190_StadtBILD_Mai_2019
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Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Vorwort<br />
nachdem wir uns in den vergangenen Monaten mit<br />
den Görlitzer Münzen und der Ausstellung „Kopf<br />
und Zahl“ zur Geschichte des Geldes in Schlesien<br />
beschäftigt haben, folgt in dieser Ausgabe das<br />
Görlitzer Papiergeld und andere Papierersatzmittel<br />
im Zeitraum von 1914 - 1924.<br />
Auch Wörter wie „Notgeldschein“ tauchten irgendwann<br />
einmal auf und haben nun ihre eigene Geschichte.<br />
Die Generation unserer Eltern und Großeltern<br />
zeigte uns Jüngeren gern die aufgehobenen<br />
Notgeldscheine und kam sogleich ins Erzählen<br />
über Familienschicksale und Zeitumstände. Selbst<br />
heute noch, nach einem Jahrhundert, betrachten<br />
Kinder und Jugendliche erstaunt und erheitert die<br />
abgegriffenen Scheinchen mit den irrwitzigen Zahlenangaben.<br />
Kaum zu glauben, man stammt von<br />
Millionären ab!<br />
Bei der Generation, die es erlebt hatte, lösten die<br />
Erinnerungen an die Notgeldzeiten nicht nur nachsichtiges<br />
Schmunzeln aus. Sah und hörte man genau<br />
hin, verrieten Augen und Stimme auch Traurigkeit.<br />
Denn für sie bedeutete ja Notgeld nicht<br />
nur ein Zeugnis dafür, dass man sich bei dem<br />
Mangel an Geldumlaufmitteln in Krieg und Inflation<br />
damit irgendwie beholfen hatte, also „aus Not<br />
eine Tugend“ erwachsen war. Not - das war ihr<br />
Alltag gewesen als Kriegswitwen und Waisen, als<br />
Frauen und Kinder von Arbeitslosen mit zahlreichen<br />
Geschwistern. Sie kannten Hunger, ärmliche<br />
Kleidung, ausgekühlte und enge Wohnräume,<br />
Straßenkämpfe der Bürgerkriege, Siegerwillkür<br />
nach dem Versailler Vertrag.<br />
In diesen Notgeldzeiten wurden Weichen gestellt<br />
für die Weltwirtschaftskrise, für den nächsten<br />
Weltkrieg und für ungleich schlimmere Notzeiten<br />
danach.<br />
Die alten Notgeldscheine, die der Sammler stolz<br />
in seine Alben sortiert und gelegentlich den Ausstellungsbesuchern<br />
in Museumsvitrinen vorführt,<br />
gelten mit Recht als kulturgeschichtliche Zeugnisse<br />
von hoher Aussagekraft. Ihre künstlerische<br />
Gestaltung, oft mit ortsbezogenen Motiven, offenbart<br />
Heimatliebe und verrät manches über Zeitgeschmack,<br />
Hoffnungen und politisches Selbstverständnis.<br />
Solide Notgeldsammlungen gelten<br />
immer noch als gute Vermögensanlage.<br />
Dass es damals Notgeld gab, war ja ein Eingeständnis,<br />
dass wirtschaftlicher Aufschwung, politische<br />
Stabilität, Frieden und kulturelle Blüte nicht<br />
von Dauer sind. Die Generation unserer Eltern und<br />
Großeltern begriff aber auch, dass man chaotische<br />
Umbrüche nicht ohnmächtig hinnehmen darf. Sie<br />
suchten nach Auswegen, wie gegensätzlich die<br />
Vor-stellungen darüber auch ausfallen mochten.<br />
Auch Görlitz erlebte opferreiche Krisen und neue<br />
Aufschwünge.<br />
Not kennt kein Gebot, heißt es. Aber auch: Not<br />
macht erfinderisch. Wer mit Freude und Gewinn<br />
Notgeld sammelt, der lernt manches dazu und<br />
sollte seine Einsichten weitergeben.<br />
Möge diese Veröffentlichung auch anregen zum<br />
Nachdenken über den Zusammenhang von Not<br />
und Geld. Denn damit hat fast jeder von uns zu<br />
tun.<br />
Ihr Dr. Ernst Kretzschmar<br />
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Einleitung<br />
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