dienst einer Krankenkasse bzw. die zuständige Berufsgenossenschaft oder ein Sachverständigengutachten<br />

bestätigt werden.<br />

Attraktiver Steuerbonus für alle Arbeitnehmer<br />

Steuerlich begünstigt sind aber auch Leistungen des Arbeitgebers, die Krankheitsrisiken verhindern oder vermindern sowie<br />

Leistungen zur Förderung der Gesundheit in Betrieben, sofern sie hinsichtlich Qualität, Zweckbindung, Zielgerichtetheit und<br />

Zertifizierung den Anforderungen der §§ 20 und 20b SGB V genügen. Jährlich sind maximal 600 Euro pro Arbeitnehmer (vollund<br />

teilzeitbeschäftig-te Arbeitnehmer, Mini-Jobber und Gesellschafter-Geschäftsführer) lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei.<br />

Ist die Maßnahme teurer, ist nur der übersteigende Teil lohnsteuer- und sozialabgabenpflichtig. Die Leistungen sind<br />

allerdings nur dann steuerfrei, wenn sie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden.<br />

Zulässig ist es jedoch auch, dass der Arbeitgeber die Gebühren für zertifizierte Präventionskurse der Krankenkassen gegen<br />

Vorlage der Teilnahmebescheinigung steuerfrei erstattet, die der Arbeitnehmer vorfinanziert hat. Sofern der Arbeitnehmer<br />

von seiner Krankenkasse Zuschüsse erhalten hat, darf der Arbeitgeber nur den Differenzbetrag erstatten.<br />

Hinweis: Der Nachweis der Teilnahme eines Arbeitnehmers erfolgt durch eine Teilnahmebescheinigung, die vom Kursleiter<br />

mit einer Kurs-Identifika-tionsnummer der Prüfstelle ausgestellt wird. Dieses Zertifikat hat der Arbeitgeber als Beleg zum<br />

Lohnkonto zu nehmen.<br />

Diese Leistungen sind begünstigt<br />

Präventionskurse<br />

Präventionskurse, bei denen es um eine individuelle verhaltensbezogene Prävention geht, werden steuerlich nur anerkannt,<br />

wenn diese den vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) definierten Handlungsfeldern und Kriterien<br />

genügen und von den Krankenkassen nach § 20 SGB V über die „Zentrale Prüfstelle Prävention“ des Dienstleistungsunternehmens<br />

„Team Gesundheit GmbH“ zertifiziert sind.<br />

Betriebliche Gesundheitsförderung<br />

Für die betriebliche Gesundheitsförderung werden nur gesundheitsförderliche Maßnahmen anerkannt, die den Kriterien entsprechen,<br />

die der GKV-Spitzenverband nach § 20b SGB V festgelegt hat. Unternehmen müssen die Kurse individuell mit der<br />

Krankenkasse vereinbaren. Für die steuerliche Anerkennung ist eine Zertifizierung der Kurse durch die Krankenkassen allerdings<br />

nicht zwingend erforderlich.<br />

Beispiele sind:<br />

– Vermittlung und praktische Einübung von Entspannungsverfahren (Autogenes Training, Progressive Relaxation,<br />

Hatha Yoga, Tai Chi, Qigong) und Selbstmanagement-Kompetenzen,<br />

– Beratungen/Kurse zur Tabakentwöhnung oder zum gesundheitsgerechten Alkoholkonsum,<br />

– Anleitung zur Bewältigung von Schmerzen undBeschwerden im Bereich des Muskel- und Skelettsystems, z. B. Rückenschule,<br />

– Beratungen zur Vermeidung/Reduzierung von Übergewicht sowie von Mangel- und Fehlernährung sowie zur gesunden<br />

Ernährung<br />

Nicht steuerbefreit sind:<br />

– Mitgliedsbeiträge in Sportvereinen, Fitness-Studios und ähnlichen Einrichtungen,<br />

– physiotherapeutische Behandlungen,<br />

– Massagen,<br />

– Eintrittsgelder in Schwimmbäder und Saunen,<br />

– Teilnahme an Tanzschulen,<br />

– Trainingsprogramme mit einseitigen körperlichen Belastungen wie Spinning,<br />

– Maßnahmen von Anbietern, die ein wirtschaftliches Interesse am Verkauf von Begleitprodukten haben (z. B. Diäten,<br />

Nahrungsergänzungsmitteln)<br />

Hinweis: Die gesundheitsfördernden Maßnahmen wie auch die Präventionskurse können sowohl von den Krankenkassen<br />

selbst als auch auf Veranlassung des Arbeitgebers angeboten und durchgeführt werden.<br />

Autor: Ulf Hannemann, Freund & Partner GmbH (Stand: 15.09.<strong>2021</strong>)<br />

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