219_StadtBILD_Oktober_2021
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Zeit, ein kleines Resümee zu ziehen.<br />
950 Jahre Zukunft<br />
angeschlossen, Strom und Gas folgten.<br />
Für uns heute kaum vorstellbar – die Altstadt<br />
war der Wohnort der Unterprivilegierten,<br />
eng, dreckig, der Hort für Krankheiten,<br />
und dies war reichsweit eher die Regel als<br />
die Ausnahme. Mit der großen Choleraepidemie<br />
von Hamburg 1892 kam es zu einem<br />
Umdenken von Stadtplanern, das dank der<br />
Reformbewegung auf fruchtbaren Boden<br />
fiel. Für neue Städte und Stadtteile galten<br />
von nun an Maßstäbe wie Licht, Luft, Hygiene,<br />
Platz. Aber für die Altstädte gab es<br />
Planungen zu lebenswerten Umstrukturierungen.<br />
Aus dieser Zeit stammt auch der<br />
Begriff „Sanierung“, der auf das lateinische<br />
sānitās (Gesundheit) zurückzuführen ist.<br />
Quartiere und Häuser werden also auf gesundheitserhaltend<br />
oder gar gesundheitsförderlich<br />
umgebaut. Freilich hat sich der<br />
Begriff seitdem verselbstständigt und wird<br />
allgemeinhin für jegliche Baumaßnahmen<br />
verwendet.<br />
In Görlitz wurden solche städtischen Sanierungen<br />
bereits in den 1950er Jahren in<br />
den Quartieren entlang der Petersstraße<br />
durchgeführt. Hierzu wurden Hinterhäuser<br />
abgerissen, Dächer geschlossen, neue<br />
Decken eingezogen, Fenster getauscht. Zu<br />
beobachten ist aber auch, welchen Zeitspuren<br />
der Gebäude Denkmalwertigkeit zuteil<br />
wurde und welchen nicht.<br />
Das Scultetushaus (Peterstraße 4) erhielt bei<br />
einer Umbauphase 1880 eine gründerzeitliche<br />
Fassade, die die barocke Zier (um 1720)<br />
integrierte. 1958 maß man dieser Umbauphase<br />
keine denkmalrelevante Bedeutung<br />
bei, sodass man sie, damals immerhin fast<br />
80 Jahre alt, kurzerhand abschlug. Von da<br />
an war das Gebäude mit seiner purifizierten<br />
Form sichtbar. Auch in der letzten größeren<br />
Renovierungsmaßnahme (1995/96) befand<br />
man diesen Umgang mit der Fassade<br />
ebenfalls als nicht denkmalwürdig, sodass<br />
es hier zu barockisierenden, aber fiktiven<br />
Ergänzungen kam: Kapitelle, Gesimse und<br />
Brüstungsspiegel wurden hinzugefügt.<br />
Nun erscheint uns das Haus als barocke<br />
Fassade, ist großteils aber erst 25 Jahre alt.<br />
Spannend lässt sich die Geschichte der Görlitzer<br />
Denkmalpflege an diesem einen Objekt<br />
erzählen. Es wäre eine lohnenswerte<br />
Anstrengung, sich tiefergehend mit der Restaurierungsgeschichte<br />
unserer Denkmale<br />
zu beschäftigen.<br />
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Geschichte<br />
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